Der "Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert" ist ein Diskussions- und Austauschforum für aktuelle Arbeiten zur Geschichte von Orden und Kongregationen in der katholischen Kirche. An der vierten Fachtagung nahmen 35 Personen teil, die sich in ihren Forschungsarbeiten mit Themen zur Ordensgeschichte der beiden letzten Jahrhunderte beschäftigen.
Prof. Dr. Karl Markus Kreis (Dortmund) arbeitet an einer Quellenedition über die katholische Indianermission in South Dakota. Im Zentrum stehen die 1886 gegründete St. Francis Mission und die 1888 gegründete Holy Rosary Mission, denen als Missionsgebiete die beiden Indianerreservationen Rosebud und Pine Ridge in Buffalo zugewiesen wurden. Hier arbeiteten Franziskanerinnen von Heythuysen und Jesuiten nebeneinander. Unter staatlicher Aufsicht hatten sie die Aufgabe, die Lakotas (Sioux) durch Schulbildung zu "zivilisieren". Die Schwestern unterrichteten die akademischen Fächer, die Jesuitenbrüder übernahmen die Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten und die Jesuitenpatres hatten die Schulleitung inne. Heute sind die Missionsschulen in indianischer Verwaltung. Die vielfach deutschsprachigen Quellen wurden bisher nicht beachtet. Benutzt wurden meist schlechte Übersetzungen und sinnentstellende Zusammenfassungen dieser Texte. Die Edition, zu der auch Bildquellen gehören, wird Material für weitere Ausarbeitungen liefern.
Dr. Otto Weiß (Wien) schilderte ein anspruchsvolles Projekt mit zahlreichen Hindernissen. Er wurde mit der Fortführung der Kongregationsgeschichte der Redemptoristen betraut. Die Redemptoristen haben ihre Geschichte lange Zeit völlig vernachlässigt und es erschienen lediglich hagiographische und apologetische Arbeiten über Alfons Maria de Liguori (1696-1787). Die Mitbegründer der Kongregation, Maria Celeste Crostarosa (1696-1755) und Bischof Tommaso Falcoia (1663-1743), traten dagegen völlig in den Hintergrund. Eine mangelnde Beschäftigung mit der Geschichte mündete in einen Identitätsverlust der Kongregation. 1948 wurde beschlossen, diesem Zustand abzuhelfen und im selben Jahr wurde in Rom ein historisches Institut gegründet. Der erste Band der Storia della Congregazione del Sanctissimo Redentore (Bd. 1/1) erschien 1993. Weitere Bände, welche die Zeit von 1732 bis 1967 umfassen sollen, sind in Vorbereitung. Wegen der Überfülle des Quellenmaterials, des anspruchsvollen Publikationsprogramms und des Mangels an qualifizierten Mitarbeitern, wird es zunehmend schwieriger den ursprünglichen Arbeitsplan zu verwirklichen.
Kirsten Rakemann (Münster) plant die Biographie des Franziskaners P. Gregor Janknecht (1829-1896) der, mit Unterbrechungen, 21 Jahre Provinzialminister der Sächsischen Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuz war. Seine Lebensgeschichte deckt sich weitgehend mit der Provinzgeschichte (Umgang mit der Alkantarinerbewegung, Übernahme von Missionen in Nord- und Südamerika, Kulturkampfzeit), was eine besondere Herausforderung für den methodischen Zugriff darstellt. Die vorhandene umfangreiche Korrespondenz enthält nur wenige persönliche Zeugnisse. Maria Maul, Salesiannerin Don Boscos (Vöcklabruck) stellte in ihrem Beitrag Überlegungen zur Beschäftigung mit dem Salesianerprovinzial P. Dr. Franz Xaver Niedermayer (1882-1969) an. Sie nahm dessen Wirken in der österreichisch-ungarischen und später deutsch-österreichischen bzw. deutschen Salesianerprovinz zum Anlass, um über das Verhältnis von Ordens- und Personengeschichte zu reflektieren. In der Diskussion zu den Referaten boten sich interessante Vergleichspunkte.
Dr. Clemens Brodkorb (München) stellte das Provinzarchiv der deutschen Jesuiten als Spiegel ihrer Provinzgeschichte vor. Im Juli 2004 erfolgt die Vereinigung der beiden deutschen Jesuitenprovinzen zu einer Provinz mit Sitz in München. Damit werden die beiden bisher selbstständigen "Behördenarchive" wieder vereinigt. Im Vergleich zu anderen Orden verfügen die Jesuiten über eine kontinuierliche und dichte Quellenüberlieferung.
