Forum "Hochschule und Studienreform": Die Zukunft der Hochschulen in Deutschland

Von
Martin Winter

Ursprünglich erschienen in:
die hochschule 1/2002

Die Zukunft der Hochschulen in Deutschland
Was sich aus der Perspektive der Hochschulforschung dazu sagen lässt

von Ulrich Teichler, Kassel

1. Probleme und Chancen von Prognosen

So wie ein Naturwissenschaftler voraussagen kann, dass ein Meteorit, der irgendwo am Firmament erscheint, im Jahre 2084 haarscharf an der Erde vorbeisausen wird und wir (?) noch einmal Glück haben werden, kann sich die Sozialforschung nicht gegen den fremd - und teils auch selbst - gesetzten Anspruch wehren, dass es möglicherweise ein Zeichen von wissenschaftlicher Reife wäre, wenn sie zu guten Prognosen in der Lage wäre.

Natürlich wissen wir, dass uns Innovationswellen (z.B. Computer) und Sozialkatastrophen (z.B. Kriege) alle Trendaussagen durcheinanderbringen. Uns ist auch klar, dass in der Vergangenheit bestenfalls sehr globale Prognosen prognostische Validität bewiesen, kaum jedoch detaillierte Prognosen – z.B. zum Bedarf an Hochschulabsolventen in einzelnen Berufskategorien und Studienfächern. Nicht zuletzt klingen viele Aussagen über „wahrscheinliche Zukünfte“ langweilig, weil sie meist nur das schon Sichtbare mit kleinen Varianten extrapolieren. Wir können natürlich auch aus der Not – nicht völlig zu Unrecht – eine Tugend machen und erklären, dass die Zukunft gerade deshalb reizvoll und die Entwicklung der Gesellschaft nur interessant ist, weil eben Nichtprognostizierbares eintreten kann.

Was ebenfalls nicht zu schnellen Aussagen über die Zukunft ermutigt, ist die Tatsache, dass innerhalb der letzten Jahrzehnte die Hauptthemen der Hochschulpolitik in einem Tempo von deutlich weniger als einem Jahrzehnt wechselten: Bildung und Wirtschaftswachstum, Expansion und Chancengleichheit, Wissenschaftskritik und Studienreform, Beschäftigungsprobleme von Absolventen, Differenzierung und Wettbewerb, Deregulierung und Stärkung des Hochschulmanagements, Internationalisierung und Globalisierung. Allerdings war das jeweilige Thema, wenn es aus dem Rampenlicht der hochschulpolitischen Diskussionen verschwand, nicht erledigt, sondern Probleme und Veränderungen schritten unter geringerer Beachtung fort.

Gerade die sozialwissenschaftliche Forschung kann sich der Frage nach der Prognostizierbarkeit nicht entziehen. Soziale Relevanz erhält die Erforschung vergangener und gegenwärtiger Tatsachen daraus, dass sie für zukünftige Tatbestände bedeutsam ist. Forschung, die sich zugleich der theoretischen und methodischen Weiterentwicklung ihres wissenschaftlichen Bereichs und der kritischen Auseinandersetzung mit der Realität zum Zwecke der Reflexion sinnvoller Veränderungen verpflichtet fühlt, kann der Frage nach der Zukunft nicht ausweichen. Das gilt umso mehr, je gründlicher Forschung die Komplexität der heutigen Wirklichkeit analysieren will. Je langwieriger der Forschungsprozess ist, desto stärker sollte die Entwicklung des Forschungsdesigns von Überlegungen über Veränderungen in der Zukunft geprägt sein, um mit großer Wahrscheinlichkeit beim Abschluss des Forschungsprojekts Anregungen zur Auseinandersetzung mit akuten Problemen bieten zu können. Sozialwissenschaftliche Forschung sollte versuchen, das Gras schon unterhalb der Narbe wachsen zu sehen.

Der Autor dieses Artikels hat eine implizite Prognostik in der Forschungsarbeit immer für notwendig gehalten und auch häufig Aussagen über erwartbare Zukünfte gemacht: Dass eine Hochschulexpansion, die über die Bedarfsvorstellungen hinausgeht, weiter voranschreiten werde. Dass mit der Hochschulexpansion die soziale Relevanz kleiner Unterschiede – Examensnoten oder die Reputation der einzelnen Hochschule – wachsen werde. Dass die Fachhochschulen trotz aller möglichen Erfolge immer an einer „Identitätskrise“ leiden werden. Dass die Professoren, die die „Gewinner“ der Hochschulgesetzesnovellierungen der achtziger Jahre waren, die „Verlierer“ der in den neunziger Jahren zu erwartenden Gesetzeswelle sein dürften. Schließlich schon zu Beginn der neunziger Jahre: Dass das Thema „Management“ nach einigen Jahren gegenüber dem Thema „Internationalisierung“ in der öffentlichen Diskussion um Reformen in den Hintergrund geraten werde. Manches scheint also aus inhärenten Spannungen der gegenwärtigen Situation als wahrscheinliche Folge prognostizierbar zu sein.

2. Expansion

Im Laufe der sechziger Jahre und zu Beginn der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gewann die Vorstellung weite Verbreitung, dass eine Zunahme von Studierenden wirtschaftlich wünschenswert sei und auch zum Abbau von ungleichen Chancen und von begrenzter Talententfaltung beitragen werde. Es folgten zwei Jahrzehnte, in denen dagegen die Sorge im Vordergrund stand, zu Viele besuchten die Hochschule. Seit etwa Mitte der neunziger Jahre hat sich die Stimmungslage wieder verändert. Wenn in den Medien über die jährliche Veröffentlichung von Bildungsindikatoren durch die OECD berichtet wird, dann gibt es heute eine Fülle von besorgten öffentlichen Bekundungen, wir täten zu wenig für eine Erhöhung der Zahl der Studierenden und Absolventen.

