Bibliotheca Palatina digital

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Titel
Bibliotheca Palatina digital.
Veröffentlicht durch
Universitätsbibliothek Heidelberg: Heidelberg, DE <http://www.ub.uni-heidelberg.de/>
Enthalten in
Von
Felicitas Schmieder, Historisches Institut, Geschichte und Gegenwart Alteuropas, Fernuniversität Hagen

Im Sommer 2009 konnte die Universitätsbibliothek Heidelberg den Abschluss der Digitalisierung aller 848 deutschen Handschriften der Bibliotheca Palatina verzeichnen, welche online insgesamt ca. 270.000 Seiten und ca. 7.000 Miniaturen zur Verfügung stellt. Deren berühmteste – der Codex Manesse1 und die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels2 – waren schon länger im Netz, dann folgte ein großer Fundus eng verwandter oberdeutscher Bilderhandschriften3, nun der in großen Teilen nicht minder bemerkenswerte Rest.

Die Geschichte der Palatina ist wohlbekannt: Die Bibliothek geht zum einen auf die Gründung der Universität Heidelberg im Jahre 1386 zurück und zum anderen auf die intensive Sammlungstätigkeit der Pfalzgrafen bei Rhein vor allem im 16. Jahrhundert: Gerade für den deutschsprachigen Anteil der alten Bibliothek, der jetzt zugänglich ist, war diese letztere von eminenter Bedeutung. Die genannten Bilderhandschriften werden den Kurfürsten ebenso verdankt wie die bemerkenswerten teilweise wohl eigenhändig abgeschriebenen 298 deutschsprachigen medizinischen Handschriften, die eine praktisch vollständig erhaltene frühneuzeitliche Fachbibliothek bilden.4 Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges allerdings wurde die Bibliothek aus Heidelberg entführt und auseinandergerissen, so dass heute neben den erhaltenen deutschen nur noch oder besser wieder wenige lateinische, griechische und orientalische Handschriften in Heidelberg aufbewahrt werden. Der größte Teil der fehlenden Manuskripte liegt in Rom.

Die Heidelberger Bibliothek nimmt mit der vollständigen Digitalisierung ihrer Palatina-Bestände nach eigenen Angaben eine Vorreiterrolle in der deutschen Bibliotheks- und Forschungslandschaft ein: Zwar ist nicht alles Gold, was hier zu glänzen scheint, aber insgesamt ist der Schritt außerordentlich zu begrüßen – auch weil die Palatina gottlob nicht die einzige Bibliothek ist, auf die man heutzutage wenigstens in Teilen online Zugriff hat. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Kölner Archivs zeigt sich, wie nützlich und wichtig die rasche und sorgfältige fotografische Sicherung von handschriftlichen Originalen sein kann. Es ist auch nichts Neues, daß Handschriften weniger leiden, wenn sie nicht zu oft direkt benutzt werden – was immer weniger notwendig wird, je besser erst die fotografische und nun die digitale Speicherung geworden ist (dennoch sollte die zukunftsoptimistische bewusste Verabschiedung vom Mikrofilm als Reproduktionsmedium wohl bedacht sein angesichts der Geschwindigkeit, mit der heutige Speichermedien vergehen oder besser, aktuell gehalten werden müssen). Der Zugriff auf die digitalen Medien über das Internet erspart das Reisen und wird vielleicht auch der Neigung, nur auf edierte und gedruckte Quellen zum Gewinn historischer Erkenntnis zuzugreifen, Einhalt gebieten können.

Die Heidelberger Handschriften können zudem nicht nur online benutzt werden und sind mit ausführlichen wissenschaftlichen Beschreibungen versehen, sondern das Digitalisat kann komplett als frei benutzbare, abspeicherbare Datei im PDF-Format heruntergeladen werden, ohne dass auch nur mit einem Klick die üblichen Zitier- und Reproduktionsregeln der Bibliothek bestätigt werden müßten. Das Zitieren der digitalen Handschrift (bei dem das Projekt von den Erfahrungen früherer Projekte profitiert) ist aber sehr erleichtert durch die Angabe der URL jeder einzelnen Seite in der PDF-Datei. Auch der Ausdruck einzelner Seiten ist möglich, wobei alle notwendigen Angaben mitgeliefert werden.

