Planstädte zur Zeit der Aufklärung

Planstädte zur Zeit der Aufklärung

Organisatoren
Ulrich Hofmeister, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien; Kerstin S. Jobst, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
26.10.2017 - 28.10.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Ninja Bumann / Egor Lykov, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

Die von Ulrich Hofmeister und Kerstin S. Jobst organisierte Konferenz behandelte aus einer pan-europäischen Perspektive Planstädte im späten 17. und 18. Jahrhundert. Ausgehend von der Annahme, dass viele Stadtgründungen sowohl in Europa als auch in überseeischen Kolonien zu dieser Zeit der Erschließung neu eroberter oder dünn besiedelter Gebiete dienen sollten und diese ein Ausdruck der vorherrschenden Überzeugung gewesen seien, gesellschaftliche Entwicklungen berechnen und planen zu können, widmete sich die Konferenz folgenden Fragen: Welche Funktionen wurden einer Planstadt zugeschrieben? Wie verliefen Planung und Bau und nach welchen Konzepten wurde eine Stadt entworfen? Welchen Traditionen folgten die Neugründungen? Inwiefern wurde die Besiedelung geplant? Und welche weiteren Entwicklungen geschahen nach der Stadtgründung?

Gleich zu Beginn der Konferenz lieferte ULRICH HOFMEISTER (Wien) folgende Definition von Planstädten: Bei einer Planstadt würden die Lage, die Bebauung sowie die Bevölkerung in der Planung berücksichtigt, wobei nicht zwingend alle drei Kriterien erfüllt sein müssten, damit eine Gründung als Planstadt gelten könne. Das entscheidende Charakteristikum einer Planstadt sei allerdings, dass schriftliche Pläne ausgearbeitet wurden, auch wenn die geplante Siedlung schließlich nicht so umgesetzt wurde. PETER JOHANEK (Münster) merkte in seiner Keynote Lecture an, dass eine Planstadt nicht nur durch formale Merkmale, sondern auch durch ein spezifisches Konzept einer bestimmten Lebensordnung geformt würde. Dabei betonte er, dass bereits im Mittelalter Städte nach einem bestimmten Grundriss gestaltet worden seien und somit eine Kontinuität von den mittelalterlichen Planstädten bis in die Neuzeit hinein bestehe. Die häufigen Gegenüberstellungen von Planstädten der Neuzeit und den (vermeintlich) „natürlich gewachsenen“ Städten des Mittelalters seien daher nicht haltbar.

Dass Planstädte wandelbar sind, zeigte der Vortrag von THOMAS WENDEROTH (Bamberg), in welchem mehrere Entwicklungsstufen der Planstadt Erlangen vorgestellt wurden. Erlangen sei zunächst für aus Frankreich geflohene Hugenotten gebaut worden, welche die Gewerbeproduktion beleben sollten. Mit dem Schlossbau des Markgrafen habe sich die Stadt dann zur Residenzstadt gewandelt und später zur Universitätsstadt, gleichzeitig habe sich die Wirtschaft vom Manufaktur- zum Verlagswesen hin orientiert.

Eine gewisse Wandelbarkeit erfuhr das Konzept der europäischen Planstädte auch in den kolonialen Stadtgründungen der europäischen Handelskompanien in Asien: So ließen sich diese Städte laut JÜRGEN G. NAGEL (Hagen) einerseits in die Tradition der europäischen Aufklärung stellen, indem die Städte nach europäischen Mustern gebaut seien, andererseits sei der Einfluss der asiatischen Siedlungsstrukturen, in denen es weder Stadtmauern noch Stadtrecht gab, nicht von der Hand zu weisen.

Wie die Konferenzbeiträge darlegten, konnten verschiedene Ursachen die Gründung einer Stadt hervorrufen. Zum einen konnte die Zerstörung einer bestehenden Stadt, etwa durch ein Erdbeben, einen Sturm oder einen Brand, zur Gründung einer neuen Stadt oder eines neuen Stadtteils führen, wie im Falle Filadelfias (in Kalabrien), New Orleans’ unter französischer Kolonialherrschaft oder Tvers im Zarenreich.

