Starke Frauen: Italienerinnen im Widerstand gegen deutsche Besatzung und Faschismus

Starke Frauen: Italienerinnen im Widerstand gegen deutsche Besatzung und Faschismus

Organisatoren
Bildungswerk der Humanistischen Union NRW
Ort
Parma / Marzabotto / Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
04.06.2006 - 09.06.2006
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Von
Nadja Bennewitz, Bildungswerk der Humanistischen Union NRW, Essen

Seminarbericht: Italienerinnen im Widerstand gegen deutsche Besatzung und Faschismus

Das Bildungswerk der Humanistischen Union NRW in Essen führt bereits seit einigen Jahren in Kooperation mit dem Institut für Widerstand und Zeitgeschichte Reggio Emilia (ISTORECO) Auslandsseminare zum Thema Widerstand und deutsche Besatzung in Italien durch.1 Unter der Leitung von Marianne Wienemann, Soziologin (Bochum), Nadja Bennewitz, Historikerin (Nürnberg) und Heike Herzog, Journalistin (Erlangen) veranstaltete das Bildungswerk vom 04.06.-09.06.2006 ein spezielles Studienseminar für Frauen zum Thema „Italienerinnen im Widerstand gegen deutsche Besatzung und Faschismus“ in der Emilia Romagna und dem Veneto. Während des Seminars wurden ins Deutsche übersetzte Gespräche mit Partisaninnen und Stafetten verschiedener politischer Orientierung aus Reggio Emilia geführt. Auf dem Weg nach Venedig erfolgte zudem ein Besuch der Gedenkstätte auf dem Monte Sole bei Marzabotto. In Venedig stand das Treffen mit einer jüdischen Venezianerin, der die Flucht in die Schweiz gelang, auf dem Programm.

Das Treffen mit der ehemaligen Partisanin Annita Malavasi (Jg. 1921) fand in den Räumlichkeiten des Partisanenverbandes ANPI (Associazione Nazionale Partigiani d’Italia) in Reggio Emilia statt. Malavasi war unter anderem Kommandantin einer aus Frauen bestehenden Antispionageeinheit. Albert Kesselring behauptete, der italienische Widerstand habe ein effektiveres Informations- und Antispionagenetz gehabt als die eigene Wehrmacht. Dabei habe er nicht gewusst, so Malavasi, dass es oft Analphabetinnen waren, die lediglich eine Strichliste für jedes deutsche Militärfahrzeug führten, das die Ortschaft passierte. Der Einstieg in die Resistenza erfolgte bei ihr wie bei vielen anderen Frauen dieser Generation mit der „größten Verkleidungsaktion der italienischen Geschichte“, bei der Tausende von Soldaten der mit dem Waffenstillstand plötzlich sich selbst überlassenen italienischen Armee neu eingekleidet, versteckt, ernährt und versorgt wurden: „Ich bin mit meinen Geschwistern in die Kaserne von Reggio gegangen. Wir haben mehrere Schichten übereinander angezogen, so dass wir den Soldaten zivile Anziehsachen überlassen konnten. Damit konnten sie die Kasernen unbehelligt verlassen.“ Als Malavasi aufgrund ihrer politischen Funktion in Reggio Emilia nicht mehr gefahrlos in der Stadt leben konnte, schloss sie sich einer Partisanenformation in den Bergen des Apennin an. Folgt man ihrer erfahrungsgeschichtlichen Perspektive war die Auflösung der bislang hierarchischen Geschlechterverhältnisse innerhalb dieser Gruppen möglich: „Es passierte das erste Mal in der italienischen Geschichte, dass Frauen und Männer zusammen lebten und die gleichen Rechte und Pflichten hatten. Auch wir Frauen mussten Wache schieben, auch wir Frauen gingen auf Kontrollgang, auch wir Frauen nahmen an militärischen Aktionen teil. Es gab nicht Mann und Frau, sondern es gab gleiche Rechte und Pflichten und Partisanenaktivitäten.“ Eine Trennungslinie verlief ihrer Ansicht nach vielmehr zwischen den Einschränkungen und Möglichkeiten, die jeweils ein Leben in der Legalität oder in den Bergen mit sich brachten: „Für die Frauen, die noch in der Stadt lebten, war es schwierig. Doch dieser Unterschied galt nicht nur zwischen Frauen und Männern, die sich ja vor den Deutschen zwangsweise in den Bergen verstecken mussten, sondern auch zwischen Frauen und Frauen. In den Bergen schliefst du draußen und hattest kein Haus und keine Familie mehr. In der Stadt hattest du das noch. Das ist sehr wichtig, dass man ab und zu zu Hause sein kann, wo man wenigstens ein Bett hat. Doch umgekehrt mussten diese in besetztem Gebiet arbeiten und waren ständig einem immer schärfer agierenden Feind ausgeliefert. Die Leute in den Bergen, mussten größere Unbequemlichkeiten im Alltag auf sich nehmen, doch sie konnten sich immerhin in großen Gruppen und in befreitem Gebiet aufhalten.“ Die von ihr in der Resistenza gemachten Erfahrungen prägten Malavasis weiteres Leben maßgeblich. Die Verbindung mit ihrem Verlobten löste sie auf, als dieser ihr gebot zu schweigen, wie es sich einer Frau gebühre. Derartiges ließ sie sich nach den Kämpfen und Strapazen, die sie durchgestanden hatte, nicht mehr gefallen. In der Nachkriegszeit arbeitete sie als führende Gewerkschaftssekretärin in Reggio Emilia.

