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Titel
Venedig und Aragon im Spätmittelalter (1280–1410). Eine Verflechtungsgeschichte


Autor(en)
Neumann, Christian Alexander
Reihe
Mittelmeerstudien 15
Erschienen
Paderborn 2017: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
809 S. + CD-Beilage
Preis
€ 129,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Israel, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Während in der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung zum Mittelmeer in letzter Zeit meist einzelne Handelsstädte oder die Levante oder Ponente im Zentrum des Interesses standen, wird hier für die spätmittelalterliche Zeit der weiterführende Versuch unternommen, mit Venedig und Aragon zwei wichtige Akteure mit ihren Aktivitäten im Osten wie im Westen zueinander in Beziehung zu setzen und somit zugleich das gesamte Mediterraneum in den Blick zu bekommen. „Venedig“ meint in dieser Arbeit in erster Linie die Lagunenstadt, aber gelegentlich auch deren überseeische Besitzungen, „Aragon“ auch Barcelona und Valencia sowie die Balearen, Sardinien und Sizilien.

Der Zeitraum ist mit 130 Jahren lange genug gewählt, um wesentliche Entwicklungen ausgiebig verfolgen zu können. Das „lange 14. Jahrhundert“ war darüber hinaus für die Entfaltung der Mittelmeerökonomien entscheidend und wies mit der etwa in der Mitte gelegenen Großen Pest eine säkulare Ruptur auf, die interessante Vergleiche eines Vor- und Nachher ermöglicht, was hier wiederholt gelingt.

Mit Akteurszentrierung, Netzwerkanalyse und semantischen Untersuchungen wird in der Arbeit versucht, der Verflechtungsgeschichte zusätzliche Aspekte abzugewinnen. Allerdings bleibt die theoretische Rahmung recht schwach ausgeprägt und es wird nur der erste methodische Ansatz durchgehend eingelöst, während sich die konkrete Anwendung des zweiten und dritten jeweils auf nur wenige Seiten reduziert (S. 430–439 und S. 711–719).

Die aus einer Bochumer Masterarbeit von 2010 hervorgegangene Heidelberger Dissertation hat über 1.000 Seiten – für eine Qualifikationsarbeit mehr als beachtlich. Auf die beigelegte CD mit Anhängen wird man lediglich aufmerksam, wenn im Text auf eine der dort abgespeicherten sieben Diagramme oder 32 Tabellen verwiesen wird. Kein sonstiger Hinweis führt zu ihr und leider auch kein Verzeichnis – selbst auf der CD selbst sucht man vergeblich nach einer Übersicht, was die Benutzung unnötig erschwert. Dabei werden hochinteressante Materialien geboten: Detaillierte Angaben zu Gesandtschaften, Subsidien-, Entschädigungszahlungen und Piraterieangriffen, eine Prosopographie von Mediatoren, Privilegienempfängern, Informanten, Botschaftern, Prokuratoren, Notaren als Gesandten, Kaufleuten und Konsuln sowie am Ende eine Tabelle zu semantischen Feldern des Amicitia-Diskurses und ein historischer Überblick in Tabellenform über die venezianisch-katalanischen Beziehungen von 1250–1459; farbige Diagramme erleichtern überdies das Verständnis der Netzwerkanalyse des venezianischen Handels. Man fragt sich allerdings, wie lange man noch ohne weiteres auf die CD wird zugreifen können: Der Computer des Rezensenten hat bspw. schon kein Laufwerk mehr und eine E-Book-Version des gesamten Werks ist nicht erhältlich.

Eine Stärke der Arbeit liegt in ihrer großen Quellennähe. Neben zahlreichen gedruckten Quellen – insbesondere Chroniken – werden in erheblichem Umfang Archivalien aus Venedig, Barcelona und Palma sowie punktuell aus Castelló d’Empúries und dem Vatikan ausgewertet („hauptsächlich Dokumente der Regierungsinstitutionen beider Mächte“, S. 36). Unter akteurszentrierter Perspektive wird so ein dichtes Bild der ökonomischen und politischen Verflechtungen von zwei wichtigen Protagonisten im Mittelmeerhandel entworfen, deren Beziehungen bislang von der Forschung nicht ausreichend betrachtet wurden. „Verflechtung“ wird verstanden als „ein nichtkriegerisches, nicht unbedingt konfliktfreies, räumlich dynamisches Inkontakttreten von Akteuren unterschiedlicher Herkunft zu bestimmten Zwecken über einen längeren Zeitraum hinweg“ (S. 17).

Zugänge zum Material werden über drei Felder gesucht: die Diplomatie, den Handel und die Piraterie. Der diplomatiegeschichtliche Teil (S. 49–324) bleibt bei aller Bemühung um die gelegentliche Anwendung neuerer Ansätze konventionell und in seiner ereignisgeschichtlichen Ausprägung etwas langatmig. Innovativer ist der handelsgeschichtliche Teil (S. 325–531), vor allem die Abschnitte zu Konsulaten, Sklavenhandel und den einzelnen Kaufleuten. Überraschenderweise wird den Handelsbeziehungen Venedigs zu Mächten jenseits der Alpen kaum einmal Beachtung geschenkt, was aber zur Einordnung der Ergebnisse nützlich gewesen wäre. So findet bspw. der Fondaco dei Tedeschi und die deutsch-venezianischen Handelsverbindungen keine Erwähnung.

Der letzte, kürzere Teil zur Piraterie ist der interessanteste (S. 533–704); minutiös werden hier nicht nur die Ereignisse aufgearbeitet, sondern auch die Motive für die Seeraubfälle analysiert und die Konfliktlösungsstrategien zwischen zwei konkurrierenden Handelspartnern verfolgt, die sich doch grundsätzlich als Freunde betrachteten, jedenfalls gegen gemeinsame Feinde wie die Anjou oder Genua verbündet waren. Spektakulär der gut überlieferte Fall des Chronisten Ramon Muntaner, der geltend machte, im Jahre 1307 bei einem Überfall in der Nähe von Negroponte durch Venezianer 25.000 Goldunzen Bargeld, Juwelen und weiteren Besitz eingebüßt zu haben: Trotz königlichen Beistandes beklagte Muntaner auch noch nach über einem Jahrzehnt die ausbleibende Wiedergutmachung; am Ende verstarb er über den Regreßforderungen. Immerhin wurde seine Enkelin entschädigt: ein halbes Jahrhundert nach dem Schadensfall (S. 563–569).

Im Verhältnis zu der überlangen Arbeit sind die Schlußbetrachtungen recht knapp ausgefallen (S. 705–732). Es werden zwar noch einmal die wesentlichen Punkte angesprochen, die das Buch auszeichnen: Mediatoren, Bürgerschafts-, Familiaren- und Ritterschaftsprivilegien, Amicitia sowie Ver- und Entflechtung – eine zupackende Analyse der Ergebnisse, die im einzelnen aus der riesigen Materialmenge der Arbeit gewonnen wurden, gelingt allerdings nicht überzeugend, was dem Innovationspotential der Studie leider nicht gerecht wird. So heißt es denn auch: „Ein grundlegendes Resultat besteht in der Periodisierung der venezianisch-katalanischen Beziehungen. Diese ermöglicht die Differenzierung dreier politischer Wendepunkte, welche die Anfänge von Phasen wachsender Verflechtung markieren und sich auch auf die Handelskontakte auswirken“ (S. 719). Kein überragendes Ergebnis für eine so kapitale Arbeit.

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