Quo vadis, Baugeschichte?

Quo vadis, Baugeschichte?

Organisatoren
Lehrstuhl für Baugeschichte an der RWTH Aachen
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.11.2006 - 04.11.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Karl R. Kegler, Aachen

Baugeschichte wie sie an den deutschsprachigen Architekturfakultäten gelehrt wird, ist ein Fach mit vielgestaltigen disziplinären Anknüpfungspunkten. Archäologen oder Kunsthistoriker, Bauforscher, Architekten oder Architekturtheoretiker besetzen die Professuren und Dozenturen und repräsentieren unterschiedliche Zugangsweisen in einer historischen Disziplin, die seit jeher als ein Grundlagenfach für die universitäre Architekturausbildung angesehen wird. Mit der Reform des Architekturstudiums, die gegenwärtig mit der Umstellung der traditionellen Diplomstudiengänge auf die Abschlüsse "Bachelor" und "Master" vollzogen wird, geraten nun an allen deutschen Universitäten die bisherigen Studienpläne auch in diesem Feld in Bewegung. Wie grundsätzlich die Fragen sein können, die mit dieser Umstellung aufgeworfen werden, verdeutlichte vor einiger Zeit eine Stellungnahme, die der Wissenschaftsrat der Architekturfakultät in Darmstadt bei seiner letzten Begutachtung ins Stammbuch schrieb. Als Gremium, das Bund und Länder bei der Entwicklung von Wissenschaft und Forschung berät, stellte der Wissenschaftsrat die Frage, ob "forschungsschwache" Disziplinen wie die Architektur überhaupt noch an Universitäten angesiedelt sein sollten. – Wird der akademisch umfassend gebildete Architekt damit zum Auslaufmodell?

Vor dem Hintergrund dieses düsteren Szenarios versammelten sich im November des letzten Jahres die Vertreter der deutschsprachigen Baugeschichte und Architekturlehre zu einer Tagung in Aachen und berichteten von den Schwerpunktsetzungen ihrer Institute in der teils schon vollzogenen Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Als Ergebnis der Tagung ist nun Anfang Januar 2007 auch ein "Aachener Protokoll zur Baugeschichte" publiziert worden, das die Positionen der Baugeschichte angesichts der überall geführten Strukturdiskussionen zusammenfassen möchte.

Der mit der Aachener Tagung gegebene Überblick offenbarte verwandte Probleme und eine große Spannweite von Lösungen. Einig waren sich die nach Aachen gekommenen Bauhistoriker darin, dass mit der Umstellung der Architektenausbildung ihrer Disziplin eher eine wachsende Bedeutung zukommen werde. Gerade die Baugeschichte, die Lehre mit Forschung am Objekt verbindet, erschien aus Sicht der Konferenzteilnehmer als Garant für den wissenschaftlichen Charakter des universitären Studiums. Baugeschichte liefere zudem wichtige Argumente für eine universitäre Architekturlehre, wenn ein einseitiger Forschungsbegriff aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften in unzulässiger Weise auf die entwerferische Arbeit von Architekten übertragen werden soll.

Längst führt der Karriereweg von Architekturabsolventen nicht mehr automatisch zur angestellten oder selbständigen Arbeit in Bauentwurf und –ausführung, wie Hans-Georg Lippert (Dresden) heraushob. Die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, die gerade im "Bildungsfach" Baugeschichte gelegt und vermittelt werden, seien daher unverzichtbar und ein wertvolles Kapital für eine berufliche Tätigkeit in Bereichen, die an die Architektur angrenzen. Dass auch die Baugeschichte ihre Arbeits- und Forschungsthemen heute weiter fasst, wurde eindrucksvoll deutlich, als Lippert in seiner Präsentation die mediale Inszenierung von Bauten in Film und Computervisualisierungen aufgriff und analysierte. Aber auch für den entwerfenden Architekten bietet die Kenntnis der Baugeschichte eine wichtige Orientierung. Hier betonte Jan Pieper (Aachen) die Bedeutung der aktiven Beteiligung von Studierenden an der historischen Bauforschung. Die intime Kenntnis von erstklassigen historischen Architekturbeispielen kann und sollte auch für das zeitgenössische Entwerfen eine wesentliche Leitlinie für die Sicherung von Baukultur darstellen. Baugeschichte müsse sich zudem heute auch deshalb als Anwalt für architektonische Qualitäten verstehen, da sich die Kunstgeschichte jüngsten Diskursmoden entsprechend immer mehr als Bildwissenschaft geriere und die dreidimensionale Baukunst vernachlässige.

