B. Zaccaria: The EEC's Yugoslav Policy in Cold War Europe, 1968–1980

Titel
The EEC's Yugoslav Policy in Cold War Europe, 1968–1980.


Autor(en)
Zaccaria, Benedetto
Reihe
Security, Conflict and Cooperation in the Contemporary World
Erschienen
Basingstoke 2016: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XII, 208 S.
Preis
€ 96,29
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Karlo Ruzicic-Kessler, Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Das Buch Benedetto Zaccarias zur Politik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegenüber Jugoslawien im Kalten Krieg stellt eine längst überfällige Studie dar. Dies insbesondere deshalb, weil bis zu dieser Publikation keine monographische Studie zum Thema vorlag und die vorhandenen Analysen zu den Beziehungen zwischen EWG und Jugoslawien entweder schon Jahrzehnte zurückliegen1 oder die Thematik vor allem in Zusammenhang mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Jugoslawien 1991 analysieren, bzw. die Rolle Brüssels in den n Jahren davor und danach in den Fokus nehmen.2 Somit könnte man den Eindruck gewinnen, wie dies Zaccaria in seiner Einleitung treffend formuliert, dass die EWG vor dem Tode Titos und der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise in Jugoslawien kein Interesse an Belgrad gezeigt habe (S. 2f.). Den Anspruch, diesen Mythos abzubauen und demgegenüber darzulegen, dass die EWG über Jahrzehnte die Entwicklungen in Jugoslawien beobachtete, registrierte und selbst als aktiver politischer Faktor auftrat, erfüllt Zaccaria in seinem Werk sehr überzeugend. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Autor nicht nur die relevanten Werke und Studien zum Thema analysiert, sondern insbesondere Primärquellen aus mehreren Staaten für seine Interpretation heranzieht.3 Dies gilt es besonders hervorzuheben, da Studien über internationale Beziehungen oft einer multiarchivarischen und multiperspektivischen Grundlage entbehren.

Das Buch ist in sieben kurzweilige und prägnante Kapitel aufgeteilt, wobei das erste Kapitel für die Einleitung und das siebente für die Schlussbetrachtung verwendet werden. Somit erhält das Werk das Antlitz einer klassischen englischsprachigen Qualifikationsarbeit mit fünf Hauptblöcken, die in chronologischer Abfolge die Beziehungen der EWG zu Jugoslawien von 1957 bis 1980 abhandeln (entgegen der bescheidenen Titelwahl des Autors wird dem Abschnitt der Beziehungen von 1957 bis 1968 genug Raum gelassen).

Nach seiner Einleitung führt Zaccaria den Leser in die jugoslawische Politik zwischen den Blöcken und zeichnet das bereits bekannte Bild eines Landes, das Autonomie sucht, die Blockfreie Bewegung mitvoranbringt und sich zwischen Großmächten militärisch, ökonomisch und politisch zu behaupten versucht (S. 13ff.). Die Gründung der EWG mit den Römischen Verträgen von 1957 stellte für Jugoslawien eine Herausforderung dar, da das Land befürchten musste, aus dem Handel mit den Sechs auf längere Sicht ausgeschlossen zu werden bzw. deutliche Einbußen im Export zu verzeichnen. Immerhin gingen über 30 Prozent der jugoslawischen Exporte Ende der 1950er-Jahre in die Gründungsstaaten der EWG (S. 17). Somit erfolgten bereits früh jugoslawische Versuche, einen modus vivendi und einen Vertrag mit dem neuen Wirtschaftsraum zu finden. Diese ersten Versuche scheiterten allerdings vor allem an der Haltung der Bundesrepublik Deutschland. Da Jugoslawien die Deutsche Demokratische Republik 1956 anerkannt hatte, wurde das Land zum ersten „Opfer“ der Hallstein-Doktrin. Zwar wurden die Kontakte nach Belgrad und vertragliche Vereinbarungen nicht völlig zurückgefahren, jedoch wurde Jugoslawien auf einige Jahre in den Warteraum einer etwaigen Annäherung an die EWG gestellt. In diesem Abschnitt arbeitet Benedetto Zaccaria sehr gut die Gegensätze zwischen EWG-Mitgliedern heraus, die einen wichtigen Teil der politischen Arbeit der Gemeinschaft beeinflussten. Während anfangs die BRD jugoslawischen Forderungen skeptisch gegenüberstand, war Italien, das in den späten 1950er-Jahren und nach der partiellen Lösung des Territorialkonfliktes in der Zone um Triest 1954 an einer Öffnung zum östlichen Nachbar interessiert war, ein Sponsor der Ambitionen Belgrads. Frankreich, der dritte im Bunde der großen Vertreter der EWG, nahm hingegen eine ambivalente Rolle ein, da es einerseits Belgrad für seine Unterstützung des Front de Libération Nationale (FLN) in Algerien rügte, aber andererseits die Notwendigkeit einer vertraglichen Lösung mit Jugoslawien einsah.

