Die Intellektuellen und der Faschismus in Mittel- und Südosteuropa. Geschichte und Erinnerung

Die Intellektuellen und der Faschismus in Mittel- und Südosteuropa. Geschichte und Erinnerung

Organizer(s)
Goethe-Institut Bukarest; Fakultät für politische Wissenschaften der Universität Bukarest
Location
Bukarest
Country
Romania
From - Until
24.11.2005 - 25.11.2005
Conf. Website
By
Horst Junginger, Abteilung für Religionswissenschaft, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Vom 24.-25.11.2005 fand im Goethe-Institut in Bukarest ein internationales Rundtischgespräch zum Thema „Die Intellektuellen und der Faschismus in Mittel- und Südosteuropa. Geschichte und Erinnerung“ statt. Teilnehmer aus Bulgarien, Deutschland, Großbritannien, Kroatien, Polen, Rumänien und der Ukraine erörterten die Möglichkeiten und Probleme einer vergleichenden Faschismusforschung in Mittel- und Südosteuropa bezüglich solcher Intellektueller, die faschistische Ideen vorausdachten, verarbeiteten und zum Teil auch politisch zu implementieren suchten.

Einen besonderen Schwerpunkt der Diskussionen bildete die unter dem Namen Criterion bekannte Gruppe rechter Intellektueller im Rumänien der 1930er Jahre, zu denen als einer ihrer herausragenden Vertreter Mircea Eliade gehörte, auch wenn er in seinem politischen Einfluss von anderen sicherlich übertroffen wurde. Dass Eliade selbst in hohem Maße durch die „legionäre Ideologie“ der Eisernen Garde beeinflusst war, steht mittlerweile aber außer Zweifel. Wie das erstmals 1996 auf rumänisch erschienene Tagebuch von Mihail Sebastian, einem Freund Eliades und bekannten jüdischen Roman- und Theaterautor, deutlich zum Ausdruck bringt, spielten antisemitische Vorurteile nicht nur bei Eliade sondern in der genannten Gruppe insgesamt eine nicht zu unterschätzende Rolle.1 Nach einer französischen und englischen Ausgabe des Tagebuchs (Paris 1998 und London 2001) erschien 2005 endlich auch eine deutsche Übersetzung.2 Deren Herausgeber EDWARD KANTERIAN (Oxford) gab während des Rundtischgesprächs zusammen mit ANDREI OISTEANU (Bukarest) Auskunft über die politischen und weltanschaulichen Hintergründe der Aufzeichnungen Sebastians, deren besonderer Reiz darin liegt, dass sich der jüdische Schriftsteller mit ursprünglichen Namen Josif Hechter selbst der Criterion-Gruppe zugehörig fühlte und mit vielen ihrer Ideen sympathisierte. Im Anschluss an die Buchvorstellung wurde - noch vor der Erstausstrahlung im rumänischen Fernsehen - die Filmbiographie von Lucia Hosu-Longin über Mihail Sebastian gezeigt, die auf ein reges Interesse seitens der Bukarester Bevölkerung stieß und eine intensive Diskussion auslöste.

Als ein wichtiger Problembereich für die Themenstellung des Rundtischgesprächs kristallisierte sich die Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Faschismus heraus. Viele Intellektuelle hielten nach dem 1. Weltkrieg die etablierten Kirchen in ihren Heimatländern für einen modernisierungshemmenden und die politische Entwicklung retardierenden Faktor. Sie argumentierten deshalb für eine mehr oder weniger weit vom religiösen Mainstream abweichende geistig spirituelle Erneuerung, die sie als unabdingbar für einen Wiederaufstieg der Nation ansahen. Es lag nahe, hier von einer neuen Politisierung des Religiösen zu sprechen (MIHAI CHIOVEANU, Bukarest), obgleich mit Recht darauf hingewiesen wurde, dass das auf Eric Voegelin zurückgehende Konzept einer politischen Religion wegen seiner theologischen Implikationen nicht ohne weiteres angewendet werden kann. Wie groß ein religiöser Einfluss auf die politische Implementierung faschistischer Ideen sein konnte, wurde besonders an den Beispielen Mile Budaks (1889-1945), einem der Chefideologen der Ustaschabewegung und ab Juli 1941 kroatischer Kultusminister und Bogdan Filovs (1883-1945), seit 1938 Erziehungsminister und ab 1940 auch Premierminister Bulgariens (dargestellt von TIHOMIR PONOS, Zagreb, und PLAMEN TZVETKOV, Sofia) deutlich. Unabhängig von nationalen und theologischen Unterschieden scheint der Antisemitismus ein wichtiger, wenn nicht der zentrale Faktor gewesen zu sein, der den faschistischen Theorieentwürfen eine gewisse Einheitlichkeit verlieh. Das Judentum bildete insbesondere in der Form des jüdischen Bolschewismus das Gegenmodell schlechthin, über dessen Negation sich nationalistische und faschistische Ideen neu konstituieren ließen.

