Der Schriftsteller Eckhard Henscheid hat sich vor Kurzem als Jäger und Sammler betätigt und Bedeutungsvarianten sowie Erscheinungsformen von ‚Kultur' in aktuellen Diskussionen zusammengetragen.1 Die mehreren hundert Begriffskombinationen mit ‚Kultur', die er dabei zu Tage förderte, zeugen auf ihre, nicht selten unfreiwillig komische Art von der derzeitigen Konjunktur eines Wortes, das zahlreiche Aspekte sozialer Wirklichkeit erklären soll. Henscheid erbringt damit auch einen quantitativen Beleg für den in den letzten Jahren immer wieder festgestellten ‚Kultur'-Boom.
Ziel des vom Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg organisierten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Rundgesprächs zu aktuellem Profil und zukünftigen Perspektiven der Kulturgeschichte war es sicherlich nicht, diesem eher befremdlich anmutenden Kultur-Wirrwarr weitere Nahrung zu geben. Vielmehr sollten in der momentan intensiv geführten Debatte um die Kulturgeschichte Vertreterinnen und Vertreter dieses Ansatzes versammelt werden, um sich - wie Silvia Serena Tschopp (Augsburg) eingangs betonte - einerseits der Grundlagen kulturhistorischer Forschung zu versichern und andererseits Möglichkeiten zukünftiger, intensiverer Zusammenarbeit ins Auge zu fassen. Die Organisatoren des Rundgesprächs - neben Silvia Serena Tschopp noch Wolfgang E.J. Weber (Augsburg) und Achim Landwehr (Düsseldorf) - haben sich zunächst darauf konzentriert, Historikerinnen und Historiker aus dem deutschsprachigen Raum für dieses Treffen zu gewinnen, um dann bei möglichen zukünftigen Treffen eine Ausweitung des Kreises in interdisziplinärer und internationaler Hinsicht anzustreben.
Im insgesamt fünf Sektionen umfassenden Hauptteil des Rundgesprächs ging es in erster Linie darum, das sicherlich immer noch nicht in ausreichendem Maß bekannte und teilweise zu wenig transparente Profil der Kulturgeschichte zu verdeutlichen. Dass ein solches Profil durchaus vorhanden ist, unter Umständen jedoch noch unter einer mangelnden Publizität leidet, stellte bereits die erste Sektion zu Voraussetzungen und Gegenstandsbereichen der Kulturgeschichte klar. Hier diskutierte beispielsweise Markus Völkel (Rostock) die Frage, ob die Zeit bereits reif sei, um die kulturalistische Wende zu historisieren und zu pluralisieren. Völkel hob dabei hervor, dass die Kulturgeschichte andere historische Forschungsansätze keineswegs negiert, sondern sich als ‚Hintersinn' hinter all diese Ansätze schiebt und sie gewissermaßen umfängt. Kulturgeschichte, so ließe sich dieses Votum paraphrasieren, ist keineswegs alles, aber sie ist überall. Lässt sich in diesem Sinn Kulturgeschichte als Ansatz verstehen, der sich explizit nicht durch bestimmte Themenfelder, sondern durch eine besondere Fragestellung und Perspektive auszeichnet, die auf kollektive Bedeutungszusammenhänge und soziale Sinnsysteme abzielt, stellt sich in der Folge die Frage, mit welchen Gegenstandsbereichen sich die Kulturgeschichte bisher vor allem beschäftigt hat. Darauf ging Clemens Zimmermann (Saarbrücken) näher ein, der - von der disziplingeschichtlichen Entwicklung her - eindeutige Schwerpunkte in Bereichen wie Geschichte des Zivilisationsprozesses, Handeln individueller Akteure, Körper- und Geschlechtergeschichte, Wissens(chafts)geschichte, Mediengeschichte, politische Feste und Denkmäler sowie weiteren, damit verwandten Feldern ausmachte. Neben den Fragen, inwieweit hier stärker Kontexte zu berücksichtigen sind und ob eine kulturhistorische Epochenbildung möglich ist, besteht weiterhin das Problem, die Kulturgeschichte über diese angestammten Themengebiete hinaus stärker mit politik- oder wirtschaftshistorischen Fragen zu konfrontieren. Eine andere mögliche (und nötige) Erweiterung sprach Bernd Roeck (Zürich) in seinem Referat zum ‚iconic turn' an. Bilder, so sein zentrales Plädoyer, sollten in der historischen Arbeit nicht einfach nur als Illustration herangezogen werden, sondern müssen in ihrer gesamten Breite als Quellengattung wesentlich stärker nutzbar gemacht werden. In diesem Kontext hob Roeck die Bedeutung eines weiten Kulturbegriffs hervor, der eben auch die sogenannte ‚Hochkultur' und ihre Produkte mit einzuschließen habe. Parallel zur üblichen Texthermeneutik gelte es, eine reflektierte Bildhermeneutik zu entwickeln, die unter anderem Aufschlüsse geben kann über Fragen der Historischen Anthropologie, der Disziplinierung und Konfessionalisierung, des Kulturtransfers oder des neuzeitlichen Subjektivismus.
