Themenportal „Europäische Geschichte“ (18.-21. Jh.): Newsletter 06/2013

Von
Siegrist, Hannes - Universität Leipzig

Themenportal Europäische Geschichte

Liebe Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult,

nachfolgend finden Sie eine Aufstellung der im Mai 2013 neu ins Themenportal Europäische Geschichte eingestellten Artikel, Essays, Materialen und Quellenauszüge.

Essays und Artikel:

Rau, Susanne / Steiner, Benjamin: Europäische Grenzordnungen in der Welt. Ein Beitrag zur Historischen Epistemologie der Globalgeschichtsschreibung.
Abstract:
Grenzen und Grenzordnungen haben seit der Frühen Neuzeit nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt einen außerordentlich prägenden Eindruck hinterlassen. Unter Grenzen versteht man normalerweise politische Grenzen, die geografisch markiert sind. Primär geht es uns hier jedoch weder um politische noch um religiöse oder kulturelle Grenzen, sondern um die Entstehung eines bestimmten rationalen Denkmusters und dessen Auswirkungen. Begriffsgeschichtlich lässt sich verfolgen, wie sich das semantisch weite Bedeutungsfeld der Grenze (lokal-temporal; Linie-Gebiet-Zone) seit dem Spätmittelalter in den indogermanischen Sprachen verengt und wie sich insbesondere im Deutschen die Vorstellung von der Linearität der Grenze (von slaw. granica) durchsetzt. Verstanden als Linie ist die Grenze das Produkt eines neuzeitlichen Ordnungsdiskurses und einer philosophisch inspirierten Praxis, die Dinge der Welt einer begrifflichen Trennung und Kategorisierung zu unterziehen. Diese kulturell erzeugten Ordnungsdiskurse haben sich auch in bestimmten Grenzpraktiken niedergeschlagen bzw. wurden zu Grenzordnungen verstetigt. Solche Ordnungen wurden dann häufig auch spatialisiert, indem Grenzen – die ja nie einfach gegeben sind – gesetzt wurden, um den Raum zu markieren und damit neue geographische Objekte hervorzubringen. Als Raumfigur wird die Grenze dann auch zu einer Figur gesellschaftlicher Öffnung und Schließung.
Topologische, dichotomische, induktive oder deduktive Ordnungssysteme entstanden zwar nicht nur in Europa, doch setzten sich hier fundamentale Ideen und Vorstellungen von der Ordnung der Dinge durch. Diese Vorstellungen begannen seit der europäischen Expansion in der Frühen Neuzeit auch in globaler Hinsicht Dominanz zu erringen. ....
In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=611>.

Drost, Alexander: Grenzenlos eingrenzen. Koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit am Beispiel niederländisch-spanischer Konfliktfelder in Asien.
Abstract:
Die europäische Expansion nach Asien in der Frühen Neuzeit hatte nicht nur einen komplexen Waren- und Technologietransfer zur Folge. Auch zahlreiche europäische Konflikte und die mit ihnen verbundenen Konfliktlinien bzw. -grenzen fanden ihren Weg in asiatische Reiche. Hierzu gehörte auch der Kampf um die Loslösung der niederländischen Provinzen vom spanischen Imperium und seine Einbettung in kommerzielle Rivalitäten zwischen Niederländern und Spaniern in südostasiatischen Inselreichen zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Dabei ist in besonderem Maße bemerkenswert, dass die Grundlagen für das (Miss-) Verständnis von Grenzen in unterschiedlichen Bedeutungssystemen in Europa und Asien liegen. Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus dieses Beitrags auf den territorialen und machtpolitischen Grenzziehungen im Kontext regionaler Rivalitäten, europäischer politischer und kommerzieller Interessen und den Schwierigkeiten, denen sich insbesondere die Niederländer mit ihrer Handelskompanie, der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC), bei dem Versuch ausgesetzt sahen, die regionalen Wurzeln und Dynamiken politischer Autorität und Souveränität zu durchschauen. Denn die Macht eines Herrschers in den regionalen Reichen Südostasiens, die an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erst seit kurzem islamisiert worden waren, bezog sich – entgegen dem allgemeinen Verständnis in Europa – vornehmlich auf die Kontrolle über Menschen und nicht auf ein Territorium bzw. auf Land. Die Zentralität des Herrschers und seiner Herrschaftsausübung über Untertanen geht in Südostasien auf das hinduistisch-buddhistische Mandala-System zurück. Insofern besitzen territoriale Abgrenzungen in den südostasiatischen Gesellschaften nur in Einzelfällen Bedeutung, waren aber wichtiger Bestandteil der europäischen Konfliktbewältigung während der kolonialen Expansion. Die zentralen Handels- und Produktionsplätze sowie die Verteidigungsanlagen in den Molukken im frühen 17. Jahrhundert dienen in diesem Beitrag als Beispiel für die Dynamiken der europäischen Grenzziehungen in einem Gebiet, in dem die lokalen Gesellschaften bis weit in das 19. Jahrhundert hinein kaum ein Verständnis für territoriale Abgrenzungen entwickelt hatten, wie semantische Fallbeispiele zeigen werden. ....
In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=612>.

