O. Fejtová: Die Rekatholisierung in der Prager Neustadt

Cover
Titel
„Já pevnĕ vĕřím a vyznávám…“. Rekatolizace na novém mĕste pražském v dobĕ pobĕlohorské


Autor(en)
Fejtová, Olga
Erschienen
Prag 2012: Scriptorium
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simona Slanicka, Historisches Institut, Universität Bern

Olga Fejtová legt mit ihrer hier zu besprechenden Dissertation über die Rekatholisierung der Prager Neustadt nach 1621, in den ersten Jahrzehnten der Eingliederung Böhmens in den habsburg-österreichischen Herrschaftsbereich, eine Studie mit einer breiten Grundlage an Archivquellen vor. Die Arbeit untersucht die obrigkeitlich verordnete Katholisierung einer bis dahin hussitischen Stadtgemeinde. Dieser Vorgang war ein tiefgreifendes und gewaltsames Ereignis, das einerseits mit Verhaftungen, Exil und Konfiskationen die Bevölkerung und deren Vermögensverteilung umschichtete, andererseits zur Implantation eines neuen geistlichen Personals, einer fremden Landessprache und eines unbekannten Frömmigkeitsapparates führte.

Nach einer Synthese zur frühneuzeitlichen Konfessionalisierungsforschung in Mitteleuropa folgt ein Überblick der normativen Rahmenbedingungen der obrigkeitlich verordneten Konversion; das Kernstück der Dissertation fragt anhand der Analyse von Testamenten und Buchinventaren nach der Grenze der Rekatholisierung im privaten Frömmigkeitsbereich. Das Konzept der „katholischen Konfessionalisierung“ wird von der Autorin für den Vorgang der Rekatholisierung eines bis ins 17. Jahrhundert hussitisch gebliebenen Gebietes angewendet. Herrschaftliche Techniken zur Festigung von Glaubensinhalten kamen also in den neu an Habsburg gefallenen Ländern später als in Europa und geballt zur Anwendung. Diese Konfessionalisierung nahm eine eigenständige Prägung an, die im deutschsprachigen Forschungskontext weitgehend unbekannt geblieben ist. Die konfessionelle Neuausrichtung sollte die städtischen Eliten disziplinieren. Nicht umsonst dehnte sich das Clementinum, die Ordenszentrale der Jesuiten, weitläufig von Hus’ Bethlehemskapelle bis zur Karlsbrücke. Hatte der Orden, seit seiner Gründung in Prag präsent, zunächst gedarbt, wurde er zu einem der wichtigsten Instrumente der Rekatholisierungspolitik und wucherte üppig empor. Solche Umverteilungen zeitigten natürlich Rückwirkungen auf die disziplinierenden Kapitalen in Wien und Rom, ebenso auf die angrenzenden konfessionellen Gebiete.

Namhafte Untersuchungen zum konfessionellen Zeitalter befassen sich mit partikularistischen Verhältnissen und können kaum paradigmenbildend für ganz Europa gelten. Die vorliegende Studie zeigt hingegen, wie sehr Konfessionalisierung in Gegenden, die zu einem anderen Glauben wechseln mussten, den Charakter einer Mission und gewaltsamen Okkupation durch fremde Machthaber annahm. In den tschechischen Ländern erfolgte die Rekatholisierung auf dem Land oft manu militari. Es ist beschönigend, von Adelskonfessionalisierung zu sprechen, wenn es sich um Kriegsgewinnler wie Wallenstein und Lichtenstein handelte, die sich der österreichischen Krone angedient und die Ländereien der hingerichteten Aufständischen für ein Butterbrot aufgekauft hatten. Ebenso ist es anachronistisch, für die Jahre unmittelbar nach der Inbesitznahme durch Wien von einer „konfessionellen Pluralität“ zu sprechen: In ihr hat sich vielleicht das Josefinische Zeitalter gefallen; aber gerade diese heftigste Phase des Dreissigjährigen Krieges, der in seinem ersten Drittel für die vormals hussitische Bevölkerung die einschneidende Form eines Glaubenskrieges annahm, mag dieser Terminus nicht recht passen.

Die Rekatholisierung durchlief mehrere Phasen. Eines der grossen Verdienste der Arbeit liegt darin, deren erste Jahre detailliert aus den Archivakten rekonstruiert zu haben. Hier seien nur die wichtigsten Phasen erwähnt, die als Errichtung einer Glaubensdiktatur bezeichnet werden können, die in ihrer Anfangszeit, 1622 bis 1625, dem Diktat des kaiserlichen Stellvertreters Karl von Lichtenstein untersteht. 1620 erfolgte die Hinrichtung der aufständischen Standesvertreter und die sofortige Entfernung aller Nichtkatholiken aus öffentlichen Ämtern, die Beseitigung protestantischer Symbole und die schrittweise Übernahme protestantischer Kirchengebäude. 1621 wurden alle protestantischen Geistlichen weggewiesen und an ihrer Stelle katholische Priester oder Jesuiten berufen. 1622 wurde der wichtigste hussitische Feiertag zur Erinnerung an Jan Hus verboten, und alle lutherischen Geistlichen wurden verbannt. Eine Generalamnestie beendete zwar die Hinrichtungen von Teilnehmern am Ständeaufstand, aber nur, um diese mit ausgedehnten Konfiskationen zu ersetzen. 1623 wurde die erste Visitation durchgeführt, um die Arbeit des katholischen Klerus in allen Pragen Städten zu kontrollieren. In der Neustadt siedelten sich die Augustiner an, die an der Seite der Franziskaner und Jesuiten zu den Protagonisten der Rekatholisierung in diesem Stadtbezirk wurden.