War damit bereits in der ersten Sektion darauf hingewiesen worden, dass sich die Kulturgeschichte als ‚Hintersinn' mit anderen Forschungsansätzen verbindet, so stellte die zweite Sektion vor allem das Verhältnis der Kulturgeschichte zur Politik- und Sozialgeschichte zur Diskussion. Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) thematisierte vornehmlich das Verhältnis zur Politikgeschichte und betonte hierbei, dass - zumindest in der Frühneuzeitforschung - die Politikgeschichte verhältnismäßig resistent gegen kulturhistorische Fragestellungen sei. Gerade diese drängten sich aber immer mehr auf, da einerseits dem ethnologischen Blick auf die eigene Kultur ein immer stärkeres Gewicht zukomme, andererseits ein übergeordnetes Verständnis von Politik dekonstruiert werden müsse, um die Rolle von symbolischen Ordnungen und Handlungen als Konstituens des Politischen angemessen würdigen zu können. Gangolf Hübinger (Frankfurt/Oder) konzentrierte sich stärker auf das Verhältnis zur Sozialgeschichte und rekurrierte auf die drei Achsen von Ökonomie, Kultur und Politik, die historisches Arbeiten organisieren und die beispielsweise bei Max Weber noch zusammengebunden waren. In diesem Sinne möchte Hübinger daher auch Prozesse kultureller Vergesellschaftung stärker im Gespräch halten, um auf diesem Weg beispielsweise zu transnationalen Epocheneinteilungen und zu weiter gehenden Einsichten in Fragen des Kulturtransfers und des Kulturvergleichs zu gelangen.
Vertieft wurden diese Fragen in der dritten Sektion zu den methodischen Grundlagen der Kulturgeschichte. Aus der Fülle möglicher Themen wandte sich zunächst Robert Jütte (Stuttgart) dem ‚linguistic turn' zu, also der ‚Mutter' - wenn man so möchte - der zahlreichen danach folgenden ‚turns'. Mit diesem 1967 kreierten Schlagwort sollte eine gleichzeitige Abkehr von Hermeneutik und Sozialwissenschaften indiziert werden. In der darauf folgenden Diskussion dominierten vor allem Fragen der Diskursanalyse und der Narrativität, Berücksichtigung verdienen allerdings auch Ansätze der historischen Semantik, strukturell-grammatischen Semantik und linguistischen Pragmatik. Neben den Möglichkeiten, die der ‚linguistic turn' der Geschichtswissenschaft immer noch bietet, unterstrich Jütte, dass mit entsprechenden Angeboten noch stärker praktisch gearbeitet werden müsse, anstatt nur theoretisch darüber zu räsonnieren. Außerdem gelte es, die theoretischen Angebote der Sprach- und Literaturwissenschaften intensiver aufzugreifen und auf diesem Weg den Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen. Während Michael North (Greifswald) auf die zentrale Bedeutung der Themenbereiche Medien und Kommunikation für die Kulturgeschichte aufmerksam machte und dabei vor allem auf unterschiedliche Medien- und Kommunikationsmodelle Bezug nahm, warf Michael Maurer (Jena) einen Blick auf den bereits von Karl Lamprecht in die Diskussion geworfenen Begriff ‚Diapason', der auf den Zusammenhang verschiedener Lebensbereiche abzielt. Auch damit wurde die Frage nach den Syntheseleistungen und -möglichkeiten der Kulturgeschichte aufgeworfen, denn hinter dem Begriff Diapason steckt das mit der Kulturgeschichte immer wieder in Zusammenhang gebrachte Argument, soziale und ökonomische Entwicklungen schlügen sich in künstlerischen und wissenschaftlichen Phänomenen nieder. Martin Dinges (Stuttgart) ging schließlich auf einen wichtigen Forschungsstrang ein, der für die Entwicklung der Kulturgeschichte von kaum zu überschätzender Bedeutung ist, nämlich die Geschichte der Mentalitäten. Dinges hob jedoch hervor, dass es sich bei der Mentalitätengeschichte weniger um ein Fundament als vielmehr um eine Chance der Kulturgeschichte handele, insofern als sich beispielsweise Einstellungen gegenüber Tod, Religion, bestimmten Lebensphasen etc. erforschen ließen. Von Anfang an habe die Mentalitätengeschichte qualitative und quantitative Aspekte enthalten, wobei es laut Dinges vor allem der quantitative Aspekt ist, der zukunftsweisend erscheint, da sich Kulturgeschichte üblicherweise hermeneutisch in die Untiefen des Sinns begibt. Demgegenüber erlauben quantitative Arbeiten vergleichende Analysen sowie Aussagen über langfristige Wandlungsprozesse und soziale Differenzierungen bei sozialen Einstellungen und Wahrnehmungen.
