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Titel
Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 1941–1945. Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung


Autor(en)
Núñez Seixas, Xosé Manoel
Reihe
Spanische Forschungen der Görresgesellschaft / 2. Reihe
Erschienen
Münster 2016: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
XI, 414 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Rieck, Institut für Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

In vielen Städten Spaniens finden sich auch heute noch Straßen, die nach den Gefallenen der spanischen Blauen Division (BD) benannt sind. Die Geschichte dieser Freiwilligendivision, die zwischen 1941 und 1943 am Krieg der Wehrmacht an der Ostfront beteiligt war, ist nun von Xosé Manoel Núñez Seixas von der Ludwig-Maximilian-Universität München eingehend untersucht. Nun ist sie ins Deutsche übersetzt worden. Der Militärhistoriker Núñez Seixas rekonstruiert darin minutiös die Vorstellungen, Erfahrungen und Erinnerungen sowie die soziale, politische und regionale Herkunft der rund 47.000 spanischen Soldaten. Seine Studie stützt er dabei auf eine bemerkenswerte Fülle an Literatur, Akten, Briefen und Selbstzeugnissen. Sie stammen aus Beständen in Spanien, den USA, Russland, England sowie Deutschland. Zudem greift er auf sein Privatarchiv zurück. Er verortet seine Arbeit dabei in der neueren Militärgeschichte und verfolgt einen sozialgeschichtlichen Ansatz, der den „Krieg als soziales Geschehen“ (S. 4) deutet.

Dem Hauptteil seines Werks stellt er zunächst ein einordnendes Kapitel über das zeitgenössische Russlandbild der Spanier sowie die faschistischen Diskurse in Spanien und Deutschland voran. Damit gelingt ihm eine problembewusste Einbettung von positiv („den Deutschen“) und negativ („den Russen“) konnotierten Bildern und Bezügen. Laut Núñez Seixas sei für den Großteil der spanischen Divisionäre die Zielvorstellung eine „Neue Ordnung“ Europas unter der Führung von NS-Deutschland und dem franquistischen Spanien gewesen. Dabei bildete der Kampf gegen den Bolschewismus und die vermeintliche Verteidigung europäischer Werte gegen die „asiatischen Horden“ den Grundkonsens.

Im dritten Kapitel „Russland ist Schuld [sic!]“ wird der Russlandfeldzug der Deutschen als „Rasse-“ und Vernichtungskrieg und damit als „andersartiger Krieg“ dargestellt. Núñez Seixas ordnet die BD in das Phänomen der europäischen Freiwilligen zu, die in der Wehrmacht und der SS Dienst taten, um überzeugend Parallelen und Unterschiede zwischen anderen europäischen und den spanischen Freiwilligen herauszuarbeiten. Auch werden sie hinsichtlich ihres „soziopolitischen Profils und [ihrer] Motivation“ analysiert. Dabei kann Núñez Seixas zeigen, dass es sich keineswegs nur um eine Gruppe radikaler Falangisten gehandelt hat, sondern – wie es ein Divisionär festhielt – „eine Arche Noah, in der es alle Arten gibt“ (S. 55). Die Motivlage für eine Teilnahme am Russlandfeldzug sei dementsprechend ganz unterschiedlich gewesen: Zwar habe die Gruppe von Bürgerkriegsveteranen, die sich nach dem Krieg als „verlorene Generation“ empfanden, und linientreuen Falangisten, die aus ideologischen Gründen gegen die wahrgenommene „jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung“ kämpften beziehungsweise eine Karriere innerhalb des Militärs beschleunigen wollten, dominiert. Aber es waren eben auch Abenteurer, Notleidende (bei der BD gab es doppelten Sold aus Spanien und Deutschland), ehemalige Republikaner oder verurteilte Kriminelle, die mit dem Einsatz ihre Personalakten bereinigen wollten oder eben jene, die aufgrund von sozialem Druck nicht hinter anderen Freiwilligen aus ihrem Umfeld zurückstehen wollten. Diese Heterogenität der Truppe kann Núñez Seixas aus einer Fülle von Quellen und Materialien im Sinne einer dichten Beschreibung nachzeichnen und fördert dabei skurrile Lebenswege und allerhand Kuriositäten zu Tage, wie beispielsweise jene überzeugten Kommunisten, die „zum Feind“ überliefen.

Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Aufeinandertreffen der Divisionäre mit der deutschen Armee und den Vorbereitungen auf den Einsatz an der Ostfront. Dabei seien bereits vorhandene Bilder und nationale Klischees bestätigt und noch einmal vertieft worden. Ein bemerkenswerter Befund ist dabei die erstaunliche Wahrnehmung der Wehrmacht als egalitäres „Heer der Volksgemeinschaft“ (S. 106). So zeigten sich die Spanier positiv davon überrascht, dass die deutschen Offiziere ihre Untergebenen nicht mehr prügelten oder sich bei der Essensausgabe zusammen mit den Gefreiten anstellten. Núñez Seixas beschreibt hier detailreich Konflikte und Spannungen. So gab es auf Seiten der Wehrmacht einige Beschwerden über das salopp-unmilitärische Verhalten der Spanier oder den undienlichen Umgang mit der Ausrüstung. Vor diesem Hintergrund forderte der Kommandeur der 16. Armee Ernst Busch im Dezember 1941 sogar die Ablösung der BD, um ein Übergreifen der Disziplinlosigkeit auf die deutschen Truppenteile zu verhindern.

Das kurze fünfte Kapitel stellt die Fronterfahrung der BD und ihre ursprünglichen Erwartungen an den Kampf gegen Bolschewismus gegenüber. Zeugnisse vom monotonen Frontalltag im russischen Winter werden mit den heroischen Vorstellungen vor dem Krieg kontrastiert. Kapitel sechs, zugleich das am breitesten aufgestellte Kapitel der Darstellung, widmet sich der Besatzungspraxis der BD auf sowjetischem Territorium. Núñez Seixas räumt hier überzeugend mit dem Mythos auf, dass sich die Spanier gegenüber der besetzen Bevölkerung äußerst milde verhalten hätten oder sogar als deren Beschützer aufgetreten seien. Auch hier erfährt der Leser die ganze Bandbreite an Verhaltensweisen und Handlungsmustern der Divisionäre. Das Verhalten changiert demnach zwischen der Beteiligung an den Verbrechen und vereinzelten, aber keinesfalls systematischen Versuchen, jüdische Menschen zu retten. Der Antisemitismus der spanischen Freiwilligen war Núñez Seixas zufolge daher vor allem rhetorischer Natur und beinhaltete keinen eliminatorischen, auf Vernichtung abzielenden Judenhass. Selbst in der stark an nationalsozialistischen Diskursen orientierten Zeitung Enlace wurde nicht „dieses verwässerte Judentum, sondern all jene, die aufgrund ihrer Überzeugung als jüdisch gelten müssten“ (S. 315) als Feinde beschrieben – sprich Bolschewisten, Atheisten und Freimaurer. Allerdings unterstreicht der Autor, dass die Juden in den Gebieten, in denen die Divisionäre eingesetzt wurden, schon zuvor von den Deutschen deportiert worden seien. Trotzdem hätten die Spanier sowohl von den Massenverbrechen hinter der Front gewusst als auch den sogenannten Kommissarbefehl gekannt. Die Situation der unterdrückten Polen habe bei ihnen hingegen häufig Mitleid erregt, hätten sie in ihnen doch katholische Glaubensbrüder und -schwestern gesehen.

