FES-Netz-Quelle Rechtsextremismus

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Titel
Rechtsextremismus - FES-Netz-Quelle: Geschichte und Politik.
Herausgeber
[Ansprechpartner] Gries, Rainer <Rainer.Gries@fes.de>
Veröffentlicht durch
Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: Bonn, DE <http://library.fes.de/>
Enthalten in
Von
Reiner Becker, Graduiertenkolleg "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", Philipps-Universität Marburg

Der Vorteil des Publizierens im Internet ist der, dass es ein ständiger „work in progress“ ist. Webpräsenzen sind jederzeit erweiterbar und aktualisierbar, entbehren des finalen Redaktionsschlusses und der Drucklegung. Der Nachteil besteht darin, dass die Rezension von Internetpräsenzen keine vorläufige ist, denn sie findet zu einem bestimmten Zeitpunkt statt. Daher fällt die Bewertung des Internetauftritts der „FES Netz-Quelle Rechtsextremismus“ auch zu diesem Zeitpunkt eher zwiespältig aus. Veröffentlicht von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung wird auf diesen Seiten der Versuch unternommen, die Verbindung des modernen Rechtsextremismus mit dessen historischen Wurzeln im Nationalsozialismus herzustellen.

Die Benutzeroberfläche gestaltet sich in der Top-Navigation recht übersichtlich. Auf der Seite „Zum Thema“ wird im Rahmen eines Leitartikels knapp in das Anliegen eingeführt. Der Link „FES-Publikationen“ führt zu einer Auflistung von Veröffentlichungen der Stiftung zum Thema „Rechtsextremismus“, die alle zum Download zur Verfügung gestellt wurden. Allerdings ist anzumerken, dass in dieser Publikationsliste neuere Veröffentlichungen aus dem eigenen Haus fehlen.1 Der Link „Historische Quellen“ führt zu einer Auswahl historischer Dokumente und Publikationen aus den 1920er- und 1930er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit dem Fokus auf „sozialdemokratische Warnungen vor Rechtsextremismus und Nationalsozialismus“. Vertieft wird das Angebot zum Thema Rechtsextremismus mit den Seiten „Literaturangaben“, „Quellen im WWW“ sowie mit einem Link zu Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die komplette Website steht auch als englische Version zur Verfügung. Allerdings fehlt eine Sitemap ebenso wie eine Suchfunktion innerhalb dieser Seiten.

Den inhaltlichen Schwerpunkt dieser Website stellen die „Historischen Quellen“ dar. Aus dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden bisher rund 60 historische Dokumente veröffentlicht, welche die (sozialdemokratische) Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Weimarer Republik und in den ersten Jahren des NS-Regimes veranschaulichen sollen – dies auf vielfältige Art und Weise: Das Spektrum reicht hierbei von Reden sozialdemokratischer Spitzenpolitiker, etwa die von Otto Wels zum so genannten „Ermächtigungsgesetz“ am 23. März 1933 im Berliner Reichstag, über Plakate zu Landtags- und Reichstagswahlen 1930 und 1932, über Beiträge aus den „Neuen Blättern für Sozialismus“ und der „Weltbühne“, die sich mit den politischen Inhalten der Nationalsozialisten auseinandersetzen bis hin zu Karikaturen aus dem „republikanischen Witzblatt“ aus den Jahren 1924 bis 1927. Angeboten werden sowohl Text- als auch Bilddokumente. Zu den präsentierten Dokumenten zählt auch der Augenzeugenbericht des Journalisten und ehemaligen Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger über seine Inhaftierung im Konzentrationslager Oranienburg. Nach geglückter Flucht publizierte Seger seinen Bericht 1934 im „Neuen Vorwärts“. Ein weiteres veröffentlichtes Dokument ist die „Kunst des Selbstrasierens“ aus dem Jahr 1934: Die Exil-SPD brachte Tarnschriften – mit politisch neutralen Titeln, aber politischen Inhalten - ins Deutsche Reich. In der „Kunst des Selbstrasierens“ wird zum Beispiel ein neues Programm, das "Prager Manifest" aus dem Jahr 1934 der Exil-SPD veröffentlicht, das auch im selben Jahr im "Neuen Vorwärts" (im Exil) erschien.2 Alles in allem ein noch kleiner aber doch interessanter Fundus aus dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Aufbereitung jedoch in zwei Punkten verbesserungswürdig ist: Zum einen wäre es für Benutzerinnen und Benutzer hilfreich, würden die Dokumente nach inhaltlichen und/oder formalen Aspekten strukturiert. Noch ist die Zahl der Dokumente überschaubar, eine gezielte Suche würde durch eine Ordnungsstruktur dann jedoch erleichtert, wenn das Angebot historischer Dokumente wachsen sollte. Zum anderen werden viele der hier veröffentlichten Dokumente nur spärlich oder gar nicht kommentiert. Da jedoch die Friedrich-Ebert Stiftung den Anspruch erhebt, „die politische und gesellschaftliche Bildung von Menschen aus allen Lebensbereichen im Geiste von Demokratie und Pluralismus zu fördern“,3 wären ausführlichere Kommentare zu den Dokumenten hilfreich, denn viele dieser erschließen sich den interessierten Leserinnen und Lesern nicht gerade von selbst.