Im Unterschied zu allen anderen europäischen Ländern gab es lediglich im nationalsozialistischen Deutschland den ernst zu nehmenden Versuch, die für notwendig erachtete weltanschauliche Neugestaltung auf eine nichtchristlich pagane Grundlage zu stellen. Am einflussreichsten wurde die von dem Indologen und Religionshistoriker Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962) angeführte „Deutsche Glaubensbewegung“, die eine an der indogermanischen Rasse orientierte antichristliche Religion propagierte. Als einer typischen Intellektuellenreligion, die mit den religiösen Interessen der Mehrheit der deutschen Bevölkerung wenig gemein hatte - noch 1945 gehörte weit über 90 Prozent aller Deutschen einer der beiden christlichen Kirchen an - war ihr mit nur zwei Jahren (1934-1936) kein allzu langes Leben beschieden. Trotz seiner religiösen Illusionen und einer für viele Intellektuelle charakteristischen Naivität im Hinblick auf die Belange der Realpolitik hatte Hauer aber richtig erkannt, dass in einer zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft eine religiöse Letztbegründung des Politischen nicht länger von den Vertretern der traditionellen christlichen Theologie geleistet werden konnte (HORST JUNGINGER, Tübingen). Die wichtige „gatekeeper“-Funktion der Intellektuellen, die an der Schwelle zwischen den ewigen Werten des Geistigen und dem politischen Diesseits eine Schlüsselfunktion einnehmen, musste sich ändern bzw. ging auf theologisch nicht mehr in dieser Weise gebundene Intellektuelle über, die einen weiteren Religionsbegriff vertraten, der alle Formen des künstlerischen Ausdrucks (Literatur, Musik, Theater, Malerei usw.) einschloss. Was für den Nationalismus im Allgemeinen gilt, gilt noch mehr für den faschistischen Hypernationalismus: er bedarf der Rückversicherung bei den übernatürlichen Mächten des Schicksals und der Vorsehung, also einer neuen Politik aus dem Glauben. Dass die Bedeutung der Religion im Prozess der nationalen Identitätsbildung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, zeigten die Referate von RAZVAN PARAIANU (Budapest) und ALEXANDRU ZUB (Iasi) am Beispiel Rumäniens in aller Deutlichkeit. Spielte in Rumänien das Orthodoxe Christentum die entscheidende Rolle, so in Polen der Katholizismus, wobei die Übergänge zwischen autoritären und faschistischen Strukturen in Polen nicht immer ganz einfach voneinander unterschieden werden können (BOGDAN KOSZEL, Posen). Die von UWE DATHE (Kiew/Jena) behandelten protestantischen Siebenbürger Sachsens waren auch in politischer Hinsicht ein Sonderfall, da sie eine ausländische Macht repräsentierten und zwischen unterschiedlichen Interessen zu vermitteln hatten. Ihre Funktion als Speerspitze des Deutschen Reiches blieb davon aber unberührt. Darin scheinen sich die Siebenbürger Sachsen nicht vom Auslandsdeutschtum anderer Länder unterschieden zu haben.

Natürlich betrifft die Frage der Religion und Weltanschauung nur einen Teilaspekt des Verhältnisses zwischen Faschismus und Intellektuellen. Für die weitere Diskussion wird es darauf ankommen, den Ländervergleich auf den verschiedenen Ebenen der Politik, Kultur, Wissenschaft, Religion, Ökonomie usw. voranzutreiben, dann aber auch, diese Bereich miteinander in Beziehung zu setzen. Nur so werden sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der politischen Entwicklung adäquat erfassen und analysieren lassen. Zweifellos stellt eine solchermaßen weit und dynamisch verstandene komparatistische Faschismusforschung ein schwieriges Unterfangen dar, das der Zusammenarbeit über nationale, sprachliche und fachliche Grenzen hinweg bedarf. Das Ziel des ursprünglich noch breiter angelegten Rundtischgesprächs (einige Teilnehmer mussten krankheitshalber kurzfristig absagen) bestand daher vorrangig darin, das Forschungsfeld abzustecken und die für Mittel- und Südosteuropa zentralen Problemstellungen herauszuarbeiten. Für 2006 ist geplant, diese Vorarbeiten in eine größere Konferenz einfließen zu lassen. Darüber hinaus soll der Versuch unternommen werden, diverse Einzelforschungen zu bündeln und die in den verschiedenen Ländern bereits bestehenden Projekte miteinander zu vernetzen.

