: Joseph Goebbels. . Reinbek 2009 : Rowohlt Verlag, ISBN 978-3-499-50489-1 160 S. € 8,95

: Narziss Goebbels. Eine psychohistorische Biografie. Wien 2009 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-205-78411-1 320 S. € 24,90

: Joseph Goebbels. Life and Death. London 2009 : Palgrave Macmillan, ISBN 978-0230228894 407 S. € 25.99

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerulf Hirt, DFG-Graduiertenkolleg 1083 „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“, Georg-August-Universität Göttingen

Joseph Goebbels ist Propaganda und Propaganda ist Joseph Goebbels. Durch wohl keinen anderen politischen Agitator hat der Propagandabegriff eine so negative Konnotation erfahren. Der Grund dafür ist auch in der nachhaltigen medialen Wirkung seiner sinistren Tätigkeit als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Reichspropagandaleiter der NSDAP und Präsident der Reichskulturkammer nach 1933 zu sehen, deren Visualisierungsformen bis heute – etwa in Fernsehdokumentationen – eine (ungewollte) Tradierung erfahren. In dem „Aufstieg“ des kleinbürgerlich-katholischen Rheydters zu einem der mächtigsten und rücksichtslosesten führenden Nationalsozialisten spiegelt sich zugleich die Geschichte einer ganz persönlichen narzisstischen Psychose wider. Goebbels’ bedingungsloses Machtstreben und sein säkular-religiöser „Führer“-Fanatismus (Emilio Gentile) führten ihn in die engste Beziehung – und persönliche Abhängigkeit – zu Adolf Hitler, dem er letztlich mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in den Untergang folgte.

Dabei widersprach Goebbels in doppelter Hinsicht der nationalsozialistischen Rassenideologie: Erstens propagierte der physisch Behinderte mit dem verkrüppelten rechten Bein (die Folge einer Knochenmarksentzündung als Vierjähriger) das „Körperideal des Ariers“. Zweitens agitierte mit „dem Doktor“ ein Intellektueller in einer Partei der Anti-Intellektuellen gegen jede humanistische Vernunft und Moral. Seinen körperlichen Malus und die daraus seit frühester Kindheit abgeleiteten Minderwertigkeitskomplexe (Alfred Adler), versuchte Goebbels – wie sowohl Jörg von Bilavsky, als auch Peter Gathmann und Martina Paul richtig betonen – durch eine beispiellose Arbeitsbesessenheit, einen radikalen Antisemitismus und einen blinden „Führer-Kult“ zu kompensieren. Zentraler Bestandteil einer jeden Abhandlung über Joseph Goebbels muss deshalb auch immer die Kernfrage sein, wie ein einstiger Katholik, späterer Sozialist, Freund einer „Halbjüdin“ und promovierter Intellektueller zu dem radikalsten und langatmigsten Propagandisten nationalsozialistischen Hasses und Vernichtungsstrebens degenerieren konnte.

Die Komplexität dieser Frage, an der Schnittstelle von Psychoanalyse und Historiographie, hat umfangreiche Gesamtabrisse hervorgebracht. Zu nennen sind das heute profilierteste „Standardwerk“ Ralf Georg Reuths, aber auch die älteren wegweisenden Vorarbeiten Ernest K. Bramsteds, Claus-Ekkehard Bärschs, Ulrich Hövers und Helmut Heibers.1 An die Forschungsergebnisse dieser Studien knüpft die Arbeit des britischen Zeithistorikers Toby Thacker an, welcher Reuths Deutung widerspricht, dass Goebbels den „Führer-Mythos“ genuin erfunden habe. Konträr erklärt Thacker überzeugend, dass der „Doktor“ eher als ein – wenngleich nicht zu unterschätzender – Katalysator des „Führer-Kultes“ zu verstehen sei (S. 317f.). Neben der Bewertungsfrage von Goebbels’ Rolle hinsichtlich des „Führer-Mythos“, findet sich heute eine Vielzahl themenspezifischer Forschungsarbeiten zu institutionellen oder medialen Einflüssen des Gauleiters von Berlin und späteren Reichsministers. Diese beschäftigen sich mit den propagandistischen Inszenierungsstrategien oder dem Sprachstil Goebbels’.2

