M. Dzieweczyński: Im mecklenburgischen Exil

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Titel
Im mecklenburgischen Exil. Edition des Briefwechsels zwischen Hoffmann von Fallersleben und seinem Freund Rudolf Müller


Autor(en)
Dzieweczyński, Mariusz
Reihe
Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 17
Erschienen
Anzahl Seiten
397 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Hirschmüller, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Der Nachlass von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ist weit zersplittert, wie der polnische Editor Mariusz Dzieweczyński zutreffend anführt. Teile der aktiven Korrespondenz befinden sich in diversen Archiven in Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Österreich, Polen, Tschechien sowie den Niederlanden. Umso mehr ist die Edition eines Briefwechsels des Dichters für die literatur- und geschichtswissenschaftliche Forschung relevant.

Hoffmann, 1798 in Fallersleben im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg geboren, begann nach dem Gymnasium in Braunschweig mit 18 Jahren ein Theologiestudium. Durch die Bekanntschaft mit Jacob Grimm wechselte er seine Studienfächer auf Germanistik und deutsche Philologie. Mit seinem akademischen Lehrer Friedrich Gottlieb Welker ging er zunächst nach Bonn. Im Jahr 1821 zog er nach Berlin, um in der renommierten Bibliothek des Freiherrn Gregor von Meusebach zu arbeiten, wo er Kontakte zu einer Reihe von Literatur- und Rechtsgelehrten knüpfen konnte. So erhielt er 1823 eine Anstellung als Kustos der Universitätsbibliothek Breslau, wo er 1830 zum außerordentlichen Professor berufen wurde, 1835 erfolgte die Ernennung zum Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur. Wegen seiner liberalen und nationalen Einstellung, die er unter anderem in seinen „Unpolitischen Liedern“ äußerte, wurde er 1842 durch den preußischen Staat zunächst seiner Professur enthoben, und ein Jahr später entzog man ihm die Staatsbürgerschaft. Hoffmann begab sich ins Exil und fand in diesen „Wanderjahren“ unter anderem Unterschlupf auf dem Rittergut Holdorf im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin. Der dortige Pächter Rudolf Müller hatte ihn aus eigener Initiative eingeladen, obwohl sie einander nicht persönlich kannten. Die Edition des aus diesem Kontakt entstandenen Briefwechsels hat sich Mariusz Dzieweczyński zur Aufgabe gesetzt. Dabei handelt es sich um seine 2012 am Institut für Germanistik der Philologischen Fakultät der Universität Breslau angenommene Dissertation.

Erika Poettgers bietet in ihrem 2014 erschienen Werk erstmals ein Verzeichnis der 7000 Briefe von Hoffmann.1 Da bisherige Editionen zu den Briefen des Dichters in relativ geringem Umfang vorhanden sind, stellen Arbeiten auf diesem Gebiet für die Hoffmann-Forschung immer einen Gewinn dar. Bei den von Heinrich Gerstenberg 1890 bis 1893 neu herausgegebenen „Gesammelten Werken“2, die 1868 erstmals in sechs Bänden erschienen sind, handelt es sich um Gedichte sowie die Autobiographie des Dichters des Deutschlandliedes.3 Die 1907 ebenfalls von Gerstenberg herausgegebene Briefedition „An meine Freunde“ beinhaltet zwar auch einen Teil der Briefe Hoffmanns an Müller, entspricht aber in keiner Weise einem heutigen editorischen Standard.4 Daneben existieren eine Reihe von kleinen Briefeditionen in Periodika. Erst im Jahr 2015 fanden im Rahmen der Herausgabe von Korrespondenzen der Brüder Grimm auch Briefe von Hoffmann Berücksichtigung5, und durch die Arbeit von Mariusz Dzieweczyński wurde jetzt erstmals eine moderne, eigenständige Edition eines Briefwechsels des Dichters publiziert. Die Mecklenburger Jahre stellen zudem in gewissem Maße ein Desiderat in der Hoffmannforschung dar, wie der Editor festhält (S. 14).

