M. Buchner u.a. (Hrsg.): transmortale

Cover
Titel
transmortale. Sterben, Tod und Trauer in der neueren Forschung


Herausgeber
Buchner, Moritz; Götz, Anna-Maria
Erschienen
Köln 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
259 S.
Preis
€ 35,00 [D], € 36,00 [A]
Rezensiert für H-Soz-Kult von
John Ziesemer, Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS (Internationaler Denkmalrat)

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Sterben fristet längst kein Nischendasein mehr; das beweisen die vielen unterschiedlichen Publikationen der letzten Jahrzehnte. Allerdings fehlte bisher weitgehend ein interdisziplinärer Austausch.1 Diesem Manko möchte der vorliegende Band mit einer Auswahl von vierzehn Referaten, die zwischen 2010 und 2014 auf den transmortale-Workshops vorgestellt worden sind, begegnen. Die Veranstaltungsreihe wurde als Zusammenarbeit zwischen dem Historischen Seminar der Universität Hamburg (Norbert Fischer) und dem Museum für Sepulkralkultur Kassel ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel dieser jährlich stattfindenden Workshops ist es, „Forschungsansätze zur thematischen Trias Sterben, Tod und Trauer zu verbinden“ und „Forschende in einem disziplinübergreifenden Netzwerk zusammenzubringen“ (Vorwort, S. 7).

Der Band spiegelt eine beeindruckende thematische Offenheit wider. So finden sich neben Beiträgen aus Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturanthropologie solche aus den Theater-, Film- und Musikwissenschaften sowie aus den Bereichen der Theologie und Psychologie. Für die Drucklegung wurden die Aufsätze vier eher allgemein umgrenzten Themen zugeordnet: „Orte für Tote“, „Umgang mit dem Tod“, „Gefühle zu Tod und Sterben“ sowie „Vor-/Darstellungen vom Tod“, wobei diese nur im Inhaltsverzeichnis, nicht aber erneut als Zwischentitel genannt werden.

„Orte für Tote“ umfasst drei Aufsätze. Anna Livia Pfeiffer behandelt die Entwicklung visionärer Beisetzmodi und Bestattungsriten anhand der modernen Feuerbestattung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft in gigantische Planungen mündete. In Deutschland wurden dabei eine zunehmende Abkehr von architektonisch geprägten und die Hinwendung zu naturverbundenen Feuerbestattungsanlagen propagiert, weil dies der deutschen Mentalität mehr entspräche. Möglicherweise war dies aber auch Teil eines generellen Trends im Bestattungswesen der Jahrhundertwende, wie die zeitgleichen Park- und Waldfriedhöfe eindrücklich zeigen. Dominik Gerd Sieber widerlegt in seinem Beitrag den von Barbara Happe vertretenen Ansatz, wonach es sich beim Camposanto-Typ um eine von Protestanten bevorzugte, außerhalb der Stadt gelegene Friedhofsform des 16./17. Jahrhunderts handelt. Anhand oberschwäbischer Beispiele belegt er die durchaus auch katholische Verwendung dieses Friedhofstyps. Aufgrund der ungenauen Konturierung empfiehlt er zudem, sich zumindest für die Frühe Neuzeit vom Begriff Camposanto zugunsten einer allgemeineren Terminologie zu verabschieden. Eva Mieder befasst sich mit den hochaktuellen Fragen von Tod und Sterben im digitalen Zeitalter und den Möglichkeitsräumen, die das Internet heutzutage bietet. Das von ihr entwickelte Servicedesign-Konzept „Netzwerk Tod“ soll den Hinterbliebenen Hilfestellung leisten, um die Daten internetaktiver Verstorbener angemessen weiterpflegen zu können.2

Im Themenblock „Umgang mit dem Tod“ beleuchtet zunächst Stephan Hadraschek am Beispiel Berlins das Bestattungswesen als Teil der generellen Entwicklung zur Metropole im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dabei wäre es möglicherweise ergiebiger gewesen, den Sonderweg Berlins noch stärker herauszustellen, folgte die Stadt doch nur bedingt dem Ansatz anderer Metropolen, konsequent Groß- bzw. Zentralfriedhöfe weit außerhalb anzulegen. Helena Toth geht der Frage nach, wie im Zuge der radikalen Veränderung des Gesellschaftssystems in der DDR und in Ungarn nach 1945 bis dahin kirchlich geprägte Übergangsrituale bei Geburt, Jugend und Tod verändert wurden. Dabei bewertet die Autorin die neuen sozialistischen Rituale als Teil eines generellen, schon im 19. Jahrhundert vorbereiteten europäischen Säkularisierungsprozesses, der sich folglich auch nach dem Ende der Regime in den beiden Ländern fortsetzen konnte. Letztlich sind auch die Bestattungsunternehmen, mit deren veränderter heutiger Rolle sich Antje Kahl beschäftigt, das Ergebnis der im 19. Jahrhundert vollzogenen Auflösung der Monopolstellung der Kirche. Es ist aufschlussreich zu erfahren, wie dieser traditionell weitgehend von Wettbewerbsdruck befreite Wirtschaftszweig den gewandelten gesellschaftlichen Vorstellungen von Individualisierung, Diesseitsorientierung und damit auch von Bestattung(-saufwand) begegnet. In einen gänzlich anderen Kulturkreis führt Sophia Sieberts Aufsatz über die „Doms“, Verbrennungsmeister an Kremationsplätzen in der indischen Stadt Benares. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur untersten Kaste und ihrer als unrein geltenden Tätigkeit sind sie sozial isoliert. Mehr noch als eine Auseinandersetzung mit dem Tod in anderen Kulturen vermag dieser Beitrag als Untersuchung zum starren indischen Gesellschaftssystem zu überzeugen.

