M. Gindhart u.a. (Hrsg.): Anfang und Ende

Cover
Titel
Anfang und Ende. Vormoderne Szenarien von Weltentstehung und Weltuntergang


Herausgeber
Gindhart, Marion; Pommerening, Tanja
Reihe
Sonderbände der Antiken Welt. Zaberns Bildbände zur Archäologie
Erschienen
Anzahl Seiten
143 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Bojowald, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. denken Menschen über Entstehung und Untergang des Kosmos nach. Der vorliegende, von Marion Gindhart und Tanja Pommerening herausgegebene reichbebilderte Band stellt einige Fallbeispiele für Vorstellungen über Weltentstehung und Weltuntergang vom Alten Orient bis ins Mittelalter vor. Er versammelt die Beiträge der ersten Ringvorlesung des 2013 gegründeten Graduiertenkollegs „Frühe Konzepte von Mensch und Natur. Universalität, Spezifität, Tradierung“, die im Wintersemester 2014/15 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz veranstaltet wurde.

Andrew George rückt die Kosmogonie des alten Mesopotamien in den Blick: Der Stammbaum des Enlil lässt sich bereits aus Götterlisten der Frühdynastischen Zeit in der Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. gewinnen (S. 8). Die Theogonie mit dem Stammbaum des Anu ist in einer altbabylonischen Liste und Beschwörungen des 1. Jahrtausends v.Chr. erhalten (S. 9–11). In dieser Theogonie steht Wasser oder Zeit als Urstoff an oberster Stelle, während die Theogonie des Enlil der Erde den Vorzug zugesteht (S. 12). Der Gedanke der früheren Einheit und späteren Trennung von Himmel und Erde ist bereits in Texten des 2. Jahrtausends v.Chr. lebendig (S. 15). Der Unterschied zwischen kosmischem Himmel und Himmelsgott kommt nur im Akkadischen vor, während er im Sumerischen fehlt (S. 16). Die Verbindung der Urstoffe in den Theogonien wurde in der Mythologie durch das Primat von Himmel und Erde abgelöst (S. 16).

Ursula Verhoeven denkt über konzeptionelle Variation zur Weltentstehung im alten Ägypten nach. Das regional und zeitlich bedingte Neben- und Nacheinander von mehreren kosmogonischen Konzepten wird hervorgehoben (S. 26). Der wässrige Urzustand der Welt kann mit Undifferenziertheit in Zusammenhang gebracht werden (S. 27). Die Sonne als lebensspendende Lichtquelle stellt dann das zweite wichtige Naturphänomen in Ägypten dar (S. 29). Die Idee der Himmelskuh als Gebärerin des Sonnengottes lässt sich bereits im sogenannten Totenbuch finden (S. 29). Die Vorstellungen über den uranfänglichen Naturraum schließen aber auch Urvögel wie Phönix oder Falke ein (S. 31). Die Assoziation der morgendlichen Sonne mit dem Mistkäfer hat ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt (S. 33). Die Erzeugung des ersten zweigeschlechtlichen Götterpaares Schu und Tefnut aus der Spucke oder dem Samen des Atum repräsentiert einen weiteren zentralen Aspekt (S. 34). Die Zahl der vorher eher beschränkten Termini für den Schöpfungsakt steigt in der griechisch-römischen Epoche dann auf 22 an (S. 36).

Jochen Althoff stellt frühe griechische Vorstellungen zur Kosmogonie von den Vorsokratikern bis Platon vor. Die Kosmogonie bei Hesiod wurde nach einem genealogischen Modell mit einem immer weiter verzweigten Stammbaum entwickelt (S. 42). Die Vorstellung des dunklen, leeren Raumes ist bei ihm als Voraussetzung für die Entstehung der Welt zu sehen. Die Reihe der anfänglichen Dinge setzt sich bei Hesiod aus Chaos, Erde, Tartarus, Eros, Dunkelheit, Nacht, Helligkeit, Tag, Himmel, Meer und Berge zusammen (S. 42f.). Der sogenannte Sukzessionsmythos nimmt in der Theogonie einen wichtigen Platz ein, in ihm üben die anthropomorph gedachten Götter nacheinander die Herrschaft im Himmel aus (S. 43). Der Schlaf wird bei Hesiod immer positiv gedeutet (S. 43). Über den genauen Hintergrund der Entstehung des Menschen schweigt sich die Theogonie indes aus (S. 50). In der vorsokratischen Philosophie wird bei Thales von Milet das Wasser, bei Anaximander von Milet das „Unbegrenzte“ und bei Anaximenes von Milet die Luft als Urstoff angesetzt (S. 51–54). Der Kosmos wurde von Anaximander in klaren mathematischen Verhältnissen mit den Zahlen 3 und 9 im Mittelpunkt begriffen (S. 53). Die Beschreibung der vier klassischen Elemente findet sich dann bei Empedokles von Akragas, bei dem die Aufteilung in Wirkkräfte und materielle Elemente erstmalig auftritt (S. 55f.). Die Existenz der Atome und des leeren Raumes wurde durch Demokrit von Abdera in die Debatte eingeführt. Das Konzept der Ideen als formale Vorbilder für die vergänglichen Dinge der phänomenalen Welt formuliert Plato (S. 61), der diese phänomenale Welt wegen ihrer Materialität und Vergänglichkeit als ontologisch minderwertig betrachtet (S. 61). Das Innovative am platonischen Ansatz drückt sich in der Einführung eines Demiurgen aus (S. 62), der die Welt erschafft. Der kugelförmig gedachte Kosmos baut sich bei Platon aus den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser auf (S. 64). Der Demiurg ist auch für die Erschaffung der Zeit zuständig (S. 64). Die Erschaffung der Götter schließt sich als nächstes an, die wiederum für die Erschaffung der Menschen und anderen Lebewesen sorgen (S. 64). Der Kreislauf der Wiedergeburt wird ebenfalls in das platonische Schema integriert (S. 65). Die Bedeutung der Mathematik spiegelt sich in der Ableitung der dreidimensionalen von zweidimensionalen Figuren wider (S. 66).

