Santo Domingo / Saint-Domingue / Cuba: 500 Jahre Sklaverei und Transkulturation in den Amerikas

Santo Domingo / Saint-Domingue / Cuba: 500 Jahre Sklaverei und Transkulturation in den Amerikas

Organisatoren
Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte, Universität zu Köln, Universität Michigan
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.12.2004 - 16.12.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Thomas Neuner, Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte, Universität zu Köln

Vom 14. bis 16. Dezember 2004 hat an der Kölner Universität ein Colloquium über Sklaverei und Transkulturation stattgefunden. Die Organisatoren Michael Zeuske (Universität zu Köln) und Rebecca Scott (Universität Michigan) haben ein volles Programm zusammengestellt. Die von der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Konferenz vereinigte zahlreiche Wissenschaftler einer seit etwa einem Jahrzehnt vorangetriebenen internationalen Forschungsanstrengung zur atlantischen und insbesondere großkaribischen Sklaverei und Postemanzipation. Ausgehend von einem anthropologischen Konzept, das den Sklaven als Rechtssubjekt und Akteur begreift, sowie mit mikro- und ethnohistorischen Methoden erhobenen Informationen über Erfahrungen und Erinnerungen der Sklavinnen und Sklaven sowie ihrer Nachkommen haben Michael Zeuske und Rebecca Scott eine neue Perspektive der Versklavten eröffnet und mit ihren Arbeiten wichtige Impulse für ähnliche Forschungsprojekte gegeben. Ihre Arbeitsweise basiert auf der Verknüpfung von Archivquellen und oralen Darstellungen, Vergleich, Kulturtransfer und Verflechtungen im Spannungsfeld zwischen atlantischem Raum (Makro) und den einzelnen Lebensgeschichten in unterschiedlichen Landschaften der Sklaverei (Mikro). Im Laufe der Jahre ist die internationale Forschungskooperative erheblich gewachsen, was aus dem Programm der inzwischen sechsten Konferenz von Scott und Zeuske ersichtlich wird. Zu der Fülle von Referenten, Kommentatoren und Moderatoren gehörten neben den beiden Organisatoren Alejandro de la Fuente, Olga Portuondo Zuñíga, Javier Laviña, Neil Safier, Norbert Finzsch, Clarence J. Munford, Julius S. Scott, Martha Jones, Wolfgang Gabbert, Silke Hensel, Claus Fuellberg-Stolberg, Christopher Schmidt-Nowara, Jochen Kemner, Ada Ferrer, Dale W. Tomich, Gloria García Rodríguez, Jean Hébrard, Myriam Cottias, Manuel Barcía, Fe Iglesias, Ulrike Schmieder, Orlando García Martínez, Reinaldo Funes Monzote, Félix I. Tellería Bernal, Luis Miguel García Mora.

Das Hauptreferat zur Eröffnung der Konferenz übernahm der Anfang der 1960er Jahre in Leipzig promovierte und viele Jahre in Nigeria lehrende Historiker Clarence J. Munford (heute: emeritierter Professor der Universität Guelph, Kanada), der insbesondere mit seinen Forschungen zu Sklaverei und Sklavenhandel zwischen dem afrikanischen Kontinent und der französischen Karibik hervorgetreten ist. Munford ist aber nicht nur Wissenschaftler, sondern auch selbst Akteur, der in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Stockely Carmichael und anderen Vertretern der schwarzen Intelligentsia für die Bürgerrechte kämpfte und heute Reparationen für die Afroamerikaner fordert. In seinem eindrucksvollen Vortrag erklärte Munford, dass die rassische Polarisierung und Dominanz der Weißen über die Schwarzen als grundlegendes Problem der westlichen Zivilisation anzusehen sei. Für den Beginn der von den Europäern vorangetriebenen Versklavung und Massendeportation Millionen Menschen afrikanischer Abstammung steht symbolisch das Jahr 1441. Von der rassischen Sklaverei nicht zu trennen ist für Munford die Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Während der atlantische Sklavenhandel zum Zusammenbruch des traditionellen westafrikanischen Gesellschaftsmodells führte, lieferte die zwischen 1518 und 1888 von den schwarzen Sklaven geleistete Arbeit die materiellen Voraussetzungen für den Reichtum der weißen Gesellschaft in den USA sowie die Vorrangstellung der europäischen Zivilisation in der Welt. Zu Sklaverei und Zwangsemigration gehörte von Beginn an die Anpassung und Transkulturationsleistung der unterdrückten Menschen sowie ihr Widerstand, der 1791 mit der Sklavenrevolution von Saint Domingue und der Gründung des ersten schwarzen Staates in den Amerikas 1804 kulminierte. Auch nach der Abschaffung des unmenschlichen Arbeitsregimes führte die Fortwirkung der atlantische Sklaverei in Form des Rassismus zu bis heute andauernden Fehlentwicklungen in den amerikanischen Postemanzipationsgesellschaften.

