Antike Eliten im Vergleich

Antike Eliten im Vergleich

Organisatoren
Elke Stein-Hölkeskamp, Münchner Zentrum für Antike Welten; Graduiertenschule Distant Worlds, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.07.2017 - 14.07.2017
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Von
Katja Kröss, München

Dass die Altertumswissenschaften sich mit Eliten beschäftigen, liegt sowohl angesichts von deren gesellschaftlicher, politischer und intellektueller Bedeutung als auch aufgrund der Quellenlage auf der Hand. Eine Auseinandersetzung mit antiken Eliten vor dem Hintergrund soziologischer und politologischer Studien ist jedoch ein Trend der jüngsten Zeit.1 Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten Elke Stein-Hölkeskamp und Karl-Joachim Hölkeskamp. Neben Stein-Hölkeskamps Vortragsreihe als Gastprofessorin für Kulturgeschichte des Altertums am Münchner Zentrum für Antike Welten zu aristokratischen Lebenswelten von der Republik zur Kaiserzeit ist hierbei insbesondere der gemeinsam verfasste Festvortrag anlässlich der Verleihung des Karl-Christ-Preises hervorzuheben: In „Ethos – Ehre – Exzellenz. Antike Eliten im Vergleich“, so der Titel des Vortrags, der in Kürze in Buchform erscheinen wird, reflektieren sie die theoretischen Grundlagen, die einen Vergleich von Eliten verschiedener Kulturräume und Epochen erst ermöglichen.2 Mit der Organisation der Tagung ging Stein-Hölkeskamp nun einen Schritt weiter und führte Wissenschaftler, die zu verschiedenen Epochen des Altertums – vom Assyrischen Reich bis zur Spätantike – arbeiten, zusammen, um eben diesen Vergleich zu unternehmen.

Die für einen komparatistischen Ansatz nützlichen Konzepte und Kategorien stellte ELKE STEIN-HÖLKESKAMP (München / Duisburg-Essen) programmatisch in ihrer Einführung vor. Dazu gehört erstens die Entscheidung für die moderne soziologische Kategorie ‚Elite‘, die darin begründet liegt, dass ‚Elite‘ gegenüber den in den Altertumswissenschaften meist synonym verwendeten verwandten Begrifflichkeiten (Oberschicht, Adel, Aristokratie, oberste Klasse) unbelastet ist.3 Stein-Hölkeskamp betonte jedoch, dass nicht die terminologischen Schwierigkeiten, sondern Fragen grundsätzlicherer Natur die Diskussion um antike Eliten bestimmen sollten, und führte in diesem Zusammenhang zwei weitere Kategorien ein: diejenige des Vorzüglichkeits- oder Distinktionsmerkmals sowie diejenige der Prominenzrolle. Als überaus hilfreiche Konzepte nannte sie dann die Feld- und Habitustheorie Pierre Bourdieus sowie Georg Simmels Konzept der Konkurrenz als positiver, vergesellschaftender Kraft, als „sozialer Handlungsmodus“.4 In ihrem Vortrag führte Stein-Hölkeskamp dies schließlich am Beispiel der Eliten der Archaik aus. Sie waren dadurch charakterisiert, dass sie sich gerade nicht als Gruppe verstanden und dass die Vorzüglichkeitsmerkmale individuell und kompetitiv unter Beweis gestellt werden mussten. Die Hierarchie innerhalb der Vorzüglichkeitsmerkmale sei dabei relativ gewesen: Wenn es, wie in der Archaik, zu Veränderungsprozessen räumlicher, sozialer und/oder politischer Natur komme, bringe dies für die Eliten die Herausforderung mit sich, sich den neuen Regeln und Feldern anzupassen und gleichzeitig ihre Gestaltungsmacht beizubehalten. Dies wiederum führe zu neuartigen Prominenzrollen: in der archaischen Zeit etwa zu jener des Führers des Volkes, der mit seinen rhetorischen Fähigkeiten überzeugen musste.