Giovanna Quadreri, mit der die Seminargruppe ein Gespräch im ISTORECO führte, hatte als Stafette von ihrer Partisaneneinheit „Guffo Nero“ aufgrund ihrer ausgezeichneten Kenntnisse im Apennin die Aufgabe übertragen bekommen, junge Männer, die sich nicht der neu gegründeten faschistischen Armee der Republik von Salò anschließen wollten, sicher in die Berge zu Partisanenformationen zu leiten. Stellenweise legte sie bis zu 80 km am Tag zu Fuß zurück, um Anschläge vorzubereiten und Informationen zu überbringen. Anhand der Erzählung dieser Protagonistin des Widerstands bestätigt sich die durch die Frauenforschung gemachte Erkenntnis, dass bei der alleinigen Berücksichtigung der Zeitzeugnisse männlicher Widerstandskämpfer oder aktengeschichtlicher Überlieferung die Handlungen der Frauen kaum Erwähnung finden und demnach nur selten in die Geschichtsschreibung eingehen können: Nach dem erfolgreichen Angriff auf die deutsche Nachrichtenzentrale bei Albinea hatte Quadreri zusammen mit einer anderen Stafette den Auftrag nach Verletzten zu suchen. Sie brachten den schwer verwundeten Partisanenkommandanten durch Feindesgebiet und unter Maschinengewehrbeschuss der Deutschen auf einem Ochsenkarren in Sicherheit. So konnte der Verwundete mit Hilfe eines englischen Fliegers in das befreite Florenz ausgeflogen werden.

Soweit die Erzählung der Zeitzeugin. Konsultiert man die zum 50. Jahrestag dieses Angriffs erschienene Veröffentlichung, in der die ausschließlich männlichen Zeitzeugen über das damalige Geschehen berichten, kommen Quadreri oder andere Protagonistinnen nicht vor. Quadreri, die im Gegensatz zu Malavasi nicht aus linken, kommunistischen Zusammenhängen, sondern aus dem katholischen Milieu stammt, hat erst seit dem Tod ihres Mannes vor wenigen Jahren angefangen über ihre Erlebnisse zu sprechen.

In Reggio Emilia standen des weiteren ein einführender Vortrag der Historikerin Lella Vinsani vom ISTORECO über die sozialen Verhältnisse in der Region Emilia Romagna und dem Kriegsalltag der Italienerinnen auf dem Programm sowie eine Stadtführung auf der Spuren der jüdischen Geschichte und der sozialen Kämpfe der Nachkriegszeit. Am dritten Tag des Seminars wurde die südlich von Bologna gelegene Stadt Marzabotto besucht, wo die Teilnehmerinnen auf dem Monte Sole Francesco Pirini trafen, der das Massaker der Deutschen im Herbst 1944 überlebt hatte. Dass dieser Überlebende heute bereit ist als Zeitzeuge von dem Geschehen zu berichten, beeindruckte viele Seminarteilnehmerinnen.

