An improbable War. The Outbreak of World War I and European Political Culture before 1914

An improbable War. The Outbreak of World War I and European Political Culture before 1914

Organizer(s)
Department of History der Emory University, Atlanta
Location
Atlanta, Georgia (U.S.A.)
Country
United States
From - Until
13.10.2004 - 16.10.2004
Conf. Website
By
Holger Afflerbach, Emory University, Atlanta

"Der Zweifel ist fruchtbarer als die Sicherheit." Auf diese Formel könnte das Ergebnis einer Tagung gebracht werden, zu der vom 13. -16. Oktober 2004 vom Department of History der Emory University in Atlanta eingeladen worden war und der 25 Referenten und etwa 200 Eingeladene folgten.

Thema der Tagung war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor nunmehr neunzig Jahren. Unter dem Titel "An improbable War. The Outbreak of World War I and European Political Culture before 1914" war den Vortragenden vorab die Frage gestellt worden, inwieweit der Erste Weltkrieg eine logische Konsequenz der politischen Ordnung vor 1914 war oder aber einen radikalen Bruch mit ihr bedeutete. Der neunzigste Jahrestag war natürlich nur ein Aufhänger, um Probleme, die derzeit in der Forschung diskutiert werden, zur Diskussion zu stellen. Es wurde also gefragt, wie wahrscheinlich der Krieg des Jahres 1914 war, was natürlich auch zu kontrafaktischen Überlegungen einlud. Und auf dieser Konferenz sollte die Friedensfähigkeit des internationalen Systems der Vorkriegszeit untersucht werden. War das internationale System so aufgeheizt durch konkurrierende Nationalismen und Imperialismen, dass der Krieg unvermeidlich und das Attentat von Sarajevo nur ein beliebiger Auslöser war? Oder war dieses System vielleicht besser als sein Ruf? Haben vielleicht nur ganz grobe handwerkliche Fehler und Fehleinschätzungen weniger Entscheidungsträger die unnötige und anachronistische Katastrophe hinaufbeschworen, die Europa verwüstete?

25 international anerkannte Wissenschaftler(inn)en aus acht Ländern wurden eingeladen, diese Frage auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet zu beantworten. Die Liste der Eingeladenen - sie stellte eine Mischung aus etablierten Topwissenschaftlern und jüngeren Forschern aus acht Ländern dar - ließ von vornherein keine einheitliche Antwort, wohl aber grundsätzliche Diskussionen erwarten. War die Konferenz auch bewusst vielstimmig angelegt, so hielten sich doch praktisch alle Vortragenden streng an die vorgegebene Frage, so dass die Tagung eine große inhaltliche Geschlossenheit besaß.

Unter den illustren Teilnehmern soll einer besonders herausgehoben werden. Keynotespeaker der Tagung war Jimmy Carter, der in einem sehr persönlich gehaltenen Vortrag zum Thema "A century of War and Peace" darstellte, wie der Erste Weltkrieg sein eigenes Leben, das seiner Familie und seines Landes geprägt und auch seine eigene Politik als Präsident der USA beeinflusst hatte. Mit der anschließenden Fragestunde an den Nobelpreisträger war die Tagung eröffnet. Erster vortragender Wissenschaftler war Paul Schroeder, dessen vor einigen Jahren publiziertes Opus magnum "The Transformation of European Politics" als Meilenstein der Geschichtsschreibung der Internationalen Beziehungen gepriesen wird. Schroeder argumentierte in seinem sachlich sehr engagierten, witzigen und eindrucksvollen Eröffnungsvortrag, dass der Erste Weltkrieg letztlich die Folge veränderter Spielregeln des Internationalen Systems war. Dessen immer brutalere imperialistische Logik raubte einigen Mitgliedern dieser Staatengemeinschaft die Luft zum Atmen und zwang sie schließlich zum (selbstmörderischen) Handeln. Dieses Opfer, das dann Täter wurde, war, so Schroeder, Österreich-Ungarn.

