Transformation durch Kommunikation: Die Veränderung des Ost-West-Konflikts in der Entspannungsära 1966-1975

Transformation durch Kommunikation: Die Veränderung des Ost-West-Konflikts in der Entspannungsära 1966-1975

Organisatoren
Historisches Institut Universität Mannheim, Friedrich-Ebert-Stiftung Budapest
Ort
Budapest
Land
Hungary
Vom - Bis
19.10.2007 - 20.10.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Gottfried Niedhart, Seminar für Neuere Geschichete, Universität Mannheim

Im Rahmen eines von der VolkswagenStiftung geförderten und von GOTTFRIED NIEDHART und OLIVER BANGE geleiteten Projekts „Entspannung und KSZE in Europa: Die Staaten des Warschauer Pakts und die Bundesrepublik Deutschland in wechselseitiger Wahrnehmung und Annäherung 1966-1975“ (www.csce-1975.net) fand ein Workshop der Projektteilnehmer in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest statt.

Das internationale Projekt, an dem Historiker aus der Bundesrepublik Deutschland und den früheren Warschauer Pakt-Staaten teilnehmen, verfolgt das Ziel, neue Formen in den Ost-West-Beziehungen während der Entspannungsära zu untersuchen. Im Unterschied zum Kalten Krieg der unmittelbaren Nachkriegszeit und der 1950er-Jahre zeichnete sich das Bestreben nach Entspannung dadurch aus, dass auf beiden Seiten des Ost-West-Konflikts ungeachtet aller Auffassungsunterschiede im Einzelnen die Suche nach gleichlaufenden Interessen aufgenommen wurde, Berührungspunkte gefunden, Kontakte hergestellt und Verträge abgeschlossen wurden. Die in multilateralen Verhandlungen erreichte Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975 schuf schließlich die Aussicht auf Überwindung der aus dem Kalten Krieg herrührenden Teilung Europas.

Die Budapester Tagung ging dieser Thematik anhand eines Schlüsselbegriffs nach, den Willy Brandt schon während seiner Zeit als Regierender Berliner Bürgermeister benutzt hat und der auf ein Kernelement seiner Ostpolitik hinweist. Brandt drängte nach dem Bau der Berliner Mauer auf eine Politik der Ost-West-Kommunikation. Man benötige „soviel reale Berührungspunkte und soviel sinnvolle Kommunikation wie möglich.“ An die Stelle von duellartigem und konfrontativem Konfliktaustrag sollten kommunikative Methoden treten, mit denen Informationen ausgetauscht und Vorstellungen voneinander mit dem Ziel des Abbaus von Feindbildern präzisiert werden konnten. Der Begriff der Kommunikation ist nicht nur ein Quellenbegriff, der in zeitgenössischen Texten auftaucht. Er wird auch in den Geschichts- und Sozialwissenschaften als analytischer Begriff gebraucht und ist daher geeignet, um über deskriptiv angelegte Fallstudien hinausgehen und zu vergleichsweise verallgemeinerungsfähigen Aussagen über Deeskalation und nachhaltige Entschärfung von Konflikten kommen zu können. Darüber hinaus können die Ziele kommunikativen Handelns in den Blick genommen werden. Weder auf westlicher noch auf östlicher Seite war Kommunikation darauf gerichtet, Interessengegensätze zu verwischen. Vielmehr sollten bei Wahrung eigener Interessen bestehende Konflikte deeskaliert werden. Deeskalation war die Vorstufe zur Transformation des Konflikts.