Nach der Publikation „Education at a Glance“, die die OECD im Jahre 2001 veröffentlichte, nahmen im Jahre 1999 in den reicheren Ländern der Welt im Durchschnitt 45 Prozent eines Jahrgangs ein Hochschulstudium in einem zumindest drei Jahre dauernden Studiengang auf. Deutschland gehörte mit einer Studienanfängerquote von 28 Prozent zu den Schlusslichtern, falls „viel“ als „gut“ interpretiert wird. Hinzu kamen im Falle von Deutschland 13 Prozent Anfänger in anderen tertiären Ausbildungen im Vergleich zu 15 Prozent der OECD-Mitgliedsstaaten. Hier ist zu bedenken, dass die OECD Ausbildungen mitzählt, die in der öffentlichen Diskussion in Deutschland nicht als „tertiär“ firmieren: die Ausbildung zur Kindergärtner(in), höhere Fachschulen für Labor- und Gesundheitsberufe, Techniker- und sogar Meisterausbildung.

Wesentlich niedriger liegen die Hochschulabsolventenquoten, da in den industrialisierten Ländern im Durchschnitt wohl weniger als zwei Drittel der Studierenden einen Hochschulabschluss erreichen und da neuere Steigerungen in den Anfängerzahlen sich erst einige Jahre später in entsprechenden Absolventenquoten niederschlagen. Die OECD berechnete für Deutschland eine Hochschulabsolventenquote von 16 Prozent im Jahre 1999 im Vergleich zu 25 Prozent im Durchschnitt der OECDMitgliedsstaaten. Andere tertiäre Abschlüsse hätten in Deutschland wie im OECD-Durchschnitt 12 Prozent betragen (OECD 2001).

In den siebziger und achtziger Jahren war es für Deutschland interessant, auf die USA und Japan zu schauen, wenn man Erkenntnisse über die Folgen höherer Studier- und Absolventenquoten gewinnen wollte. Ein solcher Vergleich wurde aber häufig mit der These in Frage gestellt, dies sei wegen eines wenig elaborierten Systems der Berufsausbildung, auch wegen der vielen kurzen Studiengänge von zwei Jahren in diesen Ländern und wegen des hohen Qualitätsgefälles der Hochschulen eben „nicht vergleichbar“.

Heute lassen sich andere Vergleiche heranziehen. Interessant ist das Beispiel Finnland. Die OECD-Statistiken wiesen Ende der achtziger Jahre noch Studienanfängerquoten von wenig mehr als zwanzig Prozent, dagegen für 1999 eine Studienanfängerquote von 67 Prozent aus. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass in Deutschland in letzter Zeit die Sorge über das Leistungsniveau von Sekundärschülern gewachsen ist; die im Jahre 2001 veröffentlichte PISA-Studie (Baumert 2001) lässt vermuten, dass es innerhalb Europas inzwischen in Finnland am besten gelingt, eine hohes Leistungsniveau herzustellen.

Was ist in Finnland geschehen, das die Experten in Deutschland in den nächsten Jahren beschäftigen könnte? Alle Ausbildungsgänge, bei denen ein höheres kognitives Anspruchsniveau besteht als bei primär manuell geprägten Facharbeiterausbildungen, sind im Laufe der neunziger Jahre in Finnland zu Fachhochschulstudiengängen aufgewertet worden. Für eine moderne Gesellschaft, so die unterliegenden Grundannahmen, sollte sich der Abstand in der Befähigung zu systematischer Wissensverarbeitung zwischen dem sechsten Dezil und dem zweiten Dezil in der Statuspyramide der Berufe nicht mehr so stark unterscheiden, wie wir das aus der Vergangenheiten gewohnt sind. Und: In allen mittleren Berufen geht es nicht mehr allein um die Beherrschung von Regeln guter Praxis, sondern auch um die Befähigung, die Angemessenheit dieser Regeln ständig selbständig in Frage stellen zu können.

In Deutschland ist der Übergang zu einem solchen Modell einer hochqualifizierten Gesellschaft (Teichler 1991) angesichts des Abstandes, den wir weiterhin zwischen der Hochschulbildung und der Berufsausbildung perzipieren, schwieriger. Hier sei die These vertreten, dass die Einführung eines dreijährigen Hochschulstudiums mit Bachelor-Abschluss, die in diesem Jahrzehnt an den deutschen Hochschulen flächendeckend erfolgen dürfte (die „Kann“-Bestimmung in der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes von 1998 war nur ein politisch geschickter Schachzug zur Verringerung des Widerstands gegen diesen Trend), im öffentlichen Bewusstsein als Abstandsverringerung zwischen Hochschulstudium und beruflicher Ausbildung wahrgenommen werden wird. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann zum Beispiel die Techniker-Ausbildung mit einem Bachelor endet – und das, wie in den Kommentaren zur Entwicklung in Finnland unterstrichen, dürfte mehr sein als nur ein „Schilderwechsel“.