Dagegen ist die vorliegende Biographie Jörg von Bilavskys als eine Art short story angelegt, ohne als solche explizit vorgestellt zu werden. Das Fehlen einer kurzen, thematischen Einleitung ist daher als Manko zu bezeichnen, weil darin der Anspruch dieser Goebbels-Biographie hätte erläutert werden müssen. So werden Erwartungen geweckt, die auf 160 Seiten nicht eingehalten werden können. Unter anderem verspricht der Umschlagtext, dass gezeigt werde, „mit welch skrupellosen Methoden Goebbels seinen Machtapparat aufbaute und lenkte.“ Gleichzeitig sei ein „Einblick in das Innere eines zutiefst zerrissenen Menschen“ möglich, der „seine stärkste Orientierung in Hitler“ gefunden habe. Damit wird jedoch eine umfassendere Analyse suggeriert, als von Bilavsky diese leisten kann. Sinnvoller wäre eine konkretere Erklärung gewesen, mit Hilfe welcher inhaltlichen Schwerpunkte diese short story einen zusammenfassenden biographischen Abriss leisten könnte.

Vielmehr ist das Buch als schnelles und anregendes Einstiegswerk zu verstehen. Dies zeigt sich auch im narrativen Aufbau der Studie. Sie beginnt mit den psychischen Dispositionen des jungen Goebbels Mitte der 1920er-Jahre, um die Komplexität der Interrelation von dessen persönlichem Erfahrungs- und Gefühlsraum vor dem Hintergrund seiner späteren Entwicklung aufzuzeigen. Der Leser erfährt Grundlegendes über Goebbels’ familiäre und sozioökonomische Hintergründe. Nachgezeichnet wird sein Wandel zum stark sozialistisch ausgerichteten Nationalsozialisten im norddeutschen Parteiflügel Gregor Strassers mit enger Bindung an die SA, bis er mit diesem brach und sich seit 1926 als Gauleiter Berlins ganz Hitler verschrieb. Der Leser verfolgt die „Eroberung“ Berlins durch die Nationalsozialisten, Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und die Institutionalisierung von Goebbels’ „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ am 13. März 1933. Jörg von Bilavsky geht bei dieser Narration nicht immer chronologisch vor, sondern untersucht neben Goebbels’ Funktion als „Medienmanipulator“, „Kulturmanager“ und Antisemit auch dessen ambivalentes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Die Chronologie wird am Schluss wieder hergestellt, indem Goebbels’ propagandistische Funktion und seine Beziehung zu Hitler vom „totalen Krieg“ bis in den „totalen Untergang“ nachgezeichnet wird. Zusammenfassend ist zu sagen, dass es sich bei Jörg von Bilavskys Biographie um eine anschaulich und fesselnd geschriebene Kurzdarstellung handelt. Eine inhaltliche Schwerpunktsetzung hätte jedoch sicherlich auch für Einsteiger den Erkenntnisgewinn der short story erhöht.

Eine innovative Forschungsperspektive auf Joseph Goebbels bietet die Arbeit von Peter Gathmann und Martina Paul. Diese versucht, Goebbels mittels einer „Psychohistorie“ posthum „auf die Couch zu legen.“ Es gelingt dem Psychiater und der Historikerin, eine größtenteils neue und spannende – „psychohistorische“ – Perspektive des Menschen und Nationalsozialisten Goebbels vorzulegen. Dies ist nur deshalb möglich, weil diese ex-post-Psychoanalyse ständig kritisch reflektiert wird. Insbesondere wurde von den Autoren erkannt, dass nicht nur die Verbindung von Psychoanalyse und Historiographie große methodische Probleme aufwirft. Gerade auch die ego-zentrierten Quellenanalysen auf der Grundlage von Goebbels’ Diarium, der Erinnerungen seiner Ehefrau Magda sowie der Stellungnahmen enger Weggefährten bergen nicht zu unterschätzende interpretative Gefahren. Daher versuchen Gathmann und Paul die Aussagen der im Zentrum stehenden Ego-Dokumente miteinander sowie mit der „Zeitheimat“ (Winfried G. Sebald) ihrer zeitgenössischen Verfasser zu kontrastieren, um so zu belastbaren Schlussfolgerungen zu gelangen. Dennoch lässt sich auch durch diese komparative Reflexion die Gefahr nicht vollständig beseitigen, zeitgenössischen Selbstrechtfertigungsnarrativen zu erliegen. Folglich ist die sehr enge Quellennähe zwar als notwendiger Bestandteil einer psychoanalytischen Annäherung an Goebbels anzusehen, doch zugleich auch als der größte Schwachpunkt dieser Studie zu bewerten.

