Auf Einladung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sowie der Koordinationsstelle des Projektverbundes Zeitgeschichte Berlin-Brandenburg fand der erste Workshop statt, der sich allein mit dem Thema Strafvollzug im Nationalsozialismus beschäftigte. Ziel der Veranstaltung, so Thomas Schaarschmidt von der Koordinationsstelle, sei es, den Forschungsstand zu diskutieren und Forschungsdesiderate aufzudecken.
Den Eröffnungsvortrag hielt NIKOLAUS WACHSMANN (Birkbeck University of London), für den der Strafvollzug zu den bislang von der NS-Forschung vernachlässigten Bereichen gehört. Er ging zunächst auf die Insassen der Gefängnisse während der NS-Zeit ein und erklärte, dass die Anzahl der Gefangenen seit 1933 sehr schnell zunahm und sich sogar verdoppelte. Während des Krieges stieg sowohl die Zahl der politischen Gefangenen weiter als auch die Anzahl der so genannten „Fremdvölkischen“, worunter Juden und Polen verstanden wurden. Zudem nahm die Zahl der gesellschaftlich Ausgegrenzten durch die zunehmende Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen wie Homosexualität zu. Ebenso veränderte sich der Umgang mit Kriminellen. Beispielsweise galten Kleinkriminelle seit November 1933 als „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“. Grundsätzlich kann zwar sowohl von Kontinuitäten als auch von Veränderungen des Strafvollzugs im Vergleich zur Weimarer Republik ausgegangen werden; in mehrfacher Hinsicht allerdings verschlimmerte sich die Situation für die Strafgefangenen: Das Beschwerderecht wurde eingeschränkt, Essensrationen wurden gekürzt, die sanitären Verhältnisse verschlechterten sich, wozu maßgeblich die zunehmende Überbelegung der Gefängnisse beitrug. Außerdem wurden neue Maßnahmen wie Sterilisation und Kastration bei bestimmten Gefangenengruppen eingeführt. Hinzu kam im Zuge des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ vom November 1933 die Form der Sicherungsverwahrung. Der Strafvollzug insgesamt war mitnichten eine von der NS-Gesellschaft abgekoppelte Organisation. Hitler mischte sich zwar in manche Angelegenheiten ein, aber auch die Beamten der Justiz selbst trugen dazu bei, dass Justiz und Strafvollzug Teil des NS-Staates wurden. Besonders deutlich wurde das im Verhältnis zwischen Justiz und Polizei bzw. SS. Zwar existierten gewisse Konflikte, doch beide Institutionen versorgten sich laufend gegenseitig mit Gefangenen. Der Höhepunkt der Abgabepraxis an die Konzentrationslager war das seit 1942 laufende Programm „Vernichtung durch Arbeit“, bei der bestimmte Gefangene gezielt an die Lager überführt wurden. Wachsmann betonte abschließend noch einige Forschungsdesiderate; beispielsweise fehle es an expliziter Täterforschung über den Strafvollzug, an Forschung über den Frauenstrafvollzug sowie über die Untersuchungshaft. Des Weiteren müsse man das Verhältnis zwischen Vollzug, Regime und Gesellschaft ausloten.
Die Diskussion warf zunächst die Frage nach dem zahlenmäßigen Verhältnis zwischen politischen und kriminellen Häftlingen auf. Die Schwierigkeit dabei ist unter anderem, zu beurteilen, welche Delikte als „politisch“ und welche als „kriminell“ zu betrachten sind. Zudem wurde die Problematik erörtert, dass auch der generelle Anstieg der Gefangenenzahlen nicht monokausal zu erklären sei: Nicht nur die Verschärfung von Strafgesetzen besonders in der Verfolgung von „Gemeinschaftsfremden“ trug dazu bei, sondern auch die Verfolgungspraktiken der Polizei. Diese Themen sollten die Teilnehmer an den beiden Workshop-Tagen noch weiter beschäftigen.