In den epochenspezifischen Teilfächern der Geschichtswissenschaft, denen sich die vierte Sektion zuwandte, ließen sich durchaus parallele Entwicklungen feststellen. Gregor Weber (Erfurt/Augsburg) konnte für die Alte Geschichte festhalten, dass sich dort der kulturhistorische Ansatz durchaus etabliert hat und steigende Akzeptanz erfährt. Bevorzugte Themenfelder sind hier Identität, politische Kommunikation, religiöse Praktiken, Mythos sowie eine Reihe weiterer Themen, die vor allem längerfristige Wandlungsprozesse zu berücksichtigen versuchen. Ähnliche thematische Schwerpunktsetzungen konnte Ingrid Baumgärtner (Kassel) auch für die Mittelaltergeschichte festhalten, wobei hier noch spezifische, in der Mediävistik bereits seit Langem etablierte Felder hinzutreten wie Schriftlichkeit, Vorstellungen von Zeit und Raum oder Erinnerung und Gedächtnis. Insgesamt stellte Baumgärtner jedoch eine mangelnde Diskussion grundlegender Art über die theoretischen Grundlagen einer mediävistischen Kulturgeschichte fest. Wolfgang E.J. Weber (Augsburg) konstatierte für die Frühneuzeitforschung, dass kulturhistorische Tendenzen weiterhin sehr wichtig sind, diese Entwicklung sich aber in den vergangenen drei bis vier Jahren verlangsamt habe. Wichtige Bereiche sind hier vor allem die Körper- und Geschlechtergeschichte, die Geschichte von Kommunikation und Wissen sowie die Untersuchung kultureller Praktiken. Neben dem bisher Erreichten machte Weber jedoch vor allem auf Desiderate aufmerksam, denen sich die Kulturgeschichte in ihrer Gesamtheit in Zukunft zu stellen habe. Es handelt sich dabei um die Ausschöpfung des reichen Bildmaterials, die Überführung mikroperspektivischer Ergebnisse in makroperspektivische Zusammenhänge, die konsequente Verknüpfung europäischer und außereuropäischer Themenstellungen, den innereuropäischen Vergleich, die Untersuchung bestimmter Kulturtechniken sowie die kritische Überprüfung gängiger Periodisierungsschemata. Das grundlegende Problem ist laut Weber jedoch das Fehlen einer akzeptablen Definition von Kulturgeschichte, auf der sich Methoden und Ergebnisse begründen ließen.