Dass sich Zeiten politischen und gesellschaftlichen Umbruchs besonders gut eignen, um Eliten, ihre Zusammensetzung und ihre zentralen Distinktionskriterien zu fassen, wurde auch in den weiteren Vorträgen deutlich. Die Forcierung neuer Eliten thematisierten dabei Karen Radner und Francisco Pina Polo. KAREN RADNER (München) zeigte, dass der politische Wandel Assyriens im 9. Jahrhundert vor Christus (die „Erfindung von Assyrien“) auch deshalb gelang, weil der König zur Absicherung seiner Herrschaft „social engineering“ betrieben habe. Er habe auf der einen Seite den früheren Einfluss der alten, städtischen („internen“) Eliten, mit denen sich eine Beziehung anspruchsvoller gestaltet hätte, unter anderem durch Umsiedlungsstrategien weitgehend gebrochen und sich auf der anderen Seite als ersten und wichtigsten Pfeiler eine allein ihm verpflichtete neue „Reichselite“ geschaffen: Eunuchen, die bereits in jungen Jahren an den Hof gekommen waren, folglich allein eine höfische Sozialisation erfahren und von weiteren Abhängigkeiten unbelastet das Reich für ihn zu regieren vermocht hätten. Als zweiten Pfeiler habe er sich durch eine Anreizpolitik der Loyalität einer „externen Elite“ versichert: Klientelkönigen, die seine Legitimität nicht zuletzt gegenüber ihren eigenen Leuten verteidigt hätten, sowie anderer, etwa nobler Familien, die an den Hof und vor allem in seine Armee gewechselt seien.

Eine ähnliche Taktik fuhren die Triumvirn in der späten römischen Republik, wie FRANCISCO PINA POLO (Zaragosa) überzeugend berichtete: Durch die Zweckentfremdung des Suffektkonsulats, das von einer Notlösung zur festen Institution, zum Preis für ihnen loyale, nach dem mos nicht für den Konsulat qualifizierte Anhänger wurde, hätten sie eine neue, von ihrer Gunst abhängige Elite geschaffen. Unabhängig davon, ob sich die karrieretechnische Abkürzung für derartige Newcomer als Sackgasse (häufig) oder (seltener) als Sprungbrett erwiesen habe, die anvisierten Ziele hätten die Triumvirn mit diesem mächtigen Instrument erreicht: Die alte, ihnen nicht auf dieselbe Weise verpflichtete Elite sei ebenso geschwächt worden, wie die bisher mächtigste reguläre Magistratur zugunsten der neuen Potentaten an politischem Gewicht eingebüßt habe. Es ist die Vorgeschichte zum nächsten Kapitel der römischen Geschichte: dem Prinzipat, in dem Distinktion primär über Kaisernähe erfolgen sollte.

Dass eine solche Nähe nicht einseitig als Machtinstrument der Kaiser zur „Nobilisierung von Aufsteigern und Domestizierung der Geburtselite“ zu betrachten sei, sondern ebenso als wichtige integrative Kraft, betonte STEFAN REBENICH (Bern). In der Spätantike sei sie zudem zwar Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur sozialen Elite geblieben, jedoch keineswegs das einzige Vorzüglichkeitsmerkmal gewesen. Neben bereits früher wichtigen Distinktionskriterien wie Bildung (zentral für die Erlangung bestimmter Funktionen am Hof), der Beherrschung verbindlicher Kommunikationsformen (zur Formung von amicitia als Zweckbündnis und dadurch zur Integration neuer Eliten) und sozialen Netzwerken, die bis in die Peripherie reichten (mittelbare Nähe zum Zentrum der Macht, von den Theologen auch auf den Bereich des Kosmos übertragen), brachte die Durchsetzung des Christentums selbst neue Distinktionskriterien und damit neue, christliche Eliten hervor. Die Verbindung von (auch erfundener) Tradition mit Herkunft, wie sie Karl-Joachim Hölkeskamp mit der Multimedialität für die römische Republik beschrieb, funktionierte in der Spätantike über die Christianisierung von Stemmata als Vorzüglichkeitsmerkmal. Und schließlich ließen sich über das Kriterium der Nähe zu Gott unter anderem die von Peter Brown als „holy men“5 beschriebenen Eremiten des 4. und 5. Jahrhunderts nach Christus, die sich nicht ohne Weiteres in das Ordo- und das klerikale Ämter-System integrieren lassen, als Elitengruppe fassen. Verschiedene Formen der Distinktion hätten folglich zu einer Elitenpluralität geführt: zu inhomogenen Gruppen, die nicht zu einer Elite im Singular homogenisiert werden dürfen.

