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Titel
Prokop, Geheimgeschichte des Kaiserhofs von Byzanz. Anekdota..


Herausgeber
Meier, Mischa; Leppin, Hartmut
Reihe
Tusculum
Erschienen
Düsseldorf 2004: Artemis & Winkler
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagiellonski, Kraków

Die moderne Forschung zeigt in den letzten Jahren starkes Interesse für die spätantike Geschichtsschreibung und insbesondere für das Œuvre des Prokopios von Kaisareia.1 In diese verstärkte Beachtung des Historikers gehört sicher auch die Neuauflage eines der rätselhaftesten antiken Texte, der Anekdota (Geheimgeschichte oder Unpublizierte Geschichte) des Prokopios, ein heftiges Pamphlet gegen Belisar, Justinian und Theodora. Wir wissen über die Intention dieses Werkes und über seinen Adressatenkreis nur sehr wenig; auch bleibt unklar, welchem Genos diese Schrift angehört. Prokopios selbst schließt die Anekdota sehr eng an die Bella an und will damit die Tatsachen, die in den Bella aus Rücksicht auf den Kaiser hätten übergangen werden müssen, und die wahren Ursachen der in den Bella erzählten Ereignisse darstellen (An. 1,1-3).

Die vorliegende Edition ist eine Neuauflage der Anekdota, die den griechischen Text der Teubner-Ausgabe von J. Haury und G. Wirth (aber ohne den kritischen Apparat)2 sowie die alte Übersetzung von Otto Veh bietet (S. 8-277). Darüber hinaus gibt es aber einen umfangreichen Anhang, verfasst von Hartmut Leppin und Mischa Meier. Ohne Zweifel bildet gerade dieser Anhang den wertvollsten Teil des Buches. Er enthält einige Bemerkungen zur Textgestalt (S. 281-282), Erläuterungen (S. 283-352), eine allgemeine Einführung (S. 353-363), ein Literaturverzeichnis (S. 364-377), ein Namenregister (S. 378-388) und ein Nachwort (S. 389). Dieser Anhang und vor allem die Erläuterungen von Leppin und Meier ersetzen die veralteten Ausführungen von Veh; dieser neue Kommentar spiegelt dabei den modernen Forschungsstand und die aktuelle Geschichtsreflexion überzeugend wider. Mit ihren Erläuterungen wollen Leppin und Meier vor allem den Text verständlich machen, Bezüge innerhalb der Werke des Prokopios verdeutlichen, Querverbindungen zu anderen Quellen aufzeigen und auf die einschlägige moderne Forschungsliteratur hinweisen. Diese Erläuterungen bilden jedoch, wie Leppin und Meier selbst hervorheben, keinen ausführlichen philologisch-historischen Kommentar zu den Anekdota (S. 389).

In der übernommenen Übersetzung von Veh wurden keine Korrekturen und Verbesserungen vorgenommen, sie bleibt ohne jegliche Überarbeitung. Diese Übersetzung ist aber nicht immer sehr gelungen, Leppin und Meier weisen selbst oft darauf hin; alle Bemerkungen dazu und alle Änderungen finden sich jedoch erst im Kommentar (z.B. S. 289, 297, 313, 314, 323, 331, 343). Hier wäre es sicher besser gewesen, wenn der gesamte deutsche Text überarbeitet worden wäre. Die Erläuterungen (von Leppin zu An. 1-15, von Meier zu An. 16-30) machen den Text nicht nur völlig verständlich, an einigen Stellen werden sie sogar zu einem echten philologisch-historischen Kommentar und gehen damit weit über den kurzen und heute deutlich veralteten Sachkommentar von Rubin hinaus.3 Die Erklärungen haben eine klare, einheitliche Struktur: Zu jedem Kapitel gibt es zuerst eine allgemeine Einleitung zur jeweiligen Problematik, der literarische, religiöse, politische, historische und sprachliche Erläuterungen zu einzelnen Stellen folgen. Hier verweisen die Autoren präzise auf zahlreiche Parallelstellen in den anderen Werken des Prokopios. In jedem Fall nehmen Leppin und Meier auf die einschlägige, wichtige Sekundärliteratur Bezug. Mit Recht wird dabei hervorgehoben, dass Prokopios häufig Einzelfälle aus der Zeit Justinians für generalisierende und übertriebene Schlussfolgerungen nutzt, um Justinian kritisieren und verleumden zu können (S. 313, 334, 339). Auch die fehlende Gesamtredaktion des Werkes wird betont (S. 283, 285). Zwar unterstreichen die Autoren, dass die Kaiserkritik des Prokopios auf die Tradition der senatorischen Geschichtsschreibung zurückgreife (S. 298f., 301, 305, 309, 350), zu Recht wird jedoch festgestellt, es gebe keinen Beweis dafür, dass Prokopios zu dem Senatorenstand gehörte (S. 306). Darüber hinaus gehen Leppin und Meier von der richtigen Voraussetzung aus, dass Prokopios ein Christ war (S. 290, 317, 347), was noch jüngst wenig überzeugend bezweifelt wurde.4

