Bühne: Realität, Geschichte und Aktualität raumbildender Prozesse

Bühne: Realität, Geschichte und Aktualität raumbildender Prozesse

Organisatoren
Graduiertenkolleg "Automatismen", Universität Paderborn; Universität Bochum
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.07.2011 - 16.07.2011
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Von
David Kaller / Kristin Wenzel, Graduiertenkolleg "Automatismen", Universität Paderborn

Im Zentrum des dreitägigen Symposiums stand die Frage nach raumbildenden Prozessen der Bühne. Anhand von Beispielen aus darstellender wie bildender Kunst und unterschiedlichen theoretischen Annäherungen wurde verhandelt, inwieweit Bühne als Bedingung raumzeitlicher Prozesse gedacht werden kann. Damit einher ging die Frage, ob und bis zu welchem Grad sich die Bühne als ein Werden auf prozessualer Ebene beschreiben lässt – raumbildende Praktiken damit nicht als a priori gegeben gedacht werden können. Als Ansatzpunkt dafür dienten historische und zeitgenössische Raumkonzepte. Diese veranlassten darüber hinaus zu der Frage, wie sich die Bühne und die damit verbundenen Räume in ein Verhältnis setzen lassen, etwa zum Stadtraum, der Öffentlichkeit oder dem Publikum.

BERNHARD WALDENFELS (Bochum) Anliegen war es, die Perspektive einer Phänomenologie des Ortes und des Raumes auf die Bühne als den Ort des (theatralen) Geschehens zu entwerfen. Ausgangspunkt war der Befund der bisherigen Missachtung der Bühne durch die Philosophie, die in einem ersten Schritt beispielhaft (Aristoteles, Hegel) skizziert wurde. In einem zweiten Schritt unternahm Waldenfels den Versuch, diesen Missstand unter Rückgriff auf die oben genannte Phänomenologie zu revidieren. In mehreren Stationen entwarf Waldenfels im Folgenden die Bühne als einen ausgezeichneten Ort, an dem das Undarstellbare zur Darstellung drängt und so im Dazwischen von Text, Schauspielern und Zuschauern etwas Fremdes, Überraschendes zur Entstehung gebracht werden kann. Das Geschehen auf der Bühne entfaltet sich derart im Sinne eines "es spielt", das seine verstreute Wirksamkeit im pathischen Feld der Koaffektion von Schauspielern und Zuschauern entfaltet.

CHRISTOPH RODATZ (Dortmund) stellte in seinem Vortrag sein Konzept des Schnittes durch den Raum dar. Bezeichnet wurde damit ein Wahrnehmungsdispositiv, in dem Situationen einem Beobachter durch eine atmosphärische Diskrepanzerfahrung zugänglich werden. Grundlegender Bezugspunkt im Vortrag von Rodatz war Gernot Böhmes Ausarbeitung des Atmosphärenbegriffs. Räume werden in diesem Rahmen als leibliche Anwesenheit gefasst, in die man auf dreifache Weise involviert ist: handelnd, wahrnehmend und qua Stimmung. Das Theater fasste Rodatz als Raum, in dem eine spezifische Konfiguration dieser Trias auf Dauer gestellt wird.

MARITA TATARIS (Bochum) erkenntnisleitende Annahme war, dass mit dem neuzeitlichen Drama nicht ein Absetzen von der Guckkastenbühne einhergeht, sondern diese vielmehr als Grundlage des neuzeitlichen Dramas gedacht werden muss. Die Guckkastenbühne formuliert die Grundbedingungen für den absoluten Charakter der dargestellten Handlung. In Anlehnung an Hegels Ästhetik, beschreibt Peter Szondi, der einen wichtigen Bezugsrahmen für Tatari darstellte, das neuzeitliche Drama als Akt des ‚Sich-Entschließens zur Mitwelt’. Zur Grundlage wird damit eine reine Gegenwart, in der weder Diesseits noch Jenseits eine Rolle spielen. Damit verbunden, so Tatari weiter, geht ein zweiter wesentlicher Aspekt des neuzeitlichen Dramas einher: es ist absolut; es kennt nichts außer sich und ist von allen Äußerlichkeiten gelöst. Im Kontrast zum antiken Drama stellte Tatari jene Form der Absolutheit nicht als eine Totalitäre, sondern vielmehr als eine rein Ästhetische heraus, als sinnliche Gestalt des Absoluten. Exemplarisch wurde der theoretische Rahmen anhand der ‚Idomeneus-Inszenierung‘ von Jürgen Gosch verfolgt.