Die Tagung wurde in englischer Sprache durchgeführt und umfasste drei Sektionen. Zunächst wurden neue Formen der Kommunikation in den Ost-West-Beziehungen auf der politischen Führungsebene sowie Konsultationspraktiken im Warschauer Pakt besprochen, die als Folge der Entspannungspolitik auftraten. Zur Verdeutlichung wurden drei Beispiele aufgezeigt:

Als erstes wurde das Treffen Leonid Breschnews mit Willy Brandt im September 1971 auf der Krim genannt. Das Treffen gilt als erstes Gipfeltreffen in der Geschichte der Ost-West-Beziehungen ohne feste Regularien. Es galt dem offenen Dialog und dem persönlichen Kennenlernen, wie es bei innerwestlichen Begegnungen längst üblich war. Das zweite Beispiel betraf den während der Präsidentschaft Nixons eingerichteten amerikanisch-sowjetischen „back channel“. Dieser diente Henry Kissinger, Sicherheitsberater des US-Präsidenten, und Anatolij Dobrynin, sowjetischer Botschafter in Washington, als Instrument direkter und jederzeit verfügbarer Information und Konsultation. Als solcher war er nicht nur für die bilateralen Beziehungen der Supermächte, sondern auch für die Entwicklung in Europa von eminenter Bedeutung. Als drittes Beispiel wurde schließlich die gegenseitigen und vertraulich gemeinten Informationen, die auf der diplomatischen Ebene zwischen der Bundesrepublik und Rumänien ausgetauscht wurden. Rumänien hatte nach der Sowjetunion als erstes Land des Warschauer Pakts schon 1967 zur Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufgenommen. Dass die Zunahme an Ost-West-Kommunikation – parallel zu ähnlichen Erscheinungen in der NATO – nicht ohne Auswirkung auf das Innenleben des Warschauer Pakts blieb, wurde anhand der zunehmend auch kontrovers verlaufenden Beratungen der politischen Führungen der Staaten des Warschauer Pakts aufgezeigt.

Eine zweite kleinere Sektion war den wirtschaftlichen Ost-West-Kontakten und deren Bedeutung für die neue Erfahrung von Kooperation gewidmet sowie den Erwartungen, die an den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen geknüpft wurden. Die dritte Sektion spürte den durch die Détente ausgelösten Veränderungen in der politischen Terminologie und in der Wahrnehmung der anderen Seite nach. Hier wurde für die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Polen und die DDR untersucht, welche Auswirkungen die Bonner Ostpolitik auf Sprache und Propaganda hatte. Einerseits konnte nicht am Feindbild Bundesrepublik festgehalten werden, andererseits mussten neue Sprachregelungen den Eindruck von Kontinuität vermitteln, so dass auch an diesen Beispielen das Beharrungsvermögen von einmal eingeführten Wahrnehmungsmustern deutlich wird, ungeachtet neuer Politikformen und Kommunikationserfahrungen, die im Zuge der Détente auftraten.

Konferenzübersicht:

Session I: Changes in Communication: Top-level Relationships between East and West and New Forms of Consultation in the Warsaw Pact as Consequences of Détente
Gottfried Niedhart, Mannheim: Dialogue Rather than Duel. The Brandt-Brezhnev Meeting in Oreanda in September 1971
Svetlana Savranskaya, Moscow/Washington D.C.: The US-Soviet Back Channel with Special Reference to the Soviet Perception
Carmen Rijnoveanu, Bucharest: Ceausescu’s Détente Strategy. Romanian-West German Secret Channels of Communication
Jordan Baev, Sofia: Informal Communications within the Eastern Bloc (the Crimean Multilateral Meetings)

Session II: Contacts through Economic Cooperation and their Political Impact
Kostadin Grozev, Sofia: Economic Cooperation as a Channel of Communication between East and West
Csaba Békés, Budapest: The Interdependence of Ostpolitik and West German-Hungarian Economic Relations

Session III: Changes in Political Terminology and the Perception of the Other Side
Alexei Filitov, Moscow: The Prague Spring and the Soviet Perception of the Role of the FRG
Oldrich Tuma, Prague: The Impact of Détente on Czechoslovak Propaganda and Culture with Respect to the Image of Germany and the Use of History
Wanda Jarzabek, Warsaw: The Impact of Détente on Polish Propaganda Related to the German Question
Oliver Bange, Mannheim: Ostpolitik, Détente and Terminology Changes in GDR Foreign Policy


Redaktion
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Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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