Les élites et leurs espaces: mobilité, rayonnement, domination (Ve - XIe s.) / Die Eliten und der Raum: Mobilität, Wirkung und Herrschaft (6.-11. Jh.)

Les élites et leurs espaces: mobilité, rayonnement, domination (Ve - XIe s.) / Die Eliten und der Raum: Mobilität, Wirkung und Herrschaft (6.-11. Jh.)

Organisatoren
Mission historique française en Allemagne (MHFA)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.03.2005 - 05.03.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Philippe Depreux, Mission historique française en Allemagne

Das Kolloquium "Les élites et leurs espaces: mobilité, rayonnement, domination (Ve - XIe s.) / Die Eliten und der Raum: Mobilität, Wirkung und Herrschaft (6.-11. Jh.)" wurde von der Mission historique française en Allemagne (Philippe Depreux) in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Marne-la-Vallée (EA 3350), Padua, Paris I (LAMOP, UMR 8589 CNRS-Paris I) und Venedig sowie der École française de Rome organisiert. Das Treffen fand im Rahmen des Forschungsprogramms zu den Eliten im abendländischen Frühmittelalter statt, das seit dem Jahr 2003 Historiker aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien vereint 1. Aufgrund des Themas und des Veranstaltungsortes schlossen sich weitere Institutionen diesem Projekt an: das Max-Planck-Institut für Geschichte (Göttingen), die Universität Hamburg, die Université Libre de Bruxelles (ULB), das Laboratoire "Archéologie et Territoires" (CITERES, UMR 6173 CNRS-Tours) und das Institut National de Recherches Archéologiques Préventives (INRAP, Paris). Das Treffen hatte zum Ziel, die Beziehung der frühmittelalterlichen Gesellschaft zum Raum besser zu verstehen. Dazu wurde untersucht, in welcher Weise die Definition eines Territoriums und die Beherrschung eines Raumes mit dem Phänomen der Elite verbunden sind. Außerdem sollte das Kolloquium dem Dialog zwischen Historikern und Archäologen dienen, dem Austausch über ein Thema, bei dem beide Disziplinen mit verschiedenen Methoden und manchmal unterschiedlichem Vokabular komplementäre Informationen beisteuern. Die gegenseitige Ergänzung bezieht sich dabei meistens auf die Problematik im allgemeinen und nicht auf das Studium konkreter Fälle, denn nur sehr selten verfügt man über weitergehende schriftliche Informationen zu einem archäologischen Fundort.

Jede Sitzung wurde durch einen zusammenfassenden Bericht eingeleitet, der die Übereinstimmungen der einzelnen Vorträge hervorheben (alle Texte waren den Teilnehmern vorab zugänglich) und einige Überlegungen vorstellen sollte, die in der anschließenden Diskussion vermutlich eingehender erörtert würden. Die verschiedenen Beiträge wurden unter folgenden Themen gruppiert: "Élites, espaces et distance: quelques critères d'analyse" (Einführung durch François Bougard, Universität Paris X); "Maîtriser la distance, (se) jouer de l'éloignement" (Einführung durch Stuart Airlie, Universität Glasgow); "Christianisation de l'espace et création d'un territoire chrétien" (Einführung durch Hans-Werner Goetz, Universität Hamburg); "Hiérarchiser l'espace" (Einführung durch Joachim Henning, Universität Frankfurt/Main); "Définir un territoire" (Einführung durch Laurent Feller, Universität Paris I); "Le champ d'action des élites" (Einführung durch Philippe Depreux, MHFA Göttingen).

Obwohl einige Quellengattungen sich besonders gut für eine Analyse des Raums und der Art und Weise der Raumergreifung zu eignen scheinen, und andere a priori schlechter für eine solche Studie geeignet sind, wollte man im Rahmen eines breiten geographischen Forschungsansatzes die unterschiedlichsten Dokumenttypen in die Untersuchungen miteinbeziehen. Mit dem Blick eines Rechts- und Verfassungshistorikers machte Stefan Esders (Universität Bochum/Berlin) in seinem Vortrag "Der Raumbezug frühmittelalterlicher Eliten nach den Rechtstexten" gleich zu Beginn deutlich, welche Bedeutung der Raumbezug im Hinblick auf die Definition des Status der Personen hat, der von der geographischen Herkunft abhängt, und untersuchte dann, inwieweit der Untertaneneid, die Kontrolle des Territoriums und die Kontrolle über die Menschen übereinstimmen können. Angesichts der das westgotische Spanien betreffenden Quellenlage analysierte Céline Martin (Universität Lille III) in ihrem Beitrag "Les évêques visigothiques dans leur espace: de l'autonomie à l'intégration" vor allem auf der Basis der normativen Quellen, die Fähigkeit der kirchlichen Eliten den (institutionellen) Raum innerhalb einer Diözese, an ihren Rändern und darüber hinaus zu formen und hierarchisch zu gliedern und eine Vorrangstellung (in diesem Fall Toledo) zu behaupten. Steffen Patzold (Universität Hamburg) studierte die Handlungsmöglichkeiten der Bischöfe auf der Ebene der Diözesen und der Gemeinden: "Modeler l'espace du diocèse ? Les limites de la potestas episcopalis dans l'empire carolingien". In seinem Beitrag stellte S. Patzold die Annahme in Frage, daß Hinkmar von Reims' De ecclesiis et capellis eine Abhandlung über die Eigenkirchen sei. Er sieht darin vor allem ein Plädoyer zugunsten der Macht des Ortsbischofs in bezug auf die Errichtung von Sakralbauten und die Abgrenzung der Pfarrsprengel.