3. Differenzierung

Allgemein wird unter Experten die These vertreten, dass ein expandiertes Hochschulsystem einer Differenzierung bedarf (siehe dazu Teichler 1999). Wie groß aber die gewünschte oder notwendige Diversität zu sein hat und nach welchen Dimensionen die Differenzierung vor allem erfolgt, wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die vier wichtigsten Dimensionen der strukturellen Differenzierung des Hochschulwesens (sehen wir einmal von der selbstverständlichen Gliederung nach Disziplinen bzw. Studienfächern ab) sind
– Typen von Hochschulen und Studiengängen,
– Ebenen von Studienabschlüssen,
– substantielle Profile von Hochschulen und Studiengängen des gleichen Typs bzw. der gleichen Ebene und schließlich
– Ränge in der Reputation bzw. Qualität von Hochschulen und Studiengängen des gleichen Typs bzw. der gleichen Ebene.

Seit langem wurde in Deutschland die Gliederung nach den beiden häufigsten Hochschultypen Universität und Fachhochschule als die wichtigste empfunden. In den achtziger Jahren begann jedoch eine intensive Diskussion darüber, ob die Reputations- und Qualitätshierarchie als zweite Differenzierungsdimension immer größere Bedeutung gewinne. Mit dem Beginn des Aufbaus von konsekutiven Studiengängen an den Universitäten und Fachhochschulen wurden gegen Ende der neunziger Jahre dafür die Weichen gestellt, dass demnächst die Differenzierung nach Ebenen von Abschlüssen als dritte wichtige Dimension der Differenzierung in Erscheinung treten wird. Mit großer Sicherheit lässt sich also prognostizieren, dass die Konfiguration der Differenzierung des deutschen Hochschulwesens immer komplexer wird.

Die Fachhochschulen in Deutschland haben kräftig daran mitgearbeitet, dass das in den siebziger Jahren gewachsene Bild einer dominanten Differenzierung nach Hochschultypen mit klar unterscheidbaren Mandaten einer weniger klaren, stärker komplexen Konstellation Platz macht. Nicht nur nimmt die Bedeutung eines Differenzierungskriteriums notwendigerweise ab, wenn andere hinzutreten. Auch die Funktionen der beiden Hochschultypen überschneiden sich immer mehr, je mehr Bedeutung diese anderen Dimensionen der Differenzierung gewinnen. Dies wird seitens der Fachhochschulen als Schritt zur graduellen Aufwertung aktiv betrieben; hinzu kommt, dass auch bei den Universitäten das Interesse wächst, den weniger forschungserfolgreichen Bereichen ein zunehmend den Fachhochschulen ähnlicher werdendes Funktionsbündel zuzuschreiben.

Was wird aus den Fachhochschulen? Am unwahrscheinlichsten ist, dass sie als real klar abtrennbare Typen neben den Universitäten bestehen bleiben. Eher schon ist vorstellbar, dass das Wort Fachhochschule zu einem Symbol für das Ende eines Kontinuums wird – eines Kontinuums, das von einer starken Orientierung auf hohe wissenschaftliche Qualität der Forschung, die sich kaum mit Fragen des Verhältnisses von Wissenschaft und Praxis befasst, bis hin zu stark anwendungsorientierter Lehre unter Rezeption des Forschungsstandes reicht. Die ehemaligen Universitäten und Fachhochschulen würden sich dann auf diesem Kontinuum mit einer gewissen Überschneidung nach den Hochschultypen einordnen. Daneben ist natürlich denkbar, dass der Name „Fachhochschule“ bald abgeschüttelt wird.

Größere Aufmerksamkeit hat jedoch inzwischen die Frage auf sich gezogen, welche Unterschiede in Reputation und Qualität zwischen den Universitäten bestehen und in Zukunft bestehen sollen. Oft wird die These vertreten, dass ein deutliches Wachsen der vertikalen Unterschiede zwischen den Universitäten zu beobachten sei und dass dies so weitergehen werde. Es ist nicht ganz einfach nachzuweisen, dass hier ein eindeutiger Trend vorliegt. Es gibt auch Untersuchungen, die nachweisen, dass es derartige Unterschiede schon lange gegeben habe, dass dies aber das Grundvertrauen in die weitgehende Homogenität der Hochschulen nicht erschüttert habe. Unterschiede lassen sich immer nachweisen; die Frage ist jedoch, ab welcher Größenordnung sie so bedeutsam werden, dass die meisten Lernenden – nicht Minoritäten von Glücksrittern – und die meisten Arbeitgeber sie für äußerst wichtig halten und somit sozial relevante Schichtungen und möglicherweise Klassifikationen entstehen.

In einer Untersuchung zu Beginn der achtziger Jahre unter dem Titel „Hochschulzertifikate in der betrieblichen Einstellungspraxis“, die der Autor dieses Beitrags koordiniert hatte, wurde festgestellt, dass drei Viertel der Personalleiter großer Unternehmen, die Absolventen bestimmter Hochschulen bevorzugten, dabei an fachliche Spezialisierungen dachten, dagegen nur ein Viertel an Qualitätsränge, und dass die genannten Hochschulen sehr stark streuten; umgekehrt wurden zwei Universitäten immer wieder als Negativ-Beispiele genannt (siehe Teichler, Buttgereit und Holtkamp 1984). Diese Gesamtkonfiguration ließ sich kaum als sozial relevante Reputationshierarchie deutscher Universitäten bezeichnen.

