W. E. Wagner (Hrsg.): Ritter Runkel in seiner Zeit

Cover
Titel
Ritter Runkel in seiner Zeit. Mittelalter und Zeitgeschichte im Spiegel eines Geschichtscomics


Herausgeber
Wagner, Wolfgang Eric
Erschienen
Berlin 2017: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
239 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Schütz, Deutsches Hygiene-Museum Dresden

Der Sammelband Ritter Runkel in seiner Zeit setzt mit einer wenig überraschenden Feststellung ein: Obwohl es schon einige Forschung zu den politischen Rahmenbedingungen und den ganz konkreten Entstehungskontexten der MOSAIK-Comicreihe gibt, wurde sie bisher nicht als Ereignis im Mittelalterdiskurs der DDR wahrgenommen. Deshalb sei es an der Zeit, sich den in diesem Comic arrangierten Bildern und Erzählungen vom Mittelalter, den Formen der Wissensvermittlung und der Formung von Geschichtsbewusstsein zu widmen – so begründet der Herausgeber Wolfgang Eric Wagner die Ausrichtung und Ausgestaltung des Bandes. Der Titel ist dabei treffend gewählt, hebt doch die Formulierung auf die Spannung ab, dass sowohl die mediävistische Betrachtung von Mittelalterbildern ebenso wie die zeithistorische Behandlung der gesellschaftlichen Kontexte und Rezeptionsformen dieser Bilder in den Blick genommen werden sollen.

Reichweite, Auflagenstärke und Resonanz allein sprechen dafür, MOSAIK als eine Institution in der DDR-Jugendliteratur ernst zu nehmen. Die ganze Reihe erschien zwischen den Jahren 1955 und 1975, umfasste 223 Einzelhefte, erzielte teilweise eine Auflage von bis zu 660.000 Exemplaren pro Heft und wurde unter anderem ins Finnische, Englische und Niederländische übersetzt. Der Sammelband, der auf eine Tagung mit gleichem Titel aus dem Frühjahr 2015 zurückgeht, nimmt dabei die sogenannte „Runkelserie“ (erschienen von 1964–1969) in den Blick und fragt gezielt nach der narrativen Logik und den geschichtsdidaktischen Ausrichtungen dieses „Geschichtscomics“.

Dementsprechend gliedert sich der Band in drei Abschnitte: A untersucht die vermittelten Wissensbestände und Geschichtsbilder, B fragt nach der erzählerischen Eigenlogik und C ordnet die Comics in den Kontext der DDR-Gesellschaft ein.

Die Beiträge im ersten Teil thematisieren dabei immer wieder die Spannung zwischen Wirklichkeit und Mythos, heben nicht selten Verzerrungen und Anachronismen aus den Erzählungen hervor. Dabei gehen sie die einzelnen Orte der Reise ab: Vom Startpunkt im Alten Reich über Norditalien und Byzanz in den Nahen und Mittleren Osten und untersuchen die Beschreibungen lokaler Akteure auf deren Fundierung in Forschung und Quellen. Um dieses leisten zu können, skizzieren die Autoren stets die Situation der Fachdisziplinen zur Entstehungszeit und setzen damit das Wissen der Comicautoren zum Stand der Forschung in Beziehung. Ergebnis dieser Spurensuche ist, dass diese Beschreibungen zumeist auf einen historischen Kern zurückgeführt werden können, aber durch Überzeichnungen und Stereotypisierungen nicht selten Sympathien und Wahrnehmungen gelenkt und so auch politische Meinungen codiert wurden. Einig sind sich die Beiträge darin, dass die extensiven, schillernden und überwiegend exotisierenden Beschreibungen unterschiedlicher Räume, die bildgewaltige Darstellung der Stationen als Sehnsuchtsorte, die Ritter Runkel und seine Begleiter in der Comicserie bereisen, das Fernweh der Leser/innen ansprachen und ihnen die Möglichkeit zur zeitweiligen Flucht aus der Republik in eine andere Welt anboten.