Die Bischöfe stehen nicht isoliert von den übrigen Angehörigen der Aristokratie, sondern gehören ganz und gar dazu, durch ihr Amt und durch ihre familiäre und soziale Herkunft. Das trotz gelegentlicher Rivalitäten gemeinsame Handeln der Bischöfe mit den anderen Angehörigen der Eliten stand im Zentrum mehrerer Vorträge. So untersuchte Hedwig Röckelein (Universität Göttingen) in ihrem Beitrag "Eliten markieren den sächsischen Raum als christlichen: Bremen, Halberstadt und Herford (8.-11. Jahrhundert)" die Art und Weise wie es den sächsischen Eliten (zunächst den frankophilen Eliten) gelang, durch die Gründung von Kirchen und Klöstern die Verteilung des Landbesitzes neu zu organisieren und durch die Translation von Reliquien und die Weihe von Kirchen Orte besonderer Anziehungskraft zu gründen. Caspar Ehlers (Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen) stellte eine Studie zu den Fuldaer Besitzungen an der Oker (westlich von Braunschweig) vor und präsentierte eine neue Bewertung der Gründung von Wendhausen und Quedlinburg: "Räume und Eliten. Überlegungen zur Entstehung der sächsischen Klosterlandschaft (8.-11. Jahrhundert)". Im Zentrum seines Vortrages stand die Frage nach den Kriterien zur Definition einer sächsischen Elite. Ohne Zweifel sind die Kirchen Orte der Macht, einer lokalen Macht, die zuweilen vom Königtum als gefährlich empfunden werden mußte. So analysierte Cristina La Rocca (Universität Padua) in ihrem Beitrag "Chiese funerarie, tombe con corredo e élites longobarde in Italia centro-settentrionale (sec. VII-IX)" den von den Karolingern, als sie Herrscher in Italien geworden waren, ausgegebenen Befehl, unnötige Kirchen zu zerstören, als eine Maßnahme, die darauf abzielte, die lokalen Eliten der symbolträchtigen Orte ihrer Machtdarstellung zu berauben. Was die Bischöfe von Freising betrifft, die Geneviève Bührer-Thierry (Universität Marne-la-Vallée) in ihrem Vortrag "Entre implantation familiale et patrimoine ecclésiastique: les lieux de pouvoir des évêques de Freising au IXe siècle" untersuchte, so stützten sie sich ebenso vor allem auf ihren erblichen Landbesitz - in diesem Fall der der Huosi. G. Bührer-Thierry zeigte, wie sich die Freisinger Bischöfe in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts für ihre Bischofsstadt einsetzten und ihre Präsenz durch Umfahrten der capsa sanctae Mariae darstellten, wobei die besuchten Orte, dem jeweiligen Machtgefüge innerhalb der Aristokratie entsprechend, wechseln konnten. Das Modell hierfür ist natürlich Rom. Domimique Iogna-Prat (CNRS, Auxerre) studierte in seinem Beitrag "L'espace de la papauté" die Äußerungen der Kleriker über die Kultstätten, um darzustellen wie die Päpste sich einerseits durch eine Politik des Mäzenatentums zugunsten der Stadt, andererseits durch die Weihe von Kirchen und durch verschiedene liturgische Feiern in Rom behaupteten.