Stadtgründungen oder der Ausbau bestehender Siedlungen konnten aber auch dazu dienen, periphere Regionen zu erschließen. So erläuterte ALEXANDRA GITTERMANN (Hamburg), dass die „neuen Siedlungen“ in Andalusien deutsche Siedler in die weitgehend menschenleere Region Sierra Morena anlocken sollten. Damit sollte dieses entvölkerte Gebiet belebt und der Landweg von Madrid nach Andalusien gesichert werden. Überdies sollten die Landwirtschaft und so der ökonomische Profit angekurbelt werden. Auch im Falle Erlangens sei, laut Thomas Wenderoth, die Belebung des Handels durch die Ansiedlung von exportorientierten Gewerben das Hauptziel der Stadtgründung gewesen. SANDRA HIRSCH (Temeswar) illustrierte anhand Temeswars ebenfalls, dass nach der habsburgischen Eroberung der Stadt um 1718 beim Wiederaufbau die Belebung der Wirtschaft ein Hauptziel gewesen sei. So habe man im Sinne des Merkantilismus versucht, gezielt katholische, zumeist deutschsprachige Personen im Banat anzusiedeln, welche in Manufakturen arbeiten sowie Schulen, Kirchen und Krankenhäuser errichten sollten. Sowohl Alexandra Gittermann als auch Sandra Hirsch wiesen in ihren Vorträgen auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftstheoretischen Überlegungen und der Anwerbung gezielter Bevölkerungsgruppen hin. Außen vor gelassen wurden hier allerdings die Fragen, wieso in Andalusien und Temeswar ausgerechnet auf deutsche bzw. deutschsprachige Siedler fokussiert wurde und welche Rolle hier die Wahrnehmung kultureller Differenz möglicherweise gespielt hat.1

Die Konferenzbeiträge zeigten, dass neben wirtschaftlichen Gründen Städte ebenso zur militärischen Absicherung ausgebaut oder neu gegründet wurden. Dies veranschaulichten die Beispiele von Narva unter schwedischer Herrschaft (heute Estland), Osijek in der Habsburgermonarchie (heute Kroatien) oder Taganrog im Russländischen Reich. Auch wenn diese Städte gemäß dem Konferenz-Programm als „Festungsstädte“ klassifiziert wurden, wurde ihnen nicht ein rein militärischer Charakter zugeschrieben: PAVAO NUJIĆ (Osijek) bemerkte zwar, dass die Struktur Osijeks nach der Eroberung durch die Habsburgermonarchie Ende des 17. Jahrhunderts von und für das Militär geschaffen worden sei, allerdings habe dann ab dem späten 18. Jahrhundert das „bürgerliche Element“ überwogen. Und STEFAN HERFURTH (Leipzig) legte dar, dass Narva nicht nur eine Festungsstadt, sondern eine sehr erfolgreiche Handelsstadt gewesen sei. Auch Taganrog sei anfangs des 18. Jahrhunderts, so Ulrich Hofmeister, neben einer Festungsstadt als Handelshafen konzipiert worden, dieses Vorhaben sei aber unter Peter I. aufgrund der Zugangsbeschränkungen für Handelsschiffe gescheitert.
Wie der Vortrag von ANDREAS HÜBNER (Flensburg) zeigte, spielte in kolonialen Städten neben militärischen und strategischen Überlegungen auch die Herrschaftsrepräsentation eine Rolle. Die Franzosen hätten bei der Gründung New Orleans’ Hoffnung auf einen zugänglichen Hafen gehabt und wollten die Kontrolle über den Mississippi erlangen. Zugleich sei die Stadt als Kolonialsitz und Residenzstadt konzipiert gewesen. Dabei hätten die strategischen und symbolischen Überlegungen ineinandergegriffen.

Eingehend behandelt wurde an der Konferenz ebenfalls, inwiefern die Besiedelung von Planstädten geplant oder zumindest reguliert wurde. Die bereits oben geschilderten Vorträge zu Erlangen (Thomas Wenderoth), den „neuen Siedlungen“ in Andalusien (Alexandra Gittermann) und Temeswar (Sandra Hirsch) legten dar, dass Siedlungen für spezifische Bevölkerungsgruppen gebaut wurden. Die Relevanz einer geplanten Besiedelung für Kolonialstädte erläuterte Jürgen G. Nagel am Beispiel Kalkuttas. Durch die geplante Trennung der Stadt in eine Black Town und eine White Town sei die einheimische Bevölkerung von den europäischen Siedlern räumlich getrennt und marginalisiert worden. Allerdings habe diese räumliche Segregation aufgrund konstanter Grenzüberschreitungen nicht aufrechterhalten werden können.