Eine Entgrenzung anderer Art führte Joachim Ganzert (Hannover) vor, als er in seinem Beitrag die Fortschrittserzählung der klassischen Moderne hinterfragte. Die wirkungsmächtigen Positionen von Heroen der Moderne wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier kennzeichnete Ganzert als einseitige Zuspitzungen in einer Vielfalt von konkurrierenden Architekturkonzepten. Demgegenüber müsse die Baugeschichte in der Lehre dem entwerferischen Sendungsbewusstsein die Frage nach der Angemessenheit von Architektur entgegenhalten. Erich Lehner von der TU Wien erweiterte diese Position noch um eine globale Perspektive, als er die Vielfalt kultureller Bautraditionen außerhalb Europas in den Mittelpunkt rückte. Mit der Globalisierung führt der Import von Bautypen westlicher Prägung zu einem ungeahnten Verlust an baulicher und kultureller Vielfalt und Qualität in den Ländern der Dritten Welt. Architekturgeschichte als Wissenschaft, so das engagierte Bekenntnis von Lehner, müsse sich der Architektur in ihrer Gesamtheit widmen. Dagegen steht heute fast ausschließlich die bauliche Überlieferung westlicher Prägung im Lehrprogramm der Universitäten. Aus diesem Grund hat Lehner das bedrohte Erbe traditioneller Architekturen außerhalb Europas in den Mittelpunkt seiner Lehr- und Forschungstätigkeit gesetzt und mit Studierenden aus Wien teilweise erstmals umfassende Dokumentationen angefertigt. An die inneren Peripherien, die durch den demographischen Wandel im ländlichen Osten Deutschlands entstehen, erinnerte schließlich Simone Hain (Graz), die die Konzeption einer engagierten Baugeschichte als Moderator und Treuhändler im Strukturwandel vertrat. Mit einer Reihe von Projekten, die das bauliche Erbe schrumpfender Regionen aufgreifen und zur Aktivierung der Bevölkerung nutzen, illustrierte Hain ein immer wichtiger werdendes Zukunftspotenzial der Baugeschichte.

In diesen Kontext fällt auch der Umgang mit dem vielleicht ungeliebten, aber deshalb nicht minder bedeutsamen architektonischen Erbe der ehemaligen DDR, den Anette Busse (Karlsruhe) an einem Dresdener Beispiel vorführte, das Studierende des Aufbaustudiengangs "Altbauinstandsetzung" erforscht und bearbeitet haben. Gerade im Umgang mit umstrittenen Denkmälern, so könnte man die an den Vortrag anschließende Diskussion zusammenfassen, erweist sich der methodische Wert eines universitären Studiums, denn in der Praxis werden Architekten und Denkmalpfleger eben bei diesen Beispielen gezwungen sein, kritische Abwägungsentscheidungen zu treffen und zu begründen.

Die Vielfalt von Ansätzen illustriert die Bandbreite unterschiedlicher Konzeptionen, die in den sechssemestrigen Bachelorstudiengängen für Architektur zwischen Berlin, Hamburg, Aachen, Zürich und Wien in Zukunft angeboten werden. Um diese Vielfalt noch zu steigern, denkt die Technische Universität München über die Einführung eines achtsemestrigen Bachelorstudiums nach. An diese Grundstudien schließen sich konsekutive Masterprogramme an, die durch weitere Masterprogramme als Aufbaustudiengänge etwa für Denkmalpflege oder Bauforschung ergänzt werden können. Der Studienanfänger wird sich hier in Zukunft einen genauen Überblick verschaffen müssen und zwischen sehr spezifischen Angeboten auswählen können. Umso wichtiger war die Aachener Tagung, die zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Institute zu einem intensiven Informationsaustausch genutzt wurde.

Das "Aachener Protokoll", das nun aus den Diskussionen in den Arbeitsgruppen des Kolloquiums hervorgegangen ist, verdichtet die bereits geschilderten Positionen. Die Autoren heben neben der Bedeutung ihrer Disziplin als Kernfach für eine kulturwissenschaftliche Begründung von Architektur ihre Aufgabe als "wirkliche Grundlagenforschung" hervor. Baugeschichte müsse daher sowohl in der Projektarbeit am historischen Objekt wie im architektonischen Entwurf Berücksichtigung in den überarbeiteten Studienplänen finden.


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