Einige der von Wolfgang E.J. Weber benannten Desiderate wurden denn auch in der fünften Sektion zu europäischen und außereuropäischen Dimensionen kulturgeschichtlicher Forschung aufgegriffen. Günther Lottes (Potsdam) stellte dabei die Frage, ob es so etwas wie eine europäische Identität und Erinnerungskultur gebe - eine Frage, die naturgemäß nicht leicht zu beantworten ist. Im Verhältnis der Faktoren Raum, Identität und Erinnerung setzten nach Lottes Veränderungen der politischen Raumordnungen immer auch neue Identitätsprozesse in Gang, wobei den Erinnerungsspeichern dabei eine zentrale Rolle zukommt. Doch trotz der (proto-) nationalen Aufspaltung des Kontinents gab es immer auch Träger einer europäischen Erinnerungskultur, die vor allem in Kirche, Adel, Literatur, Kunst und Musik zu finden sind. Wolfgang Schmale (Wien) stellte das für die europäische und außereuropäische Geschichte wichtige Konzept des Kulturtransfers vor. Dabei ist festzustellen, dass dieses Konzept insgesamt noch seltsam undefiniert erscheint. Im Kern geht es bei der Untersuchung von Kulturtransfers um die Beobachtung von Prozessen zwischen den Stationen Ausgangskultur, Vermittlungsinstanz und Zielkultur, wobei immer von einer Veränderung der transferierten Kulturelemente durch den Rezeptionsvorgang ausgegangen wird. Ein wichtiger Impetus war für diesen Forschungszweig die Schaffung eines Pendants zur Nationalgeschichte, insofern als mit Hilfe der Kulturtransferforschung nationale Mythen dekonstruiert und die Interkulturalität des Nationalen aufgezeigt werden können. Hannes Siegrist (Leipzig) stellte mit dem Kulturvergleich den ‚Zwilling' des Kulturtransfers vor. Der Vorteil des Kulturvergleichs liegt vor allem in der Relativierung lokaler, regionaler und nationaler Typisierungen, wobei als Ausgangspunkt komparatistischer Forschungen gemeinsame menschliche Bedürfnisse und soziale Grundformen dienen, die jeweils sozial und kulturell spezifisch ausgeprägt und überformt sind. Die in den 1960er Jahren entwickelte Komparatistik wurde vor allem durch die Hinwendung zu den Sozialwissenschaften und zur Modernisierungstheorie angestoßen. Angesichts der kulturalistischen Wende fragt es sich jedoch, wie diese sozialwissenschaftlich dominierte Vergleichsforschung kulturhistorisch erweitert werden kann, wobei Siegrist vor allem in Fragen der Raumproblematik und der Interkulturalität bedeutende Möglichkeiten sieht. Mit Fragen des Raumes befasste sich auch Reinhard Wendt (Hagen), der sich den europäisch-außereuropäischen Begegnungen aus kulturhistorischer Sicht zuwandte. Denn der Raum spielt hier insofern eine zentrale Rolle, als durch die außereuropäische Geschichte der Eurozentrismus aufgelöst werden soll. Hierbei bieten sich mit Blick auf die Kulturkontakte von Europäern und Nicht-Europäern vor allem drei Perspektiven an: Zunächst einmal der kulturimperialistische Zugriff Europas auf den Rest der Welt, sodann die außereuropäischen Rezeptions- und Wahrnehmungsformen der europäischen Welt, und schließlich die Transferleistungen von außereuropäischen Gesellschaften nach Europa. Solche Forschungen könnten, so Wendt, zu einer Dekonstruktion des Begriffs der Grenze und zu einer angemessenen Würdigung von Hybridkulturen im Gegensatz zur einseitigen Bevorzugung von Nationalkulturen führen.
Die bisherige Konzentration auf die Referate könnte leicht einen verzerrter Eindruck vermitteln, waren es doch - auch in zeitlicher Hinsicht - nicht die Vorträge, sondern die sich daran anschließenden Diskussionen, die das Treffen dominierten. Diese Diskussionen umfassend und zugleich detailliert wiederzugeben, ist kaum möglich; es sollen jedoch zumindest einige zentrale Aspekte benannt werden. So stellte beispielsweise Wolfgang Hardtwig (Berlin) heraus, dass das Aufkommen der Kulturgeschichte ein deutliches Indiz dafür sei (falls es nicht bereits den Beleg liefert), dass sich die Entwicklung der Geschichtswissenschaft nicht mehr im Sinne von dominierenden Paradigmata beschreiben lasse. Vielmehr zeige die Kulturgeschichte, dass kein Ansatz (Politik-, Sozial- oder Kulturgeschichte) mehr einen eindeutigen Primat beanspruchen kann. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Pluralisierung insgesamt positiv zu bewerten ist, oder - wie beispielsweise Hedwig Röckelein (Göttingen) hervorhob - eher zu Friktionen und Missverständnissen führt, die einer Provinzialisierung einzelner Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaft Vorschub leisten und ein Gespräch immer schwieriger werden lassen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diskussion betraf die interdisziplinären Zugänge der Kulturgeschichte. Paul Münch (Essen) und Helmut Neuhaus (Erlangen) betonten hierbei im Anschluss an das Referat von Bernd Roeck, dass die Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Kunstgeschichte nur einen möglichen Ansatz darstellt. Darüber hinaus müssten noch weiter gehende Kooperationen in den Blick genommen werden, wie die (eigentlich kaum stattfindende) Diskussion mit den Naturwissenschaften, die wichtige Erkenntnisse zur zentralen Frage des Verhältnisses von Kultur und Natur beitragen könnte. Hierbei zeichnete sich in aller Deutlichkeit ab, dass eine der wichtigen Zukunftsaufgaben der Kulturgeschichte darin bestehen wird, diesen - durchaus mit Schwierigkeiten verbundenen - Dialog mit den Nachbarwissenschaften auszugestalten.
