Die antike Stadt im Umbruch

Die antike Stadt im Umbruch

Organizer(s)
Fachgebiet Klassische Archäologie, TU Darmstadt
Location
Darmstadt
Country
Germany
From - Until
19.05.2006 - 20.05.2006
Conf. Website
By
Frank Daubner, Köln

Am 19. und 20. Mai 2006 fand an der TU Darmstadt das vom Fachgebiet Klassische Archäologie organisierte Kolloquium „Die antike Stadt im Umbruch“ statt. Fünfzehn Altertumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stellten ihre Forschungen auf dem Gebiet der spätantiken Urbanistik vor (zum Programm s. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=5282). Stadtforschung hat hier, innerhalb der Architekturfakultät, der die Darmstädter Klassische Archäologie angegliedert ist, ihre besondere Relevanz.

Die Geschichte der spätantiken Stadt ist noch weitgehend ungeschrieben. Einzelbauten, vor allem Kirchen, auch manche Baugattungen haben durchaus Beachtung erfahren, jedoch sind die Fragen nach Struktur und Wandel der spezifisch spätantiken Stadt, deren Lebensform noch bis ins 7. Jh. prägend und bestimmend war, erst in den letzten zwanzig Jahren aufgekommen. Das klassische Paradigma, das die Spätantike als Verfallszeit ansah, wurde erst im Zuge einer grundsätzlichen Umorientierung der Klassischen Archäologie, mit der die Einbeziehung von Peripherien und Randgruppen einherging, als Leitbild außer Kraft gesetzt, wie Franziska Lang in ihrer Begrüßung betonte. Eine Gesamtschau des Phänomens ist noch nicht zu leisten, da es an Detailstudien mangelt und eine regionale Differenzierung aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in den verschiedenen Teilen des Reichs unerläßlich ist. Rudolf Stichel wies in seiner Einleitung darauf hin, daß die Zeit vom Beginn des 4. Jh. – der Legalisierung des Christentums – bis zum 7. Jh., als das Städtewesen und die bis dahin staatstragende Schicht überall außer in Konstantinopel verschwand, keineswegs als allgemeine Verfallszeit anzusehen sei, selbst wenn dies bereits von Zeitgenossen polemisch so gedeutet werden mochte. Im Rechtswesen, in der Kunst und in der Architektur ereignen sich Wandlungsprozesse, die als Befreiungsschlag von den klassischen Normen gedeutet werden können und die die entscheidenden Weichenstellungen für die Entstehung des modernen Europa bewirkten. Die leitenden Fragestellungen, denen anhand eines zeitlich und räumlich breiten Spektrums von Fallbeispielen nachgegangen wurde, waren also die nach den jeweiligen Änderungen, den Kontinuitäten und den Gründen für das eine oder das andere im je spezifischen Fall.

Hauke Ziemssen (Hamburg/Rom) führte in seinem Beitrag direkt nach Rom, das seine Stellung als Zentrum der Macht allerdings zur Zeit der Herrschaft des Maxentius bereits seit einiger Zeit verloren hatte. Unter dem Usurpator wurde zwischen 306 und 312 letztmalig Roms Zentrum durch ein kaiserliches Bauprogramm verändert: Der Palast auf dem Palatin wurde erweitert, der abgebrannte Venus-Roma-Tempel wiederaufgebaut, die große Basilika am Ostende des forum Romanum errichtet. Die Basilika stellt einen neuen Bautyp dar und dient der kaiserlichen Repräsentation, ebenso wie die Apsidensäle der Tetrarchenpaläste. Gemäß dem Zeugnis der Münzprägung stellte Maxentius eine besondere Beziehung zwischen sich und der Göttin Roma her, die baulich dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Basilika in ihrer Ausrichtung und Ausstattung auf den Venus-Roma-Tempel Bezug nimmt. Mit der Rolle der spätantiken fora befaßte sich Wolfgang Messerschmidt (Köln). Anhand von Fallbeispielen aus Rom und aus Städten Nordafrikas und Kleinasiens konnte er zeigen, daß stets ein forum als kaiserlicher Repräsentationsraum beibehalten wurde. Es entstehen neue fora, auch neue Forentypen; alte werden zum Teil überbaut bzw. zur privaten Repräsentation umgenutzt. Hieran schlossen sich in enger inhaltlicher Ergänzung die Ausführungen von Ulrich Gehn (Berlin) zu den Aufstellungskontexten senatorischer Ehrenstatuen an. Deren Zahl nimmt im 4. und 5. Jh. keineswegs ab, sie werden jedoch nicht mehr auf öffentlichen Plätzen wie den Kaiserfora oder in Heiligtümern aufgestellt, sondern in privaten Häusern und auf den parallel zu den öffentlichen existierenden Privatfora. Sowohl neuangefertigte, als auch umgearbeitete ältere Statuen finden als distinktive Anzeiger der Bedeutung des Dargestellten Verwendung.

