Unkovski-Korica: Economic Struggle for Power in Tito's Yugoslavia

Cover
Titel
The Economic Struggle for Power in Tito's Yugoslavia. From World War II to Non-Alignment


Autor(en)
Unkovski-Korica, Vladimir
Erschienen
London 2016: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 87,49; £ 69.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Rutar, Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg / Berliner Kolleg Kalter Krieg

Vladimir Unkovski-Korica gehört zu einer Gruppe von Historikerinnen und Historikern, die der Wirtschafts- und Betriebsgeschichte Tito-Jugoslawiens in den letzten Jahren zu einem kleinen Aufschwung verholfen haben.1 Er fokussiert auf Partei- und Gewerkschaftsquellen der zentralen Belgrader Staatsebene. Gerade weil er sich quellentechnisch nicht auf Diplomatie und internationale Beziehungen kapriziert, sondern auf innerjugoslawische politische und ökonomische Beziehungen und Aushandlungsprozesse, hat er ebenso sehr ein Buch über die politische Ökonomie Jugoslawiens wie über die Dynamiken des frühen Kalten Krieges geschrieben.

Zeitlich spannt das Buch den Bogen von der gemeinsamen Offensive der jugoslawischen Partisanenarmee und der Roten Armee im Oktober 1944 über den Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 bis zu Jugoslawiens Wende hin zum Westen und den marktökonomischen Reformen der 1950er-Jahre, die das Land Anfang der 1960er-Jahre in die Blockfreienbewegung führten. Gelungen zeichnet Unkovski-Korica die wandelbare, nicht zuletzt von den internationalen Kontexten des Kalten Krieges beeinflusste Institutionalisierung der Arbeiterselbstverwaltung nach. Er stellt die Arbeiterselbstverwaltung als ein seit 1946 planvoll eingesetztes Instrument dar, um ökonomische Disziplin in den Betrieben zu erzwingen und Bürokratisierung, Ressourcen-Verschwendung und Forderungen nach Lohnerhöhungen etwas entgegenzusetzen. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion trieb man seit 1950 verstärkt die Integration der jugoslawischen Wirtschaft in die globale voran. Ebenso setzte man die weitere Diversifizierung der zu entwickelnden Industriezweige zurück auf die Agenda. Den westlichen Industrienationen wurde die Selbstverwaltung als eine antistaatliche Politik präsentiert, im Sinne der jugoslawischen Rhetorik, die die Ansprüche des Westens auf Gegenleistung parieren sollte.

Unkovski-Korica beruft sich in recht substantieller Weise auf Arbeiten von Olivera Milosavljević und Susan Woodward.2 Ohne Milosavljevićs Studie wäre sein Buch in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen, da zentrale Quellenbestände, die die Belgrader Soziologin in ihrem privaten Archiv gesammelt hatte, heute als verloren gelten (S. IX). Susan Woodwards kontrovers diskutierte These aus den 1990er-Jahren untermauert Unkovski-Korica: Jugoslawiens Wirtschaftsmodell war keine Konsequenz des Bruches mit der Sowjetunion, sondern eine Adaption bereits bestehender Pläne und Politik. Woodward fokussierte auf die Arbeitspolitik und stellte die Selbstverwaltung in einen breiteren Kontext von Markterfordernissen und anhaltender Arbeitslosigkeit, um das Problem der wachsenden regionalen Ungleichheiten und daraus resultierenden nationalen Spannungen zu erklären. Unkovski-Korica bestätigt ihren Befund auf Basis der Akten zentraler Belgrader Institutionen. Er attestiert der jugoslawischen Selbstverwaltung, sie sei das Versatzstück gewesen, das Jugoslawiens Anbindung an den Westen nach dem Bruch mit Stalin konsolidierte: „the introduction of workers’ councils in 1950 [was] the ideological centre-piece of the tilt to the West” (S. 22).