Hierauf gelang 1962 die Übereinkunft, zumindest explorative Gespräche mit Jugoslawien zu starten. Damit begann die wichtige Rolle der Generaldirektion für Außenbeziehungen der EWG. Diese verhandelte in den nächsten Jahren mit Jugoslawien über einen Handelsvertrag, wobei verschiedenen Vetos der einzelnen EWG-Mitglieder dafür sorgten, dass der erste Handelsvertrag zwischen EWG und Jugoslawien erst im März 1970 unterzeichnet werden konnte. Hierbei schafft es der Autor hervorragend herauszustreichen, dass während die Frage von Beziehungen zwischen Brüssel und Belgrad vor 1968 auf einer eindeutig ökonomischen Ebene zu verorten ist, mit der Intervention der Warschauer Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei, die EWG von den Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Frankreichs – zunehmend als Vehikel für politische Unterstützung des blockfreien Jugoslawien angesehen wurde (S. 30–46). Dies ist auch der Kern dieses Buches: die EWG war nicht nur Zuschauerin und Handelspartnerin Belgrads, sie war ebenso politischer Faktor und stets hinter den Kulissen des Weltgeschehens tätig, um Jugoslawien zu stabilisieren und vor einem Abdriften in den Ostblock zu schützen.

Die wichtigste Konzession des Abkommens von 1970 betraf Fleischimporte aus Jugoslawien in die EWG. Hier machte Brüssel mehrere Zugeständnisse, die es Jugoslawien erlauben sollten, seinen Handel auszuweiten und den westeuropäischen Markt besser zu nützen. Im Vergleich zu anderen Nicht-Mitgliedern konnte Jugoslawien in der dreijährigen Periode des Bestehens dieses Abkommens unter besseren Zoll- und Kontingentsbedingungen seine Produkte anbieten. Nachdem sich das Korsett des ersten Handelsabkommens schon bald als zu eng erwies, drängte Jugoslawien auf weitere Kooperation im industriellen, landwirtschaftlichen und Arbeitssektor. Allerdings war die jugoslawische Position gegenüber Verhandlungen mit der EWG äußerst delikat. Da Belgrad seinen Status als blockfreies Land nicht aufgeben oder gefährdet sehen wollte, bemühte es sich um Verhandlungen auf der Basis eines nicht-präferentiellen Abkommens. Die wirtschaftliche Kooperation sollte im Rahmen von Handelsabkommen vertieft werden. Da dieses Vorgehen den Strukturen der EWG zuwider lief, stellte sich Paris deutlich gegen den Versuch. Die Verhandlungen zum neuen Abkommen fielen ab November 1971 in eine Zeit der Instabilität im Mittelmeerraum (neue Machthaber im Maghreb, sowjetische Präsenz im Mittelmeer) und der internen Krise in Jugoslawien („Kroatischer Frühling“). Somit gelangte die Stabilität und interne Sicherheit Jugoslawiens, wie dies von Zaccaria hervorragend beschrieben wird, zum ersten Mal auf die Agenda der EWG. Dies untermauert einmal mehr die These des Autors, dass Brüssel eine aktive Rolle zur Stabilisierung der Position Belgrads einnahm (S. 58–64). Das neue Handelsabkommen mit Jugoslawien wurde schließlich im Juni 1973 unterzeichnet und trat im September des Jahres mit einer Laufzeit von fünf Jahren in Kraft.

Als sich kurz darauf die internationale Ölkrise entfaltete, folgte eine protektionistische Initiative innerhalb der EWG, die im Februar 1974 zu einem ersten Importstopp für Rindfleisch führte; ein Produkt, das 1972 immerhin 50 Prozent der gesamten jugoslawischen Landwirtschaftsexporte in die EWG ausmachte (S. 74f.) und einen Grundstein der Belgrader Handelsinitiativen darstellte. In diesem Abschnitt zeigt der Autor, wie der Protektionismus, der sich durch die Wirtschaftskrise von London über Paris und Rom bis nach Bonn verbreitete, zu einer Front gegen jegliche jugoslawische Ansprüche führte und Belgrad wirtschaftlich bis Mitte der 1970er-Jahre nach Osten oszillieren ließ (74–83).

Nach diesen turbulenten Jahren erreichte eine nüchternere Politik das Parkett der Kooperation EWG-Jugoslawien. Einerseits nahmen die Europäische Kommission und die gemischte Kommission, die für die Verhandlungen zwischen den beiden Seiten eingesetzt wurde, eine wichtigere Rolle ein, andererseits erfuhr Jugoslawien finanzielle Unterstützung durch die BRD und – was für Belgrad von besonderer Bedeutung war – die Möglichkeit im Sinne von Projekten im gemeinsamen Interesse, an den Fonds der Europäischen Investitionsbank zu gelangen. Gleichzeitig ist dies eine Zeit, in der allgemein von einer internationalen Angst der Post-Tito-Ära gegenüber gesprochen werden kann. Die Furcht vor Chaos und internen Zersetzungsprozessen in Jugoslawien wurde damit zu einem weiteren Faktor auf der Agenda der EWG, die weiterhin stabilisierend einwirken wollte (S. 83–95). Dies alles führte zur gemeinsamen Deklaration vom 2. Dezember 1976, die eine rein politische Dimension aufwies und trotz ihres ökonomischen Grundtones als Unterstützungserklärung der EWG gegenüber Jugoslawien angesehen werden kann. Hier argumentiert Zaccaria überzeugend, dass die gemeinsame Erklärung gerade im Hinblick auf die oben genannten Ereignisse und Entwicklungen für den Erhalt und die Stabilität Jugoslawiens von enormer Bedeutung war (S. 99–125).