Nach dieser engagierten Einstimmung auf das Thema, stand die Ausgestaltung der Sklaverei im Fokus des folgenden Konferenzvormittages. Bereits der erste Beitrag von Alejandro de la Fuente (Universität Pittsburgh) über den Fortbestand der jahrhundertealten iberischen Rechtskultur bis in die kubanische Sklavereigesellschaft des 19. Jahrhunderts löste eine kleine Grundsatzdebatte aus über die methodologischen Probleme mikrogeschichtlicher Ansätze, die den Anspruch erheben, Fragen von allgemeiner Bedeutung aufzuwerfen und die Makrophänomene aus der Mikroebene zu rekonstruieren. Unstrittig ist, dass das intensive Studium von Rechtsquellen zu einer neuen Sicht auf die Sozial- und Kulturgeschichte der Sklaverei geführt hat. In seiner These, die die Tannenbaum-Debatte über die „Milde“ der iberoamerikanischen Sklavereien bereichert, kommt De la Fuente mit dem Zwischenschritt der höheren Durchlässigkeit der Grenze zwischen Sklaverei und Freiheit auf Kuba zum Ergebnis, dass die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden kastilischen Rechtssammlungen zwar nicht das Wohlergehen der Sklaven garantiert hätten, jedoch den Sklaven erlaubten, Forderungen gegenüber ihren Herren etwa bezüglich eines Besitzerwechsels (pedir papeles) oder des in Raten gestaffelten Freikaufs (coartación) durchzusetzen. Um die Gesetze nutzen und die Verpflichtungen ihrer Herren in persönliche Rechte umwandeln zu können, mussten die Sklaven die geltenden Vorschriften kennen sowie Zugang zu den Gerichten haben (oder Allianzen eingehen, die ihnen das ermöglichte). Fast erscheint hier der Sklavenhalter als Opfer, der von seinem Sklaven gezwungen werden konnte, mit ihm einen festen Preis für seinen Freikauf zu vereinbaren oder ihn an einen anderen Herrn zu verkaufen. Forderungen nach statistischer Signifikanz können von Mikrohistorikern meist nicht erfüllt werden. Es bleibt deshalb die Frage, ob für die Realität der untersten Bevölkerungsschicht 60 außergewöhnliche Dokumente aussagekräftiger sein könnten als die Realität Hunderttausender von Sklaven, die auf einer entfernt liegenden Plantage von diesen Rechtsbestimmungen möglicherweise niemals etwas erfahren hatten, oder sie vielleicht kannten, aber keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand hatten, oder aber eine Beschwerde eingereicht hatten, die schließlich abgelehnt wurde. Mikrogeschichte hebt oft auf den qualitativen Wert eben dieser „60 außergewöhnlichen Dokumente“ ab, aber insgesamt wird sich nur durch weitere Forschungen feststellen lassen, ob etwa die Praktiken in bestimmten Zeiträumen oder Regionen gehäuft auftraten oder sich bestimmte Muster erkennen lassen. Die Fortsetzung der Debatte folgte, als Gloria García Rodríguez (Universität Havanna) über den Überlebenskampf der Sklaven berichtete, dessen Bandbreite von der Verlangsamung oder vorübergehenden Unterbrechung bzw. Verweigerung der individuellen Arbeitsleistung bis zur zeitweisen oder endgültigen Flucht von der Plantage reichte. Sklaven, die Beschwerden äußerten, wurden trotz der im 19. Jahrhundert verbesserten Rechtslage grundsätzlich immer hart bestraft, selbst in Fällen, in denen die Auflehnung berechtigt schien. In der Diskussion zeigte sich García kritisch gegenüber dem Begriff „Widerstand“, da er heutzutage oftmals unpräzise und inflationär gebraucht würde und mancher Historiker schon jede Arbeitspause als Widerstandsaktion interpretieren würde. Das bedeutet nicht, dass der Sklave als Rechtssubjekt und Handelnder mit eigenen Zielen und Strategien hinfällig geworden wäre – das Gegenteil ist richtig, wurde doch noch vor zehn Jahren in der Wissenschaft ausschließlich von einer passiven Rolle der Sklaven ausgegangen. Über die Sklaverei im Osten Kubas sowie die Diskussionen kreolischer Eliten im Zusammenhang mit dem ökonomischen Wandel im 18. und 19. Jahrhundert referierte Olga Portuondo Zuñíga (Universität Santiago de Cuba). Einen ganz anderen Aspekt behandelte der Beitrag von Javier Laviña (Universität Barcelona), dessen These die gescheiterten Christianisierungsversuche der schwarzen Sklaven im Santo Domingo des 17. Jahrhunderts behandelte. Die Christianisierung konnte nur oberflächliche Erfolge zeitigen , da es den Sklaven und ihren Nachkommen trotz schwerer Konflikte und mehrfacher staatlicher Verbote gelang, ihre aus Afrika mitgebrachten Religionen und Rituale in der neuen Umgebung zu erhalten und auszuformen. Zu untersuchen bleibt die Rolle von religiösen Bruderschaften, die sich ausschließlich aus Schwarzen entsprechend ihrer Herkunft (cofradías; cabildos de nación) zusammensetzten und im 16. Jahrhundert aus Sevilla nach Santo Domingo gelangt waren.