Das Verhältnis der urbs zum einst durch große Villenanlagen geprägten suburbium untersuchte Jochen Griesbach (Köln). Seit severischer Zeit gab es hier wie dort kaum noch Neubauten. Die senatorische Villeggiatur beschränkte sich auf Kampanien; die Campagna wurde Wirtschaftsland. Hingegen zeigte sich im verfallenden Rom des 3./4. Jh. eine neue Blüte der Errichtung großer Stadthäuser, veranlaßt durch die Konzentration der Senatoren im nachconstantinischen Rom. Die großen Anlagen bilden die von Olympiodor beschriebenen „separaten Städte“: Die domus wird zum öffentlichen Ort. Sogar die Bestattungen werden innerhalb der ehemaligen Stadtgrenze vorgenommen, was auf einen deutlich veränderten Stadtbegriff hinweist: Jede einzelne Haustür markiert nun die Grenze zwischen Stadt und Land. Am Beispiel zweier Städte in Norditalien – Aquileia und Ravenna – zeigte Annette Haug (Leipzig), wie unterschiedlich die spätantike Entwicklung zweier nicht weit auseinanderliegender Orte verlaufen konnte. Während in Ravenna, einer der neuen Hauptstädte des Reichs, die Gebäude und die öffentlichen Plätze bis ins 6. Jh. genutzt, instandgehalten und prestigeträchtig ausgebaut werden, verfällt die einst reiche Handelsstadt Aquileia. War das forum bis ins 4. Jh. öffentliches Zentrum und Erinnerungsraum an die einstige Größe, versumpft es nach der Mitte des 5. Jh. völlig. Zerstörte Gebäude bleiben Ruinen, das Zentrum verlagert sich zum einen an den neuen Hafen, zum anderen zu den Kirchenanlagen, die in der Ruinenlandschaft entstanden. Wie in Rom existierte im 6. Jh. kein geschlossenes Stadtbild mehr.

Als erste der beiden kleinasiatischen Beispielstädte stellte Jesko Fildhuth (Köln) die Entwicklung der ephesischen Kuretenstraße in der Spätantike anhand der Leitfrage nach dem Umgang mit der Bausubstanz vergangener Epochen vor. Im 5. und auch noch im 6. Jh. wird die Straße sukzessive umgebaut, wobei man großen Wert auf die Erhaltung älterer, stadtgeschichtlich bedeutender Bauten legte. Die Modifikationen, vor allem durch Hallenbauten und mehrere Installationen für fließendes Wasser, sind als Aufwertung zu betrachten. Der grundsätzliche Charakter der Bauten bleibt gewahrt; auch die Christianisierung wirkte sich recht behutsam aus. Insgesamt ist eine Politik der Erhaltung und Pflege der alten Monumente zu konstatieren. In Blaundos, einer Kleinstadt im kargen, unzugänglichen lydisch-phrygischen Grenzgebiet, ist im 4. Jh. ein Entwicklungsschub zu beobachten, wie Axel Filges (Frankfurt) berichtete. Eine Wehranlage wird sorgfältig errichtet, welche die Fläche der kaiserzeitlichen Stadt auf die Hälfte reduziert. Für den Bau der Mauer und des Tores wurden die Blöcke von Kult- und Wasseranlagen außerhalb des ummauerten Bereichs verwendet. Wie die aufwendig in den Mauerring einbezogenen Wohnhäuser zeigen, prosperierte Blaundos im 4. Jh., es wurde also nicht aus Not die Hälfte der Stadt aufgegeben. Eine weitere Umbauphase des 6. Jh., ohne öffentliche Gebäude, die auch Material von Bauten innerhalb der Stadt spoliert und das Straßenraster durch kleinteilige Hausbebauung verschwinden läßt, kennzeichnet eine grundlegende Änderung der Siedlungsstruktur.

