J. Zimmerli: Offizier oder Manager?

Cover
Titel
Offizier oder Manager?. Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Zimmerli, Jonathan
Reihe
Krieg in der Geschichte 98
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Möllers, Potsdam

In der Filmgeschichte sind US-Offiziere oftmals echte Führertypen (Damian Lewis als Major Dick Winters in „Band of Brothers“) und vorbildliche Helden (Mel Gibson als Lieutenant Colonel Harold „Hal“ Moore in „We were Heroes“). Sie handeln intuitiv richtig, reißen die Untergebenen mit sich, vereinen den entschlossenen und fürsorglichen Vorgesetzten in sich, der von den Untergebenen als Autorität anerkannt und vielleicht auch vergöttert wurde. Und sie gleichen oftmals Führungsfehler ihrer Vorgesetzten aus, ohne dass diese ihre Autorität anzweifeln oder sie bestrafen würden. Solche Filme rücken damit drei zentrale Elemente im Verständnis der amerikanischen Militärgeschichte in den Mittepunkt: „das ‚Ratio-on-Fire-Concept‘, die ‚Band-of-Brothers-These‘ und die Debatte um die Kampfkraft amerikanischer Einheiten“ (S. 34). Tatsächlich sind amerikanische Offiziere überwiegend ganz anders und werden gerne und oft „gefeuert“.

Jonathan Zimmerli präsentiert mit seiner Dissertation eine moderne Militärgeschichte, die anhand der Ausbildung und Tätigkeit der Offiziere die US Armee in ihren Wechselbeziehungen insbesondere zur Wirtschaft der USA untersucht. Dies ist deswegen besonders interessant, weil diese Armee, anders als die europäischen Streitkräfte, aufgrund fehlender Wehrpflicht bis 1940 keine gewachsenen Strukturen (gerade im Offizierskorps) besaß. Vielmehr mussten die USA im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg umfassende Landstreitkräfte aus dem Nichts aufstellen. Dass die USA dies konnten, lag fraglos an ihrer Wirtschaftskraft und deren an Effizienz ausgerichteten Grundlagen.

Ein Kernelement dieser Effizienz-Prägung der Armee war die ständige Überwachung – im industriellen Prozess sicherlich richtig, um Abläufe zu optimieren und die Produktivität zu steigern. In der Armee jedoch entwickelte sich dieses zu einer als „allimportant“ verstandenen ständigen Überwachung der Untergebenen, die faktisch nichts anderes als deren ständige Übersteuerung und Störung bedeutete (S. 100). Dabei ging es nicht nur um schlichte Überwachung, sondern vor allem um (jeweils „oben“ so verstandene) Fehlervermeidung. Dieses Handeln hatte seine Ursachen in der Offiziersausbildung u.a. am Army War College, wo durch dogmatisch gelehrte Schullösungen selten die erforderliche Handlungssicherheit erzielt wurde (S. 93). Diese mussten sich viele Offiziere letztlich im Krieg aneignen und sich damit gleichzeitig gegen das Selbstverständnis industriellen Denkens in der US Armee behaupten. „Die Prinzipien des ‚systematic management‘ […] [wie es die Armee verstand] funktionierten [jedoch] nur mit einer engen Kontrolle der einzelnen Arbeitsschritte.“ (S. 98) – Von einer dem deutschen Militär lange Zeit eigenen „Auftragstaktik“ war die US Armee damit weit entfernt.

Zimmerli rückt diese Eigenheit der US-Landstreitkräfte anhand ausgewählter operationsgeschichtlicher Beispiele in den Fokus und betrachtet das Offizierskorps der US Armee mentalitäts- und organisationsgeschichtlich. So will er bewerten, inwieweit „Erkenntnisse und Prozesse der industriellen Produktion“ in den USA die Entwicklung der Personalführung beeinflussten und letztlich feststellen, „in welchem Masse die amerikanische Armee das Gedankengut aus Großunternehmen in ihre Führungsdoktrin übernahm und welche Auswirkungen dies auf die operationelle [das müsste wohl „operative“ heißen?] Kriegsführung amerikanischer Einheiten hatte.“ (S. 26f.)