Der Beitrag von RAINER MÖHLER (Universität des Saarlandes, Saarbrücken) stellte den Faktor Arbeit in den Mittelpunkt und akzentuierte den Strafvollzug im NS-Staat zwischen Modernisierung und Rassismus. Er konzentrierte sich in seinem Vortrag zunächst auf die Gefangenenarbeit und wertete Arbeit als eine zentrale Kategorie für das Verständnis des NS-Strafvollzugs und des NS-Staates. Die Arbeit im Strafvollzug sollte zum einen der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung dienen, zum anderen Teil einer erzieherischen Einwirkung auf die Strafgefangenen sein. Damit einher ging der schon vor 1933 geprägte Begriff der „Deutschen Arbeit“, der mit einer Marginalisierung des Fremden zusammen spielte. So erfolgte eine rassische und antisemitische Aufladung des Arbeitsbegriffes, auf der die Nationalsozialisten aufbauen können. Dennoch war für die Rechtsexperten der Begriff nicht eindeutig belegt. Mitte der 1930er-Jahre entwickelte sich in Bezug auf Gefangenenarbeit zudem ein Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Weltanschauung. Das zweite Themenfeld von Möhlers Vortrag betraf die andere Seite des Arbeitsbegriffs, nämlich die Ächtung der Nicht-Arbeit, mit welcher der Begriff der „Asozialität“ einherging. In der NS-Ideologie galt Arbeit als Teil der Reinigung des „Volkskörpers“, was im Strafvollzug dann in der „Abgabe“ so genannter „Asozialer“ aus dem Gefängnis an die Polizei gipfelte. Allerdings änderte sich der Begriff der Asozialität im Verlaufe des „Dritten Reichs“. So handelte es sich bei den Betroffenen der „Asozialenaktion“ 1942 nicht nur um die als „Asoziale“ oder „Gewohnheitsverbrecher“ titulierten Häftlinge, sondern auch allgemein um Juden, Polen und „Volksgenossen“. Es waren sowohl „erfolgreiche“ Arbeiter betroffen, als auch Kranke, Alte und Sicherungsverwahrte. Die Gemeinsamkeit dieser Häftlingsgruppen, die zur „Vernichtung durch Arbeit“ in die Konzentrationslager verbracht wurden, hing mit dem rassistischen Verständnis von Arbeit zusammen, das der Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Gemeinschaftsfremden“ diente. Die Frage nach dem Verhältnis zur „Deutschen Arbeit“ trennte demnach die „Volksgenossen“ von den „Gemeinschaftsfremden“.
Anschließenden wurde diskutiert, ob sich das nationalsozialistische Verständnis von Gefangenenarbeit von der Parole „Arbeit als Erziehung“ hin zur Ökonomisierung und Professionalisierung gewandelt habe oder diese Ansätze parallel weiter existiert hätten. Möhler plädierte zudem aufgrund seiner Forschungserkenntnisse dafür, die Unterscheidung zwischen politischen und kriminellen Häftlingen zumindest für die Untersuchung des Strafvollzugs aufzuheben, da häufig keine präzise Trennlinie zu finden sei. Auch wegen krimineller Delikte Inhaftierte und Verurteilte seien letztlich in die Mühlen einer politisierten Justiz gekommen.