Dass es wissenschaftlich sinnvoll und politisch wichtig ist, alle nur möglichen Anstrengungen dafür zu unternehmen, kann kaum bezweifelt werden. In vielen Ländern Ost- und Südosteuropas führte die Entwicklung nach 1989 zu einem Wiedererstarken des Nationalismus, der z.T. an faschistische Ideen der Zwischenkriegszeit anknüpft. Gerade in Rumänien gibt es eine starke Tendenz, legionäre Ideen wieder aufleben zu lassen und in der Frontstellung gegen Europa als ein zukunftsweisendes nationales Politikmodell auszugeben.3 Es handelt sich bei dem in Bukarest verhandelten Tagungsthema also um kein abstraktes Problem sondern um eine Angelegenheit mit erheblichem Gegenwartsbezug. Die Anwesenheit des deutschen Botschafters Wilfried Gruber sowie der israelischen Botschafterin Rodica Radian-Gordon unterstrichen die politische Bedeutung des Themas „Faschismus und Intellektuelle“. Ausführliche Berichte der beiden führenden kulturpolitischen Wochenzeitschriften Rumäniens „Dilema Veche“ und „22“ werden die Diskussionen des Rundtischgesprächs noch stärker in die Öffentlichkeit tragen.4

Organisiert wurde das Rundtischgespräch von der Fakultät für politische Wissenschaften der Universität Bukarest (FLORIN TURCANU) 5 und dem Bukarester Goethe-Institut (SABINE HENTZSCH), das auch die Infrastruktur und die Räumlichkeiten bereitstellte.6 Dies war nur möglich durch eine Finanzierung im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Man darf gespannt sein, zu welchen Ergebnissen der weitere Fortgang der in Bukarest begonnen Diskussionen führen wird.

Anmerkungen:
1 Mihail Sebastian, Jurnal 1935-1944, Bukarest: Humanitas, 1996. Das Vorwort und die erläuternden Fußnoten stammen von Leon Volovici, der bereits 1991 auf die Tagebücher hingewiesen hatte: Nationalist Ideology and Antisemitism. The Case of Romanian Intellectuals in the 1930s, Oxford u.a, 1991, S. 73, Fußnote 90.
2 Mihail Sebastian, Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt. Tagebücher 1935-44, Berlin: Claassen, 2005, mit einem Vorwort von Edward Kanterian. Nicht zuletzt die große Zahl der Rezensionen belegt, wie überfällig die deutsche Ausgabe war, eine Zusammenstellung unter: http://users.ox.ac.uk/~sjoh0748/Sebastian.htm.
3 Siehe hierzu bes. die dreiteilige Aufsatzfolge von William Totok, Rechtsradikalismus und Revisionismus in Rumänien, in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, H. 2 (2001), S. 33-57, H. 1 (2002), S. 55-72 und H. 2 (2002), S. 19-42 bzw. auch dessen wenig beachteten Artikel über Die Generation von Mircea Eliade im Bann des rumänischen Faschismus, ebd., H. 1 (1995), S. 42-55.
4 Siehe die jüngste Ausgabe von „Dilema Veche“, Nr. 102, 6.-12.1.2006: „Criza anilor 30, fascismul si fascistii“ mit umfanreichen rumänischen Vortragsauszügen: http://www.algoritma.ro/dilema/fw.htm?current=NumAnt1.htm. Eine Sondernumer der von der Gruppe für Sozialen Dialog herausgegebenen „revista 22“ wird in Kürze folgen: http://www.revista22.ro/.
5 Dessen wichtiges Eliade-Buch gerade ins Englische und Deutsche übersetzt wird: Florin Turcanu, Mircea Eliade. Le prisionnier de l’histoire, Paris: Éditions la Découverte, 2003.
6 Mit zahlreichen Vorträgen, Ausstellungen, kleineren und größeren Tagungen etc. etablierte sich das Goethe-Institut als ein zentraler Ort des kulturpolitischen Lebens in der rumänischen Hauptstadt, siehe: http://www.goethe.de/ms/buk/deindex.htm.


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