Finzsch, Norbert: Pre-Frontier, Landnahme und Sozioökologische Systeme in Australien, 1788 bis 1901.
Abstract:
„Sheep eat men“, Schafe fressen Menschen. Dieser Thomas Morus zugeschriebene Satz beschreibt die Situation in Australien zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr adäquat. Während die Zahl der australischen Aboriginal Peoples nach 1788 drastisch fiel, stieg die Zahl der Schafe ebenso dramatisch an. Die geschätzte Bevölkerungszahl von 500.000 bis 750.000 Indigenen der ersten Kontaktphase war bis 1901 auf 100.000 gesunken.[2] Die First Fleet der britischen Siedler hatte 28 Kapschafe an Bord gehabt, 1830 lebten bereits über eine Million Schafe und knapp 400.000 Rinder in New South Wales. Da konnte selbst die britische Einwanderung nicht mithalten, denn 1830 belief sich die Zahl der weißen Siedler auf 70.000 Köpfe. Der Historiker Ben Kiernan hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Rückgang der australischen Urbevölkerung, den er den aus Europa unwissentlich eingeschleppten Seuchen zuschreibt, kein Völkermord gewesen sei. Dennoch habe es in der Frühgeschichte der europäischen Besiedlung „multiple deliberate killings and a series of genocidal massacres“ gegeben. Typisch für die britische Verwaltung der Kolonien sei eine Haltung gewesen, die man als laissez-faire bezeichnen kann und die die Entscheidungen Aborigines betreffend der Kolonialverwaltung vor Ort und den Siedlern überließ. Mit der Ausweitung der Siedlungen jenseits der Blue Mountains nach 1813 rückte Sydney mit seinem Gouverneur in noch weitere Ferne. Hier boomte nun die Vieh- und Weidewirtschaft. Das Resultat war genozidal für viele Gruppen von Indigenen.
Das Vordringen verschiedener Frontiers und die Eingriffe der Siedler in das sozioökologische System der Aboriginals in Form von Mikropraktiken machte also einen intentionalen Genozid funktionell überflüssig, führte aber gleichzeitig zu einem Rückgang der Indigenen, der in der kolonialen Literatur allgemein als „Verschwinden“ gekennzeichnet worden ist. Die Frontier war in Australien keine Linie zwischen Besiedelung und Wildnis, sie war noch nicht einmal ein Kontaktraum, vielmehr kann sie nach Julie Evans mit dem postkolonialen Begriff der Pre-Frontier beschrieben werden. ....
In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=614>.

Michels, Stefanie: Die deutsche Uniform König Njoyas. Koloniale Ordnungsbehauptungen im Perspektivwechsel (1884-1914).
Abstract:
1908 unternahm König Njoya aus dem kamerunischen Grasland eine ca. 350 Kilometer lange Reise von seiner Residenz in Fumban zum Sitz des deutschen Gouverneurs in Buea. Der Thron, den er damals als Geschenk für den deutschen Kaiser mitbrachte, steht heute im Völkerkundemuseum in Berlin. Der Besuch des Königs der Bamum und seiner Delegation wurde fotografisch festgehalten und als Postkarte gedruckt. Im Folgenden werden verschiedene Perspektiven auf dieses Ereignis vorgestellt, mit dem Ziel die historische und regionale Dynamik, die sich kolonialen Logiken widersetzte, zu zentrieren.
Was als ein Paradebeispiel einer entangled history gelesen werden kann, stellt sich bei genauerer Betrachtung komplexer dar. Zumindest wurden hier nicht zwei klar abgrenzbare Räume verflochten, von denen einer "Europa" und der andere "Afrika" war. Auch "Metropole-Peripherie"-Modelle erscheinen als einfacher Nachvollzug kolonialer Ordnungsbehauptungen, wenn sie aus der Perspektive Njoyas betrachtet werden.
Von 1892 bis zu seinem Tode 1933 währte die Regierungszeit Njoyas. Das Gebiet der Bamum mit dem Hauptort Fumban liegt im Kameruner Grasland. Geografisch befindet sich dieses Gebiet nördlich des Waldlandes und südlich des Sahel. Historisch zeichnete es sich durch eine für afrikanische Verhältnisse recht hohe Bevölkerungsdichte aus, was im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen im 19. Jahrhundert zu zentralisierten politischen Organisationen führte. Diese gelten in der klassischen ethnologischen und kunsthistorischen Literatur zwar als Königtümer, die Übertragung dieses in Europa entstandenen Begriffes und Konzeptes auf die komplexen und historisch anders gelagerten Fälle bleibt jedoch problematisch. ....
In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=616>.