Ein wenig mehr Ordnung und Struktur würden auch den Literaturhinweisen (unter dem Link „Literaturangaben“) zu den Themen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus gut tun. Zwar werden hier zahlreiche Titel genannt, die alphabetisch nach Autoren sortiert sind. Allerdings wurden die Titel nicht einzelnen thematischen Schwerpunkten zugeordnet, was die Recherche für interessierte Leserinnen und Leser, insbesondere für Laien, die weniger mit dieser Literatur vertraut sind, eher erschwert. Ein gelungenes Beispiel für die Darstellung einer solchen Auswahlbibliographie zum Thema Nationalsozialismus und Rechtsextremismus stellt die Internetseite des „Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus“ (IDGR) dar.4
Etwas spärlich fällt die Sammlung von Links aus (unter dem Link „Quellen im WWW“). Zwar ist das WWW-Angebot zum Thema Rechtsextremismus fast schon unüberschaubar und daher ist in einer solchen Linksammlung auch nur eine Auswahl möglich. Aber gerade dann ist der Blick auf die Gestaltung in der Auswahl externer Quellen auf anderen Internetseiten zum gleichen Thema hilfreich – auch hier sei das Angebot des IDGR als positives Beispiel in der Darstellung und Aufbereitung externer Internetquellen genannt.5
Die meisten der auf „FES Netz-Quelle Rechtsextremismus“ publizierten Texte und Dokumente sind im PDF-Format entweder als Vollversion erhältlich oder, bei größerem Umfang, als einzelne Kapitel herunterzuladen, so dass Lade- und Downloadzeiten verkürzt werden. Zwar wird für diejenigen Leserinnen und Leser, die nicht über einen „Acrobat Reader“ oder über ein ähnliches Programm verfügen ein Link zum Download des Programms angeboten, jedoch verweist dieser auf eine nicht mehr aktuelle Seite.