NIKOLAUS MÜLLER-SCHÖLL (Hamburg) markierte in Gestalt raumzeitlicher Kipp-Figuren einen möglichen Übergang eines Dispositivs (Guckkastenbühne) in ein anderes (Intermedialität, Interaktivität). Auf der Folie des Dispositiv-Begriffs Agambens stellte er die Frage, wie und ob das Dispositiv der Guckkastenbühnen zu profanieren sei, um letztlich das ‚Unregierbare‘ zum Vorschein zu bringen. Es wurde deutlich, dass in Aufführungen, auch wenn diese bspw. außerhalb bestehender Theaterstrukturen stattfinden oder der Bühnen- und Zuschauerraum zu einem einheitlichen Schauplatz umfunktioniert wird, die dominante Vorstellung der (Guckkasten)bühne nur schwer zu überwinden ist. Dennoch hob Müller-Schöll hervor, dass viele gegenwärtige Inszenierungen im Übergang von einem Dispositiv in ein anderes, im sogenannten Kippmoment, den Blick auf Anordnung und Strukturen diverser Bühnenprozesse (im Sinne von bspw. szenografischen Strategien, Herstellung des Bühnenraumes, etc.) eröffnen. Auf diese Weise, so Müller-Schöll schließlich, werden die Grenzen und Konventionen des Guckkastendispositivs verhandelbar.

Das Regie- und Autorenduo HANNAH HOFMANN und SVEN LINDHOLM (beide Köln) stellte eine Auswahl ihrer interdisziplinär angelegten Projekte vor. Seit dem Jahr 2000 arbeiten sie in Zusammenarbeit mit Schauspielern, Künstlern und Amateuren an der Schnittstelle zwischen darstellender und bildender Kunst. In vielen ihrer Projekte beziehen sie sich auf den öffentlichen Raum und untersuchen dessen Verhältnis zum Privaten. Die Eingriffe sind häufig kaum sichtbar, wenn etwa Objekte wie ein Straßenschild oder Bücher einer Bibliothek bis ins kleinste Detail nachgeahmt und durch das Original ersetzt werden. Ihre Arbeiten greifen dahingehend Fragen möglicher Aneignungen, Nutzungen und individueller Besetzungen öffentlicher Räume und dessen Repräsentationen auf.

ANDRÉ EIERMANN (Frankfurt am Main/Gießen) illustrierte die Dehnbarkeit des Bühnenbegriffs anhand von Beispielen aus dem postspektakulären Theater. Die Projekte „Desert Walker“ der Gruppe Motherboard und „The Plastic“ von International Festival konstruieren, so Eiermann, Bühnen für den Blick des Symbolischen. Dabei setzen diese sich kritisch mit dem evozierten Phantasma des panoptischen Über-Blicks auseinander und entlarven seine prinzipielle Unmöglichkeit und notwendige Inkonsistenz. Die Dokumentation der für menschliche Zuschauer unüberschaubaren raumbildenden Prozesse verweise auf die Existenz blinder Flecken und inszeniere auf diese Weise die Freiheit des Subjekts.