Nach einer Beschreibung der verschiedenen Reformen und Veränderungen innerhalb der US Armee seit dem Ersten Weltkrieg unter stetigem Einfluss der Wirtschaft und ihrer Großunternehmen (S. 43–122), widmet sich Zimmerli im Kern seiner Arbeit zwei Beispielen aus dem Zweiten Weltkrieg – Italien 1943/44 und Hürtgenwald 1944, sowie mit kleinen Exkursen Korea und Vietnam –, um das Führungsverhalten der Offiziere auf verschiedenen Führungsebenen zu analysieren. Angesichts der hervorragenden akribischen Gefechtsbeschreibung des Autors kann man verkürzt feststellen: er schildert Gefechte, in denen Truppenführer (Divisionskommandeure, Kommandierende Generäle der Korps und Armeeführer) beinahe minutiöse Operationsziele definieren, Befehle geben und auf kleinste Veränderungen „von oben“ einwirken. Trotz letztendlich erzielter Erfolge war dies Truppenführung in Form von überbordendem Dirigismus („Oversupervision“) (S. 303), beinahe ständiger Einmischung in untergeordnete Ebenen infolge mangelhafter Analyse der Feindlage und des Operationsgebietes. Ständige Meldungen nach oben, dass alles gut sei, verzerrten auf allen Führungseben das Lagebild. Die Kommunikation der verschiedenen Führungsebenen, ein unverzichtbares Kernelement der militärischen Führung, war damit konterkariert. Die Folge war immer wieder ein unvergleichlich hoher, unnötiger Blutzoll.

Was der Autor auf rund 170 Seiten darstellt lässt dabei weniger die Wirren des Krieges in den dargestellten Gefechten in den Mittelpunkt rücken. Vielmehr stellt es den systembedingten Kardinalfehler der US Armee heraus, den scheinbar niemand beheben konnte und der seine Wurzeln eben im Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit hat: In den USA war das Militär stärker als irgendwo sonst auf der Welt von einem aus der Ökonomie übernommenen Effizienzdenken geprägt. Dabei lässt sich industrielle Effizienz sicher steigern, die militärische aber eben nicht auf die gleiche Weise anordnen (S. 81).

Die Vorstellungen von Effizienz mündeten darin, dass die Offiziere aller Führungsebenen von diesem Paradigma beseelt sein mussten. Um dieses besser zu vermitteln, fanden weite Teile der höheren Offiziersausbildung in den USA „im Klassenzimmer“ statt (S. 82), während die europäischen Armeen taktische Übungen, Manöver oder Generalstabsreisen zur Ausbildung ihrer militärischen Führer favorisierten. Und darüber hinaus war die Ausbildung der US-Offiziere für höhere Verwendungen am Army War College ausgesprochen Business-lastig (S. 86f.) – was sich lange nicht änderte. Die Kritik daran war eindeutig (S. 90f.), die fatalen Folgen beschreibt Zimmerli in seinen Gefechtsbeschreibungen.

Zimmerli liefert eine überzeugende Darstellung zur Führungskultur der US Armee in den Jahren 1943 und 1944 mit Ausblicken bis ins Jahr 1970. Er spiegelt sie vor der vielfältigen, überwiegend amerikanischen Literatur zu diesem Thema wie auch den zahlreichen Memoiren. Dabei kommt er zu einem differenzierten, nicht gerade positiven Urteil, das einerseits diese Memoiren erheblich konterkariert und andererseits die amerikanische Fachliteratur einer deutlichen Korrektur unterzieht.

Die ausgewählten Schlachten untermauern seine Thesen und Befunde. Seine Wertung ist erschreckend wie ernüchternd zugleich: Diese Armee hatte weder ein gewachsenes berufliches Selbstverständnis, das sich in Vorschriften oder Erziehungsgrundsätzen niederschlug. Noch hatte sie Grundsätze für die Behandlung seines Personals im Kriege – mit den hier beschriebenen Folgen. Sie war durch zivile Einflüsse teilweise handlungsunfähig im militärischen Kerngeschäft, wenigstens aber mehr mit sich als mit dem Gegner beschäftigt.

Zur nicht enden wollenden Debatte, warum die Wehrmacht ihren Gegnern so lange Widerstand leisten konnte, bietet er eine Erklärung, indem er auf die schlechte innere Verfassung der US Armee und die störenden Einflüsse ökonomischen Effizienzdenkens hinweist.

Dass später der Oberkommandierende in Vietnam, General William Westmoreland ausgerechnet den tragisch agierenden Kommandieren General der Hürtgenwaldschlacht, J. Lawton Collins, als sein persönliches Vorbild bezeichnet (S. 334), zeigt, dass die US Armee in den 1960er- und 1970er-Jahren noch weit davon entfernt war, aus Fehlern zu lernen. Dass angesichts der Beispiele trotz erheblicher personeller Verluste die Verbände in ihrer Effizienz oftmals als „excellent“ bewertet wurden, ist nach Zimmerlis Beschreibung nicht mehr nachvollziehbar. Allein die Verlustzahlen widersprechen dem. Die Tabellen hierzu finden sich am Ende des Buches, besser wäre es allerdings gewesen, sie an den entsprechenden Textstellen einzufügen.

Wenn es ein Manko an diesem sehr lesenswerten Buch gibt, dann ist es das gänzliche Fehlen von Karten. Dies verhindert, dass der Leser die detaillierten Schilderungen der Gefechtshandlungen auch nur ansatzweise nachvollziehen kann. Wenn aber Operationsgeschichte so wie hier beschrieben wird, sind Karten ein „must have“.