Im zweiten Teil unternehmen die Autoren den Versuch, anhand verschiedener Aspekte des Erzählens und Gestaltens, der Geschichte von Ritter Runkel auf den Leib zu rücken: So wird deutlich, dass die Figur Runkels bereits von den Großvätern Hannes Hegens erdacht und von ihm dann weiterentwickelt wurde. Ebenso lassen sich Bild- und Textquellen nachweisen. Vermutlich dienten die Werke von Joseph Victor Scheffel maßgeblich als Vorbild für die Autoren des MOSAIK-Heftes. Ebenso wird thematisiert, wie die fiktiven und sprechenden Namen eine zentrale narrative Funktion erfüllen: Sie umhüllen den Charakter und die Zugehörigkeit der Personen mit einem zumeist rhythmischen Klang und sprechen damit mehrere Publica an, die entsprechend ihres Vorwissens aus dem Namen eine Bedeutung ableiten können.

Die letzten Beiträge nehmen dann den gesellschaftlichen Kontext in den Blick. MOSAIK entstand zu einem Zeitpunkt, als die SED-Kulturpolitik sich vehement um einen nationalen Sozialismus bemühte, der sich gegen eine drohende Amerikanisierung, die als Ursache für fehlendes Bewusstsein der Jugend ausgemacht wurde, in Stellung bringen sollte. Gerade dadurch konnten sich die MOSAIK-Comics behaupten, da sie als Eigenprodukt wahrgenommen und lanciert werden konnten. Abschließend werden sechs Gründe genannt, warum insbesondere MOSAIK in dieser Weise seine Wirkung entfalten konnte, darunter werden die Person und das Engagement Hannes Hegens, wie auch des gesamten Produktionsteams, die relative Offenheit der DDR-Kulturpolitik in den frühen 1960er-Jahren und das Desinteresse der SED-Ideologen an der mittelalterlichen Geschichte gezählt.

Insgesamt liefert der Band einen vielfältigen Blick auf Mittelalterbilder in der DDR. Er kann zeigen, wie durch eine produktive und weitverbreitete Gattung Wissen gestreut, zugleich aber auch Klischees gefestigt wurden, setzt sich mit der Verbindung dieses Wissens in romantische Mittelaltervorstellungen auseinander und bemüht sich um die narrative Struktur der Reihe. Gerade an diesem Punkt hätte ich mir jedoch noch weitere Ausführungen zu Erzähltechniken und Anordnungen der Episoden gewünscht. Zugleich hinterlässt eines der Hauptanliegen des Bandes, den „Authentizitätsbestrebungen“ der Comics nachzugehen, Skepsis bei mir. Dieses Anliegen ist von der Annahme geleitet, dass „wie jede andere Form der Geschichtsschreibung […] auch der historische Comic den Anspruch erhebt, die Wahrheit über historisches Geschehen zu erzählen“ (S. 10). Da der Band in allen Authentizitätsbemühungen einen Anspruch auf historische Wahrheit vermutet, bemühen sich viele Beiträge darum, eben diese historische Wahrheit herauszuschälen, was zum Teil rabulistisch, nicht selten selbst anachronistisch wirkt. Denn: Es ist keineswegs so offensichtlich, und genauso ist es unerheblich, ob die Darstellung von „historischen Wahrheiten“ (was auch immer das ist) zum Kern der Gattung Comic zählt – er funktioniert auch gut ohne Wahrheiten. Sicherlich aber ist die Herstellung von Authentizität ein Ziel des MOSAIK, nur kann er sich dabei gerade Stereotype, Meistererzählungen und zum Teil auch Unwahrem bedienen, so lange es dem Ziel dient, an bestehende Mittelalterimaginationen anzuknüpfen und diese fortzuschreiben oder ganz neue Mittelalterbilder zu produzieren.

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