JÖRN ETZOLD (Gießen/Bochum) diskutierte in seinem Vortrag den Begriff der Bühne als Metapher zur Strukturierung von Einheit in der politischen Philosophie. Zeitgleich zur Veränderung der Theaterbühne in der Neuzeit, so seine These, verschiebe sich auch dessen begrifflicher Gebrauch. In Bezug auf Hobbes Leviathan skizzierte er die Bühne als Einheit des Mannigfaltigen in der Einheit des Repräsentanten. In Rousseaus Gesellschaftsvertrag sei die Bühne als Einheit der Repräsentation vorgängig gedacht, wohingegen er am Beispiel Marx eine Verabschiedung vom Bühnenmodell vorführte. Die Metapher der Bühne verband sich so mit der Frage, wie auf räumlicher Ebene eine Sichtbarkeit des Volkes produziert wird und unter welchen Bedingungen deren jeweiligen Akteure in Erscheinung treten.

MARTINA LEEKER (Berlin) beschäftigte sich mit der Entkopplung von Theater und Wirklichkeit seit etwa 1900. Paradigmatisch für diese Wende im Theater, die im Zusammenhang mit dem logischen Formalismus steht, seien die Arbeiten von Edward Gordon Craig. In der Freisetzung der originären Mittel des Theaters – Theater als Raumkunst – sollen künstliche Welten geschaffen werden. Ähnlich jenen ‚Welten’ der sich zeitgleich entwickelten formalen Logik, die die Mathematik als selbstbezogenes System aufbaut, bedürfen die künstlichen Theaterräume, so Leeker, nicht länger der Überprüfung durch die Wirklichkeit. Der menschliche Akteur wird dadurch zunehmend von der Selbstorganisation der künstlichen Welten abgelöst. In den computergenerierten Räumen findet das Theater schließlich seine Fortsetzung. Die Priorisierung eines solchen Raumes zeige, wie das Verhältnis zwischen Mensch und den ihm umgebenden Raum verhandelt werden kann.

NICOLA SUTHOR (Heidelberg) stellte in ihrem Vortrag die Bedeutung der unteren Bildkante in der frühneuzeitlichen Malerei und Graphik für das Bild-Betrachter-Verhältnis heraus. Sie veranschaulichte ihre These anhand zahlreicher Darstellungen, die eine räumliche Distanz zum Bildgeschehen einführen. Gräben und Felsvorsprünge trennen den Betrachter vom abgebildeten Geschehen, Treppenaufgänge zwingen ihn aus der perspektivischen Untersicht zum Hinaufschauen. In der kunsthistorischen Rezeption wurde dieses kompositorische Element weitgehend unter dem Vorzeichen christlicher Devotationspraxis gelesen. Diese Rezeption, so Suthor, unterband jedoch zugleich die Vielfältigkeit der Distanznahme zwischen Betrachter und Bild. Unter kritischem Bezug auf Ernst Michalskis Begriff der „Ästhetischen Grenze“ hob sie nicht nur die Mehrdeutigkeit dieses Schwellenraums hervor, sondern verband diesen auch mit der räumlichen Organisation der Bühne.

SEBASTIAN KIRSCH (Bochum) untersuchte die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Bühnen(formen) und Warenhaus bzw. Shopping-Malls. Die Urform für das Warenhaus sei, so Kirsch, im barocken Raum und dessen epistemischen Umbrüchen zu finden. Die theoretische Rahmung der Analyse bildeten Befunde von Foucault (Ablösung des Ähnlichkeitsdenkens), Deleuze (Deterritorialisierung) und Benjamin (Ausfall aller Eschatologie). Den Ausgangspunkt setzte Krisch in einer Beschreibung der Villa Pallagonia in Goethes ,,Italienischer Reise“. Bezogen auf den Lacanschen Begriff des Begehrens lässt sich dieser Prototyp einer barocken Sammelpraxis mit dem Raum der barocken Kulissenbühne vergleichen, wie sie von Andrea Pozzo um 1700 systematisch beschrieben wurde. Vor dieser historischen Folie verglich Kirsch gegenwärtige Theaterinszenierungen mit den Prinzipien der zeitgenössischen Shopping-Malls. Beides wäre in dieser Perspektive Ausdruck eines Umbruchs von der Kontroll- zur Disziplinargesellschaft.