In diesen Zusammenhang ist auch Theo Stammens (Augsburg) Plädoyer einzuordnen, die Kulturgeschichte solle sich keineswegs darauf beschränken, nur fremde Theorieangebote zu übernehmen, sondern durchaus selbstbewusst im Umgang mit dem eigenen Material versuchen, eine eigenständige Theorie auszuarbeiten. Demgegenüber ist es für Martin Dinges zukunftsträchtiger, wenn sich die Kulturgeschichte - um ein Bild Michel Foucaults zu bemühen - in einem theoretischen Werkzeugkasten bedient und sich in einem eklektischen Verfahren die angemessenen Mittel aussucht, um ihre jeweiligen Fragen zu bearbeiten.
Einen weiteren wichtigen Diskussionspunkt bildete die Frage, welche Themen vorrangig mit diesem theoretischen Rüstzeug bearbeitet werden sollten, wo also die spezifischen Kompetenzen der Kulturgeschichte liegen könnten. Wolfgang Hardtwig und Gangolf Hübinger machten in diesem Zusammenhang die Bearbeitung von Fundamentalkategorien wie Raum, Zeit und Wissen stark, wodurch der Kulturgeschichte Möglichkeiten einer Neukonzeptualisierung historischer Forschung zuwachsen könnten.
Im Anschluss an diese und weitere Diskussionspunkte hob Silvia Serena Tschopp in einem Resümee nochmals die Aspekte hervor, die von den Teilnehmenden als besonders virulent betrachtet wurden und bei denen offensichtlich noch weiterer Klärungsbedarf besteht: Dies sind zum einen ein erweiterter Quellenbegriff, der beispielsweise auch in den ästhetischen Bereich hineinragt, und deshalb zur Integration jener disziplinär geprägten methodischen Kompetenzen zwingt, die eine wissenschaftliche Analyse künstlerischer Artefakte erlauben; zweitens der Dialog der Kultur- mit den Naturwissenschaften; drittens die transdisziplinären, transnationalen und transkulturellen Perspektiven, die zu einer Aufbrechung traditioneller Muster historischen Arbeitens führen könnten; viertens die Frage nach dem methodischen Gewinn einer Anschauungsweise, die nicht nur das ‚Fremde' mit analytischer Distanz betrachtet, sondern auch das ‚Eigene' zum ‚Fremden' macht; und schließlich fünftens eine mögliche verstärkte Konzentration der Kulturgeschichte auf Fundamentalkategorien wie Raum, Zeit oder Wissen. Um die Grundlagendiskussion über die Kulturgeschichte nicht abreißen zu lassen, wurde vereinbart, ein vom Augsburger Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte und dem gleichnamigen Institut organisiertes Netzwerk einzurichten, in dem zukünftige Vorhaben koordiniert werden können. Nachdem in einem ersten Schritt durch eine Umfrage geklärt wurde, welche Kooperationsformen gewünscht werden, in welcher Form weitere Arbeitsgespräche, Tagungen oder Publikationen anzustreben sind, und inwiefern sich gerade in einem kulturhistorischen Rahmen die Möglichkeit ergibt, wie Martina Kessel (Bielefeld) vorschlug, zu aktuellen Themen stärker mit Medien zusammenzuarbeiten, muss es nun darum gehen, konkrete Vorschläge in die Wirklichkeit umzusetzen. Der zu erwartende wissenschaftliche Ertrag der in Augsburg beschlossenen engeren Kooperation kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht benannt werden; eines dürfte jedoch klar geworden sein: Das DFG-Rundgespräch zum Thema "Kulturgeschichte - aktuelles Profil und zukünftige Perspektiven" war eher der Beginn einer Diskussion, weniger deren Abschluss.
1 Eckhard Henscheid, Alle 756 Kulturen. Eine Bilanz, Frankfurt a.M. 2002.