Das konservative Intellektuellenmilieu, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960)

Das konservative Intellektuellenmilieu, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960)

Organisatoren
Michel Grunewald, Uwe Puschner, Manfred Bock
Ort
Metz
Land
France
Vom - Bis
04.12.2002 - 06.12.2002
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Von
Gregor Hufenreuter, Freie Universität Berlin

Vom 4. Bis 6. Dezember veranstalteten in Metz Michel Grunewald (Universität Metz) und Uwe Puschner (Freie Universität Berlin) in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock eine Tagung, die sich mit konservativen Intellektuellenmilieus, deren Presse und Netzwerken zwischen 1890 und 1960 beschäftigte. Die Tagung stand nicht singulär für sich, sondern war der zweite Teil, einer auf vier Treffen angelegten Reihe von international besetzten Colloquien, die sich mit Intellektuellenmilieus in Deutschland beschäftigen wird. Unter Zugrundelegung der von Rainer M. Lepsius entworfenen "sozialmoralischen Milieus" am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland, sollen so das sozialistische, das konservative, das katholische und das bürgerlich-protestantische Milieu behandelt werden. Begonnen wurde die Diskussion bereits letztes Jahr mit dem sozialistischen Lager, deren Ergebnisse vor kurzem veröffentlicht wurden (Michel Grunewald; Hans Manfred Bock, Le milieu intellectuel de gauche en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890-1960) / Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960) (Convergences 24), Peter Lang Verlag, Frankfturt/Main 2002). "Milieu" steht nach Lepsius für diese Tagung als Begrifflichkeit von soziale Einheiten, die durch Strukturelemente wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung oder schichtenspezifische Zusammensetzungen gebildet werden. Dem ist von Lehnert und Megerle der Begriff der "Teilkulturen" gegenüber gestellt worden, die im Gegensatz zu den Milieus keine geschlossenen Einheiten bilden, sich gegenseitig überlagern und Bündnisformationen bilden können, also integrativen Charakter besitzen können. Die Diskussion über die Brauchbarkeit beider Kategorien ist im Fluss und, wie das Treffen in Metz gezeigt hat, auch unverzichtbar.