Einem knappen Kapitel über die letzten verbliebenen Kämpfer, die nach Abberufung der BD durch Franco im November 1943 erst in der Blauen Legion und dann in verschiedenen anderen Freiwilligenverbänden der Wehrmacht unterkamen, folgt ein abschließendes Kapitel: Es widmet sich den Lebenswegen, Erinnerungen und Vergemeinschaftungsformen der Veteranen während des Francoregimes. Dabei betont Núñez Seixas die ständigen Versuche der Umdeutung ihres Einsatzes bis hin zu einer Neulegitimierung der spanischen Teilnahme am Russlandfeldzug (Unterkapitel „Wir hatten Recht!“) nach dem Untergang der Sowjetunion 1991.

Núñez Seixas leuchtet die Geschichte der BD bis ins Detail aus und bettet den Gegenstand in die neuere internationale Forschung ein. Dabei behandelt er auch Geschlechter- und Sexualitätsdiskurse, wenn es beispielsweise um die Homosexualität innerhalb der Truppe geht. Wünschenswert wäre noch ein zusammenfassendes Schlusskapitel gewesen, das die großen Linien und Hauptthese, „den Krieg als ein totales soziales Geschehen“ (S. 4) zu begreifen, synthetisierend aufgreift. Die dichte Beschreibung von Einzelschicksalen und Erfahrungen der Soldaten gerät zuweilen etwas zu kleinteilig, so dass wichtige Informationen wie beispielsweise die oben erwähnte beantragte Ablösung der Division eher beiläufig gestreift und nicht weiter ausgeführt werden. Auch wäre es aus Sicht der deutschen Leser/innen wünschenswert gewesen, in Deutschland weniger bekannte Akteure wie die Divisionskommandeure Augustín Muñoz Grandes und Emilio Esteban Infantes ausführlicher vorzustellen.

Generell ist zu bemängeln, dass sich zu häufig Schwächen in der Grammatik und der Übersetzung finden lassen. So werden spanische Begriffe eingedeutscht (z.B. „Konfraternisierung“ statt Fraternisierung, S. 114) oder es bleibt unklar, was gemeint ist (z.B. „schismatische Russin“, S. 266). Zudem geht durch fehlenden Gebrauch des Konjunktivs oder der indirekten Rede oft die kritische Distanz gegenüber dem Gegenstand verloren. Teilweise werden Quellenbegriffe wie „Reichsdeutsche“, „Volksdeutsche“, „andere germanische Völker“ (alle S. 148), oder „pseudogermanische Krieger“ (S. 43) unkritisch und ohne Kennzeichnung übernommen. Wenn es um das Aushungern Leningrads durch die Wehrmacht geht, gerät die sonst sehr ausgewogene und kritisch-abwägende Darstellung sehr einseitig. So ist von den Einwohnern/innen der Stadt, die durch „die Hölle“ gingen, zu lesen. Im Folgenden werden aber nicht etwa die deutschen Belagerer dafür verantwortlich gemacht, sondern das stalinistische Regime, das den Einwohnern „die größten Opfer ab[verlangt]“ habe (S. 150).

Während Fotos und Karikaturen aus franquistischen Publikationen die Ergebnisse der Quellenarbeit anschaulich illustrieren, gibt es leider nur zwei Karten zu den Einsatzgebieten der BD, die zu kleinformatig geraten sind und wegen fehlender Maßstabsangabe zusätzlich an Aussagekraft einbüßen.

Trotz dieser Schwächen schließt Núñez Seixas‘ Darstellung über die Blaue Division eine wichtige Forschungslücke, da er die Blaue Division erstmals auf breiter Quellengrundlage analysiert und deren Sozialstruktur untersucht hat. Ihm ist damit eine wissenschaftliche Untersuchung gelungen, die mit der jahrzehntelangen Mythenbildung der Blauen Division aufräumt. Wer dieses über 400 Seiten starke Buch liest, fragt sich, wie lange es eigentlich noch Straßen in Spanien geben sollte, die nach den gefallenen Blaudivisionären benannt sind.

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