Mit Schroeders ebenso brillanten wie provozierenden Vortrag, der alle gängigen Historikermeinungen über die Wiener Entscheidungen des Sommers 1914 auf den Kopf stellte und auch viele Anwesende zum energischen Widerspruch reizte, waren die Maßstäbe gesetzt, formal und teilweise auch inhaltlich. Matthias Schulz hielt dagegen: Seine innovative Untersuchung der europäischen Kongressdiplomatie von 1815 bis 1914 zeigte, dass die Donaumonarchie, statistisch gesehen, der große Störenfried Europas war. Fast automatisch entwickelte sich ein Schwerpunkt mit der Analyse der österreichisch-ungarischen Politik, der Motivlage und der Verantwortlichkeit Wiens. Auf diese Fragen gingen, mit unterschiedlichen Akzentuierungen, Samuel Williamson, Gunther Kronenbitter sowie Lothar Höbelt ein, der in seinem Vortrag hervorhob, dass gerade die konkurrierenden Nationalismen innerhalb der Habsburgermonarchie dem Staat die Kraft zur Aggressivität geraubt hatten. Nationalismus habe also im Fall der multinationalen Monarchie geradezu friedenserhaltend gewirkt. Samuel Williamson, als einer der führenden Österreich-Ungarn-Experten der USA, verglich dagegen die österreichische Entscheidungsfindung mit den politischen Vorgängen unserer Tage und warnte vor schneller Verurteilung der Wiener Führung.

Die Kulturen des Krieges und des Friedens, das heißt, in welche Richtung die politischen Zielvorstellungen der Gesellschaften gingen, wurden von Fred Dickinson für Japan und für Russland von Josh Sanborn in ihrer Ambivalenz dargestellt. Der Kriegsstimmung im Sommer 1914 widmete sich Roger Chickering, der dazu die Vorgänge in Freiburg i.Br. als Beispiel ausgewählt und einer Detailanalyse unterzogen hatte. Die Ziele der türkischen Politik im Jahre 1914 wurden von Mustafa Aksakal dargestellt. Die von ihm ausgewerteten türkischen Quellen, vor allem Zeitungen, zeigten, dass die osmanische Führung sich als Opfer des internationalen Systems fühlte und deshalb den europäischen Krieg, den Kampf ihrer Gegner untereinander, als Rettung aus ihren eigenen Schwierigkeiten förmlich herbeisehnte. Fraser Harbutt untersuchte die Haltung der US-amerikanischen Bevölkerung zum Kriegsausbruch in Europa.

Eine Sektion beschäftigte sich mit dem europäischen Militär vor 1914. Hier schilderten Michael Epkenhans, Gunther Kronenbitter, Olivier Cosson und Jost Dülffer die Mechanik des Wettrüstens und gleichzeitig die Versuche seiner Eindämmung. In einem brillanten und sehr eindrucksvollen Vortrag brachte David Stevenson dann die Frage auf den Punkt: War der Erste Weltkrieg ein unwahrscheinlicher Krieg oder nicht? Seine Antwort vermied simple Schwarz-Weiß-Logik und lautete: Einerseits habe das Wettrüsten der europäischen Mächte die internationale Lage eindeutig destabilisiert. Anderseits wäre es aber auch möglich und denkbar gewesen, dass der Rüstungswettlauf, als größte Gefährdung des Friedens vor 1914, ein friedliches Ende gefunden hätte, wie andere solche Wettläufe auch, und in einer Art kalten Krieg ausgelaufen wäre.

Um die Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Krieges zu beantworten, widmete sich Holger Afflerbach den Erwartungen der Zeitgenossen. Diese glaubten wohl, wie man aus dem natürlich widersprüchlichen und gewaltigen Quellenmaterial herauspräparieren kann, mehrheitlich nicht an einen großen Krieg. Zu unwahrscheinlich schien, angesichts des hoch entwickelten Abschreckungssystems, die vernichtende Auseinandersetzung, von der niemand einen Gewinn erwarten konnte. Selbst kriegslüsterne Militärs, die sich aus Karrieregründen den Krieg ersehnten, hatten nicht an die ersehnte, aber selbstmörderische Auseinandersetzung glauben können. Ein Risiko habe aber darin gelegen, dass sich manch politisch Verantwortlicher der Unwahrscheinlichkeit des großen Kriegs zu sicher fühlte und daher politische Manöver machte, die dann doch, entgegen aller Erwartungen, zu der großen Auseinandersetzung führten. In eine ähnliche Richtung argumentierte Friedrich Kiessling, der diese Fragen aus der Sicht der diplomatischen Entscheidungsträger in den letzten Jahren vor 1914 erörterte. Der Topos vom unwahrscheinlichen Krieg, so Afflerbach, oder vom vermiedenen Krieg, so Kiessling, hatte den großen Krieg aus der Sicht der Zeitgenossen vor 1914 als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Einer ganz anderen Welt widmete sich Jessica Gienow Hecht, die die transatlantischen Kulturbeziehungen vor 1914 untersuchte und feststellte, dass der Weltkrieg hierauf doch sehr wenig Einfluss genommen habe, oder Madeleine Herren, die "Internationalismus" vor und nach 1914 anhand eines Fallbeispiels untersuchte. Hartmut Lehmann hob auf die Ohnmacht der Kirchen, hier der Protestanten, ab, durch nationenübergreifende christliche Solidarität die Katastrophe zu verhindern. Die deutschen Philosophen und ihre doch weltfremden Erwägungen zum Phänomen des Krieges untersuchte Sebastian Luft, den Kriegsausbruch im Spiegel der literarischen Welt Joana Scuts. Annika Mombauer fasste die Historiographie zum Thema souverän zusammen und integrierte hierin nicht zuletzt die Thesen einiger, die hier mit vorgetragen hatten.