Zwei Vorträge gingen speziell auf die Geschichte der Frauen ein. Sylvie Joye (Universität Marne-la-Vallée) verwies in ihrem Beitrag "Les femmes et la maîtrise de l'espace au haut Moyen Âge" zunächst darauf, daß die Beziehung zum Raum, was eheliche Angelegenheiten betrifft, vom Geschlecht abhängt, dann widmete sie sich besonders der Beteiligung der Frauen bei Schenkungen an die Abtei von Wissembourg. In diesem Zusammenhang zweifelte sie daran, daß die Frage nach der Wahl des Ortes, wo eine Schenkung vollzogen wurde, in den Bereich der gender history fällt. Maria Fiano (Universität Venedig) sprach über "Lo spazio della rappresentazione delle élites" und unterstrich die Bedeutung der Frauenklöster als Orte aristokratischer Macht in Italien (diese Beobachtung gilt bekanntermaßen ganz allgemein).

François Gentili (INRAP) und Alain Valais (INRAP) schlugen in ihrem Vortrag mit dem Thema "Élites et habitat en Val de Loire et Ile de France" einige Kriterien zur Definition einer aristokratischen Siedlung vor. Sie unterstrichen den Unterschied zwischen dem Loiretal, wo viele, verstreut liegende, frühmittelalterliche Siedlungen geringerer Bedeutung bekannt sind, und dem Pariser Raum, wo die Ausgrabungen von Serris, die im Zuge der Baumaßnahmen in Marne-la-Vallée stattfanden, es erlaubten, die Entwicklung eines Herrensitzes vom 7. bis zum 10. Jahrhundert und die Herausbildung einer dörflichen Topographie zu verfolgen.

Die Herrschaft über einen Raum und seinen Ausbau auf regionaler und lokaler Ebene wurde sowohl auf der Grundlage der archäologischen Daten als auch der Schriftquellen untersucht. Élisabeth Lorans (Universität Tours) hielt einen Vortrag zum Thema "Les élites et l'espace urbain: approches archéologiques et morphologiques (France du Nord et Angleterre, VIIe - Xe siècles)". Sie machte deutlich, wie der Einfluß der fränkischen Macht zunahm und vor allem welchen Spielraum die königliche oder bischöfliche Macht in bezug auf die Planung einer Stadt hatte. Sie kam damit auf eine wichtige Frage zu sprechen, deren Beantwortung alles andere als einfach ist: Inwiefern kann man eine regelmäßige Struktur als Ausdruck einer Entscheidung einer zentralen Gewalt werten? Hans-Werner Goetz (Universität Hamburg) verfocht in seinem Vortrag "Abgrenzung politischer Räume: die Ausbildung der Herzogtümer im Ostfränkischen Reich um 900 / Définir l'espace politique: la formation des duchés vers 900" die These einer Territorialisation seit dieser frühen Epoche; vor allem die Itinerare zeugen davon. Man beobachtet tatsächlich die Herausbildung von territorialen Einheiten, die durch den Besitz und die Ausübung der herrschaftlichen Rechte definiert wurden. Infolgedessen ist es möglich, eine Territorialpolitik der großen aristokratischen Familien oder der Herzogsfamilien zu verfolgen, bei der der Austausch von Landbesitz dazu dient, den Einflußbereich zu erweitern. In die gleiche Richtung ging der Beitrag von Thomas Zotz (Universität Freiburg), der über die "Itinéraires et lieux de pouvoir des élites aristocratiques au sud-ouest de l'Allemagne, du IXe au XIe siècle" sprach. Er betonte die Beständigkeit der lokalen Ansiedlungen der aristokratischen Familien und untersuchte die Herausbildung der Burgen, deren Bedeutung für das 11. Jahrhundert dadurch zum Ausdruck kommt, daß diese Familien nun den Namen der Zentren ihrer Macht annehmen. Anne Nissen Jaubert (INRAP) bot unter dem Titel "Unicité ou pluralité de l'espace danois ?" einen umfassenden Überblick über die Zentralorte in Skandinavien.