Im Fokus des folgenden Panels standen transnationale Fragestellungen, die über den Golf von Mexiko hinausreichten. In seinem Beitrag über den Zusammenbruch der zu jenem Zeitpunkt in der Welt produktivsten Plantagenökonomie auf Saint Domingue erläutert Clarence J. Munford seine These zur ethnisch-nationalen Revolution der schwarzen Freiheitskämpfer. Der nach Beginn der Französischen Revolution entfaltete innere Konflikt auf der Insel zwischen freien Farbigen, der Gruppe der armen Weißen sowie den Angehörigen der Kolonialaristokratie wurde im August 1791 hinweggefegt von einer rassischen Revolution, die die westliche Hemisphäre in Atem hielt und den Widerstand gegen die Sklaverei vorantrieb. Den maritimen Aspekt der Revolution von Saint-Domingue und ihre Ausstrahlung in den großkaribischen Raum behandelte der Beitrag von Julius Scott (Universität Michigan): Großbritannien versuchte die von Haiti aus agierenden Korsarenschiffe mit der Trikolore am Mast aufzubringen und ergriff alle Maßnahmen, um die Schifffahrt in der Karibik unter Kontrolle zu bringen und ein Übergreifen der Revolution auf Jamaika zu verhindern; auch einige südliche Hafenstädte der USA fürchteten die Ansteckung der schwarzen Bevölkerungsteile durch die Revolution. Die Mobilität der farbigen Revolutionäre reichte von der kubanischen Ostküste bis in die Küstenstädte des Generalkapitanats von Caracas und störte den Sklavenhandel empfindlich. Spannend war auch Ada Ferrers (New York Universität) Beitrag über die Nachrichten, Bilder und Geschichten, die in der kubanischen Gesellschaft über die Haitianische Revolution bekannt geworden waren: Über die Macht und Stärke der ehemaligen Sklaven auf Saint Domingue berichteten aus erster Hand sowohl französische Truppen, die regelmäßig in kubanischen Häfen Station machten, aber auch Offiziere aus den kreolischen Oberschichten der Insel, die in den Jahren 1793-95 auf Santo Domingo gegen Frankreich kämpften und vorübergehend mit Truppen Toussaint Louvertures verbündet waren. Nicht nur die gesellschaftliche Elite, sondern auch freie Farbige und Sklaven kannten die Namen der mächtigen schwarzen Generäle und konnten die Nachrichten über ihren militärischen Triumph sowie die Übersetzung der haitianischen Unabhängigkeitserklärung in dem relativ zugänglichen Presseorgan der spanischen Regierung „Gaceta de Madrid“ nachlesen. Manuel Barcía (Universität Essex) verwies auf den Einfluss der haitianischen Revolution auf die unteren Gesellschaftsschichten in den Amerikas und stellte fest, dass insbesondere die Gruppe der freien Farbigen in Brasilien, Louisiana, Florida und Kuba als Trägergruppe der haitianischen Rebellions- oder Revolutionsidee fungierte und in zahlreichen Rebellionen die beteiligten Sklaven keine führende Rolle spielten. Für die Sklavenaufstände in der britischen Karibik kommt möglicherweise der Abolitionismusdebatte im Mutterland und anderen interne Faktoren eine größere Bedeutung zu als der Inspiration von außen. Diskussionen löste Barcías These aus, dass viele der Sklaven, die in Brasilien oder in den 1820er Jahren in Kuba revoltierten, möglicherweise weniger von einem haitianischen Vorbild beeinflusst wurden, sondern noch in Afrika geboren waren und aus dem mächtigen Reich der Yoruba stammten, deren kulturelle Traditionen (u.a. Islam) und westliche Kampftechniken sie stark geprägt hatten. Michael Zeuske betonte die Bedeutung der Revolution von Saint Domingue für Humboldts Interesse an der Sklaverei, dessen bislang unbekanntes Tagebuchfragment „Kuba 1804“ (verfasst während Humboldts zweitem Kuba-Aufenthalt) für den Beginn der vergleichenden Geschichte der Sklaverei in den Amerikas steht. Die parallel zur Proklamation des Staates Haiti entstandenen Tagebuchnotizen über Sklaven und Revolution, die die Grundlage für den späteren „Essai politique“ über Kuba bilden, enthalten sowohl komparative Untersuchungen über die langfristigen Auswirkungen der Revolution von Saint Domingue auf andere Sklavereigesellschaften als auch das abschließende positive Urteil über die Revolution der Sklaven. Außerdem lassen die von Humboldt verarbeiteten Informationen weitere Aussagen über die Zirkulation von Ideen in der Karibik um 1800 zu.