Die Autorin hat zu diesen Umwälzungen einen Schatz an präzisen landesherrlichen Dekreten, kirchlichen Vorgaben und Gerichtsprozessen gehoben, die gewissermassen Tag für Tag die Verfolgung von Aufständischen und Protestanten und die Übergabe ihres Besitzes an Verwandte, die Verfolgung von nichtkatholischen Ehegatten, Kontakt und Kommunikation mit exilierten Familienmitgliedern etc. nachzeichnen. Es ist zu wünschen, dass dieser Auslegeordnung Einzelstudien folgen, insbesondere über die Reformationskommission, aber auch zu Quellensorten wie den Gewissensbüchern, in denen Gläubige ihre konfessionelle Identität in eigenen Worten bezeugen mussten, und die gerade für die Neustädter ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Instrument wurden, um sich von der katholischen Formelhaftigkeit zu distanzieren und sich der Wahrhaftigkeit ihres individuellen Glaubens zu vergewissern!

Eine ähnliche Lesart erlauben auch die Testamente, mit denen sich das sechste Kapitel befasst. Nicht nur das Ausmaß der Stiftungen „ad pias causas“ der frisch Rekatholisierten ist aufschlussreich, sondern auch der Aufbau der Testamente, insbesondere die Sorge um das eigene Seelenheil. Hier konnten die Erblasser eine grössere Gestaltungsfreiheit walten lassen. Zwar wurden auch Geistliche als professionelle Seelsorger hinzugezogen oder literarische Vorlagen wie Arengen moralischer und religiöser Literatur benutzt werden, aber in diesen sogenannten „Seelengeschäften“ der rund 733 Neustädter Testamente des 17. Jahrhunderts ist egodokumentarisches Ringen um Jenseitshoffnungen und -vorstellungen erkennbar, und diese wertet das Kapitel erstmals systematisch aus. Während vor 1620 in 40 Prozent aller Testamente keine Stiftungen für das Seelenheil vorhanden sind, sinkt dieser Anteil nach 1620 auf 25 Prozent und stabilisiert sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts bei 30 Prozent. Vor 1620 haben wir es mit einer vorwiegend utraquistisch inspirierten Form von Religiosität zu tun, von 1620 bis 1650 mit einer Übergangsphase, und schliesslich mit dem Aufkommen einer katholischen Testamentsrhetorik, die sich ab 1680 stabilisiert. Bis 1650 benutzten circa 8 Prozent aller Erblasser eigenständige und nichtstandardisierte Formulierungen, in der zweiten Jahrhunderthälfte erhöhte sich dieser Anteil auf rund 10 Prozent – bei letzteren handelt es sich zunehmend um Amtsträger der neuen Landesherrschaft, während es davor Intellektuelle und Politiker, aber auch Offiziere waren, die sich solch subjektive Formulierungen erlaubt hatten. Das Kapitel listet die bemerkenswertesten dieser Formulierungen an Fallbeispielen auf.

Während die Testamente die äußere, konfessionell determinierte Manifestation der Frömmigkeit darstellen, kann eine Innensicht auf die Religiosität der Neustädter dank ihrer Bücherinventare gewonnen werden. Gezeigte Frömmigkeit und innere Haltung stehen dabei oft in Widerspruch zueinander. Tatsächlich erschließt sich aus den Büchern, die in der privaten Sphäre gelesen wurden, eine Zugewandtheit zu illegalisierten Glaubensinhalten. Hier zeigen sich die Grenzen gegenreformatorischer Massnahmen und katholischer Zensur. Bis 1670 überwiegt die nichtkatholische Literatur, und der Besitz protestantischer Bücher wurde nicht geheimgehalten. Allerdings handelt es sich dabei um Bücher, die noch aus der Zeit vor der Rekatholisierung stammten, diese blieben das ganze 17. Jahrhundert in den Inventaren. Hingegen gibt es keine Hinweise, dass nach 1620 im Ausland gedruckte protestantische Bücher gekauft oder von Emigranten nach Böhmen geschmuggelt worden wären. Aufgrund des stärkeren politischen Drucks auf die Eliten findet sich eine grössere Anzahl katholischer Literatur in den Bibliotheken der Neustädter Ratsmitglieder, die dennoch weiterhin protestantische Werke besassen. Obwohl die königliche und kirchliche Gegenreformation erfolgreich und der Prozess der katholischen Konfessionalisierung um 1690 abgeschlossen war, hielten sich bestimmte Elemente nichtkatholischer Religionen in der Gemeinde und blieben bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts präsent, wo sie sich als lutherische Strömungen manifestierten, aber nicht mehr zum Utraquismus zurückkehrten.

Die Autorin geht in ihrer Studie einer der großen Erzählungen der tschechischen Geschichte auf den Grund, wonach Böhmen trotz habsburgischer Rekatholisierung privat „kryptohussitisch“ geblieben sei. Die jetzt publizierte Promotionsarbeit ist eigentlich die zweite der Autorin, Archivarin im Prager Stadtarchiv und Dozentin für Buchkultur; die erste erfolgte bereits vor 1989. Wie die vorliegende Studie dürfte auch die Habilitationsarbeit zur frühneuzeitlichen tschechischen Buchkultur zu einem Standardwerk werden. Beiden gebührte eine Übersetzung ins Deutsche.

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