Als letzte Station führte das Seminar nach Venedig. Der dortige Widerstand war durch die einzigartige städtebauliche Insellage gekennzeichnet. Besucht und diskutiert wurden die beiden den Frauen im Widerstand des Veneto gewidmeten Denkmäler in den Giardini und am Ufer des Markusbeckens sowie das ehemalige jüdische Ghetto mit einigen seiner fünf Synagogen.

Der Venezianerin Lia Finzi gelang in den Tagen nach der deutschen Besatzung mit ihrem Vater und ihrer Schwester die Flucht aus Venedig in die Schweiz. Selbst aus einer laizistischen Familie stammend – Vater assimiliert, Mutter katholisch, doch nicht praktizierend –, hatte sie ihre jüdischen Wurzeln erst durch die italienischen Rassengesetze 1938 erfahren. Wohl hatte man in ihrer Familie die Entwicklung in Deutschland beobachtet, doch um die zunehmende Repression und die Ausgrenzung jüdischer Menschen in Italien zu erklären, führt sie den hauseigenen italienischen Rassismus und Antisemitismus an. Die italienischen Rassengesetze trügen nicht nur die Handschrift des deutschen Bündnispartners, sondern, so Finzi, diese seien auf die von der italienischen Besatzungsmacht in Äthiopien erlassenen Rassentrennungsgesetze zurückzuführen. Trotzdem habe auch sie wie viele andere Betroffene die Zeit vor der deutschen Besatzung im Herbst 1943 noch immer als erträglich empfunden: „So gingen die Jahre ins Land, mit allen Schwierigkeiten, denen wir ausgesetzt waren. 1940 brach der Krieg aus, der Krieg war furchtbar, nicht nur für uns Juden. Doch wir lebten, trotz aller Einschränkungen, wir lebten.“

Die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex "Frauen im italienischen Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung" erfuhr durch das Zusammentreffen und die Gespräche mit den Zeitzeuginnen eine inhaltliche Vertiefung. Neben der persönlichen Bereicherung durch die menschliche Begegnung waren durch die Analyse der Interviews in den nachträglichen Diskussionen der Seminarteilnehmerinnen weiterführende Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen geschlechtsspezifischer Widerstandsformen sowie über das Sprechen bzw. Schweigen frauenspezifischer (Gewalt-)Erfahrungen gegeben. Konnte zum einen das Wissen über die regionalen sowie politischen Unterschiede durch die Zeitzeugnisse der Protagonistinnen verifiziert werden, mussten sie zum anderen aber auch durch die Anwendung der Kategorie Geschlecht ergänzt und korrigiert werden. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen erfahrungs- und aktengeschichtlichem Quellenbestand wird zudem weiterhin vonnöten sein.

Anmerkungen:
1 Siehe übersetzte Zeitzeugnisse und weitere Infos zum Thema unter: http://www.resistenza.de.
[2] Bravo, Anna; Bruzzone, Anna Maria, In guerra senza armi. Storie di donne. 1940-1945, Roma-Bari 1995.
[3] Associazione Turistica pro Loco Albinea: Villa Rossi. 50° Anniversario della Battaglia (1945-1995), Comune di Albinea, Reggio Emilia 1995.
[4] Vgl. die beiden Artikel von Bellelli, Michele; Vinsani, Lella, Sopravvivere alla guerra. Vita quotidiana a Reggio sotto la RSI, und: Vinsani, Lella, „Quello che c’è da fare, si fa...“ Resistenza e mondo femminile, in: Storchi, Massimo (a cura di), 20 mesi per la libertà. La guerra di Liberazione dal Cusna al Po, Reggio Emilia 2005.
[5] Bobbo, Giulio, Widerstand in der Lagune. Venedig und das venezianische Festland, in: la resistenza. Beiträge zu Faschismus, deutscher Besatzung und dem Widerstand in Italien (3) (= Schriftenreihe des Vereins zur Förderung alternativer Medien), Erlangen 2006, S. 26-27. Zu bestellen unter <http://www.resistenza.de>.


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