Wie können die inhaltlichen Ergebnisse dieser Konferenz zusammengefasst werden? Allgemein wurde die Bedeutung politischen Entscheidungshandelns im Moment selbst anerkannt, also dass also der Kriegsausbruch Ergebnis einer Fehlentscheidung der politischen Eliten war, und die Offenheit der Situation. Der Gedanke an eine Zwangsläufigkeit dieses Krieges, etwa infolge nationalistischer oder militaristischer Überdüngung der europäischen Kultur, wurde mehrheitlich abgelehnt. Die Mehrheit der Vortragenden tendierte dahin, die Frage der Wahrscheinlichkeit des Krieges nicht klar zu beantworten und die Ambivalenz hervorzuheben: Einerseits imperialistische Konkurrenz und internationales Wettrüsten als Gefahren für den Frieden herauszuarbeiten, andererseits aber auch die kriegsverhindernden Faktoren zu sehen und gegeneinander abzuwägen. David Stevensons Plädoyer dürfte insgesamt mehrheitsfähig gewesen sein: Gefahren für den Frieden, ja; Zwangsläufigkeiten nein. Als Nebeneffekt war zu beobachten, dass die obligate Untersuchung der deutschen Politik vor Kriegsausbruch 1914 durch den Blick auf die Situation in Wien, St. Petersburg und auch Istanbul wesentlich ergänzt wurde. Natürlich wurde auch der Entscheidungen in Berlin gedacht: John Roehl hielt einen spannenden Vortrag über Wilhelm II. in der Julikrise, bei dem er auch überraschendes neues Quellenmaterial präsentieren konnte.

Last, but not least hängt der Erfolg einer Konferenz auch davon ab, ob Wissenschaft fröhlich sein kann. Hier war sie es. Die Stimmung war gut, die Sitzungen waren spannend und die Teilnehmer leidenschaftlich diskussionsfreudig. Es gibt Konferenzen, über denen eine bleierne Langeweile lastet, die jede Arbeitsfreude erdrückt. Diese hier war unterhaltsam, weil die Diskutierenden sich brennend für die Thematik interessierten, die Beiträge gut aufeinander abgestimmt waren und viele ihre Sachbeiträge mit gutem Humor zu würzen verstanden. Dies gilt beispielsweise für Hew Strachan, der seinen für das britische Fernsehen produzierten und vielgepriesenen Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg vorstellte und bei seiner Einleitung, in der er die vorangehenden Verhandlungen mit dem Fernsehsender schilderte, das vollbesetzte Auditorium zu Heiterkeitsstürmen mitriss.

Die auch vom Rahmenprogramm her aufwendig gestaltete Konferenz wurde möglich durch die Großzügigkeit verschiedener Sponsoren, vor allem durch die Zusammenarbeit von Emory University mit dem DAAD. Außerdem sind der DFG, den britischen und französischen Reisefonds und eine Reihe anderer Organisationen zu danken.

Die Konferenz hatte allen Beteiligten gezeigt, welches intellektuelle Potential in dem scheinbar überdiskutierten, tatsächlich wohl unerschöpflichen Thema der "Kriegsursachen 1914" liegt. Damit diese Konferenz auch, über den Tag hinaus, ein bleibendes Ergebnis hat, ist eine Publikation der Beiträge geplant. Die Veranstalter hoffen, dass dieser Band als wichtiger Beitrag zur fortlaufenden Diskussion um die "Urkastrophe des 20. Jahrhunderts" internationale Beachtung finden wird.

Eine Liste der Vortrage und weitere Informationen über die Konferenz sind auf folgender Website zu finden: http://userwww.service.emory.edu/~dvigil/program.htm

Diesen Bericht und viele weitere Beiträge zum Thema finden Sie außerdem im Clio-online Themenportal Erster Weltkrieg:
http://www.erster-weltkrieg.clio-online.de/


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