In seinem Werkstattbericht über die laufende Wanderausstellung "Frömmigkeit und Wissen: Kapuzinerbibliotheken vor der Säkularisation" berichtete Prof. Dr. Reimund Haas (Münster/Essen) über die synergetische Zusammenarbeit von insgesamt 12 wissenschaftlichen Instituten in Deutschland und Italien. Im Ausstellungskatalog wurden von 5000 erhaltenen alten Büchern der alten rheinisch-westfälischen Kapuzinerklöster 46 ausgewählt, erschlossen und beschrieben. Prof. Haas empfahl den Ordenshistorikern dieses gelungene vernetzte Modell, um in schwierigen Zeiten mit begrenzten finanziellen und personellen Kapazitäten bedeutsame Ausstellungs- und Forschungsprojekte dennoch realisieren zu können. Das Projekt wird fortgeschrieben, da von der Ausstellung Impulse zu einer weiteren Bestandssicherung von Franziskaner- bzw. Kapuzinerbibliotheken ausgingen. Weitere Informationen unter http://www.froemmigkeitundwissen.de.
Johannes Wielgoß, Salesianer Don Boscos (Essen) beschäftigte sich unter einem besonderen Aspekt mit der Geschichte der deutschen Salesianer im Dritten Reich. 1929 erfolgte die Selig- und 1934 die Heiligsprechung des Ordensgründers Giovanni Don Bosco (1815-1888). Der bedeutende italienische Jugendseelsorger wurde zum Abschluss des Heiligen Jahres 1934 durch Papst Pius XI. heilig gesprochen. Dies führte auch in Deutschland zu zahlreichen Feiern in den Niederlassungen der Salesianer, an denen sich auch der Episkopat beteiligte. Don Bosco wurde in den folgenden Jahren als Leitfigur für die Jugend propagiert. Dies widersprach dem Jugend- und Führerkult der Nationalsozialisten. Bei den Salesianern führte die emotionale Mobilisierung durch die Heiligsprechung zu einer bis dahin nicht gekannten Eintrittswelle in den Orden. Diese Erfolgsgeschichte wurde durch den Krieg jäh unterbrochen. Bei Kriegsende waren von ca. 600 Mitgliedern der Salesianerprovinzen über 150 gefallen oder vermisst. In der Gemeinschaft wurde bis 1945 das Opfer der Gefallenen kritiklos religiös überhöht dargestellt. In einem weiteren Schritt soll die Haltung der im Ausland lebenden Salesianer zum Nationalsozialismus analysiert werden.
Eric Steinhauer (Ilmenau) untersuchte den im 20. Jahrhundert stark angewachsenen "Heiligenhimmel" der 1720 von Paul vom Kreuz (1694-1775) gegründeten Kongregation vom Leiden Christi. Spezifisch für diese Klerikerkongregation ist ihre Passionsfrömmigkeit. Die Gemeinschaft verpflichtet sich dazu auch durch ein Sondergelübde. Bis 1963 konnte die Kongregation vier Heilige, darunter den Gründer, vorweisen. Diese Zahl wurde zwischen 1984-1999 unter dem Pontifikat Johannes Paul II. mit weiteren 34 Seligen und Heiligen stark vermehrt. Daneben gibt es zur Zeit 19 laufende Verfahren. Alle Heiligen zeichneten sich durch ihre Passionsfrömmigkeit und Regeltreue aus und die Kongregation erscheint als eine "Schule der Heiligkeit". Führt diese spezielle Spiritualität direkt zur Heiligkeit oder spielen dabei auch kirchenpolitische Faktoren eine Rolle? Dieser Aspekt wurde sehr lebhaft und kontrovers diskutiert.
Bei der Tagung wurden viele Facetten von Ordensgeschichte deutlich. Durch den intensiven Austausch der Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurde das Spezialwissen über Orden und Kongregationen in einen breiten Kontext gestellt. Damit erfüllt der Arbeitskreis auch seine Aufgabe als Bindeglied zur internationalen Ordensgeschichtsforschung, die für Europa durch die Katholieke Universiteit Leuven koordiniert wird.
Die nächste Tagung des Arbeitskreises findet vom 11. - 13. Februar 2005 in Vallendar statt. Weitere Informationen beim Leitungsteam des AKO: Dr. Antonia Leugers (München), Dr. Gisela Fleckenstein (Brühl) und Prof. Dr. Joachim Schmiedl (Vallendar).