Wenn von Eliten die Rede ist, so geht es auch um Wissen - sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen. Die Teilnehmer des Kolloquiums konnten die Thesen des Beitrags "Reisewissen und Raumvorstellung auf der Grundlage der geographischen und kartographischen Quellen des Frühmittelalters" von Brigitte Englisch (Universität Paderborn) nur nachlesen und nicht diskutieren, da sie nicht am Kolloquium teilnehmen konnte. Aber die Bedeutung des theoretischen Wissens und des Verfügens über richtige Informationen wurde auch im Vortrag von Thomas Lienhardt (Universität Paris I) über "Qui gouverne l'espace religieux ? Évêchés, archevêchés et papauté face à la Pannonie au IXe siècle" herausgestellt. Th. Lienhardt legte eine neue Analyse der Conversio Bagoariorum et Carantanorum vor, wonach die Kleriker von Salzburg das Unwissen der Päpste über Pannonien auszunutzen, um sich in einem "geographischen Täuschungsmanöver" dieses Land anzueignen. Besonders anregend war der Beitrag von Jean-Pierre Devroey (Université Libre de Bruxelles): "Gérer et exploiter la distance. La maîtrise de l'espace dans le polyptyque de l'abbaye de Prüm (893)". Er betrachtet das autarke System als typisch für die Aristokratie, dies setzt eine umfassende Organisation voraus, sowohl im Hinblick auf die Organisation des Transportes der Waren als auch in bezug auf die Bewachung der Landgüter und den Austausch der Informationen, welche z. B. durch ein Netz abhängiger Ansiedlungen gewährleistet wurden. Die Studie der Struktur des Polyptychon von Prüm erlaubt es darüber hinaus, die betreffenden kognitiven Mechanismen einzuschätzen, z. B. was die Vorstellung des Raumes als eine Abfolge von Reiseetappen betrifft (in diesem Falle eine mentale Umfahrt).

Die Art der Dokumentation und die Macht der Gewohnheiten machen es schwer, die gesellschaftlichen Schichten unterhalb der Reichsaristokratie zu untersuchen. In einigen Fällen ist dies jedoch möglich. In seinem Vortrag mit dem Titel "Spazi politici e irragiamento sociale delle élites laiche intermedie (Italia centrale, secoli VIII-X)" schlug Simone Collavini (Universität Pisa) vor, entsprechend den verschiedenen Kategorien der Eliten vier Handlungsniveaus zu unterscheiden: die Ebene des Reichs, die der Region, die der Diözese und die lokale Ebene des Dorfes. Zur Illustration seiner Theorie stellte er den Fall der Familie der Aldobrandeschi vor, wo man das Phänomen der Mobilität der Eliten gut beobachten kann. Am Beispiel von Capua stellte Vito Lore (Universität Padua) in seinem Beitrag "Élites politiche e spazio istituzionale nell'Italia meridionale longobarda (IX-X secolo)" heraus, welche Funktion der Friedensraum hatte, den die Stadt für die Aristokratie bedeutete. Die kleinräumigste Studie mit dem Titel "Des familles de l'aristocratie locales en leurs territoires: France de l'Ouest, IXe - XIe s." wurde von Florian Mazel (Universität Rennes) vorgestellt, die Grundlage dafür bildeten Dokumente aus Le Mans, Redon und aus dem mittleren Loiretal. Die Kartographie der Schenkungen an eine Institution durch Angehörige der lokalen Eliten erlaubt es, die Verbreitungszonen der Güter zu skizzieren und sich der Problematik ihrer Verwaltung, auch unter Berücksichtigung der Entfernungen, zuzuwenden. Die Lokalisierung der Besitztümer der niederen Aristokratie ermöglicht es auch, nach der Angemessenheit oder (im Fall Westfrankreichs) der Unangemessenheit der administrativen Rahmenbedingungen zu dem Umfeld, in dem die Burgherren und Vassalen des Grafen lebten, zu fragen. Dies unterstreicht aufs Neue, daß das Verstreutsein der Güter ein Kriterium eines gehobenen Sozialstatus ist.

In der Zusammenfassung des Kolloquiums betonte Régine Le Jan (Universität Paris I) die durch die Natur der Quellen bedingte Verschiedenartigkeit der Forschungsansätze. Der Raum ist eine soziale Konstruktion, die es erlaubt (oder erlauben sollte), sich dem Phänomen der Eliten zuzuwenden, ohne der häufig zu beobachtenden Tendenz zu verfallen, die darin besteht, die Aufmerksamkeit nur auf die Könige und anderen Mächtigen zu richten, sondern durch die Untersuchung der Itinerare und der Versammlungsorte, durch die Analyse der Konsolidierungspolitik der herrschaftlichen Zentren und der Abgrenzung der Territorien sowohl die Ausübung der Macht als auch die Hierarchisierung der Eliten besser verstehen zu können; Letzteres ist Thema des nächsten, im September 2006 in Auxerre stattfindenden Treffens. Die Berichte des hier vorgestellten Kolloquiums werden demnächst publiziert.

Anmerkung:
1 Zu den Veranstaltungen, die in diesem Rahmen schon stattgefunden haben, siehe http://lamop.univ-paris1.fr/lamop/LAMOP/elites/index.html (Treffen zur Historiographie der Eliten im Frühmittelalter, Marne-la-Vallée und Paris im November 2003) und Bulletin d'information de la Mission historique française en Allemagne 40 (2004), S. 48-53 (Kolloquium zum Thema "Krise und Erneuerung der Eliten", Rom im Mai 2004).


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