Der Vortrag von BIRGIT WIENS (Berlin/München) verhandelte Reaktionen des Theaters auf die durch Digitalmedien und Internet veränderte kulturelle Ordnung des Raums, die als spatial turn diskutiert werden. Wiens legte den Medienbegriff von Sibylle Krämer anhand der Figur des Boten zugrunde und ergänzte ihn um eine Phänomenologie des Theaters. Verschiedene von ihr als Beispiele herangezogene Inszenierungen (unter anderem Rimini Protokolls „Breaking News“) experimentieren mit der Verschränkung von szenographischen und telematischen Nah- und Fernräumen im Rahmen einer intermedialen Szenographie. Dabei entstehen nach Wiens hybride Konfigurationen, die Tele-Präsenz und Liveness auf der Bühne des Theaters erfahrbar machen und reflektieren.

Zentrales Moment der Performance Lecture „Spaces and Siutationes. Some Methods“ der Performance-Künstlerin und Regisseurin CLAUDIA BOSSE (Wien) und des Sound- und Medienkünstlers GÜNTHER AUER (Wien) war die Relation von gesprochenem Wort und Raum. Simulierte und von unterschiedlich platzierten Lautsprechern wiedergegebene Auszüge verschiedener Aufführungen vermengten sich mit unmittelbar vor Ort verlesenem Text. Das Sprechen sollte hinsichtlich Ort, Körper und einer ihm eigenen Richtung erprobt und befragt werden. Der Ort selbst wurde in dieser künstlerischen Auseinandersetzung zur Verhaltensdramaturgie für kollektiv hergestellte Erfahrungs- und Denkräume. „Some Methods“, wie Bosse und Auer ihre Performance im Untertitel nannten, wurde abgerundet durch die Vorstellung verschiedener Arbeiten, die alle davon gezeichnet waren, unterschiedliche Raummodelle in Bezug auf Körper, Zeit und Situation zu erproben. Beispielhaft hierfür waren unter anderem „Die Perse“, „palais donaustadt“, „vampires of the 21st century“ oder „bambiland09“.

Unter dem Titel „Akustische Räume, Archiv und Imagination“ hoben CLAUDIA BOSSE und GÜNTHER AUER im zweiten Künstlergespräch den Schwerpunkt theatraler Raumerforschung hervor. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Raum, der zwischen Text und Sprechen entsteht – Verräumlichung durch Sprache. Sprechen, so Bosse, habe einen Ort, einen Körper und eine Richtung. Dabei sei der theatrale Raum zunehmend von einer weiteren Form des Sprechens bestimmt: der Dislokation der Sprache durch elektronischen Sound. In der Dislokation der Stimme zeige sich die Bedeutung des Ortes des Sprechens in Relation zur Verortung des eigentlichen Körpers unter veränderten Prämissen. Raum könne also nicht als ein in sich geschlossenes einfaches Gebilde verstanden werden. Vielmehr sei Raum als Verschachtelung unterschiedlicher Räume zu verstehen. Sprache fungiere dabei stets als ‚Instrumentarium‘, dem es möglich scheint, mittels differenter Punkte im Raum, eben diesen zu vermessen und auszuloten, um selbst wieder neue Räume zu schaffen.