Der von Dzieweczyński edierte Quellenbestand wird in zwei Sektionen gegliedert. Bei dem weitaus größeren Teil handelt es sich um den Briefwechsel zwischen Hoffmann von Fallersleben und dem Gutspächter Rudolf Müller im Zeitraum zwischen März 1843 und Juli 1864. Bei den 126 Briefen wurden auch jene von Hoffmanns Ehefrau Ida an Müller mitberücksichtigt. Die Briefe des Dichters stammen aus dem Archiv der Hoffmann-von-Fallersleben-Gesellschaft in Wolfsburg-Fallersleben und die des Pächters aus dem Nachlass Hoffmanns in der Berliner Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz. Bei der Erstellung der Kommentare flossen weitere Briefe aus dem Familien- und Bekanntenkreis von Fallersleben sowie Rechnungen, Quittungen und Listen aus dem Berliner Bestand ein. Eine zweite Sektion beinhaltet unter der Bezeichnung „Spendenaufruf“ in den Jahren von 1844 bis 1846 initiierte Sammelaktionen von Freunden für Geldzuwendungen an Hoffmann.

Hinsichtlich der editorischen Grundsätze beruft sich Dzieweczyński auf Hans Zeller und will „dem Leser so viele von den im Original enthaltenen relevanten Informationen vermitteln, als ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lesbarkeit möglich ist“. Daher sollen Autorenkorrekturen „grundsätzlich im Brieftext dargestellt werden, um den Schreibprozess erfahrbar zu machen“ (S. 38). Die Brieftexte werden somit vollständig mit Unter- und Durchstreichungen wiedergegeben. Die Absätze werden eingehalten, und der Beginn neuer Zeilen wird im Originaltext angezeigt. Auch der Text der Umschläge ist transkribiert, und Informationen zum Siegel, wenn erhalten, werden angegeben.

Dzieweczyński verspricht in seiner Aufarbeitung des Forschungsstandes, in der neben der Aufzählung der Themenfelder auch die jeweiligen Erkenntnisgewinne mehr berücksichtigt hätten werden können, für die aktuelle Forschung „neue Erkenntnisse hinsichtlich des Lebens und Werkes Hoffmanns“. Dabei, so schreibt der Autor, werde das Bild des „(un)politischen“ Hoffmann „zum Teil einer Neubewertung unterzogen und um neue Facetten erweitert: die Lektüre der Korrespondenz erlaubt neue Einblicke in sein Verhältnis zur Revolution“ (S. 17). Zudem seien „neue Einsichten in die Mecklenburger Lebensjahre des Braunschweiger Altphilologen“ Eduard Schmelzkopf enthalten (S. 20).

Die Eindrücke Hoffmanns von den revolutionären Ereignissen werden in den Briefen deutlicher herausgestellt als in der retrospektiv verfassten Autobiographie. Hoffmanns Quellen sind allerdings oft Tageszeitungen wie die „Vossische Zeitung“ (S. 182, 185). Immerhin können so erstmals Erfahrungen von Hoffmann über die lokale Festkultur der Revolution (S. 188) einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden, was eine gewisse regionalgeschichtliche Relevanz besitzt, wenngleich die Schilderungen des Vereinslebens meistens sehr allgemein gehalten sind und der Erkenntnisgewinn marginal ist (S. 189). Gleiches gilt für die versprochenen Einblicke in das Leben von Eduard Schmelzkopf, der meist im Zusammenhang mit Reisen (S. 251, 252, 256, 265) oder Ernährungsvorlieben (S. 229, 231, 235) erwähnt wird. Wenig ertragreich sind auch die bloßen Erwähnungen anderer relevanter Persönlichkeiten der Revolutionsjahre, wie Friedrich Daniel Bassermann, Adam von Itzstein oder Karl Mathy. Auch die Schilderung anderer Ereignisse wie die Kartoffelkrankheit (S. 190) beschränkt sich meist auf eine kurze Erwähnung, während hingegen Hoffmanns Reisetätigkeit und seine finanziellen Angelegenheiten einen größeren Rahmen einnehmen (S. 170–173). Ein fundiertes Bild ergibt sich auch von Hoffmanns Eindrücken im revolutionären Berlin (S. 199). Ein bleibender Gewinn sind auch die Einblicke in Hoffmanns Lebenswelt während seiner Reisen, seine Wahrnehmung als Zeitzeuge sowie auch sein stereotypes Denken, das sich zum Beispiel in Bezug auf die Hamburger Bevölkerung zeigt (S. 120–123). Offen bleibt aber, wieso sich Rudolf Müller überhaupt für den Dichter engagierte. Dzieweczyńskis Vermutung, dass Müller und „sein Umkreis sich von der Anwesenheit eines der bekanntesten Vormärzdichter in Mecklenburg einiges versprochen haben“ (S. 28), bleibt allgemein gehalten.

