Die Tagung knüpfte an die bisherigen Projekte des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) zur Wahrnehmung von „Fremden“ und „Fremd-Sein“ in der DDR sowie den Ursachen von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland an.1 Die Referenten erweiterten die Perspektive durch Fallstudien zu Migrantengruppen, die dauerhaft oder zeitlich begrenzt aus den verschiedensten Gründen in der DDR lebten und arbeiteten. Die unterschiedlichen Projektionen und Wahrnehmungen der DDR-Bevölkerung gegenüber „Fremden“ bildeten die inhaltliche Verbindung der Tagungsbeiträge; im Hinblick auf diese Projektionen wurden alltägliche, arbeits- und konsumbezogene Zusammenhänge zur Sprache gebracht.2
Der folgenden Zusammenfassung sei der abschließende Kommentar von Dorothee Wierling (Erfurt/Hamburg) vorangestellt, welcher die Fallstudien auf den gemeinsamen Nenner von „klassischen Projektionen eigener innergesellschaftlicher Konflikte“ brachte. Wierling sprach die Instrumentalisierung der „Fremden“ durch die Einheitspartei zu legitimatorischen Zwecken an (Schutzmacht UdSSR, Weltoffenheit); dies verknüpfte sie mit der „Kommunikationssperre“ zwischen SED-Funktionären, Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Als Konsequenz aus beidem wurden „Migranten“ durch Teile der Bevölkerung als staatlicherseits bevorzugt begriffen und wegen ihrer vermeintlichen Möglichkeiten, Chancen und (Reise-)Freiheiten uneinheitlich bis ablehnend bewertet. Wierling regte zudem an, bei der Betrachtung von Migration und Interkulturalität, besonders im Fall der DDR, Analysewerkzeuge aus den „Gender Studies“ stärker zu nutzen und die geschlechtsbezogenen Konnotationen verschiedener Migrantengruppen deutlicher herauszuheben. Körperbezogene Neidkonstruktionen der „Einheimischen“ gegenüber den „Auswärtigen“ sollten im Hinblick auf Verhaltensmuster und tradierte „Stereotype und Bilder“ ebenfalls untersucht werden.
Karen Schönwälder (Berlin) ergänzte hierzu, dass die Erforschung der Migration in die DDR und in die Bundesrepublik mit Blick auf einen mehrseitigen, „besonders binationalen Prozess in einem europäischen und internationalen Zusammenhang“ neue Impulse erhalte, wenn sie neben den staatlichen Praktiken auch den „situativen Kontext“ sowie die „langfristige Zementierung von Fremdbildern“ berücksichtige.
Nun jedoch zu den einzelnen Vorträgen: Im Eröffnungsreferat thematisierte Christian Müller (Hamburg) am Beispiel der sowjetischen Streitkräfte die Gegensätzlichkeiten zwischen der offiziellen SED-Propaganda, den tradierten Russlandbildern aus der Zeit vor 1945 und den Alltagserfahrungen mit den „real existierenden Sowjetsoldaten“ bzw. ihren Offizieren in Kasernen und bei der Vorbereitung von Manövern. Das Konkurrieren mit den „Offiziersfrauen“ beispielsweise und die Reproduktion von Negativ-Stereotypen wie „Ordnungslosigkeit“ oder „nachlässiger Umgang mit materiellen Ressourcen“ unterhöhlten das propagandistische Bild der „deutsch-sowjetischen Freundschaft“. Mit Blick auf die Kontinuität nationalistischer Einstellungen stellte Müller fest: „Wurde in Ritualen die imaginierte Freundschaft zu abstrakten Sowjetmenschen gepflegt, so dominierte an den Standorten das Nebeneinanderherleben von Deutschen und ‚Russen’ bei fortbestehenden Ressentiments.“
Die Erfahrungen ausländischer Studierender in der DDR beleuchtete Damian Mc Con Uladh (London). Im Verständnis der Staatspartei und ihrer wechselnden außenpolitischen Interessen unterstützten diese „Gäste auf Zeit“ die späteren Aufbauleistungen in ihren Heimatländern durch ihr Studium und waren potenzielle Multiplikatoren eines positiven DDR-Bildes. Deshalb durften „Polizei und MfS nicht immer unerwünschte Aktivitäten unterbinden“. Dies habe Möglichkeiten für „eigen-sinniges“ Verhalten unter Ausnutzung der gegebenen engen Grenzen geboten. Ausländische Studierende waren eine äußerst heterogene Gruppe, in welcher sich lose politische und soziale Netzwerke formierten, sich aber auch die regionalen Konflikte ihrer Herkunftsländer manifestieren konnten. In der Wahrnehmung der DDR-Bevölkerung, so Mac Con Uladh, standen diese Studierenden für den „Westen“, waren sie „ein Fenster zur weiten Welt“. Durch die Reisemöglichkeiten wurden sie gegenüber den DDR-Bürgern zu „Vermittlern knapper materieller Produkte und kultureller Erfahrungen“.