Den Abschlussvortrag des ersten Tages zur Haftsituation politischer Gefangener im Zuchthaus Brandenburg-Görden in der NS-Zeit hielt LEONORE ANSORG (Universität Potsdam). Als Quellen benutzte sie vor allem die reichlich vorhandenen Häftlingsakten sowie Häftlingsberichte aus dem SAPMO-Archiv. Diese Berichte sind vor allem von Kommunisten nach dem Ablauf ihrer Haftzeit, teilweise erst Jahrzehnte später, verfasst worden. In Bezug auf die Wachmannschaften sind zunächst gewisse personelle Kontinuitäten zu der Zeit vor 1933 festzustellen. Wegen der schnell wachsenden Zahl der Gefangenen wurden aber von der Anstaltsleitung zusätzliche Hilfswachtmeister von SA und Polizei hinzugezogen. Aus den Häftlingsberichten lässt sich herauslesen, dass das „neue“ Personal härter durchgriff als die „alten“ Beamten. Durch die Kriminalisierung politischer Gegnerschaft nahm die Anzahl der politischen Häftlinge zu, was zu einer Verschlechterung der Haftbedingungen führte. Hinzu kam, dass viele der politischen Häftlinge bereits gesundheitlich angeschlagen in das Zuchthaus kamen. Insgesamt ergibt sich für Brandenburg-Görden ein differenziertes Bild der Haftsituation politischer Gefangener, auch wenn die Forschung dazu erst am Anfang steht. In der anschließenden Diskussion wurde kritisiert, dass man den Entstehungszusammenhang der nach dem Krieg verfassten Häftlingsberichte dringend beachten müsse, besonders der Berichte, die im offiziellen Auftrag in der DDR verfasst wurden. Später entspann sich daraus eine Kontroverse über die grundsätzliche Verwendbarkeit der Häftlingsberichte, wenn diese ideologisch gefärbt seien.
Am zweiten Tag stellten die Referenten jeweils verschiedene Haftorte vor. Vielerorts ähnelten sich die Haftbedingungen (Überbelegung, schlechte Ernährungslage, Gewalterfahrung), sodass sich der Bericht im Folgenden auf die aus den Vorträgen hervortretenden Besonderheiten des jeweiligen Gefängnisses konzentriert. Sowohl aus den Beiträgen als auch aus den Nachfragen wurde deutlich, dass speziell die Erforschung der einzelnen Haftstätten noch ganz am Anfang steht.
KLAUS BÄSTLEIN (Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin) stellte die Hinrichtungs- und Haftstätte Berlin-Plötzensee vor. 1933/34 hatte Plötzensee als Schutzhaftlager fungiert; insgesamt kann Plötzensee aber als ein multifunktionales Gefängnis betrachtet werden: Alle Häftlingskategorien waren dort vertreten, allerdings gab es nur sehr wenige „Langstrafer“, zudem war es ein Haftort für U-Häftlinge. Das bedeutet, dass durch die kürzere Verweildauer die Gefangenenstruktur sehr viel schneller wechselte als z.B. in Brandenburg, wo die meisten Häftlinge zu langjährigen Strafen verurteilt waren. Von den politischen Häftlingen war die Mehrheit durch den Volksgerichtshof (VGH) verurteilt worden. Die Situation der politischen Häftlinge war allerdings anders als in Brandenburg: Der VGH ordnete meist Einzelhaft an; zudem sollten politische Häftlinge nicht arbeiten. Die Hierarchien im Gefängnis waren wiederum ähnlich wie in anderen Haftstätten: Die Sexualstraftäter standen auf der untersten Stufe; die entmannten Häftlinge mussten Drangsalierungen durch andere Gefangene erleiden. Insgesamt durchliefen 1.800 verurteilte Homosexuelle das Gefängnis Plötzensee. In der Diskussion wurde noch einmal der Faden der Definition von „politischen“ Delikten aufgegriffen. Beispielsweise sei „Rassenschande“, so Bästlein, kein eigentlich politisches Delikt, aber die Justiz, die nach diesem Gesetz urteilte, war eine politisch aufgeladene Justiz. Günter Morsch (Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) wandte ein, dass die Frage „politisch“ oder „kriminell“ auf die Sichtweise ankäme: je nachdem, ob man das Problem aus der Sicht der Häftlinge oder aus der Sicht der urteilenden Justiz betrachtet.