Zu welchen Paradoxien Elitenpluralität führen kann, schilderte anschaulich HENRY HEITMANN-GORDON (München) in seinem Vortrag über die „intermediäre Elite“ zwischen Polisgesellschaft und neu entstehenden Königshöfen in der Zeit des Übergangs von griechischer Klassik zum Hellenismus. Waren die königlichen Philoi, die neu entstandene Elite (Distinktionsmerkmale: Nähe zum Herrscher, Leistung), im offiziellen Diskurs der Ehrenmonumente der Poleis Helden, wurden ihre Distinktionsmerkmale im literarischen Diskurs ins Gegenteil (Geld, Sex, Gewalt) verkehrt: Sie wurden dort nicht nur zu Antibürgern, sondern zu Monstern gemacht, die ob ihres asozialen Verhaltens außerhalb jeder Gesellschaft standen. Damit sei dreierlei bewirkt worden: die Verschleierung der Inkompatibilität der beiden „Welt-“ respektive „Wertordnungen“ sowie der Brüche innerhalb derselben, dadurch gleichzeitig die Stabilisierung ihrer Gesellschaften und Eliten – aber ebenso die individuelle Profilierung, sprich Distinktion, des in der Polis aktiven Autors entsprechender Texte als ‚wahren‘ Mitglieds der Elite.

Wie zentral mediale Strategien von Distinktion waren, hob auch KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP (Köln) am Beispiel dreier Generationen der Claudii Marcelli für die mittlere Republik hervor. Trotz des berühmten Großvaters gehörte die plebejische Familie nicht zur Crème de la Crème der römischen Senatorenschaft: Der fünffache Konsul, Gewinner der spolia opima, Eroberer von Syrakus und ‚Schwert von Rom‘, war nicht nur der Erste seiner Gens, der es zu Rang und Ansehen brachte, seine Nachkommen konnten auch nicht mit ihm gleichziehen. Nichtsdestoweniger – oder vielleicht gerade deswegen – habe das die drei Marcelli und insbesondere den Sohn nicht davon abgehalten, in dem nach dem Zweiten Punischen Krieg einsetzenden medialen Wettrüsten um die in Quantität und Qualität bestmögliche Selbstdarstellung ganz vorne mitzumischen. Sie waren „auf allen Kanälen“ präsent, Trendsetter, etwa in der „Internationalisierung der Selbststilisierung“, und reizten die Möglichkeiten des self-fashioning bis zur Grenze des Zulässigen und Akzeptierten aus. Mit Erfolg: Es gelang ihnen, die Erinnerung an einen der berühmtesten Feldherrn Roms zu verstetigen, in das kollektive Gedächtnis einzubrennen und sie damit in symbolisches Kapital umzuwandeln.

Einen anderen, nicht minder wichtigen Ansatz wählte schließlich HANS BECK (Montreal), der Elitenpluralität unter dem Aspekt des Raumes betrachtete. Ausgehend von der Prämisse, dass die Eliten des klassischen Griechenlands „Netzwerkagenten“ eines vernetzten Mittelmeerraums waren, fragte er nach der Bedeutung des lokalen, alltäglich sicht- und erfahrbaren Raums 6 für diese „Vernetzungseliten“. Am Beispiel dreier Poleis einer Region – Korinth, Megara und Sikyon – legte er überzeugend dar, dass die griechischen lokalen Eliten bei aller horizontaler Vernetzung um einiges lokaler gewesen seien, als allgemein angenommen werde. Soziales Handeln folge sozialen Prädispositionen. Dessen Ursprung liege demnach in der lokalen Sozialisation, anders: der „sozialen Identität“. Gleichzeitig lebe diese von der – insbesondere regionalen – Vernetzung: Die kulturelle Konkurrenz zwischen den einzelnen Poleis und deren Eliten sei der Schlüssel für lokale Diskursräume.

In dem von MARTIN ZIMMERMANN (München) geleisteten Resümee und der darauffolgenden Diskussion wurden abschließend nicht nur zentrale, antiken Eliten gemeinsame und in den Vorträgen bereits explizit angesprochene Aspekte hervorgehoben (Elitenpluralität respektive Parallelität von Eliten, Bedeutung des politischen Systems für die Elitenzusammensetzung, Relativität von Distinktionsmerkmalen). Im „Stress“, dem enormen Druck und den ebensolchen Anstrengungen, denen (wohl nicht nur antike) Eliten ausgesetzt waren, wurde vielmehr ein weiteres verbindendes Element gefunden. Bereits für den Aufstieg in die Elite wurde ‚Eintrittsgeld‘ fällig, der erworbene Elitenstatus blieb jedoch prekär: Die Individuen mussten sich ständig bewähren, um ebenso ständige, ubiquitäre Präsenz in Wort und Raum besorgt sein – und sahen sich kontinuierlich mit sich verändernden Feldern und Prominenzrollen konfrontiert.