Dagmara Jajesniak-Quast (Frankfurt/Oder) ging in ihrem Vortrag über „Proletarische Internationalität ohne Gleichheit“ auf Fremde als Arbeitskräfte in sozialistischen Großbetrieben ein. Sie schilderte die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen von Pendlern, Vertragsarbeitern, Kontraktarbeitern, politischen Emigranten und ethnischen Minderheiten (Roma in Nowa Huta und slowakische Ungarn in Kunčic). Mit Blick auf die Stahlindustrie (EKO Eisenhüttenstadt) sowie die Chemie- und Textilbranche (Guben) in der Oder-Neisse-Grenzregion betonte Jajesniak-Quast abweichende Verdienstregelungen und Ausfuhrbestimmungen für Arbeitnehmer. Als einen Sonderfall hob sie die polnischen Pendlerinnen im Gubener Textilbetrieb hervor, die „mit den deutschen ArbeiterInnen hinsichtlich arbeitsvertraglicher Konditionen (Lohngruppen, Urlaub etc.) gleichgestellt waren“. Nach dem Auslaufen der Pendlervereinbarung (1965) wurde der Vertrag „stillschweigend verlängert“. Für die DDR, so die Referentin, ergaben sich mehrere Vorteile, da z.B. Investitionen für Wohnungen, Kinderkrippen- und Kindergartenplätze entfielen.
Unter dem Titel „Bedingt aufnahmebereit. Zur Geschichte der ‚politischen Emigranten’ in der DDR“ erläuterte Patrice G. Poutrus (Potsdam) das Verhältnis von Inklusion und Exklusion in der „imagined community“ der DDR. Am Beispiel der Aufnahme von ca. 2.000 chilenischen Flüchtlingen nach dem Pinochet-Putsch (1973) verdeutlichte Poutrus, dass „proletarischer Internationalismus kein durchgängiges Handlungsprinzip für die SED war“ und die DDR den eingereisten Chilenen nicht den Status gleichberechtigter Bürger gewährte. An dieser Flüchtlingsgruppe, die in eine „trianguläre Beziehungsstruktur“ mit der Staatspartei und der Bevölkerung eingebunden war, zeigte Poutrus Widersprüche bei der Behandlung von Asylsuchenden auf. Da sie (unter anderem wegen der Möglichkeit zu Westreisen) als privilegierte Abgesandte der Staatspartei wahrgenommen wurden, bestand seitens der DDR-Bevölkerung „sozialer Neid gegenüber den vorgestellten Vorteilen“. Hinzu kamen der Exotismus des Fremden und geschlechtlich determinierte Abwehrhaltungen. Von den ursprünglich rund 2.000 Chilenen – die sich den SED-Funktionären unterordnen mussten und vom MfS stark überwacht wurden – blieben etwa 700 in der DDR; der größte Teil reiste nach Westberlin oder in die Bundesrepublik aus.
Als Kommentar zu Poutrus’ Vortrag führte Stefan Troebst (Leipzig) aus, dass die DDR-Asylpolitik auch andere Verlaufswege beschreiten und Eingliederungsbemühungen unternehmen konnte, die sich vom Fall der „Chilenen“ deutlich unterschieden. Dies zeigte er anhand der im „Heimkombinat Freies Griechenland (Radebeul)“ wohnenden jungen griechischen Bürgerkriegsflüchtlinge der Zeit nach 1948.
Jonathan R. Zatlin (Boston) beschrieb am Beispiel des kurzzeitigen pass- und visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der VR Polen (Januar 1972) die Verknüpfung von materiellem Konkurrenzverhalten in der Mangelwirtschaft mit fremdenfeindlichen Stereotypen und Ablehnungshaltungen. „Tourism did not foster mutual understanding. Instead, it exacerbated longstanding animosities.“ Die „consumer privileges“ der einheimischen Bevölkerung mussten gegen die „Fremden“ behauptet und durchgesetzt werden. Hierbei flossen Erfahrungen materiellen Mangels sowie die engen ideologischen Vorannahmen aus Sicht der Planwirtschaft (Handel=Ausbeutung, Händler=Parasit) in einen Diskurs ein, der verwurzelte Vorurteile und Stereotypen gegenüber dem „Polen“ auf den polnischen Konsumtouristen projizierte. Der partielle Rückgriff auf tradierte Elemente des Kulturrassismus und auf das Slawenbild des 19. Jahrhunderts, so Michael Schubert (Osnabrück) in seinem Kommentar, fand in den frühen 1980er-Jahren schließlich Eingang in den Parteidiskurs der SED, und zwar nicht nur auf lokaler Ebene.
Das Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Integrationsförderung und gesellschaftlicher Integrationsverweigerung zeigte Michael Schwartz (Berlin) am Beispiel der Vertriebenen in beiden deutschen Staaten, deren Eingliederungspolitiken sich in ihrer Gründungsperiode ähnelten und die neben materiellen Hilfen (Lastenausgleich, Umsiedlerhilfe) auch Aufstiegsmöglichkeiten bereithielten. In der späteren Rückschau, so Schwarz, seien die Verteilungskonflikte zugedeckt worden und die „Bedingungen in der Ankunftsgesellschaft eine erinnerungspolitische Leerstelle“ geblieben.
Die massiven innergesellschaftlichen Konflikte, die „Des-Integration“ aufgrund soziokultureller und konfessioneller Unterschiede sowie die Verschiebung der Perspektive von der ausgrenzenden Mehrheitsbevölkerung zur ausgegrenzten Minderheit können auch und gerade nach diesem Workshop ergiebige Themen künftiger Studien sein.
Anmerkungen:
1 Vgl. Behrends, Jan C.; Lindenberger, Thomas; Poutrus, Patrice G. (Hgg.), Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Berlin 2003.
2 Vgl. das Programm: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=2330.