Die Auflösung ist zufriedenstellend und hinreichend für die zur Verfügung gestellten beiden Vergrößerungsstufen. Noch besser und größer lassen sich etwa schwer lesbare Teile oder Bild-Details im „DFG-viewer“5 ansehen. Dessen Benutzung hat allerdings einen großen Nachteil: Betrachtet man die Handschrift von der Seite der Bibliothek aus ("lokale Präsentation") und beschließt, über den DFG-Viewer in die Abbildung hinein zu zoomen, wird man zuerst einmal zum Anfang der Handschrift in der DFG-Viewer-Umgebung geleitet und muss somit erst wieder auf die gewünschte Abbildung weiterblättern. Der Viewer wird auch nicht in einem eigenen Popup geöffnet, so daß man nicht parallel auf die wissenschaftliche Beschreibung der Handschrift zugreifen kann (es sei denn, es wird durch die Nutzer/innen ein zweites Browser-Fenster aktiviert). Für den Weg zurück zur Normalansicht der Bibliotheksseite gibt es zwar einen Link, der aber ebenfalls wieder ganz an den Anfang der Handschrift auf der Bibliotheksseite zurückführt. Das ist umständlich und unhandlich im Gebrauch (zumal viele der Handschriften Sammelhandschriften sind, bei denen das Interesse eines Benutzers an höheren Folio-Positionen fast Normalität sein dürfte) und wird vor allem viele Erstnutzer sicher sehr verärgern. Wenigstens öffnet der Aufruf der wissenschaftlichen Beschreibung von einer Handschriften-Seite in Normalansicht aus ein eigenes Fenster – insgesamt erscheint der DFG-Viewer (der wie gesagt die besseren Vergrößerungsmöglichkeiten bietet) unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Benutzung einer Handschrift schlecht in die Präsentation der Handschriften integriert.

Eigens und hervorragend aufgearbeitet sind außerdem die „7000“ Miniaturen aus den Handschriften in einer eigenen Datenbank6, darunter neben teilweise ganzseitigen Miniaturen auch Initialen, Wappen und medizinische, technische und ähnliche Zeichnungen. Bis zu 1000 davon kann man sich auf einer (scrollbaren) Seite im Überblick zeigen lassen, aber vor allem besteht die reich ausgestattete Möglichkeit der Suche nach Bildelementen, Techniken, Künstlern und vielem mehr.

Etwas aber fehlt und wird schmerzlich vermisst: Einer der Vorzüge digitalisierter Handschriftensammlungen ist die Möglichkeit, im Laufe der Geschichte auseinandergerissene Bestände wenigstens virtuell wieder zusammenzuführen, soweit die Handschriften überhaupt noch erhalten sind. Die Palatina ist eine solche auseinandergerissene Bibliothek, wie allein schon durch die Verlinkung der bislang digitalisierten wenigen Heidelberger nicht-deutschen Bestände Palatini graeci, im Augenblick 5 Handschriften7 und latini derzeit 8 Handschriften8 offensichtlich wird. Insofern ist es bedauerlich, dass aus den jetzt vorliegenden Seiten, soweit sichtbar, nicht hervorgeht, ob und in welcher Form geplant ist, die im Vatikan verbliebenen Palatina-Handschriften mit den Heidelbergern zusammenzuführen. Eine „reale“ Kooperation zwischen beiden Häusern war möglich anlässlich der großen Heidelberger Biblioteca Palatina-Ausstellung im Jahre 1986 – da sollte die virtuelle Kooperation im Zuge der „Strategie der nationalen und internationalen Vernetzung“, die die UB Heidelberg „mit Nachdruck“ betreibe, auch angesichts von sicher vorhandenen technischen Inkompatibilitäten wenigstens in Form von Links, besser in Form eines einzigen Palatina-Auftritts möglich sein. Die deutsche Palatina digital ist eine wunderbarer Sache trotz der einen oder anderen Detailkritik, und gerade deshalb bleibt zu hoffen, daß die Bibliothek in ihrer Gesamtheit – die den Kontext für die deutschen Handschriften bietet – möglichst bald virtuell verfügbar sein wird trotz aller Grenzen, die dafür überschritten werden müssen.

Anmerkungen:
1 <http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848> (15.01.2010).
2 <http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164> (15.01.2010).
3 <http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/welcome.html> (15.01.2010).
4 <http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/medhss.html> (15.01.2010).
5 Zum Projekt siehe <http://dfg-viewer.de/>. Der DFG-Viewer kann auf den Heidelberger Seiten in der jeweiligen Navigation eines Digitalisats oben rechts aufgerufen werden.
6 <http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/?easydb=maftabi2n4g4g7knsl1ua555k2&grid=EZDB-BildSucheuche> (15.01.2010).
7 <http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/codpalgraec.html> (15.01.2010).
8 <http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/codpallat.html> (15.01.2010).