ANDREAS WEIGELT (Dokumentationsstätten KZ Außenlager und Speziallager Jamlitz) stellte das Zuchthaus Luckau vor und konzentrierte sich auf die Diskussionen und Selbstdarstellungen des Antifaschistischen Widerstandes im Zuchthaus. Im Wesentlichen stellte Weigelt die offizielle Sicht der DDR, die sich in dem Bericht von Hans-Joachim Nicke aus dem Jahr 1986 ausdrückte, der Forschung von Klaus Drobisch aus den 1990er-Jahren gegenüber. In Luckau waren weniger als ein Viertel der Häftlinge überhaupt zu den politischen zu zählen, doch Nicke berichtet in seinen Erinnerungen, dass er im Gefängnis seit 1934 illegale Parteiarbeit vorgenommen habe, darunter die Schulung von jüngeren Gefangenen. Die führenden Funktionäre seien unter allen Häftlingen anerkannt gewesen. Die Gestapo sei gegen die illegale Arbeit vorgegangen, indem sie Kriminelle und Politische zusammengelegt hätten. Sehr deutlich wird aus Nickes Erinnerungen, wie überlegen sich die Kommunisten gegenüber anderen politischen Häftlingen sowie gegenüber dem Wachpersonal fühlten. Drobisch fand hingegen einiges über V-Leute heraus und berichtete über den Ausschluss etlicher Gefangener aus der KPD nach dem Ende ihrer Haft, worauf Nicke nicht eingeht. Festzuhalten bleibt, dass das Misstrauen und der Streit um Verrat und Korruption unter den Kommunisten gleich nach der Befreiung der Gefängnisse begann.
Das nächste Panel war unter anderem der Täterforschung gewidmet: SYLVIA DE PASQUALE (Dresden) stellte Rudolf Schwerdtfeger vor, den Anstaltsleiter des Zuchthauses Brandenburg-Görden, und JÖRG MORRÉ (Gedenkstätte Bautzen, Stiftung Sächsische Gedenkstätten) berichtete von den Bautzener Gefängnissen und deren Leiter Plischke. Schwerdtfeger (Jahrgang 1888) war seit 1925 Direktor im Zuchthaus Brandenburg. Er setzte gewisse Hafterleichterungen für bestimmte Häftlinge durch, pochte aber auch auf unbedingte Disziplin. Gegenüber Häftlingen, die Schwierigkeiten machten, zeigte er sich unnachgiebig; zugleich richtete er den Schwerpunkt der Gefängnisordnung auf ihre Wirtschaftlichkeit. 1934 stieg er zum Oberstrafanstaltsdirektor auf, obwohl es bereits Beschwerden von Untergebenen über seine politische Einstellungen gegeben hatte. Schwerdtfeger vertrat auch nach 1933 den Ansatz, dass die Verschärfung des Strafvollzugs keineswegs ein Grund für Exzesstaten durch Beamten darstellte. Zugleich lehnte er aber auch Gnadengesuche ab und benutzte dabei überwiegend nationalsozialistisches Vokabular. 1937 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. De Pasquale zog das Fazit, dass Schwerdtfeger offenkundig kein Nazi war, aber auch weder eine aufrechter Demokrat noch ein Gegner des Nationalsozialismus. Er passte sich jedoch, ähnlich wie viele der konservativen und deutschnationalen Juristen, den neuen Anforderungen im Strafvollzug des „Dritten Reichs“ relativ problemlos an. In der Diskussion wurde erneut betont, dass bei der Betrachtung des NS-Strafvollzugs immer auch die Zeit vor 1933 im Blick behalten werden müsse. Gerade der Besserungsgedanke sowie die Unterscheidung der Straftäter in Besserungsfähige und „Unverbesserliche“ wäre nicht nur in der Weimarer Republik wichtig gewesen, sondern auch von den Nationalsozialisten weitergeführt worden. Die Justiz hätte auch im NS einen institutionellen Anspruch gehabt, die Menschen zu verbessern. Gerade im Unterschied zum Komplex der SS und der KZs werde dieser Bereich besonders deutlich. Somit müsse immer gefragt werden, was Besserung konkret beinhaltete und wie die Vorstellung davon sich änderte.