Die Einführung stellt die Person des Prokopios, seine literarische Tätigkeit und vor allem die Anekdota kurz vor. Die Anekdota werden dabei, wie in der modernen Forschung häufig betont, als Korrektiv zu den Bella interpretiert (S. 359). Anschließend werden die Struktur des Werkes, Prokops Darstellung der einzelnen Personen (Belisar, Antonina, Justinian und Theodora), der pessimistische Grundton und die literarische Gattung des Werkes kurz besprochen. Zu diesem letzten Punkt heben die Autoren die Einzigartigkeit der Schrift hervor, die sich als Ganzes mit keinem erhaltenen antiken Werk vergleichen lässt, obwohl gewisse Ähnlichkeiten mit De mortibus persecutorum von Laktanz zu erkennen sind (S. 362). Als Adressaten machen die Autoren einen Kreis von Vertrauten des Prokopios aus, die Christen und wohl auch Mitglieder der senatorischen Oberschicht waren und selbstverständlich dem Kaiser kritisch gegenüberstanden. In dieser Festlegung ist Leppin und Meier sicherlich Recht zu geben.5 Es gibt in der Einführung allerdings gewisse Inkonsequenzen: Im Prinzip wird die christliche Gesinnung des Prokopios in den Erläuterungen und auch in der Einführung eindeutig betont (S. 357), an einer anderen Stelle sprechen die Autoren dann jedoch über das Christentum des Prokopios mit deutlicher Vorsicht (S. 361f.). Im Literaturverzeichnis, das thematisch geteilt wird, finden sich die wichtigen Titel, dadurch erhält der Leser eine gute Orientierung, besonders über die Sekundärliteratur zu Prokopios und zur spätantiken griechischen Geschichtsschreibung.

Insgesamt ist diese Neuauflage der Anekdota sehr positiv zu beurteilen.6 Zwar bietet sie die alte Übersetzung des Textes, jedoch findet man in den Erläuterungen die notwendigen Hinweise auf die Fehler und Missverständnisse des Übersetzers. Die Stärke des Buches bilden die Erläuterungen von Leppin und Meier: Sie sind klar und informativ, stehen auf dem neuesten Forschungsstand und erleichtern dem Leser das Verständnis der Ausführungen Prokops. Zwar wäre ein ausführlicher philologisch-historischer Kommentar zu den Anekdota überaus wünschenswert, jedoch bieten auch die Erläuterungen von Leppin und Meier eine gute Grundlage für die Arbeit mit diesem schwierigen spätantiken Text.

Anmerkungen:
1 Zu nennen sind: Evans, James Allan, Procopius, New York 1972; Cameron, Averil, Procopius and the Sixth Century, London 1985; Pazdernik, Charles F., A Dangerous Liberty and a Servitude Free from Care. Political Eleutheria and Douleia in Procopius of Caesarea and Thucydides of Athens, Diss. Princeton 1997; Taragna, Anna Maria, Logoi historias. Discorsi e lettere nella prima storiografia retorica bizantina, Alessandria 2001; Brodka, Dariusz, Die Geschichtsphilosophie in der spätantiken Geschichtsschreibung. Studien zu Prokopios von Kaisareia, Agathias von Myrina und Theophylaktos Simokattes, Frankfurt am Main 2004; Kaldellis, Anthony, Procopius of Caesarea. Tyranny, History and Philosophy at the End of Antiquity, Philadelphia 2004.
2 Haury, Jacobus; Wirth, Gerhard (Hgg.), Procopii Caesarensis Opera Omnia, Bd. 3: Historia, quae dicitur arcana, Editio stereotypa correctior, Leipzig 1963.
3 Vgl. Rubin, Berthold, Prokopios von Kaisareia, Stuttgart 1954, S. 257-297.
4 Die Meinung, Prokopios sei Heide gewesen, wird jüngst von Kaldellis (wie Anm. 1) vertreten. Zum Christentum des Prokopios vgl. Brodka (wie Anm. 1), S. 22ff.
5 Gegen Kaldellis (wie Anm. 1), S. 116f., der die Leser des Prokopios in den heidnischen Neuplatonikern sehen will.
6 Im Text finden sich einige kleine Fehler. Sie sind aber nicht auf die Autoren, sondern auf den Verlag zurückzuführen. Dem Verlag lagen die richtigen Korrekturfahnen vor, die jedoch nicht mehr berücksichtigt worden sind.

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