Inzwischen hat es eine Fülle von Untersuchungen über vertikale Rangordnungen deutscher Universitäten gegeben. Soweit sich diese auf die Einwerbung von Forschungsmitteln oder die Reputation unter Wissenschaftlern beziehen, lässt sich auf den Spitzenplätzen eine gewisse Stabilität beobachten. Geht es dagegen um eine Bewertung von Lehre und Studium seitens der Studierenden, ergibt sich bei verschiedenen Studien keine hohe Übereinstimmung; auch scheint die Einschätzung der Studierenden ihrer Lernbedingungen wenig mit Forschungsreputation zu tun zu haben. Eine eindeutige Antwort auf die Frage der Relevanz von Reputations- und Qualitätsunterschieden gibt es also nicht.

Möglich ist jedoch, dass mit der Einführung der staatlichen Mittelverteilung mit Hilfe von Indikatoren und Kontrakten eine neue Welle der Betonung von Rangunterschieden einhergeht. Wahrscheinlich werden die Hochschulen jetzt selbst zu Propaganda-Apparaten des kleinen Unterschieds.

Relativ verbreitet scheint bei genauerer Betrachtung die Vorstellung zu sein, dass Deutschland unbedingt ein paar hervorgehobene Spitzen- Universitäten haben sollte, aber keine deutliche Ausdehnung der Qualitätshierarchie nach „unten“. Es ist allerdings nicht ganz einfach, eindeutig festzustellen, was sich in den Köpfen von Politikern und Experten in dieser Hinsicht festgesetzt hat. Der Autor dieses Beitrags hat dazu ein Experiment unternommen.

Als in der Strukturkommission eines Landes Nordrhein-Westfalen (siehe Profilbildung im Dialog, 2001) Stimmen laut wurden, eigentlich sollte die eine oder andere Universität wegen mangelnder Forschungsqualität geschlossen werden, legte er eine Berechnung vor, die die Größenordnung des Qualitätsgefälles zu messen suchte. Im Hinblick auf das am häufigsten diskutierte Kriterium für die Qualität der Forschung, die Einwerbung externer Forschungsmittel, war festzustellen, dass die multidisziplinäre Universität am untersten Ende – bezogen auf die Zahl der Professoren bzw. aller Wissenschaftler – etwa 70 Prozent so viel externe Forschungsmittel einwarb wie die in dieser Hinsicht erfolgreichste multidisziplinäre Universität des Landes. Die Interpretation, dies sei im Vergleich zu Ländern mit einer ausgeprägten Qualitätshierarchie eine sehr geringe Differenz, wurde von denjenigen Experten, die eine Schließung von einzelnen Universitäten für erwägenswert hielten, als Verteidigung von mediokren Universitäten abgekanzelt. Das Experiment scheint geglückt; eine eindeutige Einschätzung wurde evoziert: Harvard ja, ausgeprägte Stratifizierung des Universitätssystems nein – so ist wohl die vorherrschende Vorstellung.

Was ist nun zu prognostizieren? Verschiedene Szenarien lassen sich formulieren. Erstens lässt sich vorstellen, dass der Glaube vieler Wissenschaftler, dass nur Wenige zu Spitzenleistungen berufen seien und der Rest nicht so wichtig sei, sich mit Vorstellungen von Politikern trifft, dass die Auflösung der Einheit von Forschung und Lehre für alle Universitätsprofessoren interessante Sparpotentiale erbringt. Dann könnte das Reputations- und Qualitätsgefälle deutlich zunehmen.

Daneben wäre, zweitens, zu fragen, was denn mit der Vision, die wir gerne mit dem Wort „Wissensgesellschaft“ beschreiben, vor uns liegt. Geht es da um den Durchbruch zu neuen Weisheiten und Technologien an wenigen Stellen, die Wirtschaft und Gesellschaft immer eindrücklicher, immer einheitlicher und immer schneller revolutionieren, oder geht es darum, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein hohes Wissen und selbständiges Denken braucht? Je nachdem, wie diese Fragen beantwortet werden, ist auch ein anderes Bild von der Differenzierung des Hochschulwesens als wahrscheinliche Zukunft zu zeichnen.

Drittens bleibt zu fragen, wie wichtig in Zukunft Hochschulen oder Fakultäten als Ganzes für die wissenschaftliche Leistungen ihrer Mitglieder sein werden. In der deutschen Universitätstradition hat sich der Glaube an die relativ hohe Homogenität der Universitäten gerade dadurch gehalten, dass eben nicht an die Hochschule als Ganzes oder an die Fakultät als Ganzes als Leistungsträger geglaubt wurde. Es galt als ganz normal, dass sich die exzellenten Professoren (zuweilen auch Professorinnen) für exzellent hielten und unter weniger exzellenten Nachbarn überhaupt nicht zu leiden schienen. Auch galt es als normal, dass die stärker ambitionierten Studierenden einer Universität ihre Kompetenz eher in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den qualitativ anspruchsvolleren Professoren fortzuentwickeln suchten, während die weniger ambitionierten Studierenden sich auch bei den Dozenten bescheidenere Angebote suchten.

