L Burwitz u.a. (Hrsg.): Der Deutsche Krieg von 1866

Cover
Titel
Der Deutsche Krieg von 1866. Die Feldpostbriefe des Soldaten Louis Ernst


Herausgeber
Burwitz, Ludwig; Nassauer, Armin; Wagener, Olaf
Reihe
Militärhistorische Untersuchungen 14
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
194 S., 17 s/w Abb., 1 Tab.
Preis
€ 44,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Morgenstern, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh

Vor 151 Jahren führten die beiden größten deutschen Monarchien, in deren Nachfolge-Demokratien im Herbst 2017 nationale Parlamentswahlen stattfanden, einen Krieg um die Vorherrschaft in Mitteleuropa. Aus der Sicht der heute friedlichen EU-Partnerschaft wirkt der Deutsche Krieg von 1866 noch befremdlicher, weil dem allgemeinen Bewusstsein entrückter, als die post-jugoslawischen Kriege der 1990er-Jahre oder die im kulturellen Gedächtnis und auf der politischen Bühne stets präsenten europäischen Weltkriege. Da Österreich und Deutschland in letzteren in „Nibelungentreue“ bzw. im „Rassenkampf“ verbunden waren, fällt es schwer, in die Vehemenz ihrer Auseinandersetzung des Jahres 1866 einzutauchen. Will man das tun, ist ein in die Richtung des Imperativs der dichten Beschreibung gehender Schritt die Lektüre von Zeitzeugenaufzeichnungen. Wer meint, in dieser Memoirengattung nur antiquierte Ausgaben apologetischer Autobiographik in schwülstiger Aufmachung des Spät-Biedermeiers konsultieren zu können, irrt. Denn immer wieder finden sich in Archiv-Nischen und auf privaten Dachböden ungedruckte Dokumente mit der „authentischen“ Perspektive der 1860er-Jahre. Mit kritischer Distanz ediert, vermitteln sie Einblicke in eine Zeit, in der Kriege unter deutschen Staaten noch ein probates Mittel der Politik waren.1 Wie diese auf den einzelnen Kombattanten wirkte, verdeutlichen die Feldpostbriefe des 26-jährigen Siegener Kaufmannssohnes Louis Ernst (1839–1900).

In seiner lesenswerten Einleitung (S. 9–25) nähert sich Ludwig Burwitz der Biographie des Briefschreibers an. Vor seiner Teilnahme an den Feldzügen 1866 und 1870/71 hatte Ernst verschiedene Naturwissenschaften in Bonn und Heidelberg studiert, seinen Militärdienst abgeleistet und erste berufliche Schritte als Chemiker getan. In Elberfeld, wo er in das „Droguen- und Chemikaliengeschäft“ eines Bruders eingestiegen war, erreichte ihn der Gestellungsbefehl. Nach dem Krieg heiratete er, 1872 kehrte er in seine Heimatstadt Siegen zurück, wo er in der Folge Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, langjähriger nationalliberaler Reichstags- und Landtagsabgeordneter und Direktor einer landwirtschaftlichen Schule wurde. Den bürgerlichen Meriten ging der Feldzug von 1866 voraus, den Olaf Wagener militär- und kulturhistorisch einordnet (S. 27–78). Minutiös verfolgt Wagener das Itinerar Ernsts (tabellarisch S. 76–78). Die Dichte seiner Schilderungen und Nachweise in Anmerkungen erübrigt – das mag zunächst merkwürdig erscheinen – jegliche Annotation im folgenden Editionsteil.

Die Vorlage für diesen eigentlichen Kern des Buches liefern 64 Dokumente (S. 79–194), die Ernst in Buchform binden ließ. Darin befinden sich neben seinen Briefen auch Rechnungen und Druckwerke; die Antwortbriefe seiner Verwandten fehlen, lediglich der erste Brief stammt von Ernsts Vater, der ihm am 7. Mai 1866 die Einberufung und die Marschorder nach Attendorn mitteilte (S. 79f.). Das letzte Dokument ist eine Rechnung über Uniformteile vom 10. Oktober desselben Jahres, die der zum Offizier aufgestiegene Ernst stolz aufbewahrte. Die Herausgeber haben der Zusammenstellung keine weiteren Archivalien hinzugefügt und auch die Reihenfolge beibehalten. Eine Reihe von grafisch ansprechenden Dokumentteilen (Briefköpfe etc.) sind faksimiliert. Man hat dadurch und durch den Verzicht auf einen Anmerkungsapparat einen der Vorlage nahekommenden Eindruck, wobei der Lesefluss gegenüber der handschriftlichen Vorlage erheblich erleichtert ist.

Aber was liest man da eigentlich? Ernst lässt seine Angehörigen sowohl Anteil an den äußeren militärischen Ereignissen wie auch an den eigenen Empfindungen nehmen. Wichtig ist ihm der Aufstieg in den Kreis der Offiziere. Immer wieder kreisen seine Gedanken um die notwendige Uniform (vgl. unter anderem S. 133–135). Auch wenn der Grundzug seiner Schilderungen freundlich und abgewogen ist, ist beim eigenen Status in der Abgrenzung zu den Mannschaften eine gehörige Portion Dünkel im Spiel. Das Erleben des Krieges wird hier also in der Wahrnehmung eines (noch rangniedrigen) Offiziers vermittelt, die soziale Ordnung spielt für den Epistelografen eine wichtige Rolle.

Bekleidungs-, Transport- und Einquartierungsprobleme werden ausführlich behandelt. Weniger Raum nehmen die Schlachten in Böhmen ein, die tatsächlich auch nur ein zeitlich begrenzter Teil der Kampagne waren. Aufmerksam schaut Ernst nachher wie ein Tourist in die böhmische Landschaft und die ländliche Gesellschaft. Erstaunlich ist dabei, wie schnell er die Schrecken der Schlachten und die Präsenz des Todes verdrängt. Regelrechte touristische Interessen zeigen sich, wenn etwa am 24. August die Rede von einer „Tour nach Prag“ ist (S. 174).

Fazit: Mit dem schmalen Band liegt eine ansprechende Edition von Kriegsbriefen des Jahres 1866 vor, die über den biographischen Nutzen für die Vita des späteren Parlamentariers Ernst hinaus wichtig ist. Der Schreiber hat ein Dokument der Normalität des Krieges hinterlassen, dessen lakonischer Stil uns mentalitätsgeschichtlich fremd ist und der trotz der Schilderung von Eisenbahnfahrten noch nichts vom mechanisierten und maschinisierten Krieg des 20. Jahrhunderts erahnen lässt.

Anmerkung:
1: Pars pro toto Thorsten Loch / Markus Vette (Hrsg.), Friedrich Clauson von Kaas, „Potsdam ist geschlagen“. Briefe aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Freiburg 2016; Ulf Morgenstern (Hrsg.), Arzt und Abenteurer, Minister und Memoirenschreiber. Autobiographische Aufzeichnungen des Bismarck-Vertrauten Robert Lucius von Ballhausen, Friedrichsruh 2017.

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