Bereits seit dem Jahre 1990 bildet das jährlich stattfindende Kolloquium zur Polizeigeschichte ein Forum für zentraleuropäische Polizeihistoriker. Diesmal war die Veranstaltung, die das erste Mal in Österreich stattfand, den Wechselbeziehungen zwischen der Entwicklung der Polizei und dem Recht im umfassenden Sinn gewidmet. Helmut Gebhardt formulierte zunächst in seinem Einleitungsvortrag die Themenstellung und umriss anhand der österreichischen Geschichte von Polizei und Gendarmerie die vielfältigen Berührungspunkte von Polizei und Rechtsordnung. Er verwies auf die Rollen der Polizei als verlängerter Arm des Gesetzes und als wesentliche Stütze des Staatssystems. Andererseits wurde auf die zunehmende rechtliche Durchdringung der Polizeiorganisation und des Polizeihandelns in den letzten 200 Jahren aufmerksam gemacht, die letztlich auch für die allgemeine Entwicklung zum Rechtsstaat bedeutsam war.
Die einzelnen Referenten näherten sich dann dem Thema von recht unterschiedlichen Ansätzen und Zeitperioden. Dabei befassten sich die beiden ersten Referate vor allem mit Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Christoph Ebnöther (Zürich) stellte in seinem Referat die Entwicklungsgeschichte des zürcherischen Landjägerkorps von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zum Erlass des ersten modernen Polizeigesetzes 1847 dar. Er legte dabei ein besonderes Schwergewicht auf die Zusammenhänge der schweizerischen und zürcherischen Verfassungsgeschichte und der Rolle der Polizei in den kantonalen Sicherheitsstrukturen zwischen 1798 und 1848. Philipp Müller (Florenz) widmete sich der Polizei im wilhelminischen Kaiserreich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Dabei machte er insbesondere am Beispiel der unter Polizeiaufsicht stehenden Personen und der dabei geübten Abschiebungen die Grenzen des Polizeihandelns zwischen gesetzlicher Regulierung und den Erfordernissen der Praxis deutlich. Ferenc Csóka (Budapest) blickte mit seinem Beitrag dann vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Er stellte die Organisation des Budapester Detektivkorps vor, das 1885 eingerichtet wurde und mit staatspolizeilichen und kriminalistischen Erhebungen betraut war. Die bis zu 750 Beamte umfassende Einheit war in fünf Brigaden eingeteilt und existierte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die beiden nächsten Vorträge waren der niederländischen Polizeigeschichte gewidmet. Dabei machte zunächst Guus Meershoek (Enschede) einen Querschnitt durch die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und wies auf den schwierigen Umgang der Polizei mit dem Recht hin. Er beschrieb die Spannungen zwischen den zentralen Instanzen und den Städten sowie die Beziehungen zur Justiz, die in den verschiedenen Entwicklungsphasen recht unterschiedlich ausgeprägt waren. Ronald van der Wal (Gouda) ging dann auf die Situation des Sicherheitswesens im Verlauf des Ersten Weltkriegs ein. Die Niederlande waren ja auf Grund ihrer Neutralität nicht in den Krieg involviert. Es herrschte allerdings ein ständiger Belagerungszustand, der auch auf die Sicherheitsorganisation Einfluss hatte, die zwischen der Gemeindepolizei, der Rijksveldwacht und der königlichen Marechaussee geteilt war.
Hierauf befassten sich zwei Referate mit der österreichischen Polizeigeschichte. Franz Weisz (Schwechat) widmete sich erst einmal dem rechtlichen Korsett der Polizei, wobei er querschnittartig die Entwicklung ab Inkrafttreten der Strafprozessordnung von 1873 bis zur Gegenwart beschrieb. Dabei ging er insbesondere auf das Verhältnis der Sicherheitskräfte zu den Gerichtsbehörden sowie der Staatsanwaltschaft ein und wagte einen Vergleich mit der deutschen Organisation. Hierauf stellte Heinz Placz (Wien) die Sicherheitsstruktur der Ersten Republik vor. Am Beispiel der unterschiedlichen Bewaffnung und Ausrüstung, die nicht zuletzt auf Grund der politisch motivierten Gewalt immer wieder angepasst werden musste, stellte er den Zusammenhang zu den in dieser Zeitperiode durchgeführten Reformen und Vereinheitlichungen bei Polizei und Gendarmerie her.