Je mehr sich Jugoslawien dem Weltmarkt öffnete, desto mehr mussten die entwickelteren Republiken Slowenien und Kroatien dafür sorgen, dass die Handelsbilanz positiv blieb. Dies verlagerte die Probleme. Die beiden nördlichen Republiken schauten zunehmend nach Westen, während die südlichen sich verstärkt in Richtung Sowjetunion oder Dritte Welt ausrichteten. Die wachsende wirtschaftliche Diskrepanz zwischen den jugoslawischen Landesteilen, so Unkovski-Korica, habe dazu geführt, dass die regionalen Eliten sich auf jeweils eigene Weise zu verselbstständigen begannen. Die Partei oszillierte zwischen den Gegenspielern des Kalten Krieges, und dies wirkte in den Republiken auf unterschiedliche Weisen. Überspitzt gesagt stellt der Autor Jugoslawien als eine Art „Kalter Krieg im Kleinen“ dar – und in der Tat: Als der Kalte Krieg endete, endete auch Jugoslawien.

Die Schwäche dieser These ist gleichwohl evident, war Jugoslawien immerhin nicht der einzige Staat, der das Ende des Kalten Krieges nicht lange überlebte, und auch nicht der einzige Staat, in dem dieses Ende Gewalt generierte. Interessanter erscheint das scheinbare Paradoxon, dass Jugoslawien durch die Kombination aus geopolitischer Lage und innerer Verfasstheit einerseits zu den liberaleren Staatssozialismen gehörte, dass es andererseits aber in mancher Hinsicht ein sehr viel ideologisierterer Staat war als andere sozialistische Systeme Osteuropas. Durch die Notwendigkeit zwischen den Blöcken lavierender Adaptionen lebte die jugoslawische Gesellschaft mit einer permanenten Veränderung der institutionellen Ordnung des Systems, angetrieben vom ideologischen Imperativ der Idee einer Selbstverwaltungsgesellschaft. Unkovski-Korica zeichnet diese Prozesse in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten nach. Er demontiert in überzeugender Weise (mindestens) zwei hartnäckig in der Historiographie zu findende Mythen: Zum einen bekräftigt er wie gesagt noch einmal, dass das ökonomische Modell nicht erst nach 1948, als Reaktion auf den Bruch mit der UdSSR, ersonnen wurde. Zum anderen zeigt er auf, vor allem anhand der Rolle der Gewerkschaften, dass die gängige Annahme, das Selbstverwaltungsmodell sei ein intellektuelles Projekt Edvard Kardeljs gewesen, differenziert werden muss.

Die Gewerkschaften waren, wie Unkovski-Korica zeigt, in den frühen Nachkriegsjahren durchaus Sprachrohr für den Widerstand der Arbeiter gegen die Versuche des Parteienstaats, die Betriebe zu kontrollieren. Sie versuchten, die Produktionsnormen zu senken und verhandelten um höhere Löhne. In der zweiten Hälfte des Jahres 1949 handelten die Gewerkschaften erfolgreich eine Korrektur des Entwurfs der Arbeiterselbstverwaltung aus und verhinderten so, dass diese zu einem simplen erweiterten Arm des Managements gemacht wurde. In den nachfolgenden Jahren blieben sie eine Hauptkraft bei den Versuchen, weitreichendere Marktreformen durchzusetzen.

Wenn Unkovski-Korica vermutet, dass die Gewerkschaften zu einem reinen Transmissionsriemen der konservativen Kräfte in der Partei wurden, als die selbstverwaltete Industrie Mitte der 1960er-Jahre in die Krise geriet, so täuscht er sich. Wie Wolfgang Höpken vor mehr als 30 Jahren bereits detailliert herausgearbeitet hat, brachte die jugoslawische Mischung aus autokratischen und liberalen Elementen politischer Ökonomie gerade mit Blick auf das halbe Jahrzehnt nach 1966, nach dem Sturz des Innenministers Aleksandar Ranković, politische Diskurse hervor, die innerhalb unverändert bestehender monistischer Systemstrukturen durchaus auch die Perspektive einer weiterreichenden Demokratisierung des politischen Systems aufgriffen. Die eingangs erwähnten Autorinnen und Autoren mikrohistorischer Untersuchungen liefern detailreiches Anschauungsmaterial aus der Praxis von Betrieben in mehreren jugoslawischen Republiken, die an zeitgenössische soziologische Untersuchungen wie die Höpkens anknüpfen. Sie verweisen auf die Ambivalenzen, die der dauernd in veränderlichem, nicht selten auch widersprüchlichem Prozess befindliche ideologische Rahmen generierte: die Diskrepanzen zwischen informellen Handlungsspielräumen und normativen Vorgaben; die konkurrierenden Interessen auf Republiks- wie auch lokaler Ebene sowie in den einzelnen Betrieben; die Wirkungen älterer Traditionen innerbetrieblicher sozioökonomischer und auch soziopolitischer (kapitalistischer) Interaktionsformen; das Spannungsfeld zwischen technokratisch-bürokratischen Vorgaben und Markterfordernissen; innerbetriebliche Machtkämpfe unter Betriebsleitern und Direktoren; die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Privilegien (wie besserer Verdienst und Zugang zu Sozialleistungen), nicht zuletzt auch zwischen Alteingesessenen und innerjugoslawischen Migranten.