Im Mittelpunkt des im Rahmen der Tagung angestrebten ersten allgemeinen Vergleichs antiker Eliten standen somit vor allem deren Gemeinsamkeiten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Organisatorin wie Teilnehmer weiterhin unter einem komparatistischen Ansatz mit der Thematik beschäftigen und damit unsere Kenntnisse über gesellschaftliche Strukturen in der Antike vertiefen. Als lohnenswert dürfte es sich erweisen, dann gezielt einzelne Aspekte unter die Lupe zu nehmen, die strukturelle Gemeinsamkeiten wie Unterschiede noch besser erkennen lassen sollten. Mit „Stress“ ist eine sehr spannende Thematik bereits gefunden.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung
Elke Stein-Hölkeskamp, (München / Duisburg-Essen)

Karen Radner (München): Assyrian Empire Builders: Eliten im neuassyrischen Reich (9.-7. Jh. v. Chr.)

Diskussionsleitung: Katja Kröss

Elke Stein-Hölkeskamp (München / Duisburg-Essen): Die Schönen, die Guten und die Mächtigen: Eliten im archaischen Griechenland

Diskussionsleitung: Cornelia Hartmann

Hans Beck (Montreal): Wie lokal waren die lokalen Eliten im antiken Griechenland?

Diskussionsleitung: Claudia Horst

Henry Heitmann-Gordon (München): Zwischen Monster und Gott: Die Elite der Diadochenzeit im Wandel

Diskussionsleitung: Sophia Bönisch-Meyer

Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln): Die Erfindung der Multimedialität: das self-fashioning der Claudii Marcelli

Diskussionsleitung: Verena Schulz

Francisco Pina Polo (Zaragosa): Undistinguished crew: The consuls suffecti in the triumviral age

Diskussionsleitung: Dominik Schenk

Stefan Rebenich (Bern): pars melior humani generis – zur Distinktion spätantiker Eliten

Diskussionsleitung: Alexander Free

Resümee
Martin Zimmermann (München)

Anmerkungen:
1 Michael Meißner / Katarina Nebelin / Marian Nebelin (Hrsg.), Eliten nach dem Machtverlust? Fallstudien zur Transformation von Eliten in Krisenzeiten (Impulse 3), Berlin 2012; Lennart Gilhaus u.a. (Hrsg.), Elite und Krise in antiken Gesellschaften / Élites et crises dans les sociétés antiques (Collegium Beatus Rhenanus 5), Stuttgart 2016. Vgl. Fabian Goldbeck, Current Concepts for the Study of Elites (Abstract zur Konferenz Integration and Diversity in the Culture and Religions of Late Antiquity. University of Tennessee, Knoxville, May 21–24, 2009), http://www.la-network.org/uploads/pdf/Goldbeck_Abstract.pdf (24.10.2017); Alexander Puk, Das römische Spielewesen in der Spätantike, Berlin 2014, S. 15–18.
2 Elke Stein-Hölkeskamp, Rang und Stil alla Romana. Aristokratische Lebenswelten von der Republik zur Kaiserzeit (in Vorbereitung für die Reihe: Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten, Berlin); Karl-Joachim Hölkeskamp / Elke Stein-Hölkeskamp, Ethos – Ehre – Exzellenz. Antike Eliten im Vergleich (Karl-Christ-Preis für Alte Geschichte 3), Heidelberg (angekündigt für Dezember 2017) – hier auch Hinweise auf weitere Literatur.
3 ‚Oberschicht‘: Divergenz zwischen Ansehen und Rang; ‚Adel‘: Reminiszenz an neuzeitliche Monarchien; ‚Aristokratie‘: ideologisch hochgradig aufgeladene Selbstbezeichnung; ‚oberste Klasse‘: ökonomische Parameter.
4 Karl-Joachim Hölkeskamp, Konkurrenz als sozialer Handlungsmodus – Überlegungen zu Konzepten, Kategorien und Perspektiven für die historische Forschung, in: Ralph Jessen (Hrsg.), Konkurrenz in der Geschichte. Praktiken – Werte – Institutionalisierungen, Frankfurt am Main 2014, S. 33–57.
5 Peter Brown, The Rise and Function of the Holy Man in Late Antiquity, in: The Journal of Roman Studies 61 (1971), S. 80–101; Peter Brown: Authority and the Sacred. Aspects of the Christianisation of the Roman World, Cambridge 1995, S. 55–78.
6 ‚Lokal‘ (Polis) versteht Beck in Abgrenzung zu ‚regional‘ (Ethnos) und ‚überregional‘ (jenseits von regional).


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