Im ersten Beitrag zu „Gefühle zu Tod und Sterben“3 untersucht Moritz Buchner die Trauerkultur im bürgerlichen Italien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Form der Trauer keineswegs anthropologisch konstant ist, sondern von den sozialen und kulturellen Normen der Zeit abhängt. Die von ihm geschilderten prägenden Aspekte in Italien dürften allerdings auch in anderen europäischen Ländern ganz ähnlich gegolten haben. In gewisser Weise knüpft der Aufsatz von Inga Schaub zur Frage, ob Trauer aus psychologischer Sicht eine Krankheit ist, an den vorangegangenen an, geht es doch auch hier um heutige und damit zeitgebundene normative Vorstellungen von Art, Umfang und Dauer des Trauerns. Auch Antje Mickan greift mit ihrer praktisch-theologischen Studie zu Bestattungswünschen älterer Personen gewandelte gesellschaftliche Einstellungen auf und fragt, was eine „angemessene“ kirchliche Beisetzung in Zeiten stark erweiterter Optionen und zunehmender Individualisierung ausmachen kann.

Den letzten Themenblock, „Vor-/Darstellungen vom Tod“, leitet Anna-Maria Götz mit einem Auszug aus ihrer Dissertation zur Figur der Trauernden auf den Friedhöfen des späten 19. Jahrhunderts ein, einer ikonografisch nur schwer zu definierenden, mentalitätshistorisch dafür umso aufschlussreicheren Darstellung. Aus Sicht der Autorin entsprach die vorherrschende Wahl idealisierter weiblicher Grabfiguren den damaligen Vorstellungen von Hingebung, mütterlicher Trauerbekundung und Erlösung. Sie auch als Teil der damaligen Sehnsucht nach Konstanten in einer schnelllebigen Zeit betrachten zu wollen, ist allerdings nur schwer nachvollziehbar.4 Mariama Diagne widmet sich der szenischen Umsetzung von Sterben und Tod im Tanztheater. Sie problematisiert dabei den Umstand, dass die Tänzer eine Station des Lebens überzeugend darstellen müssen, die sich der eigenen Erfahrung entzieht. Aber gilt das nicht ebenso für Vertreter anderer Künste, etwa Schauspieler, Schriftsteller und Sänger? Johannes Wende hat sich am Beispiel der „Final Destination“-Reihe mit der Abwesenheit des personifizierten Todes im heutigen Spielfilm beschäftigt. Demnach vermag der Tod als Sensenmann oder Geist die heutigen Zuschauer kaum noch zu überzeugen und bleibt stattdessen meist abstrakt oder in den Dingen verborgen. Noch größeres Abstraktionsvermögen verlangt die musikalische Umsetzung von Todesstimmungen in der Musik. Gerardo Scheige verweist in dem letzten Beitrag des Bandes darauf, dass der Tod – anders als in den bildenden und darstellenden Künsten sowie in der Literatur – in der Musik nur schwer „darstellbar“ ist. Dennoch setzen sich gerade Vertreter der Neuen Musik zunehmend mit Fragen des Todes und der Transzendenz auseinander.

Norbert Fischer und Reiner Sörries, Protagonisten der Sepulkralforschung im deutschsprachigen Raum, fassen in ihrem Nachwort die neuesten Tendenzen im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Tod zusammen. Sie konstatieren dabei zwar weitreichende Veränderungen, stellen aber gleichzeitig ein Ende der Verdrängung des Todes fest.

Die Vielfältigkeit der Aufsätze dieses Sammelbands ist spannend, da sie einen umfassenden Eindruck von den Facetten der derzeitigen Forschung zu Sterben, Tod und Trauer vermittelt. Den bisherigen transmortale-Workshops seien daher noch viele Fortsetzungen gewünscht. Zugleich stellt die Vielfalt aber auch eine Schwäche dar. Die gemeinsame thematische Klammer der genannten Trias wirkt zu locker, um das Verbindende der Beiträge durchweg erkennen zu lassen. So dürfte sich nicht nur der interessierte Laie, sondern auch so mancher mit der Thematik vertraute Fachleser von der Bandbreite etwas überfordert fühlen. Eine Konzentration der Nachfolgeworkshops und -bände auf bestimmte übergreifende Themen wäre möglicherweise vorteilhafter.

Anmerkungen:
1 Zu den wenigen Beispielen eines interdisziplinären Ansatzes gehören etwa der von C. Y. Robertson-von-Trotha herausgegebene Band Tod und Sterben in der Gegenwartsgesellschaft. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung, Baden-Baden 2008; sowie der von C. Denk und dem Rezensenten herausgegebene Tagungsband Der bürgerliche Tod. Städtische Bestattungskultur von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert., Regensburg 2007, wobei Letzterer sich vorwiegend auf kunst- und sozialgeschichtliche sowie denkmalpflegerische Aspekte konzentriert.
2 Die beigefügten drei Abbildungen tragen leider nicht dazu bei, die Thesen des Aufsatzes besser verständlich zu machen.
3 Der Themenblock hätte vielleicht treffender „Sozial bedingte Normen der Trauer“ heißen können.
4 Die Autorin vermengt dabei Motive, die teils für das frühe 19. Jahrhundert, teils eher für die Zeit um 1900 stehen dürften.