HANS-CHRISTIAN VON HERRMANN (Berlin) eröffnete seinen Vortrag mit einer Lektüre von Brechts theoretischen Überlegungen zum Theater. Dessen Auffassung, so seine These, sei in den 1930er- und 1940er-Jahren statistisch-probabilistisch geprägt. Die Bühne erhalte demnach analog zur Modellbildung in den Natur- und Technikwissenschaften die Aufgabe, menschliches Verhalten als einen raum-zeitlichen Prozess zu simulieren. Ausgehend von dieser Rezeption hob der Vortrag vom Regelwerk des Bühnenraums auf die Raumkonstruktionen früher 'Ego-Shooter' im Computerspiel ab. Diese Verbindung führte von Herrmann schließlich mit Bezug auf den Gewöhnungsbegriff und Walter Benjamins Ausführungen zum Taktilen aus.

In Anlehnung an Derridas Re-Lektüre des platonischen Topos ‚chora’ fragte MEIKE HINNENBERG (Bochum), inwiefern die Bühne als Ausstreichung gedacht werden kann. In ihrem Vortrag setzte Hinnenberg ‚chora’ in Bezug zum Ort der Bühne, den sie als doppelten verhandelte. So stellte Hinnenberg in Bezug auf raumbildende Praktiken die Frage, wie Statthaben und Stattgeben der Bühne zusammenhängen. Daran anschließend verhandelte sie die Frage, wie die Bühne als Ort gedacht und wie von ihr aus gesprochen werden kann? Exemplarisch problematisierte Hinnenberg ihre theoretische Grundlage am Beispiel von Moers in einem Gefängnis aufgeführten Inszenierung „Hotel Europa“.

Veranstaltet und organisiert wurde das Symposium unter anderem vom Graduiertenkolleg ‚Automatismen’ der Universität Paderborn. Die Diskussion hob daher auch auf das Verhältnis von Automatismen, als Prozesse ungeplanter Strukturentstehungen, und der Bühne als möglicher Konstruktion eines sich automatisch generierenden Raumes ab. Wesentlich dabei erschien die Bühne verstanden als Geschehen, das Raum und Zeit in Form emergenter Strukturen hervorbringt. Unter dem Aspekt der Entautomatisierung wurden Prozesse diskutiert, die die Grenzen des Automatismen-Konzepts markierten und die Frage nach der Bühne und ihren Räumen über die Irritation gewohnter Wahrnehmungsmuster und damit einhergehend Aspekten der Subjektkonstitution und Körperlichkeit in den Vordergrund stellten.

Die Diskussion hat deutlich werden lassen, dass gegenwärtige Betrachtungen des Theaters, seien sie ästhetisch oder erkenntnistheoretisch, medientheoretisch oder gesellschaftswissenschaftlich motiviert, den Raum der Bühne häufig unberührt lassen. Die einzelnen Vorträge haben die Vielschichtigkeit offenkundig werden lassen, mit der die Räume der Bühne gefasst werden können. Aus dieser Pluralität lassen sich drei Themenkomplexe hervorheben:

Ein erster Schwerpunkt raumbildender Praktiken entfaltete sich aus der Perspektive subjektimmanenter Wahrnehmungsdiskurse. Aus der Interdependenz von Leibkörper und Bühne erwächst ein konstitutiver Zwischen(raum), der bestimmt ist von einem Moment des Undarstellbaren. Raum entsteht aus dieser Perspektive im Zwischen von Text, Schauspieler und Zuschauer. Als Fremdes oder Überraschendes übersteigt gerade das Undarstellbare die Kontrolle des Einzelnen und wirkt aufgrund dieser konstitutiven ‚Be-Fremdung’ raumbildend im Sinne eines übergreifenden leiblichen Resonanzraumes. Jener konstitutive Zusammenhang raumbildender Prozesse und die Frage nach dem (leiblichen) Subjekt bildete damit ein erstes Fazit.