Nadin Burkhardt (Darmstadt) zeigte, daß sich im erst spät christianisierten Athen die städtischen Eliten bis ins 6. Jh. hinein um ihre Stadt kümmerten und es trotz schwerer Schläge wie den Verwüstungen durch die Heruler (267) und die Slawen (582/3) vermochten, sie ansehnlich und funktionierend zu erhalten. Drei Gestaltungsphasen sind zu unterscheiden: Der Wiederaufbau auf einer stark verkleinerten, neu ummauerten Fläche nach dem Herulereinfall, eine Blüte im 5. Jh., die geprägt war durch den Ausbau der Hauptstraßen, die aufwendige Instandhaltung des Wasserleitungssystems und die Expansion über die Stadtmauer hinaus, und die mit der Christianisierung und dem Kirchenbau einhergehende Verwahrlosung des Stadtbildes sowie der Rückgang der öffentlichen Sorge und des Interesses an Stadtgestaltung und -erhaltung im 6. Jh.

Die Entwicklung von Nysa-Skythopolis in Palästina und die Verknüpfung der Befunde mit den städtebaulichen Angaben in Sozomenos’ Kirchengeschichte war Thema des Vortrags von Wolfgang Thiel (Karlsruhe). Hier ist das Christentum erst nach der Zäsur durch den Tod Iulians und das schwere Erdbeben von 363 städtebaulich präsent. Thermen, Säulenstraßen und Abwasserkanäle werden instandgesetzt und verbessert; die Marktbasilika wird abgebaut, heidnische Statuen werden verstümmelt und vergraben, Tempel aufgelassen. In Skythopolis, seit Theodosius Provinzhauptstadt, ging es sichtlich um eine rasche Wiederbelebung des kommerziellen Lebens. Bei der Durchführung der Baumaßnahmen treten städtische Magistrate nicht mehr auf; sie erfolgen unter der Ägide des Statthalters. Holger Dietrich (Siena) untersuchte, inwieweit die Festkultur als wesentlicher Bestandteil urbanen Lebensstils christlich überformt wurde. Die alten Feste waren im Jahresablauf der Stadt fest verwurzelt und auch für Christen attraktiv. So wurden sie auch trotz aller Polemiken nicht verboten; das Christentum setzte sich durch, indem es die Feste okkupierte und Heiligenfeste an den vorgegebenen städtischen Rhythmus anpaßte. Eine Annäherung an das Phänomen der spätantiken Tyche-Verehrung stellte Matthias Kolbe (Amman) vor. Vor allem durch Münzen und schriftliche Quellen ist die anhaltende Bedeutung der Tyche belegt, jedoch ist es schwer, die Funktion und die bauliche Ausgestaltung der Kulte genauer zu fassen. Anhand des relativ gut überlieferten alexandrinischen Tychaions zeigte er, daß die Ausstattung der Platzanlage des Heiligtums die Bindung der Bevölkerung sowohl an ihre Stadt, als auch an Rom zu verstärken angetan war. Jedoch ist es nicht möglich, aus einem Beispiel auf einen eventuellen Typus zu schließen.