Zu Beginn der Tagung verlas Michel Grunewald den Vortrag des leider verhinderten Axel Schildt, der einen grundlegenden Überblick über Kontinuitäten und Brüche des Konservativismus im 20. Jahrhunderts vermittelte und auch kurz die Neuformierung nach seiner "historischen Blamage" 1945 beleuchtete. Von ebenfalls grundlegender Natur waren im Anschluss Uwe Puschners Erläuterungen zum Netzwerk der völkischen Bewegung in seinen Zeitschriften zwischen 1896 und 1933/45, wobei der Ausblick auf die Zeit des Nationalsozialismus klar machte, dass es speziell in diesem zeitlichen Rahmen an Forschung fehlt, um das Spannungsverhältnis zwischen völkischer Bewegung und Nationalsozialismus hinreichend erklärbar zu machen. Dagmar Bussiek (Erlangen) beschäftigte sich hingegen mit der Politik der "Kreuzzeitung" zwischen 1881 und 1892 und ihrer personellen Verknüpfung zur Stoecker-Bewegung, Frithjof Trapp (Hamburg) mit der kulturpolitischen Zeitschrift "Das Zwanzigste Jahrhundert", während Philippe Alexandre (Nancy) die "Konservative Monatsschrift" von 1905 bis 1922 und Michel Durand (Metz) die "Deutsche Rundschau" von Julius Rodenberg untersuchten. Hans Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) stellte wiederum Heinrich von Treitschke und sein "patriotisch-konservatives" Gedankengut in der konservativen Presse dar und, eng damit verknüpft, vermittelte Jürgen Angelow (Potsdam) ein Bild über die Habsburgermonarchie aus dem Blickwinkel der "Preußischen Jahrbücher" zwischen 1890 und 1914. Rüdiger vom Bruch (Berlin) und Rolf Parr (Dortmund) entwarfen in ihren Vorträgen die Erscheinungsformen der kultur-politisch wichtigsten bürgerlichen Zeitschriften der Jahrhundertwende "Kunstwart" und "Türmer", während Ulrich Linse (München) anhand des "Vortrupp" die möglichen Verbindungen zwischen Lebensreform und fortschrittlichen Konservatismus aufzeigte. Rainer Hering (Hamburg) untersuchte die "Alldeutschen Blätter", das Organ einer der größten konservativen Verbände in der Zeit vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus. Falk Wiesemann (Düsseldorf) und Jürgen Michael Schulz (Berlin) widmeten sich den spannungsreichen Formierungen deutsch-jüdisch-konservativer Milieus anhand der Zeitschriften "Das jüdische Echo", "Der Schild" und der "Jüdischen Front". Mit dem paneuropäischen Gedanken der Konservativen beschäftigten sich Anne-Marie Saint-Gille (Lyon II) und Ina Ulrike Paul, die die "Europäische Revue" in Ihrer organisatorischen und geistigen Ausrichtung und Entwicklung verfolgte. Hans Manfred Bock (Kassel) stellte den konservativen Publizisten Gustav Steinbömer vor, Francois Beilecke (Kassel) verdeutlichte konservative Positionen katholischer Intellektuellennetzwerke anhand der "Germania" und Dieter Tiemann beleuchtete den Jungdeutschen Orden mit seinem Schrifttum. Michel Grunwald (Metz) stellte wiederum mit dem "Ring" eines der wichtigsten konservativen Organe der Weimarer Republik vor, während Gangolf Hübinger (Frankfurt/Oder) die "Tat" und den "Tat-Kreis" und Alexandra Gerstner (Berlin) die Zeitschrift "Deutsches Volkstum" vorstellten und analysierten. Den Werdegang der "Süddeutschen Monatshefte" in der Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und dem Nationalsozialismus stellte Jens Flemming (Kassel) dar, Bernd Rusinek (Düsseldorf) untersuchte die "National-Sozialistischen Monatshefte" und Guido Müller (Aachen) stellte den "Rheinischen Merkur" als ein militantes, christlich, konservativ-liberales Organ der Nachkriegszeit vor.

Insgesamt wurden 27 Vorträge gehalten und entsprechend vielfältige Überlegungs- und Gesprächsansätze in der Abschlussdiskussion offeriert. Deutlich wurde, dass noch immer keine konkrete Definitionsvorlage des Begriffes "Konservativ" besteht und nötige Abgrenzungen gegenüber etwa dem Nationalsozialismus oder den Völkischen noch nicht hinreichend gezogen werden können, was unter anderem in den differierende Positionsmöglichkeiten der Ideologiefelder des Konservativismus begründet liegt. Die vielfältigen Differenzierungsprozesse konservativer Personenstäbe und Netzwerke sind, sosehr sie auch auf der Hand liegen, für jeden historischen Zeitabschnitt (Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Nachkriegsdeutschland) neu zu akzentuieren, denn die Topographie der Ausrichtungen im intellektuellen konservativem Zeitschriftenfeld ist wechselhaft und vielseitig. Konnte die Adaption konservativer Standpunkte durch das Bürgertum im Kaiserreiches gut nachvollzogen werden, so warf doch beispielsweise das Verhältnis zwischen, sich selbst als konservativ verstehenden, jüdischen Veteranenorganisationen der Weimarer Republik und antisemitisch gefärbten konservativen Kreisen viele Fragen auf. Auch bedarf die Zeit der Neuordnung konservativer Milieus nach 1933 und das bis 1938 sich zum Nationalsozialismus ausprägende Assimilations- oder Wiederstandsverhalten vieler Konservativer nach wie vor weiterer Forschung. Alles in allem veranschaulichte die Konferenz allein schon auf Grund der Fülle der Vorträge ein eindrucksvolles und essentielles Bild konservativer Intellektuellen- und Zeitschriftenmilieus, der durch den im laufenden Jahr erscheinenden Tagungsband greifbar werden wird. 2004 wird man sich hoffentlich genauso vielversprechend den katholischen Milieus widmen.


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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Französisch, Deutsch
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