Generell behandelten die einzelnen Vorträge sporadisch die Verbindungen zwischen dem Gedankengut der Aufklärung und der Städteplanung. So erläuterte MARIA ALIBRANDI (Messina), dass der Bau der kalabrischen Stadt Filaldelfia maßgeblich von freimaurerischen Idealen geprägt worden sei. Nicht zuletzt rühre der Name Filaldelfia daher, dass die US-amerikanische Stadt Philaldelphia als Verkörperung freimaurerischer Werte gegolten habe und somit eine Vorbildfunktion innehatte. Ausführlicher auf die Verbindung zwischen aufklärerischen Idealen und Städteplanung im Russländischen Zarenreich ging NATALIA TUSCHINSKI (Tübingen) ein. Sie widmete ihre Präsentation der Frage, inwiefern Katharina II. den Städtebau als Herrschafts- und Gestaltungsmittel nutzte. Laut Tuschinski habe der Bau neuer Städte durch die Zarin unterschiedliche Funktionen erfüllt: Alte Grenzen sollten befestigt und neu eroberte Gebiete erschlossen werden, gleichzeitig sollten die neu gebauten Städte administrative, wirtschaftliche, kulturelle und repräsentative Funktionen innehaben. Durch das von Katharina II. initiierte Programm zur Um- und Neugestaltung aller Städte im Russländischen Reich sei, so Tuschinski, das städtische Leben gesetzlich reglementiert und der soziale Raum mit bürgerlichen Pflichten verknüpft worden. Darüber hinaus sollte, beeinflusst durch die sozialphilosophischen Ideale der Aufklärung, die soziale Ordnung verbessert, etwa durch die Einrichtung von Volksschulen oder medizinischen Einrichtungen, und dem Bildungsanspruch der entsprechende Raum gegeben werden. Natalia Tuschinski erläuterte allerdings auch, dass eine Diskrepanz zwischen den aufklärerischen Idealen der geplanten Städte und deren absolutistischer Einführung bestünde, zumal Katharinas Stadtkonzepte vor allem als Mittel zur materiellen Umsetzung des von ihr gestalteten Gesetzeskomplexes gedient hätten.

Dass der Bau von Planstädten absolutistische Herrschaftsmittel benötigte, zeigte ebenso Ulrich Hofmeister anhand der Stadt Taganrog: Da die Umgebung als unattraktiv gegolten habe, musste die Bevölkerung für Taganrog zwangsrekrutiert werden. Auch das Beispiel Erlangen (Thomas Wenderoth) demonstrierte, dass die Planstadt nur durch die Initiierung und Finanzierung durch den Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth errichtet werden konnte.

Als Gegenteil zu diesen absolutistischen Gründungen kann die im Vortrag von THOMAS FRÖSCHL (Wien) behandelte demokratische Gründung der Stadt Washington D.C. genannt werden. Washington sei gemäß Fröschl von Anfang an als Gegenentwurf zur „absolutistischen Stadt“ geplant worden, auch wenn sich der Kongress auf die „absolutistische Gründung“ St. Petersburgs durch Peter I. berufen habe, um die Gründung durchzusetzen. Auffallend sei dabei, dass die Verfügungsgewalt über den Bau Washingtons ausschließlich dem Kongress oblag, während der Präsident keine Entscheidungskompetenz innehatte. Auch wenn Washington als demokratische Gründung gelte, gebe es, so Fröschl, viele Ähnlichkeiten mit den absolutistischen Gründungen wie die Übernahme antiker städtebaulicher Modelle.