Bei den in letzter Zeit zunehmenden Versuchen zur Leistungsmessung in Hochschule und Wissenschaft zeigen sich zwei nicht spannungsfreie Ansätze. Auf der einen Seite kommen Versuche, die Forschungsleistungen der Wissenschaftler mit Hilfe von Indikatoren zu messen, konsistent zu dem Ergebnis, dass es eine kleine Minderheit sehr aktiver und anerkannter Wissenschaftler gibt. Dies scheint dem Ideal, dass man ganze Fakultäten als sehr gut oder weniger gut bezeichnen möchte, nur in Ausnahmefällen Raum zu geben. Auf der anderen Seite haben die Versuche dramatisch zugenommen, die Qualität ganzer Fakultäten oder ganzer Hochschulen am Durchschnitt ihrer Professoren oder Wissenschaftler – in der Einwerbung von Forschungsmitteln, der Häufigkeit ihrer Publikationen o. ä. – zu messen. Dem scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass die Gesamtsituation vor Ort ungeheuer wichtig für die Leistungen der einzelnen beteiligten Forscher und der Studierenden ist. Was können wir für die Zukunft annehmen: Wird die Leistung immer stärker oder immer weniger vom örtlichen Umfeld abhängig sein?

Hier sei die These gewagt, dass der Ruf nach einer Stärkung des Qualitätsgefälles von ganzen Fakultäten und ganzen Hochschulen, um dadurch angeblich die Leistungskraft eines Hochschulsystems zu stärken, ein Anachronismus ist, selbst wenn er sich vermeintlich auf die Erfolge des US-amerikanischen Universitätssystems stützen kann. Es geht nicht darum, noch einmal zu wiederholen, dass der Verweis auf die USA als Vorbild meistens gar nicht ernst gemeint ist, weil man ja nur die Schokoladen- Seite eines stärker differenzierten Systems haben will. Wichtiger ist der Befund, dass aus zwei Gründen die Bedeutung der wissenschaftlichen Kooperation „vor Ort“ immer geringer wird. Erstens gibt es einen so starken Trend zu fachlicher Spezialisierung, dass die Wissenschaftler mit großer Wahrscheinlichkeit immer häufiger Kollegen in weiter Ferne als Kommunikationspartner suchen und sich von der Kommunikation mit den Nachbarn an der eigenen Universität weniger versprechen. Zweitens hat die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologie dazu geführt, dass wissenschaftliche Kommunikation immer weniger von der Örtlichkeit abhängt. Informationsaustausch unter Wissenschaftlern kann sehr schnell erfolgen, und auch die Lehre kann sehr schnell durch virtuellen Angebote von anderen Orten ergänzt werden.

Damit wachsen die Möglichkeiten von einzelnen Universitäten, bei Fakultäten und Forschungsbereichen durch dynamische Strategien einer drohenden Reputations- und Qualitätserosion erfolgreich entgegenzutreten und neue Innovationsakzente zu setzen. Daher kann man prognostizieren, dass überörtliche – disziplinäre bzw. thematische – Netzwerke immer stärker zu Trägern der Qualität werden, wodurch Versuche, Fakultäten bzw. Universitäten nach Qualität und Reputation in Rangordnungen zu bringen, immer mehr zu einem „Glasperlenspiel” werden.

4. Chaos durch Übersteuerung oder Fortschritt durch Reflexivität?

Die deutschen Hochschulen erleben um 2000 eine sehr dynamisches Szenerie. Ähnlich wie um 1970 scheint „wieder etwas los“ zu sein. Es werden Sachgründe gesehen, die Aktionen in Bewegung setzen, und es gibt eine Steuerungskonstellation, die „aufmischt“.

Für die Steuerung der Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland galt bis in die sechziger Jahre hinein ein Miteinander von „Ordinarien- Universität“ und Staat, der sich teils als „Nachtwächter“, teils als interventionistischer „Schutzengel“ gerierte, als die probate Lösung. Der studentische Protest der späten sechziger Jahre mag zwar aus heutiger Sicht überzogen erscheinen, aber offensichtlich war die Krise der Ordinarien- Universität hinreichend groß, um nach Ablösung zu verlangen.

Das dann entstehende Miteinander von starker staatlicher Lenkung und partizipativer Selbst-Verwaltung der Universitäten hielt auch nicht das, was es versprach. Es zeigten sich sowohl eine Krise des planenden Staates als auch Sackgassen in den Steuerungsversuchen einer „Gruppen- Universität“.

Ein Vorwärts war nicht zu erkennen, und ein Rückwärts ging auch nicht. Das Ergebnis war eine untersteuerte Hochschule. Die Bewältigung der geburtenstarken Jahrgänge und die Bewältigung der deutschen Vereinigung schufen ein wenig Ablenkung gegenüber der „Versuchung“, diese Situation selbstkritisch aufzuarbeiten.

Mit einigem zeitlichen Verzug gegenüber vielen anderen europäischen Ländern wird jetzt auf ein Modell gesetzt, bei dem der Staat stärker durch Vorgaben als durch Prozesskontrolle Einfluss nimmt, innerhalb der Hochschulen die Exekutiv-Funktionen gestärkt werden und die Bewertung der „Leistungen“ der Hochschule zu einem zentralen Ankerplatz gestalterischer Entscheidungen wird. Dieses Steuerungsdreieck von politischer Vorgabe, starkem Management und output-bezogenem Evaluations- Feedback, wie es klassisch von der niederländischen Regierung Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts formuliert worden war (siehe Westdeutsche Rektorenkonferenz 1988), bietet eine neue Hoffnung auf rationale und effektive Problembewältigung im Hochschulsystem.

Mit deutscher Gründlichkeit wird jedoch derzeit dafür gesorgt, dass keine schlanken Entflechtungslösungen entstehen, sondern ein „over-kill“ von Steuerung. Jeder möglichen Schwäche einer Lösung wird durch die gleichzeitige Installierung anderer Lösungen prophylaktisch entgegengewirkt. Es entstehen so viele Gremien, dass Staat, andere gesellschaftliche Vertreter, Hochschulmanagement und Vertreter der Wissenschaft jedem vermeintlichen Verlust an einer Stelle mit einer Offensive an einer anderen Stelle entgegentreten kann.