Der Aufbau der Monographie spiegelt das ständige Bemühen wider, die Biographie des Propagandaministers nicht nur additiv zu erzählen, sondern ihre Hintergründe und Kausalitäten herauszuarbeiten. Daher liegt der Fokus, konträr zu den meisten Goebbels-Biographien, viel stärker auf der familialen, als auf der politischen Ebene. Ausführlich wird der Hintergrund der aufgestiegenen Rheydter Kleinbürgerfamilie, die Krankheitsgeschichte Joseph Goebbels’ sowie das Verhältnis zu seinen Geschwistern reflektiert. Es gelingt überzeugend herauszuarbeiten, dass Goebbels’ extrem ausgeprägter Narzissmus seine Wurzeln bereits in dem kindlichen Minderwertigkeitskomplex aufgrund seiner physischen Behinderung hatte. Die Kompensation dieser Minderwertigkeitsgefühle versuchte Goebbels zeitlebens als fanatischer Nationalsozialist, workaholic und chauvinistischer Frauenheld zu bewerkstelligen. Gleichzeitig wird erklärt, welche Auswirkungen die Minderwertigkeitsgefühle – deren langfristige Forcierung auch durch die eigenen Eltern erfolgte – auf seine charakterliche Entwicklung und seine Beziehung zu anderen Menschen hatten.

Zentral war Goebbels’ enge Mutterbindung, die sich aus seinem Schutzbedürfnis als Außenseiter erklärte, die jedoch wiederum diese Außenseiterrolle verstärkte. Zweifellos spiegelte sich diese Mutterbindung auch in allen sexuellen Beziehungen zu Frauen wider, da Goebbels nie eine gleichgestellte Partnerin oder Kameradin suchte, sondern einerseits eine außergewöhnlich schöne, jedoch unterwürfige Frau (um den Narziss, die Sucht nach Geltung, zu befriedigen) und andererseits eine Art Ersatzmutter. In seinem ganzen Handeln trieb Goebbels die „Sucht nach Selbstbestätigung“ (S. 58) an, welche sich bis zum Größenwahn steigern konnte. Dies manifestierte sich in seinen beruflichen wie privaten Kontrollzwängen: So verlangte er von seiner jeweiligen Geliebten bzw. Ehefrau eine ständige Verfügbarkeit auf Abruf, er beschränkte sich selbst durch eine übertriebene Körperhygiene und lebte bei der Arbeit einen außerordentlichen Ordnungszwang aus. Selbst seine Geschwister dienten ihm allenfalls zur Steigerung seines Egos. Wie ein roter Faden zieht sich durch Goebbels’ Leben daher eine tiefe Einsamkeit – bei aller Publicity als späterer Propagandaminister. Er hatte nie einen wirklichen Freund und nur scheinbar zwei tiefergehende – letztlich enttäuschte – Liebesbeziehungen: zur Jugendfreundin Anka Stalherm und zum tschechischen Ufa-Star Lida Baarova. Die Liaison mit Baarova brachte ihn in die tiefste Krise, da er vorübergehend in die Ungnade Adolf Hitlers fiel, der nicht zusehen wollte, wie seine propagandistische „Vorzeigeehe“ mit Magda Goebbels zerbrach.