Im sechsten und vorletzten Kapitel des Buches geht der Autor auf die Beziehungen EWG-Jugoslawien bis zur Unterzeichnung des Kooperationsabkommens vom April 1980 und dem kurz darauf erfolgten Tod Marschall Titos ein. Wie sich zeigt, versuchte Jugoslawien weiterhin, zwischen den Großmächten (nun auch inklusive der Volksrepublik China) zu manövrieren, wobei immer klarer wurde, das der nicht-präferentielle Zugang Belgrads auf Dauer keine Entlastung der zunehmend stärker angeschlagenen Wirtschaft Jugoslawiens herbeiführen würde. Immerhin hatte sich das Defizit gegenüber der EWG trotz aller Handelsmaßnahmen stetig gesteigert und es war kein Ende in Sicht. Trotz der Versuche, die Beziehungen zu intensivieren, standen nach der gemeinsamen Erklärung von 1976 viele Hürden auf dem Weg, unter anderem auch die protektionistische Haltung der französischen und italienischen Regierungen gegenüber ihren unterentwickelten Regionen, das Languedoc und das Mezzogiorno. In der zweiten Hälfte 1977 und 1978 machte Wilhelm Haferkamp, Kommissar für Außenbeziehungen in regelmäßigen Sitzungen mit jugoslawischen Vertretern Schritte in Richtung einer neuen Strategie. Es wurde aus seinen Unterredungen klar, dass Jugoslawien einen „nicht-präferentielles präferentielles“ Abkommen wollte, also weitestgehend einen Etikettenschwindel, um das blockfreie Gesicht zu wahren. Die mühevollen und von beiden Seiten zeitweise torpedierten und angehaltenen Verhandlungen werden sehr detailliert von Zaccaria dargestellt (S. 129–164). Besonders spannend erscheint dabei, dass sich die EWG mit neuem Elan an die jugoslawische Frage heranwagte und aus ihren internationalen Interessen heraus handelte. Gerade diese Phase, in der immer wieder ein Scheitern der Verhandlungen drohte, beweist, wie wichtig Jugoslawien in den Augen der EWG war und warum schließlich zur Unterzeichnung des Kooperationsvertrages im April 1980 geschritten werden konnte. Damit endete die lange Geschichte einer Annährung zwischen Brüssel und Belgrad, die trotz internationaler Widrigkeiten und interner Störfaktoren auf beiden Seiten letzten Endes zu einem Erfolg führte. Freilich war auch dieses Abkommen keine Garantie für das ökonomische und politische Überleben Jugoslawiens, das trotz intensivierter Anstrengungen besonders Italiens und der BRD in den 1980er-Jahren in einem Bürgerkrieg zerfiel.

Abschließend sei abermals angemerkt, dass Benedetto Zaccaria ein Werk gelungen ist, das die Sicht auf die Beziehungen EWG-Jugoslawien während des Kalten Krieges zu revolutionieren vermag. Seine multiperspektivische Analyse besticht durch ihre detaillierte und dennoch kurzweilige Darstellung. Jedem Forscher, der sich mit Europa im Kalten Krieg beschäftigt und dem die internationale Dimension der europäischen Integration und der EWG als politischen Faktor ein Anliegen ist, sei dieses Werk ans Herz gelegt.

Anmerkungen:
1 Um nur einige Beispiele zu nennen: Patrick F.R. Artisien / Stephen Holt, Yugoslavia and the E.E.C. in the 1970s, in: Journal of Common Market Studies 18 (1980) 4, S. 355–369; Stephen Holt / Ken Stapleton, Yugoslavia and the European Community 1958–70, in: Journal of Common Market Studies 10 (1971) 1, S. 47–57; Panos Tsakaloyannis, The politics and economics of the EEC-Yugoslav relations, in: Journal of European Integration 5 (1981) 1, S. 29–52; Matthew M. Getter, Yugoslavia and the European Economic Community: Is a Merger Feasible?, in: University of Pennsylvania Journal of International Business Law 11 (1990) 4, S. 789–810; Aleksandar Goldštajn, The Relationship of Yugoslavia and the EEC, in: Common Market Law Review 18 (1981) 4, S. 569–578.
2 Beispielhaft: Branislav Radeljić, Questionable Relationship: European Economic Community and Yugoslavia Until 1968, in: Currents of History (Tokovi istorije) (2010) 1, S. 112-127; Ders., Europe and the collapse of Yugoslavia. The role of non-state actors and European diplomacy, London 2012.
3 Neben den Beständen aus den Archiven der Europäischen Kommission und Europäischen Union werden italienische, französische, jugoslawische und britische Akten herangezogen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/