Die Chancen, die Evaluation für eine regelmäßige Reflexion und Verbesserung des eigenen Handelns eröffnet, drohen durch ein inkompatibles Wirrwarr zunichte gemacht zu werden. Neben die bisher vorherrschende Evaluation aus Anlass von – potentiell oder real – positiven Leistungen (Anträge auf Forschungsförderung bzw. auf Publikation in selektiven Settings) treten mindestens
– indikatorenbezogene Ressourcensteuerung,
– Kontrakt-Management,
– periodische Individualbewertungen (z.B. bei Auslaufen temporärer Berufungszusagen bzw. Zeitverträgen),
– regelmäßige Lehrveranstaltungsbewertungen,
– periodische Lehrevaluation von Fakultäten bzw. kleineren institutionellen Einheiten,
– periodische Forschungsevaluation von Fakultäten bzw. kleineren Einheiten,
– periodische Akkreditierungen von Studiengängen und
– Zusatzevaluationen von selbst ernannten Schiedsrichtern (Zeitschriften, Zentrum für Hochschulentwicklung u.a.m.).

Dieses System der Übersteuerung (siehe dazu Teichler 1999a) ist durchaus noch „ausbaufähig“. Mindestens könnte es noch eine Evaluation des Hochschul-Managements geben, in die dann eine Evaluation der funktionsbezogenen Leistungen als ein wirkungsbezogenes Maß eingeht, und eine regelmäßige Personalbewertung durch die Dekane hinzutreten.

Im Augenblick ist an den deutschen Hochschulen noch nicht die volle Wirkung des aufgebauten Instrumentariums sichtbar geworden. Viele Verfahren sind bisher so langsam, vorsichtig und schlecht auf die Gleise gesetzt worden, dass das Zusammenstoßen der Züge immer noch eine Ausnahme ist. Aber ein Wirrwar angesichts der großen Verfahrensmenge ist programmiert.

Nicht weniger spannend ist die Frage, was im Konflikt der unterschiedlichen Kriterien der Evaluation passiert. Wir haben nebeneinander eine Auseinandersetzung auf verschiedenen Dimensionsebenen, so zum Beispiel
– Bewertung nach einheitlichen Maßstäben gegenüber Bewertung nach selbstgesetzten Zielen („fitness for purpose“),
– Qualität aus der Binnensicht der Wissenschaftler gegenüber Qualität im Hinblick auf Ertrag für Technologie, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur,
– Einheitlichkeit gegenüber Vielfalt von Paradigmen, Methoden usw.,
– etablierte Qualitätseinschätzung gegenüber risiko-orientierter Bewertung,
– effizienz-dominante Bewertung gegenüber ziel-dominanter Bewertung,
– objektivierbare Bewertungen gegenüber komplexen, aber bedingt transparenten Experten-Urteilen,
– unterschiedliche Gewichtungen von input-, prozess- und outputbezogenen Bewertungen.

Auch hier ist zu fragen, was als eine „Balance“ wichtiger Kriterien, was als „Konflikt“ und was als „Wirrwarr“ zu bezeichnen ist.

Einige Zeit war die Befürchtung relativ weit verbreitet, dass die zunehmenden Evaluationsaktivitäten vor allem zwei Gefahren ausgesetzt seien: einer zu starken Ausrichtung der Hochschulen auf sichtbare externe Nützlichkeit, so dass erstens offene Suche nach wissenschaftlicher Wahrheit und zweitens riskantes Suchen nach Innovation auf der Strecke bleiben könnten. Inzwischen gibt es aber ebenso viele Zeichen dafür, dass wissenschaftliche Gralshüter die verschiedenen Evaluationsinstrumente erfolgreich dazu einsetzen, bestimmte wissenschaftliche Binnenschauen, bestimmte Theorien und bestimmte Methoden für alle diejenigen verbindlich zu machen, die innerhalb der Disziplin erfolgreich sein wollen, und dass dadurch kreative Vielfalt in der Wissenschaft ebenso wie der Dialog von Wissenschaft und Praxis gefährdet werden kann.

Ein drittes Problem zeichnet sich ab: Was wird aus der Qualität der Information, wenn Information so wichtig für folgenreiche Bewertungen wird? Nimmt der Schatz valider Information zu, und wächst so die Transparenz? Wird Berichterstattung so sehr zur Reklame, dass wir das Vertrauen darauf verlieren müssen? Werden Daten immer mehr so „frisiert“, dass sie passen?

Wenn wir ein Jahrzehnt in die Zukunft blicken wollen, so können wir zweifellos feststellen: Es wird ein Druck zum Aussortieren der Evaluationsverfahren entstehen. Was bisher auf die Schiene gesetzt worden ist, bedarf eines neuen Arrangements. Ob eine höhere Reflexion einer Vielfalt von Profilen gelingt oder ob kreativitätshemmende gegenseitige Interventionen überwiegen werden, ist wohl reine Spekulation.

