Welche Konzepte, Ideen und Ansätze sind geeignete Ausgangspunkte von geschichtsdidaktischer Theoriebildung für eine heterogene und plurale Gesellschaft? Soll die grundlegende Theoriearbeit in der Geschichtsdidaktik an den Maximen der Wissenschaft oder an den lebensweltlichen Erfordernissen der Lernenden orientiert sein? Wie inkludierend bzw. exkludierend zeigen sich diese Konzepte, Ideen und Ansätze, wenn man sie auf ihre Reichweite für Menschen in all ihrer Vielfalt durchdenkt? Darf die notwendig gewordene kritische Selbstreflexion unserer Disziplin selbst bis dorthin ausgeweitet werden, wo es um das Menschenbild geht, das die Geschichtsdidaktik ihrer Theoriebildung zugrunde legt? Es muss nämlich auch die Frage beantwortet werden, welche Lernenden die Geschichtsdidaktik in ihre Theoriebildung einbeziehen möchte, sollten diese denn eine Rolle in der Konzeptionierung des historischen Lernens spielen sollen: Nur diejenigen, die in der Lage sind, ihre eigene Lebenszeit gedanklich in die Perspektiven Vergangenheit und Zukunft hinein zu überschreiten, die den sprachlichen und kognitiven Anforderungen zum Durchdenken und Reflektieren von Geschichte zumindest einigermaßen entsprechen? Durch den Einzug des Paradigmas des Geschichtsbewusstseins mit seinen historistischen Bezügen ist es der Didaktik der Geschichte seit den 1970er Jahren zudem erfolgreich gelungen, fachexterne Theorieangebote abwehren zu können und sich reizvollen interdisziplinären Theorieangeboten zu verschließen (Beispiele: Kritische Theorie, Postkolonialität), die das disziplinäre Selbstverständnis nachhaltig hätten irritieren können. Gleichzeitig hielt die Forderung nach einem Lebensweltbezug historischen Lernens Einzug in fast alle Rahmenlehrpläne, ohne dass fundiert und solide über den Lebensweltbegriff nachgedacht wurde.
Fragen, denen wir im Verlauf des Workshops nachgehen wollen, sind z.B.:
- Welchen Lebensweltbegriff verwenden wir in der Geschichtsdidaktik und von woher leiten wir ihn ab? Mit welchen Konsequenzen ist dieser Lebensweltbegriff versehen?
- In welchem Verhältnis stehen Lebenswelt, Geschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft zueinander? Wie ist dieses Verhältnis zu begründen?
- Ändern sich die Ziele des historischen Lernens, wenn die Lebenswelt als Bezugsgröße in die geschichtsdidaktische Theoriebildung einbezogen wird?
- Hat der Einbezug der Lebenswelt in die Geschichtsdidaktik Auswirkungen auf die zentralen Begriffe und Paradigmen, wie z.B. Geschichtsbewusstsein, historische Identität und Narrativität?
- Gibt es einen inneren Zusammenhang von Lebenswelt, Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur? Wie sieht dieser Zusammenhang konkret aus und was bedeutet dies für den Geschichtsunterricht in pluralen und heterogenen Klassen?
- Wie gehören Lebenswelt und die in der Geschichtsdidaktik so zentrale historische Identität zusammen? Was bedeutet dies für plurale und heterogene Klassen?
- Welche Konzeptionen von Wissenschaft können und dürfen Impulsgeber für die Didaktik der Geschichte sein?
- Welches Menschenbild soll der geschichtsdidaktischen Theoriebildung zugrunde gelegt werden: das aktuell gültige kognitivistische Menschenbild, das dem cartesianischen Dualismus zugrunde liegt oder ein phänomenologisches Menschenbild, das Vernunft auch in der intentionalen Hinwendung eines jeden Menschen zur Welt erkennen kann?
Der Workshop findet auf der Basis von pre-circulated papers statt. In solchen Debattenbeiträgen wünschen wir uns kritische Stellungnahmen zu Aspekten der oben aufgeworfenen Fragen.
Thematische Vorschläge für solche Paper richten Sie bitte bis zum 31.12.2017 per E-Mail an Bärbel Völkel und Martin Lücke. Sie erfahren bis zum 01.02.2018, ob Ihr Themenvorschlag auf dem Workshop berücksichtigt werden kann. Die Paper (bei denen es sich nicht um ausformulierte Manuskripte, sondern um pointierte Debattenbeiträge handeln soll, ca. 5000 Zeichen), würden wir dann bis zum 01.03.2018 erbitten und an die Teilnehmenden verschicken. Auf der Tagung selbst sollen nicht die Paper selbst vorgestellt werden. Vielmehr erfolgen gebündelte Kommentare zu jedem Beitrag, die in die anschließende Diskussion einleiten.