Mit Benjamin Streubels (Köln) Vorstellung seiner Untersuchung der Geländeniveaus begann der „Ostia-Block“ des Kolloquiums. In der bis ins 7. Jh. genutzten Stadt steigen nicht nur Lauf- und Bauniveaus beständig an, es gibt auch Anlagen, die konstant auf dem älteren Niveau gehalten werden (forum und Herculestempel) und dadurch quasi in Löchern versinken, während die übrige Stadt auf kontinuierlich ansteigendem Niveau weitergebaut wird. Die Entstehung und Abgrenzung verschiedener Stadtteilkulturen stellte Axel Gehring (Berlin) vor. Der Funktionswandel des spätantiken Ostia vom Gewerbe- zum Vergnügungszentrum führte zur Konzentration der Außenwirkung auf eine Prachtstraße und zur zunehmenden Sichtbarkeit der sozialen Spreizung und der Abwanderung: Ab dem 4. Jh. verfallen Stadtviertel zusehends, andere werden zu Luxusvierteln, die sich nach außen – gegenüber den abusiv genutzten Verfallszonen – massiv abschlossen. Abriß und Zonenbildung werden als Maßnahmen zur Bewältigung von Leerstand und Verfall und der daraus resultierenden urbanen Unsicherheit gedeutet. Einen besonderen Bautypus, den Nymphäumsraum, beschrieb Andrea Schmölders-Veit (München). An der Prachtstraße Ostias entstehen im Bereich reicher domus an der Stelle von Plätzen oder Portiken luxuriös ausgestattete Räume mit Brunnen, die nicht der Wasserentnahme dienen. Diese auch in anderen Städten nachweisbaren Örtlichkeiten interpretierte die Referentin als Rückzugs-, Kommunikations- und Geschäftsräume der Oberschicht, welche die zuvor diesen Zwecken dienenden Bäder und Prachtlatrinen ablösen.

Zurück nach Palästina führte der anschließende Beitrag von Stefanie Hoss (Nijmegen). Das Baden nach römischer Art war für Juden lange ausgeschlossen, jedoch setzt im 2./3. Jh. ausgehend von den großen Handelszentren mit vielen auswärtigen Bewohnern eine sprunghafte Zunahme des Bäderbaus ein, der auch in der Spätantike nicht abbricht. Eine den klimatischen Bedingungen angepaßte Sonderform entsteht. Die Attraktivität des römischen Lebensstils wurde von der jüdischen Geistlichkeit, anders als von der christlichen, anerkannt und Baderegeln in die Lehre integriert, wie talmudische Quellen belegen. Auch nach der muslimischen Eroberung bleiben die Bäder bestehen und die Art des Badens hielt sich bis heute – ein eindrucksvoller Beleg dafür, daß nicht nur im Westen Kontinuitätslinien von der Spätantike bis in die heutige Zeit führen.

In der sehr angeregten Abschlußdiskussion wurde nochmals die Verschiedenheit der einzelnen Städte betont, die sorgfältige Detailstudien zum individuellen Umgang mit dem Bedeutungsverlust oder -gewinn notwendig macht. Die Polarisierung des Besitzes scheint eine grundsätzliche Tendenz zu sein. Zumindest im Westen scheint eine „mittlere“ Schicht als Träger des Reichtums um 300 zu verschwinden; der traditionelle Euergetismus funktionierte nicht mehr. Dem städtebaulichen Niedergang im Westen steht allerdings eine weithin von den städtischen Eliten getragene Blüte im griechischen Osten (Athen, Ephesos) gegenüber, die darauf hinweist, daß hier die urbanen Traditionen anders und tiefer verwurzelt sind als im lateinischen Westen. Allerdings finden auch in den Städten Italiens deutlich unterschiedliche Entwicklungen statt – von der Blüte der Kaiserstadt Ravenna über die Senatorenstadt Rom, die auf spezifische Weise am Leben gehalten wurde, bis zur völligen Aufgabe der Urbanität in Aquileia. Auch eine Gegenüberstellung Roms und Athens ist aufschlußreich: Beide Städte sind sich ihrer großen Vergangenheit bewußt, jedoch führen Verfall und Zerstörung in Athen zu vermehrter öffentlicher Sorge, in Rom werden spezifische städtische Elemente in den Privathäusern angesiedelt; eine öffentliche Bürgerstadt im traditionellen Sinne ist nicht mehr sichtbar. Die lokalen Besonderheiten, die in der keineswegs niedergehenden spätantiken Levante ausgebildet wurden, bestimmen deren Stadtbilder noch heute. Um alle diese Gegebenheiten in einem Gesamtbild der spätantiken Stadt zu vereinen, bedarf es weiterer Detailstudien, vor allem auch zur Keramikchronologie, sowie der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Archäologen, Historikern, Bauforschern und Philologen.

Es ist geplant, die Beiträge des Kolloquiums zu veröffentlichen.


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