Die personelle Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus umkreisten die drei folgenden Beiträge. Gernod Fuchs (Salzburg) ging zunächst auf die personellen Umbrüche im Gefolge des Anschlusses 1938 ein. Er stellte eine Personalliste der Salzburger Gendarmerie vom April 1938 vor, in der alle damaligen Exekutivbeamten mit einer politischen Beurteilung erfasst waren und die Grundlage der dann eingeleiteten Maßregelungen wurde. Dabei erfolgte nicht nur eine ausführliche Analyse dieser Liste, sondern es wurde auch auf die Karriereverläufe während der NS-Zeit sowie die weiteren personellen Entwicklungen nach dem Umbruch 1945 geblickt. Anschließend widmete sich Thomas Mang (Mödling) der Situation bei der Gestapo. Am Beispiel der Staatspolizeileitstelle Wien wies er darauf hin, dass fast 90 Prozent der Gestapoleiter ausgebildete Juristen waren, die er als ideologisch indifferente Karrieristen beschrieb, die zu Schreibtischtätern an den Schlüsselstellen des effektivsten Terrorapparates des nationalsozialistischen Regimes wurden.
Alfons Kenkmann (Münster) widmete sich dann den Rechts- und Unrechtswahrnehmungen deutscher Polizisten vor und nach 1945. Anhand ausgewählter Biographien unternahm er den Versuch, Erklärungen und Beurteilungen für die unterschiedlichen Verhaltensweisen und Werthaltungen von Polizeibeamten zwischen aktiver Mordbeteiligung und konsequenter Verweigerung zu benennen. Dabei wurden die Ermessens- und Handlungsspielräume unter Berücksichtigung der situativen Rahmenbedingungen von 1933 bis 1945 in einem stark mit Normen versehenen Beruf ebenso entfaltet wie die individuellen Verarbeitungsstrategien von Polizeibeamten in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit. Auch bei Stefan Mörchen (Bremen) stand die Nachkriegszeit im Blickpunkt. Er behandelte am Beispiel Bremens die polizeiliche Bekämpfung des Schwarzen Marktes. Dabei konnte er zeigen, wie Schutz- und Kriminalpolizei dieses Problem im Spannungsfeld konkurrierender ordnungs- und wirtschaftspolitischer Erklärungsansätze definierten und welche Strategien zu seiner Bekämpfung sich in der polizeilichen Praxis durchsetzten.
Im Blickpunkt der beiden abschließenden Referate standen Ereignisse bzw. Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit. Lászlo Kosa (Budapest) beschrieb zunächst die sogenannte Budapester Taxifahrerblockade vom Oktober 1990. Im Zuge der politischen Umbrüche wurde damals wegen Erhöhung des Benzinpreises die größte Kundgebung in Ungarn seit 1956 inszeniert, die ernstlich die Regierbarkeit des Landes gefährdete. Das Ereignis führte dann letztlich zur Entwicklung neuer Strategien zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit.
Den Abschluss der Tagung bildete schließlich das Referat von Alf Lüdtke (Erfurt), der unter dem Schlagwort "Zurück zur Policey?" der Entwicklung des Bildes der Polizei vom späten 18. Jahrhundert bis zur unmittelbaren Gegenwart zwischen den beiden Polen "sorgend - edukativ" und "korrigierend - repressiv" nachspürte. Er wies auf die Revidierung des traditionellen Polizeibildes im Sinne einer sichtbaren "Ordentlichkeit" in den siebziger Jahren hin. Doch in der zunehmenden vorbeugenden Überwachung und der präventiven Intervention im letzten Jahrzehnt erblickt er eine entschiedene Rückwendung zu einer vielfach gewaltförmigen Praxis.
Insgesamt zeigten die Referate und die jeweils ausführlichen Diskussionen von verschiedenen Ansätzen die vielen Facetten und Beziehungen zwischen der Polizei und der Rechtsordnung auf. Es wurden nicht nur Fragen der inneren Polizeiorganisation sowie der personellen Entwicklung behandelt, sondern immer wieder wurde auf das Spannungsfeld zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen auf der einen Seite und den Erfordernissen eines effektiven Polizeihandelns andererseits aufmerksam gemacht. Natürlich konnte im Rahmen dieser Tagung keine umfassende Aufarbeitung dieses Themas erwartet werden, aber mit den vielen aufgezeigten Schlaglichtern konnten doch neue Aspekte in dieses Forschungsfeld eingebracht werden.
Es ist geplant, auch im nächsten Jahr ein Kolloquium zur Polizeigeschichte zu veranstalten. Der Tagungsort sowie das Generalthema stehen allerdings noch nicht endgültig fest.