Auch die umfangreiche Biographie von Toby Thacker betont, dass Hitler für Goebbels das idealisierte „Selbst“ war, für das er alle Gewissens- und Verstandeszweifel durch eine kontinuierliche Autosuggestion beiseite schob. Seine Liebe galt jedoch dem idealisierten „Führer“ und nicht dem Menschen Hitler. Dessen Lob wirkte als Lebenselixier zur Befriedigung seines Narzissmus und als Stimulans, seine Kritik brachte Goebbels jedoch in Zustände schwerster innerer Zerrissenheit und Verzweiflung. Hitler war für den katholisch erzogenen Goebbels der säkulare Messias und der Verkünder des „Evangeliums des Nationalsozialismus“. Zugleich muss Hitler als ein idealisierter Vaterersatz respektive als imaginierter väterlicher Freund verstanden werden, welchen sich der einsame Goebbels stets gewünscht hatte, dessen reales Erscheinen jedoch aufgrund seines zerstörerischen Narzissmus gar nicht möglich war. Schließlich setzte bei Goebbels schon Mitte der 1920er-Jahre die Dissoziation Hitlers von der NSDAP ein. Es sollte ihm sogar gelingen, diese autosuggestive Trennungsvorstellung auf eine breitere gesellschaftliche Ebene zu übertragen. Die relative Wirkungsmächtigkeit des „Führer-Mythos“ seit 1934 belegt die Reichweite der diesbezüglichen nationalsozialistischen Propagandaanstrengungen.

Leider bleibt Thacker eine konkretere Antwort auf die Frage nach seinem Beweggrund für eine weitere Goebbels-Biographie weitestgehend schuldig. Schließlich verweist er nur auf die kontinuierlich expandierende Quellenlage und die damit einhergehende Notwendigkeit einer ständigen Hinterfragung bereits vorhandener Forschungsergebnisse (S. 9). Dennoch weist Thacker überzeugend darauf hin, dass die Wirksamkeit jeglicher NS-Propaganda nicht pauschal angenommen werden darf. Dies gilt nicht nur für den forcierten „Führer-Kult“, sondern auch für die gesellschaftliche Akzeptanz antisemitischer Propaganda im „Dritten Reich“. Zutreffend warnt Thacker daher vor simplen Sender-Empfänger-Modellen und demonstriert notwendige Differenzierungen anhand der Relativierung einer vorausgesetzten Akzeptanz der „Reichskristallnacht“ von 1938 oder der auf Goebbels zurückgehenden Einführung des gelben „Judensterns“ im Jahre 1941. Mit seiner überzeugenden Kontextualisierung der Goebbelschen Handlungen bietet Thacker eine gelungene Ergänzung zu Gathmanns und Pauls tiefenanalytischer Studie, ohne dabei zu vernachlässigen, dass Goebbels’ ganz persönlicher Antisemitismus und Gewaltfanatismus einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der beispiellosen gesamtgesellschaftlichen Katastrophe des „Dritten Reiches“ hatten.

Anmerkungen:
1 Siehe: Ralf Georg Reuth, Goebbels. Eine Biographie, München u.a. 2005; Ernest K. Bramsted, Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda 1925-1945, Frankfurt am Main 1971; Claus-Ekkehard Bärsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels. Zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927, München 1987; Ulrich Höver, Joseph Goebbels – Ein nationaler Sozialist, Bonn 1992 und Helmut Heiber, Joseph Goebbels, München 1988.
2 Siehe: Sabine Behrenbeck, „Der Führer“. Die Einführung eines politischen Markenartikels, in: Gerald Diesener / Rainer Gries (Hrsg.), Propaganda in Deutschland. Zur Geschichte der politischen Massenbeeinflussung im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1996, S. 51-78; Erwin Barth, Joseph Goebbels und die Formierung des Führer-Mythos 1917 bis 1934, Erlangen 1999; Thymian Bussemer, „Über Propaganda zu diskutieren, hat wenig Zweck.“ Zur Medien- und Propagandapolitik von Joseph Goebbels, in: Lutz Hachtmeister / Michael Kloft (Hrsg.), Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München 2005, S. 49-63; Gerhard Paul, Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933, Bonn 1990; Gerhard Voigt, Goebbels als Markentechniker, in: Fritz Haug u.a. (Hrsg.), Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik, Stuttgart 1975, S. 231-260 und Angelika Breil, Studien zur Rhetorik der Nationalsozialisten. Fallstudien zu den Reden Joseph Goebbels, Bochum 2008.

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