Steiner, Benjamin: Missverstandene Unterschiede. Wissen als Träger und Bedingung von Grenzordnungen am Beispiel des Verhältnisses zwischen Frankreich und Westafrika während der Frühen Neuzeit.
Abstract:
Dieser Beitrag handelt von Grenzordnungen, die sich während der Frühen Neuzeit im Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern herausgebildet haben. Es wird gezeigt, dass der Formationsprozess von Grenzordnungen im Wesentlichen durch die Art und Weise bedingt war, wie Wissen und Information in Bezug auf Afrika von den Europäern gesammelt und geordnet wurden. Die dadurch entstandenen Grenzordnungen erwiesen sich insofern als problematisch bzw. missverständlich, als sie den jeweiligen Bedeutungsrang des europäischen und afrikanischen Wissens unterschiedlich hoch zur Geltung brachten. Das führte zu einem asymmetrischen Kräfteverhältnis, in dem sich die Grenze zwischen den Kultursphären ‚Afrika‘ und ‚Europa‘ und die damit einhergehende Empfindung einer zwischen beiden bestehenden grundsätzlichen Unterschiedlichkeit immer tiefer verfestigte. Die Abgrenzungspraxis dieser beiden Räume unterschiedlicher Ordnungen begann mit den Fahrten der Portugiesen an der afrikanischen Küste im 15. Jahrhundert und dauerte über die gesamte Frühe Neuzeit an.
Primäre Akteure aus Europa in diesem Begegnungsprozess stellen die hier näher betrachteten Reisenden und Forscher aus Frankreich dar. In ihren Reiseberichten und Landesbeschreibungen können immer wieder Hinweise auf Praktiken der Grenzziehung herausgelesen werden, die in ihrer Gesamtheit Schlüsse hinsichtlich der Herausbildung der Grenzordnungen zulassen. In der Untersuchung überwiegen Quellen europäischer Provenienz und somit auch die Betonung der Herausbildung einer eurozentrischen Grenzordnung. ....
In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=618>.

Materialien und Quellenauszüge:

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Auszüge aus der zweiten Auflage (1787). In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=619>.

Vertrag von Ternate mit der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) (26. Mai 1607). In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=613>.

Beratungen des englischen Oberhauses über die Verhältnisse der Kolonie New South Wales (1844). In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=615>.

„Banum König mit Gefolge in Duala, Kamerun“ (Postkarte, ca. 1908-1914). In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=617>.

Memorandum des Vizeadmirals Jean d’Estrées über die Ankunft der königlichen Schiffe am Kap Verde (1670). In: Themenportal Europäische Geschichte (2013), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=620>.

Das Themenportal Europäische Geschichte veröffentlicht seit 2006 unter der Adresse <http://www.europa.clio-online.de> Materialien (Textdokumente, Statistiken, Bilder und Karten), Darstellungen und Debatten zur Geschichte Europas und der Europäer/innen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Nutzerinnen und Nutzer, die gerne mit eigenen Beiträgen mitwirken möchten, werden um Vorschläge gebeten. Schreiben Sie bitte an die Redaktion <clio.europa-redaktion@geschichte.hu-berlin.de>. Über die Auswahl und Annahme von Beiträgen entscheidet das Herausgeberkollegium aufgrund eines unkomplizierten Evaluationsverfahrens. Weitere Informationen zur Zielstellung und Konzeption des Projektes finden Sie auf den Webseiten des Projektes.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Hannes Siegrist (Leipzig), Sprecher des Herausgeberkollegiums

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