Marion Gindhart wendet sich dem Weltende durch globale Flutkatastrophen in der lateinischen Literatur zu. Die ausführlichsten Narrative sind in den Metamorphosen des Ovid und in den Naturalis quaestiones des Seneca aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. zu finden (S. 68f.). Das Flutgeschehen kann entweder als einmaliges Ereignis oder zyklisches Geschehen verstanden werden (S. 69f.). Die durch Jupiter initiierte Flut bringt in den Metamorphosen zunächst eine Art erneutes Goldenes Zeitalter mit sich. Die einzigen menschlichen Überlebenden der Flut sind Deukalion und Pyrrha. Die Zeit nach der Flut wird durch einen zweiten Schöpfungsakt des Jupiters mit der erneuten Trennung von Himmel und Erde bestimmt (S. 77). Das Flutereignis lässt sich in der Stoa das erste Mal bei Seneca nachweisen (S. 80). Dabei wird die Flut sowohl bei Seneca als auch bei Ovid als ein Strafgericht interpretiert (S. 81).

Ruben Zimmermann klärt über die Koinzidenz von Anfang und Ende im frühen Christentum unter besonderer Berücksichtigung des Johannesevangeliums auf. Das Wort hat dort als Schöpfungsprinzip schlechthin gedient, was Assoziationen an das schaffende Wort in Genesis 1 weckt. Der Kontrast zwischen Licht und Finsternis im Johannesprolog ruft ebenfalls Erinnerungen an den Anfang der Genesis wach (S. 88f.). Zimmermann hebt hervor, dass das präexistente Schöpfungsprinzip bei Johannes aus dem hellenistisch-jüdischen Umfeld adaptiert ist. Die Siebenzahl bei Johannes lehnt sich an das Sieben-Tage-Schema des Schöpfungshymnus von Genesis 1 an (S. 97). Die „Stunde“ in Joh 12, 23 ist wohl auf den Zeitpunkt der Kreuzigung zu beziehen. Die sonst sozial und gesellschaftlich geächtete Strafe der Kreuzigung wird dabei zur Erhöhung umdefiniert (S. 101f.).

Mathias Herweg nimmt zu kosmologischen Entwürfen in der altdeutschen Literatur Stellung. So betrachtet er das vielleicht vor 800 entstandene „Wessobrunner Schöpfungsgedicht“, das in Struktur und Rededuktus pagane Vorbilder nachahmt (S. 111). Die Kosmogonie wird im dortigen Kontext ex negativo imaginiert (S. 111). Die Schilderung der Schöpfung als Zäsur zu einem „Davor“ macht dabei einen fulminanten Unterschied zu zeitgenössischen Vergleichstexten aus (S. 111). Das zwischen 790 und 871 datierte „Muspilli“ lässt in Metrik und Form modernere Züge wie die Kombination von Stab- und Endreim erkennen (S. 115). Das Gerichtsthema kann zu den Leitmotiven des Textes gezählt werden. Der Begriff „Muspilli“ taucht im Deutschen ansonsten nur im altsächsischen Bibelepos Heliand auf (S. 121). In der Häufung rechtssprachlicher Wendungen und Termini wird in dieser Stabreimdichtung auf Missstände in der spätkarolingischen Verwaltung wie Bestechung und Rechtsbeugung des Adels reagiert (S. 122). Im Epilog heben Marion Gindhart und Tanja Pommerening noch einmal die Quintessenz der einzelnen Beiträge hervor.

Die durchweg anregenden Beiträge richten sich durchaus auch an ein breiteres Publikum, dem auf verständliche Weise in Zusammenspiel von Text und Bild unterschiedliche kosmologische Konzepte veranschaulicht werden. Wer nach einer raschen Orientierung zu den Ausprägungen der Kosmologie in der Geschichte sucht, ist mit diesem Band bestens bedient.

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