Verallgemeinernde, ‚alljugoslawische‘ Aussagen über die wirtschaftliche Effizienz und Praxis der Selbstverwaltung sind demnach mangels flächendeckender Untersuchungen noch kaum zu treffen. Die Analyse der Bundesparteiebene bringt wertvolle Einsichten in eben diese obere Ebene jugoslawischer Politik, aber nicht zwingend auch in die föderalen Teilrealitäten. Beispielsweise ignoriert Unkovski-Korica fast vollständig die zentralen Topoi der zahlreichen Arbeitsniederlegungen und Streiks sowie der Arbeitslosigkeit und daraus folgenden Arbeitsmigration. Der Bergarbeiterstreik im slowenischen Trbovlje 1958 beispielsweise interessiert ihn nur hinsichtlich seiner Bedeutung für die Bundespolitik. Insofern leistet er nicht die einleitend angekündigte Analyse “of relations between the party-state and the working class” (S. 5). Bezüglich der ‚Arbeiterklasse‘, ihren Repräsentanten und Protagonisten in den Republiken und lokalen Kontexten, bleibt die Vogelperspektive der Belgrader Parteiakten tentativ und oft abstrakt. ‚Trbovlje ohne Trbovlje‘ zu erzählen gerät unschlüssig. Auch in anderen Republiken dürften politisch mehr Kontinuitäten aus dem nicht zuletzt national kodierten Partisanenkrieg Bestand gehabt haben, als es die Maxime der Partei, die nationale Frage sei gelöst, vorgab. Wenn Unkovski-Korica dieses ideologische Beiseiteschieben nationaler Befindlichkeiten durch die Partei zum analytischen Ausgangspunkt macht, tappt er in die methodische Nationalismusfalle. Dies wird gerade dadurch evident, dass die Angst der Belgrader politischen Akteure des Nationalismus beschuldigt zu werden und die Maxime der Partei zu verletzen, in seiner Studie einen roten Faden bildet.

Klug vermeidet Unkovski-Korica hingegen eine andere methodische Falle: die der Dichotomie zwischen ideologischem ‚Westen‘ und ‚Osten‘. Sein Blick auf wirtschaftliche Entwicklungspolitik in der historischen Kontingenz des Kalten Krieges fügt das jugoslawische Experiment ein in die lange Reihe historischer Belege der Anpassungsfähigkeit von Markt-Staat-Beziehungen und der Rolle, die der Faktor Arbeit dabei spielt. Die gängige, aber unproduktive Dichotomie Kapitalismus – Staatssozialismus, oder Markt – Plan, die man als ‚methodische Kalte-Kriegs-Falle‘ bezeichnen könnte, wird so kongenial aufgelöst. Stattdessen geht es darum, die jugoslawische Variante der Verteilungs- und Herrschaftskonflikte, die dem Verhältnis von Kapital und Arbeit innewohnen, besser zu verstehen. Unkovski-Koricas Buch lädt ein, ein seit mehr als einem Vierteljahrhundert weitgehend vergessenes sozioökonomisches Thema zu vertiefen.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel die überwiegend mikrohistorisch auf einen oder mehrere Betriebe fokussierenden Arbeiten von Rory Archer, Marko Miljković, Goran Musić, Ivan Rajković, Ulrike Schult und Sabine Rutar.
2 Olivera Milosavljević, Država i samoupravljanje, 1949–1956, Dissertation, Belgrad 1987; Susan L. Woodward, Socialist Unemployment. The Political Economy of Yugoslavia, 1945–1990, Princeton, NJ 1995.