5. Internationalisierung

Seit einigen Jahren ist in Deutschland „Internationalisierung“ das hochschulpolitische Schlagwort, das die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht (siehe dazu Teichler 2000). Viel Interessantes ist passiert: Es wird wieder mehr darauf geachtet, ob aus dem internationalen Vergleich Anregungen für die eigene Situation gewonnen werden können. Aktivitäten zur internationalen Kooperation und Mobilität sind nicht mehr ein exotisches Eckchen der Hochschulen, sondern bei allen alltäglichen Probleme steht zugleich die Frage im Raum, was angesichts der Internationalisierungstendenzen die beste Lösung ist. Für Studierende ist die Horizonterweiterung durch ein zeitweiliges Studium im Ausland zu einer normalen Option geworden, wenn es auch nach wie vor und wahrscheinlich ebenfalls in Zukunft nur von einer Minderheit realisiert wird.

Inzwischen wird „Internationalisierung“ in der deutschen hochschulpolitischen Diskussion für fast alles verwendet, was man gerne erreichen würde. So macht es durchaus Mühe, ausländischen Gästen plausibel zu machen, warum die Einführung eines nationalen Akkreditierungssystems in Deutschland gerne unter dem Stichwort „Internationalisierung“ eingeordnet wird.

Lange Zeit hatte man annehmen können, dass „Europäisierung“ in den Mittelpunkt gerät. Wobei auch dieses Schlagwort sehr unterschiedliche Interpretationen erfuhr: die Erfahrung des Andersartigen in der näheren Umgebung und in abgemilderter Form des Fremdseins; die Suche nach einer gemeinsamen „europäischen“ Dimension; das gemeinsame Starkmachen gegen den Rest der Welt (die „Festung Europa“). Gleichgültig, welche Interpretation vorherrschte: Ein Aufruf zu verstärkter Mobilität und Kooperation in gegenseitigem Vertrauen fand erstaunlich schnell immer mehr Anklang, selbst wenn zum Beispiel die entsprechenden europäischen Förderprogramme an bürokratischer Hypertrophie litten.

Allmählich wandelte sich die Perspektive. Als deutlich wurde, dass selbst englischsprachige Länder ohne besonders beachtete Hochschultradition wie Australien eine immer stärkere Rolle als Gastländer für mobile Studierende spielten und dass kontinental-europäische Länder als mögliche Hochschulkooperationspartner für manche Schwellenländer kaum mehr sichtbar waren, entstand eine neue Idee von „Europäisierung“ und „Internationalisierung“: Gemeinsame Anstrengungen zur Anpassung der Strukturen von Studiengängen (und damit auch eine europäische Konvergenz der Strukturen) an britische und US-amerikanische Vorbilder.

In Deutschland schlug sich das 1998 in der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes nieder: Es wurde den Hochschulen freigestellt, neben die bestehende oder an Stelle der bestehenden Studiengangsstruktur ein konsekutives Studiengangssystem einzuführen. In Deutschland wurde dies mit den Bedingungen verbunden, in solchen Studiengängen ein Credit- System vorzusehen und diese Studiengänge akkreditieren zu lassen. Europaweit kamen 1999 etwa 30 Erziehungsminister in Bologna überein, durchgängig ein gestuftes System einzuführen, wobei ein Bachelor- Studium drei bis vier Jahre und das darauf aufbauende Master-Studium ein bis zwei Jahre dauern sollte.

Nun ist beabsichtigt, bis zum Jahre 2010 einen „europäischen Hochschulraum“ zu schaffen. Wie sich das in Mobilität, Kooperation, Systemkonvergenz, Integration und Entwicklung gemeinsamer Grundlagen niederschlagen wird, bleibt abzuwarten.

Der in jüngster Zeit immer stärker in den Vordergrund rückende Terminus „Globalisierung“ hat andere Untertöne. Während bei „Internationalisierung“ davon ausgegangen wird, dass es Grenzen und nationale Systeme gibt, die sich immer mehr berühren, klingt mit Globalisierung die Erosion nationaler Entitäten in Richtung weltweiter Gemeinsamkeiten an. Zum einen wird angenommen, dass die Hochschulen in einen weltweiten Wettbewerb treten; die Aufgabe nationaler Politik wird in diesem Kontext dann oft darin gesehen, alles zu tun, dass die Hochschulen vor Ort an Fitness für diesen Wettbewerb gewinnen oder Startvorteile bekommen. Dies wird zum Teil als erfreulich gepriesen, um die jeweils eigenen Vorstellungen von erwünschter Struktur oder erwünschtem Management als unabdingbare Voraussetzung für Fitness im globalen Wettbewerb ausgeben zu können; zum Teil werden Befürchtungen geäußert, dass damit ein Imitationsdruck entsteht, unerwünschte Lösungen zu übernehmen.

Daneben wird mit dem Stichwort „Globalisierung“ auf die Zunahme von „trans-national education“ hingewiesen, d.h. das Angebot von Studieninhalten und Zertifikaten außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Auch dies wird einerseits als Chance für den schnellen Zugang zu wertvollem Wissen angesehen, andererseits als Schritt der Erleichterung unkontrollierten Verkaufs niveauloser Studienangebote und des kulturimperialistischen Verkaufs von Inhalten, der die eigene Kultur gefährde.

In diesem Bereich lassen sich sicherlich zwei Prognosen mit großer Wahrscheinlichkeit stellen: Erstens wird die Struktur gestufter Studiengänge und -abschlüsse die alten Studiengänge und -abschlüsse ablösen. Zweitens wird die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechniken in der weltweiten Hochschulszene weiter wachsen.