Zweitens zeigte sich, dass raumbildende Prozesse der Bühne einen engen Bezug zur Konstitution von Öffentlichkeit besitzen. Mit der räumlichen Organisation der Bühne verband sich die Frage nach der Produktion von Sichtbarkeit und unter welchen Bedingungen deren jeweiligen Akteure in Erscheinung treten. So wurde die Bühne nicht als statische Einheit betrachtet, die Sichtbarkeiten immer schon ermöglicht, sondern diese werden auf räumlicher Ebene über Markierungen von Orten und dessen Besetzungen erst hervorgebracht. Dahingehend wurde auch der Begriff der Bühne hinsichtlich seiner metaphorischen Bedeutung als räumliche Strukturierung kollektiver Einheit thematisiert.

Drittens wurde deutlich, dass sich mit der medialen Erweiterung der Bühne auch ihre räumliche Ordnung verschiebt. Dies lässt sich bereits in der Dislokation der Stimme über den Lautsprecher erkennen, da sich hier das Sprechen auf andere Weise als der damit verbundene Körper verortet und auf den Raum verlagert. Diese Ausweitung und Verschachtelung unterschiedlicher Räume führt insbesondere über den Einsatz von Digitalmedien und dem Internet zu einer veränderten räumlichen Ordnung der Bühne. Es zeigte sich jedoch auch, dass trotz ihrer technischen und medialen Erweiterung und der Veränderung ihrer räumlichen Struktur das Dispositiv der Guckkastenbühne nur schwer veränderbar ist.

Die versammelten Auseinandersetzungen markieren einen ersten Ausgangspunkt, Bühne nicht schlicht vorauszusetzen, sondern ihr im wahrsten Sinne des Wortes, einen eigenen Raum – auf theoretischer wie kunstimmanenter Ebene – zu gewähren. So bleibt für die Zukunft zu hoffen, dass sich weitere Tagungen und Publikationen dem Raum der Bühne widmen, da deutlich wurde, wie ergiebig einerseits und wie wenig aufgearbeitet andererseits die Bühne und die mit ihr verbundenen räumlichen Prozesse sind.

Konferenzübersicht:

Bernhard Waldenfels (Bochum): Die Bühne als Brennpunkt des Geschehens

Panel 1: Zwischen-Räumlichkeit

Christoph Rodatz (Dortmund): Der Schnitt durch den Raum als Wahrnehmungskonstellation

Marita Tatari (Bochum): Bühne des Dramas. Primäre Exposition und Raum ästhetischer Erfahrung

Nikolaus Müller-Schöll (Hamburg): Raum-zeitliche Kippfiguren. Endende Räume in Theater und Performance der Gegenwart

Panel 2: Immaterielle Räume

Künstlergespräch mit Hofmann&Lindholm (Köln): Über Privatisierungen des Öffentlichen und Pre-Enactment

André Eiermann (Frankfurt am Main/Gießen): „Beyond the scope of human vision“. Bühnen für andere Blicke

Panel 3: Endende Räume

Jörn Etzold (Gießen/Bochum): Die Bühne des Souveräns

Martina Leeker (Berlin): Theater als Raumkunst. Aspekte ihrer Wissens- und Technikgeschichte

Nicola Suthor (Heidelberg): (Theater)Gräben. Die untere Bildkante in der Malerei der Frühen Neuzeit

Sebastian Kirsch (Bochum): Schauanlage und Schauauslage. Zur Geschichte von Bühnenraum, Subjekt und Warenform

Birgit Wiens (Berlin/München): Verkabelte Bühnen. Liveness, Fernräumlichkeit und Tele-Präsenz

Claudia Bosse (Wien): Performance-Lecture: Spaces and Situations. Some Methods

Panel 4: Bühnen Politiken

Künstlergespräch mit Claudia Bosse (Wien) und Günther Auer (Wien): Akustische Räume, Archiv und Imagination

Hans-Christian von Herrmann (Berlin): Fenster, Tür und Labyrinth – vom perspektivischen zum digitalen Spiel-Raum

Meike Hinnenberg (Bochum): Ausstreichung der Bühne. Überlegungen zum Ort der Bühne im Anschluss an Derridas 'chora'


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