Neben den Lücken in der Darstellung und Strukturierung der historischen Quellen sowie der Literatur- und Internetverweise, die sich leicht schließen lassen, besteht das größere Problem in dem inhaltlichen Anspruch dieser Internetpräsenz, nämlich in der Verknüpfung des gegenwärtigen Rechtsextremismus mit dem historischen Nationalsozialismus. So heißt es auf der Startseite: „Die Themen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bewegen heute die Öffentlichkeit. Eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen beschäftigt sich mit diesen Themen. Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass es auch in den 1920er- und 1930er-Jahren in Deutschland eine öffentliche Diskussion über die Gefahren und die Bedrohung durch den Rechtsextremismus, die Fremdenfeindlichkeit, den Antisemitismus und durch die Nationalsozialisten gab“.6 Mehr ist über den Zusammenhang zwischen dem Rechtsextremismus einst und heute leider nicht zu erfahren und die hier dargebotenen historischen Quellen sind nicht selbstredend genug, um darüber Auskunft zu geben. Worin liegen aber die Gemeinsamkeiten in der öffentlichen Diskussion einst und heute, worin die Unterschiede? In welchem gesellschaftlichen und politischen Kontext fand der „Kampf“ gegen die Nationalsozialisten in den 1920er- und 1930er-Jahren statt und unter welchen Bedingungen geschieht dies heute? Welche Konsequenzen haben zum Beispiel die Erfahrungen, welche die Sozialdemokraten im Kampf gegen den Nationalsozialismus in den 1920er-Jahren gemacht haben für den Umgang mit rechtsextremen Jugendcliquen in den heutigen Tagen? Kann der historische Nationalsozialismus mit dem modernen Rechtsextremismus gleichgesetzt werden? Welche Schlüsse lassen sich aus dem Studium historischer Quellen für den Umgang mit dem modernen Rechtsextremismus ziehen? Eine Diskussion dieser (und weiterer) Fragen fehlt in der thematischen Einführung zu diesem Internetangebot. Wird somit stillschweigend die Kontinuität zwischen historischem Nationalsozialismus und modernen Rechtsextremismus proklamiert ohne Berücksichtigung ihrer Unterschiede? Diese Frage lässt sich in Betrachtung weiterer Veröffentlichungen der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema verneinen, denn hier widmen sich die Autoren den verschiedenen Erscheinungsformen des modernen Rechtsextremismus in der Bundesrepublik und in Europa und nehmen damit seine Heterogenität zur Kenntnis.

Die Ursachen des modernen Rechtsextremismus lassen sich nicht nur im sozialen Wandel – zum Beispiel unter den Stichworten Individualisierung, Globalisierung – oder in individuellen Sozialisationsprozessen und -erfahrungen verorten, sondern auch in den Denktraditionen und Mentalitäten unserer politischen Kultur. Die Auseinandersetzung mit solchen historischen Quellen, wie sie auf „FES Netz-Quelle Rechtsextremismus“ angeboten werden, kann daher aufschlussreich und bereichernd sein. Damit das gelingt, wäre eine intensivere inhaltliche Einführung in das Thema und Anliegen dieser Seite wünschenswert – dies stellt jedoch kein Problem dar, denn der Vorteil eines Internetauftritts besteht ja darin, dass Inhalte jederzeit erweiterbar und aktualisierbar sind.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel: Keine Chance den Rechtsextremisten / [Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, Arbeitsgruppe Kommunalpolitik. Red...: Nicole Blech]. - Bonn, 2005. - 71 S. = 1,7 MB. - (Kommunalpolitische Texte; 26) Electronic ed.: Bonn: FES, 2006. ISBN 3-89892-449-1. http://library.fes.de/pdf-files/kommunalpolitik/03527.pdf (21.04.2006)
Demokratische Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus: politische Auseinandersetzung intensivieren, Zivilgesellschaft aktivieren, Abwehrbereitschaft stärken / Friedrich-Ebert-Stiftung, Gesprächskreis Migration und Integration. - Bonn, 2005. - 56 S. : Ill. = 1,2 MB PDF-File. - (Gesprächskreis Migration und Integration). Electronic ed.: Bonn: FES, 2005. ISBN 3-89892-308-8. http://library.fes.de/pdf-files/asfo/03264.pdf (21.04.2006)
2http://library.fes.de/library/netzquelle/rechtsextremismus/quelle26.html (21.04.2006).
3http://www.fes.de/sets/s_stif.htm (21.04.2006)
4http://www.idgr.de/_inhalt/bibliographie1.php (21.04.2006). Siehe dazu auch die Rezension von Andreas Klärner dieser Seite auf H-Soz-u-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=24&type=rezwwwzwww
5http://www.idgr.de/links/historylinks.php
6http://library.fes.de/library/netzquelle/rechtsextremismus/index.html (21.04.2006)

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