Die Zusammensetzung der Gefangenen änderte sich in Bautzen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ebenso wie in andere Gefängnissen: Sowohl Kommunisten als auch Sozialdemokraten wurden eingeliefert. Bautzen hatte als Besonderheit eine große Jugendstrafvollzugsabteilung während der NS-Zeit. Zudem wurde Bautzen mit Einführung des „Polen-Strafvollzugs“ Stammlager für diejenigen Polen, die nicht zum Außen-Arbeitseinsatz fähig waren. Auch Bautzener Gefangene wurden nach Verbüßung der Haftstrafe in KZs überstellt; dies waren vor allem Häftlinge mit hoher Haftstrafe, Häftlinge, die wegen eines kriminellen Deliktes inhaftiert und vorbestraft waren sowie diejenigen mit politisch gedeuteten Strafen. Direktor Plischke war, im Gegensatz zu Schwerdtfeger, laut Jörg Morré, eine Art nationalsozialistischer Muster-Gefängnisdirektor, der sehr im Sinne des NS-Staates agierte. In der Diskussion wurden widersprüchliche Meinungen zu den Persönlichkeiten der Strafanstaltsdirektoren in der Weimarer Republik deutlich. Auf der einen Seite war zu hören, dass es sich bei den Anstaltsleitern um das untere Spektrum der Juristen gehandelt habe, die es selbst als Abwertung empfunden hätten, im Strafvollzug tätig zu sein. Auf der anderen Seite war die Meinung zu hören, es sei in der Weimarer Republik zu einer Versachlichung des Strafvollzugs wie auch der Fürsorge gekommen.
Das abschließende Panel stellte die mecklenburgischen Haftstätten in Bützow sowie das Zuchthaus Hameln vor. Für beide Haftorte wurde auch die Wahrnehmung der Gefängnisse durch die ortsansässige Bevölkerung nach 1945 angesprochen, wobei trotz unterschiedlicher Vorzeichen interessante Parallelen zu verzeichnen sind. ANDREAS WAGNER (Politische Memoriale Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin) berichtete vom Gefängnis Bützow. In Mecklenburg hatte es keine wirkliche Reformbewegung im Strafvollzug während der Weimarer Republik gegeben, allerdings eine gewisse Liberalisierung. Im Jahr 1933 wurde eine Abteilung der Gefängnisse für Schutzhäftlinge freigestellt. Personell kam es nur 1934 auf der Ebene des Gefängnisleiters zu einem Wechsel. Der neue Leiter war langjähriges NSDAP-Mitglied und konnte bereits auf eine Karriere im Polizeidienst zurückblicken. Auch das Gefängnis und das Zuchthaus Bützow arbeiteten mit der Gestapo zusammen: Ein Haftraum wurde der Gestapo zur Verfügung gestellt; 1938 gab es erste Überstellungen nach Sachsenhausen. Misshandlungen soll es nur in Einzelfällen gegeben haben. Gegen Ende des Krieges sind viele Häftlinge aufgrund der katastrophalen Bedingungen verhungert. Die Rote Armee befreite das Gefängnis und entließ die Gefangenen in die Stadt. Das Erlebnis der über die Stadt hereinströmenden Häftlinge scheint in der Bevölkerung bis heute traumatisch nachzuwirken und überlagert die Erinnerung an das Unrecht zuvor.