Insgesamt zeigte die Konferenz anhand von geographisch breit gefächerten Beispielen, dass unterschiedliche Typen von Planstädten existierten und diese verschiedene Funktionen innehatten. Dass die hier vertretene pan-europäische Perspektive auch Städte in Übersee, die vom europäischen Phänomen Aufklärung beeinflusst waren, miteinbezog, ist sicherlich positiv zu werten. Der interdisziplinäre Zugang illustrierte zudem die verschiedenen möglichen Zugangsweisen zum Thema Planstädte: So nahmen an der Konferenz neben HistorikerInnen VertreterInnen der Mediävistik, der Kunstgeschichte und der Architektur teil. Allerdings herrschte ein chronologischer Zugang vor und der Diskussion von methodischen und theoretischen Ansätzen wurde nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Darüber hinaus wurde ein relativ starker Fokus auf Bildquellen vertreten. Dies ging mit einem Schwerpunkt auf materielle Konzepte und der Vernachlässigung kultureller Programme einher, was wiederum zur Folge hatte, dass lediglich in die Tat umgesetzte Stadtplanungen behandelt wurden. Die stärkere Berücksichtigung von gescheiterten oder auch nie umgesetzten Stadtprojekten wäre sicherlich bereichernd gewesen. Nicht zuletzt wurde die Definition einer Planstadt wenig diskutiert; mit der eingangs von Johanek gebrachten Definition müsste nämlich praktisch jede Stadtgründung seit dem Mittelalter als Planstadt gelten. Auch Hofmeisters Definition schließt keine seit der Aufklärung gegründeten Städte explizit aus. Daher wäre eine eingehendere Berücksichtigung der Fragen, inwiefern diese Definitionen eine weitere Eingrenzung benötigen und ob der Begriff Planstadt nicht vielmehr eine bestimmte Forschungsperspektive bedeutet, wünschenswert gewesen. Jedoch hat diese breit angesetzte Behandlung von Planstädten der europäischen Aufklärung gezeigt, dass dies ein lohnendes Forschungsfeld ist und noch viel Raum für weitere theoretische sowie methodologische Diskussionen bietet.

Konferenzübersicht:

Begrüßung - Kerstin S. Jobst, Christoph Augustynowicz (Wien)

Einführung - Ulrich Hofmeister (Wien)

Keynote Lecture - Peter Johanek (Münster)

Panel 1: Erschließung innerer Regionen

Moderation: Konrad Petrovszky

Erlangen – Eine komplexe barocke Stadtplanung? - Thomas Wenderoth (Bamberg)

Die „Neuen Siedlungen“ in Andalusien als Modell einer neuen wirtschaftlichen Ordnung - Alexandra Gittermann (Hamburg)

The Bourbon City of Brotherly Love: The Foundation of a New Filadelfia in the Age of Enlightenment - Rosamaria Alibrandi (Messina)

Panel 2: Festungsstädte

Moderation: Klemens Kaps

Narva – Eine Stadt zwischen Peripherie und Zentrum - Stefan Herfurth (Leipzig)

A Fortress, a Town, a Village? Osijek between Osijeks in the Age of Enlightenment - Pavao Nujić, Damir Matanović (Osijek)

Stadtgründung am östlichen Rand der Habsburgermonarchie im 18.Jh.: Residenzstadt Temeswar: Vorhaben, Funktionen, Entwicklung - Sandra Hirsch (Temeswar)

Panel 3: Das Zarenreich

Moderation: Kerstin S. Jobst

Taganrog – Der ältere Bruder von St. Petersburg - Ulrich Hofmeister (Wien)

Der Städtebau Katharinas II. als Herrschafts- und Gestaltungsmittel - Natalia Tuschinski (Tübingen)

Panel 4: (Post)koloniale Städte

Moderation: Christoph Augustynowicz

Jan Compagnie als Stadtherr: Von der Begegnung europäischen Planungswillens und asiatischer Realität in der Welt der Ostindienkompanien - Jürgen G. Nagel (Hagen)

„All diese Gebäude waren alt und behelfsmäßig errichtet“: New Orleans als Modell kolonial-urbaner Ordnung? - Andreas Hübner (Flensburg)

Federal Town – Seat of Empire – Capital City: Zur Planungs- und Entwicklungsgeschichte von Washington, D.C. - Thomas Fröschl (Wien)

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 In der Forschungsliteratur wird regelmäßig auf den Zusammenhang zwischen dem Fortschrittsdenken der europäischen Aufklärung und der Wahrnehmung kultureller Differenz hingewiesen. Einen guten Überblick hierzu liefert beispielsweise Klemens Kaps, Zwischen Emanzipation und Exklusion. Fortschrittsdenken und die Wahrnehmung kultureller Differenz in der europäischen Aufklärung, in: Thomas Ertl / Andrea Komlosy / Hans-Jürgen Puhle (Hrsg.), Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz?, Wien 2014, S. 66–79.


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