J. Bruning: Das pädagogische Jahrhundert in der Praxis

Titel
Das pädagogische Jahrhundert in der Praxis. Schulwandel in Stadt und Land in den preußischen Westprovinzen Minden und Ravensberg 1648-1816


Autor(en)
Bruning, Jens
Reihe
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 15
Erschienen
Anzahl Seiten
466 S.
Preis
DM 132,00
Stefan Ehrenpreis, Institut für Geschichtswissenschaften, HU-Berlin

Mit Wolfgang Neugebauers bahnbrechender Studie zur Schulwirklichkeit im Absolutismus am Beispiel Brandenburgs, 1985 erschienen, wurde ein Tor zum weiten Forschungsfeld des Niederen Schulwesens geöffnet, durch das auch der Verfasser dieser im Osnabrücker Graduiertenkolleg "Bildung in der Frühen Neuzeit" entstandenen Dissertation tritt. Seine Arbeit wird dabei nicht etwa zur bloßen Ergänzung Neugebauers, sondern er kann nachweisen, dass den behandelten Preußischen Westprovinzen mit Blick auf das Schulwesen eine eigenständige Bedeutung innerhalb der von den Hohenzollern regierten Lande zukommt. Mit beeindruckender Materialfülle - im wesentlichen aus den Staatsarchiven in Münster, Berlin und Düsseldorf, dem Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld sowie Kommunalarchiven in Minden und Herford - verfolgt Bruning detailliert das Verhältnis lokaler, provinzialer und zentraler Reformmaßnahmen, die bereits vor dem "pädagogischen 18. Jahrhundert" einsetzten und im Vergleich mit anderen rheinischen und westfälischen Territorien zu einem differenzierten Bild der Schulwirklichkeit beitrugen.

Seine Untersuchung gliedert der Verfasser in drei große Kapitel. Das erste (S. 39-106) beschreibt die Stellung der Nebenländer Minden und Ravensberg im absolutistischen Brandenburg-Preußen, wobei auch ein Rückgriff auf das 16. Jahrhundert integriert wird. Der anschließende zweite große Teil (S. 107-206) widmet sich dem Schulwesen in beiden Territorien zwischen Reformation und Aufklärung. Mit Schulwirklichkeit meint Bruning hier sowohl alle Fragen der Organisations- und Finanzierungsstruktur von Schulen als auch Probleme der Lehrerrekrutierung, -ausbildung und -besoldung, Unterrichtsinhalte und -methodiken sowie die Untersuchung des Schulbesuchs. Berücksichtigt werden neben allen Formen des höheren Schulwesens in den Städten auch die des Niederen Schulwesens in Stadt und Kirchspielorten sowie die Nebenschulen.

Im dritten Hauptteil (S. 207-310) werden die Schulreformen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts dargestellt, die nicht so sehr von den Berliner Zentralbehörden als vielmehr von den provinzialen Mittelbehörden und den Superintendenten zusammen mit dem Konsistorium ausgingen, die beispielsweise selbständig über die Stellenbesetzungen verfügen konnten. Hier liegt wohl der größte Unterschied zu den Ergebnissen Neugebauers, der für Ostelbien das "Haltmachen" des Staates vor den lokalen Einflußfaktoren Kirche und Gutsherrschaft konstatierte. Diese schulischen Entwicklungen werden in einem vierten kleineren Abschnitt mit denen in den Kerngebieten Brandenburgs, in Halberstadt und Ostfriesland sowie mit benachbarten nordwestdeutschen Territorien verglichen, woraus sich interessante Unterschiede aufzeigen lassen. Deutlich wird jedoch auch der regional und territorial übergreifende Mentalitätswandel, der mit der Aufklärung einher ging. Ein Vergleich unterschiedlicher konfessioneller Charakteristika im Schulwesen - parallel zum Territorienvergleich - war vom Verfasser nicht intendiert, da die ausgewählten Regionen fast vollständig lutherisch geprägt waren.

In einem abschließenden 'Resümee mit Ausblick' widmet sich der Verfasser seinen zentralen Thesen zur Kontinuitätsproblematik. Konsequenterweise ruft er zu einer neuen Periodisierung bildungsgeschichtlicher Epochen auf: nicht die Anfänge der preußischen Reformen um 1800 stellen demzufolge den entscheidenden Einschnitt dar, sondern die Jahre 1750 - 1770 mit zunächst einem katholischen Vorsprung durch die vielfach rezipierten Reformen Maria Theresias, der dann am Ende des Siebenjährigen Krieges rasch von protestantischen Territorien - mit Preußen an der Spitze - aufgeholt wird. Gerade im Vergleich mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt stellen sich die Jahre 1750 bis 1806 als ausgesprochen dynamisch heraus, die die nachfolgenden Veränderungen eher als Kontinuität der Modernisierung, verbunden mit Rückschritten in Teilbereichen, erscheinen lassen. Diese Relativierung der Wirkungen der Humboldtschen Reformen machen Brunings Ergebnisse zu einem auch überregional äußerst beachtenswerten Forschungsbeitrag. Den flüchtigen Leser mag es deshalb vielleicht stören, dass der Verfasser im Schlussteil nicht noch einmal alle seine Untersuchungsteile zusammenfasst. Ein umfangreicher Anhang bietet eine Übersicht zu allen um 1800 existierenden Schulen der beiden Territorien, um ältere Angaben ergänzt. Einige Grundrisse von Schulgebäuden sowie ein Orts-, Personen- und Sachregister komplettieren den uneingeschränkt empfehlenswerten Band.

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