Die Überschneidungen zwischen der kubanischen und louisianischen Geschichte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts analysierte Rebecca Scott am Beispiel der Verbindungen zwischen den Freiheitskämpfen in Kuba und New Orleans. Angesichts einer zunehmenden Einschränkung der schwarzen Bürgerrechte in Louisiana in den 1870er Jahren wuchs in der farbigen Bevölkerung die Solidarität für die Freiheitskämpfe der Kubaner gegen Spanien und die Sklaverei (1868-1898). Afroamerikanische Freiwilligenverbände trafen allerdings erst nach Ende der Kämpfe des „Spanisch-Amerikanischen Krieges“ auf Kuba ein und verwandelten sich in Besatzungstruppen. Der wechselseitige Transfer von Ideen und Menschen beflügelte sowohl den Kampf der Farbigen in Louisiana für Bürgerrrechte als auch den Kampf der kubanischen Rebellengeneräle Gómez und Maceo, die vorübergehend in New Orleans lebten sowie Waffen und Geld von dort erhielten. Jochen Kemner (Universität Bielefeld) schilderte die Situation der über mehr als 10.000 Ex-Sklaven und wohlhabenden freien Farbige, die aus Saint Domingue in die Region um Santiago de Cuba emigriert waren, und versuchte ihre gesellschaftliche Stellung anhand der distinktiven Anredeformen in Notariatsakten zu erfassen. Die schicksalhafte Beziehung zwischen Sklaverei und Recht verfolgte Martha Jones (Universität Michigan) am Beispiel einer Gruppe größtenteils minderjähriger Schwarzer aus Saint Domingue, die de iure bereits 1794 die Freiheit erhalten hatten und 1797 von einer flüchtenden Sklavenhalterin nach New York und später Baltimore und New Orleans gebracht wurden. Mit dem Wechsel vom französischen ins angloamerikanische Rechtssystem veränderte sich der Status der schwarzen Menschen. Der weißen Immigrantin gelang es in Konflikten mit Abolitionsgesellschaften und auch vor Gericht, ihren Anspruch auf die Sklaven sowie den Weiterverkauf derselben durchzusetzen. Die Grenzen und das Versagen des Rechts standen auch im Zentrum von Myriam Cottias’ (EHESS Paris) Studie über die Wahrheitskommissionen, die anlässlich der endgültigen Abschaffung der Sklaverei in der französischen Karibik 1848-1852 auf Bezirksebene eingerichtet worden waren. Den nach dem Modell französischer Arbeitsgerichte organisierten Kommissionen gelang trotz egalitärer Rhetorik keine Versöhnung der sozialen Gegensätze: Vergeblich forderten die Freigelassenen in ihren Klagen das Recht auf Boden, ihre Hütte sowie Lohn. Den Plantagenbesitzern galten die bestehenden Eigentumsrechte als unantastbar und es gelang ihnen sogar, das Arbeitsregime der Sklaverei durch unrechtmäßiges Verträge mit den Freigelassenen neu zu begründen. Die Versöhnung war zum Scheitern verurteilt, da der Bürger-Status an die Rasse gebunden war und die „transrassiale Bürgerschaft“ erst von Antonio Maceo und José Martí erfunden wurde. Jean Hébrard (EHESS Paris) diskutierte über Praktiken der Namensgebung in Bahia, die an Zeuskes Arbeiten über Sklavennamen in Kuba angelehnt sind. Auch in brasilianischen Verwaltungsregistern wurden Schwarze stigmatisiert und die Anzahl der Vornamen markierte die Stellung in der sozialen Hierarchie. Während sich in kubanischen Personenregistern auch einige afrikanischen Vornamen verzeichnet finden, wurden in Bahia keine Namen aus Afrika gefunden. Nur in den Kirchenbüchern, die für jedes Mitglied ausschließlich einen Vornamen verzeichnen, folgt hinter manchen Eintragungen die Herkunftsbezeichnung „Africa“.