BERNHARD GELDERBLOM (Hameln) berichtete über das Zuchthaus Hameln, das verglichen mit anderen Haftstätten auch in der NS-Zeit als „harmloser“ Strafvollzug galt. Wie auch in Bützow gab es zunächst eine Kontinuität bei den Wachmannschaften nach 1933. Bei Kriegsbeginn wurden jedoch die bisherigen Wachmannschaften in die Wehrmacht eingezogen und durch Zivilisten ersetzt. In Häftlingsberichten hieß es später, die „neuen“ Wachmänner seien relativ human gewesen. Zwischen 1935 und 1939, nach der Umwandlung des Gefängnisses in ein Zuchthaus, waren die politischen Häftlinge dort in der Mehrheit. Im Gegensatz zu vielen anderen Zuchthäusern überwog dabei die Anzahl der Sozialdemokraten gegenüber der der Kommunisten. Am Ende des Krieges starben, ähnlich wie in Bützow, viele Gefangene aufgrund von Hunger und Krankheiten – die Versorgungslage hatte sich drastisch verschlechtert. Nach der Befreiung diente das Zuchthaus zunächst als Haftstätte der Briten und fungierte als zentrale Hinrichtungsstätte in der Britischen Zone. Danach war es ein „normales“ Zuchthaus und wurde Ende der 1950er-Jahre Jugendstrafanstalt. Die Bevölkerung wollte das Gefängnis laut Gelderblom aus der Erinnerung tilgen und so wurden viele Zellentrakte in den 1980er-Jahren abgerissen und das Hotel Stadt Hameln auf dem Grundstück erbaut.
Insgesamt boten die Tagungsbeiträge fundierte und differenzierte Blicke auf das Thema, auch wenn oder gerade weil der Strafvollzug im Nationalsozialismus eben noch nicht als umfassend erforscht bezeichnet werden kann. Durch die von Thomas Schaarschmidt geleitete Abschlussdiskussion wurde deutlich, dass tatsächlich noch zahlreiche Forschungsdesiderate zum Thema Strafvollzug im Nationalsozialismus vorliegen. Diese aufzudecken und zu benennen war das Ziel des Workshops, das insofern auch erreicht wurde. Unter den Desideraten seien lediglich zwei Aspekte herausgegriffen, die sehr grundlegend erscheinen: zum einen die Kontinuitäten und Wandlungen von Begrifflichkeiten wie etwa der „Besserung“; zum anderen die Frage nach der Unterscheidung zwischen „kriminellen“ und „politischen“ Häftlingen. Andreas Wagner merkte abschließend an, dass diese Frage gerade auch für die Arbeit in Gedenkstätten wichtig sei. Ausdiskutiert wurde dieses bisweilen kontroverse Thema freilich leider nicht. Zumindest wurde aber auf diese Weise zum Schluss noch einmal ein Bogen zum Beginn der Tagung geschlagen, da diese Frage bereits am ersten Tag des Workshops thematisiert worden war, und man verständigte sich auf weitere Treffen zum Thema Strafvollzug.
Konferenzübersicht:
20. September 2007
Nikolaus Wachsmann (London): Der Strafvollzug im "Dritten Reich" - ein Überblick
Rainer Möhler (Saarbrücken): Von der "Besserung durch Arbeit" zur "Vernichtung durch Arbeit" - der Justizstrafvollzug im NS-Staat zwischen Modernisierung und Rassismus
Leonore Ansorg (Potsdam): Zur Haftsituation politischer Gefangener im Zuchthaus Brandenburg-Görden in den 1930er und 1940er Jahren: Kontinuitäten und Veränderungen
21. September 2007
Klaus Bästlein (Berlin): Der Haft- und Hinrichtungsort Berlin-Plötzensee
Andreas Weigelt (Lieberose): Antifaschistischer Widerstand im Zuchthaus Luckau?
Sylvia de Pasquale (Dresden): Dr. Rudolf Schwerdtfeger - Strafanstaltsleiter während eines sich wandelnden Strafvollzugs von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus
Jörg Morré (Bautzen): Die Haftanstalt Bautzen in der NS-Diktatur
Andreas Wagner (Schwerin): Die beiden zentrale Haftstätten des Landes Mecklenburg in der NS-Zeit - Zuchthaus Dreibergen-Bützow und Zentralgefängnis Bützow
Bernhard Gelderblom (Hameln): Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit - eine Analyse der Gefangenenstruktur und der Haftbedingungen unter besonderer Berücksichtigung der letzten Monate des Krieges