Die editorische Leistung bei der Kommentierung der Briefe ist vorbildlich. Dzieweczyńskis Anspruch, Personen und Ereignisse in den Fußnoten zu erklären sowie „Titel von Werken zu ermitteln und auf Vorgänge, Sachverhalte und persönliche Angelegenheiten einzugehen“ (S. 39,) wird in vollem Umfang erfüllt. Die Kommentare kontextualisieren die Briefinhalte für den Laien wie den Wissenschaftler und sind ausreichend mit entsprechenden Belegen versehen. Die Aufnahme aller Änderungen und Korrekturen beim Abfassungsvorgang erleichtert das Lesen der Briefe und insbesondere der „Spendenaufrufe“ nicht immer, ist aber vertretbar.

Von Qualität ist die umfängliche Bibliografie der Edition, die zunächst unter Primärliteratur handschriftliche Dokumente und Schriften von Hoffmann anführt. Das Literaturverzeichnis bietet von zeitgenössischen Schriften aus dem 19. Jahrhundert bis zu aktuellen Forschungsbeiträgen einen Überblick sowohl zur Person von Fallersleben als auch zum Kontext der Untersuchungszeit in Mecklenburg-Schwerin. Als Kritikpunkt lässt sich anführen, dass kein Sachwortverzeichnis enthalten ist, was mit zum editorischen Standard gehören sollte. Zudem weist das Personenverzeichnis keine thematische Untergliederung bei sehr häufig genannten Personen auf, was beispielsweise bei der auf 91 Seiten genannten Ehefrau Ida Hoffmann sinnvoll gewesen wäre. Auch hätte sich im Personenverzeichnis ein Grundstock an biographischen Informationen wie Geburtsdaten, Werdegang und politische Ausrichtung empfohlen. In der Gesamtbilanz liegt somit eine editorische Leistung von ansehnlicher Qualität vor, wenn auch der versprochene Erkenntnisgewinn aus den Brieftexten für die Forschung nicht ganz eingehalten werden kann.

Anmerkungen:
1 Erika Poettgens, Hoffmann von Fallersleben und die Lande niederländischer Zunge. Briefwechsel, Beziehungsgeflechte, Bildlichkeit (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 25), Münster 2014.
2 Heinrich Gerstenberg (Hrsg.), Hoffmann’s von Fallersleben gesammelte Werke. 8 Bände, Berlin 1890–1893.
3 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, 6 Bände, Hannover 1868.
4 Heinrich Gerstenberg (Hrsg.), An meine Freunde. Briefe von Hoffmann von Fallersleben, Berlin o. J. [1907].
5 Philip Kraut, Jürgen Jaehrling, Uwe Meves, Else Hünert-Hofmann (Hrsg.), Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Freytag, Moritz Haupt, Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Franz Joseph Mone (Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Kritische Ausgabe in Einzelbänden 7), Stuttgart 2015.

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