In dem Panel „Karibische Modelle: Saint Domingue/Haiti und die Folgen für die Entwicklung der Sklavereien in den Amerikas“ sprach Christopher Schmidt-Nowara (Fordham Universität New York) über das Verhältnis der spanischen Kolonialmacht zu Haiti und Santo Domingo im 19. Jahrhundert und beleuchtete die Auseinandersetzungen um die in Santo Domingo verbliebenen sterblichen Überreste Christoph Kolumbus’. Spanien versuchte seine Herrschaft in der Karibik neu zu legitimieren in der Rolle des Verteidigers der Zivilisation gegen die Barbarei des schwarzen Sklavengenerals Toussaint Louverture sowie eine imaginierte haitianische Invasion in Kuba. Claus Fuellberg-Stolberg (Universität Hannover) referierte über Zuckerboom, Demographie und Arbeitsdisziplin auf Barbados und Jamaika im 17.-18. Jahrhundert sowie den nach dem Verbot des Sklavenhandels (1807) einsetzenden sozialen und ökonomischen Transformationsprozess in der britischen Karibik.

Die Tagung endete mit drei Beiträgen, die noch einmal den Blick auf Kuba fokussierten: Basierend auf der Dokumentation des Provinzarchivs von Cienfuegos erfasste Orlando García Martínez (Universität Cienfuegos) die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Region vom Aufstieg der Sklaverei bis zur Entstehung der Postemanzipationsgesellschaft (1819-1879). Die ökologischen Folgen der kubanischen Plantagenökonomie erläuterte Reinaldo Funes Monzote (Fundación Antonio Núñez Jiménez, Havanna). Im Zuge der Ausbreitung der Zucker- und Kaffeeplantagen sowie des wachsenden fossilen Brennstoffbedarfs wurden im 19. Jahrhundert große Flächen entwaldet. Da auf Kuba die Ausbreitung der Plantagenökonomie mit der Entfaltung des Industriezeitalters zusammenfiel, wurde die modernste Technik (Dampfmaschine, Eisenbahn) eingesetzt. Die Veränderungen von Natur und Umwelt durch die Sklavereiökonomien bieten für die Umweltgeschichte ein noch in weiten Teilen unerschlossenes Forschungsgebiet.

Die Herausforderung für den Historiker, Archivquellen mit oralen Darstellungen der Nachkommen ehemaliger Sklaven zu verknüpfen, wurden deutlich, als Félix I. Tellería Bernal (UNEAC Cienfuegos), dessen Großelterngeneration am Unabhängigkeitskrieg von 1895 teilgenommen hatte, am Beispiel der eigenen Geschichte über Räume des Schweigens sowie Tabus und Geheimnisse innerhalb einer afroamerikanischen Familie sprach. Im Verlauf der Tagung war durch einen Wechsel mikro- und makroskopischer Ansätze ein breitgefächertes Bild der Sklaverei entstanden. Als unerforschte Quellen wurden auf der Konferenz insbesondere die Akten religiöser Bruderschaften benannt. Vielleicht ergeben sich durch eine Verknüpfung dieser Quellen mit anderen bereits bekannten Akten neue Antworten. Auch die umstrittene Rolle des Islam für die Kultur der Sklaven gilt als weitgehend unerforscht. Das Colloquium zeigte eindrucksvoll, dass die Haitianische Revolution nicht nur eine der radikalsten Umwälzungen seit Beginn der Moderne war, sondern für die Historiographie auch ein relativ unerforschtes Thema darstellt. Die Studien Ada Ferrers und Julius Scotts wie auch Humboldts wiedergefundenes Tagebuchfragment stellen die in der Wissenschaft vorherrschenden Meinung, dass die Zeitgenossen über die haitianische Revolution ausschließlich verwirrt gewesen und in ein lautes Schweigen verfallen wären, in Frage. Die vielseitige Diskussion konnte die intensive transatlantische Debatte um die 200 Jahre Revolution auf Haiti bereichern und wertvolle Anregungen verleihen.

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Thomas Neuner
Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte, Universität zu Köln
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