Daneben ist vielleicht eine dritte Prognose möglich: Da bisher vor allem strukturelle und organisatorische Fragen der Internationalisierung und Globalisierung im Vordergrund gestanden haben, werden substantielle Fragen nach einiger Zeit wieder an Bedeutung gewinnen müssen: Was bedeuten die Veränderungen jeweils für die verschiedenen Disziplinen in Lehre und Forschung? Da grenzüberschreitende Kooperation und Kommunikation für Fächer wie Physik, Völkerkunde, Wirtschaftswissenschaften, Recht und Soziologie – um nur ein paar Beispiele zu nennen – jeweils völlig unterschiedliche Bedeutung haben, kann es nicht ausbleiben, dass übergreifende Kontexte, Konzepte und Modelle sehr unterschiedlich verarbeitet werden.

6. Komplexitätszunahme und Professionalisierung

Einige Trends sind sichtbar, die beim Versuch einer Prognose eine Extrapolation erlauben. So wurde bereits argumentiert, dass mit einer weiteren Steigerung der Studienanfängerquoten zu rechnen ist und dass die Struktur gestufter Studiengänge und -abschlüsse die vorher bestehende Struktur ablösen wird. Zunehmende Internationalisierung und Globalisierung ist zu erwarten, selbst wenn diese Thematik bald – wie das vorher bei ähnlichen Themen auch der Fall war – seine hochschulpolitische Aufmerksamkeit verlieren wird. Ansonsten lässt sich lediglich feststellen, dass in der derzeitigen Phase schneller Veränderungen und Reformen sich auch manche Probleme angebahnt haben, deren wachsende Virulenz prognostiziert werden kann, ohne damit die wahrscheinlichste Richtung der Problemlösung voraussagen zu können.

In jedem Falle spricht vieles dafür, dass Entscheidungen zur Gestaltung der Hochschulen immer häufiger als so komplex empfunden werden, dass sie nicht mehr weitgehend dem richtigen „Riecher“ machtvoller Akteure überlassen werden können: vorgestern den räsonierenden Professoren, gestern den starken Staatsvertretern und heute den mächtigen Hochschulmanagern. Anzunehmen ist, dass der professionelle Unterbau der Entscheidungen und der Ausbau professioneller Services an den Hochschulen deutlich zunehmen wird. Brauchte man früher an den Hochschulen ein paar Juristen und jeweils vielleicht einen Spezialisten für Internationales, Forschung, Presse u.ä., so ist anzunehmen, dass nunmehr der Bedarf für professionelle Stützung der Hochschulen erheblich wächst, wobei eine immer stärkere Differenzierung auch in den Funktionsbereichen solcher „Hochschulprofessionen“ zu erwarten ist. Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern würde es nicht überraschen, wenn sich die Zahl solcher Positionen an den Hochschulen in Deutschland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts verdoppelt, verdreifacht oder sogar noch stärker wächst.

Darin liegen große Chancen für eine Steigerung der Rationalität und Qualität in der Grundlegung von Entscheidungen, in deren strategischer Durchführung sowie in verschiedenen Dienstleistungen. Dies erfordert jedoch eine bessere Qualifizierung dieser Professionellen sowie den Aufbau einer adäquaten Funktionszuschreibung und Karrierestruktur. Vor allen werden damit auch neue Muster des Umgangs zwischen Wissenschaftlern, Managern und solchen Professionellen für verschiedene Aufgabenbereiche neben Forschung und Lehre erforderlich. Die Komplexität der Handlungssituationen wird es erzwingen, dass dieser Bereich aus seinem bisherigen Schattendasein heraustritt. Je sorgfältiger diese neue Konstellation gestaltet wird, desto eher kann reflektierte und strategische Gestaltung der Hochschulen dazu gewinnen.

Literatur

OECD 2001: Education at a Glance: OECD Indicators. Paris
Baumert, Jürgen (Hrsg.) 2001: PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske & Budrich
Profilbildung im Dialog. Hochschullandschaft NRW im Aufbruch. Düsseldorf: Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein- Westfalen 2001
Teichler, Ulrich 1991: Towards a Highly Educated Society. In: Higher Education Policy, 4. Jg., H. 4, S. 11-20
Teichler, Ulrich 1999a: Hochschulevaluation und Hochschulmanagement im internationalen Vergleich – einige Thesen. In Röbbecke, Martina und Simon, Dagmar (Hg.): Qualitätsförderung durch Evaluation? Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, S. 13-26
Teichler, Ulrich 1999b: Profilierungspfade der Hochschulen im internationalen Vergleich“. In Olbertz, Jan-Hendrik und Pasternack, Peer (Hg.): Profilierung – Standards – Selbsteuerung. Weinheim: Deutscher Studienverlag, S. 27-38
Teichler, Ulrich / Buttgereit, Michael / Holtkamp, Rolf 1984: Hochschulzertifikate in der betrieblichen Einstellungspraxis. Bad Honnef: Bock (Studien zu Bildung und Wissenschaft; 6)
Teichler, Ulrich 2000: Internationalisierung als Aufgaben der Hochschulen zu Europa. In: Joerden, Jan C., Schwarz, Anna und Wagener, Hans-Jürgen (Hg.): Universitäten im 21. Jahrhundert. Berlin und Heidelberg: Springer-Verlag, S. 169-183
Westdeutsche Rektorenkonferenz (Hg.) 1989: Staatliche Steuerung und die Erneuerung des Studiums an Hochschulen in Frankreich, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: WRK (Dokumente zur Hochschulreform 67/1989)

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