21. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

21. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

Organisatoren
Nicole Priesching; Andreas Henkelmann; Katholische Akademie Schwerte
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2007 - 18.11.2007
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Von
Nicole Priesching, Münster; Andreas Henkelmann, Bochum

Zur 21. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK) versammelten sich vom 16. – 18. November 2007 ca. 40 (Kirchen-)Historiker/innen, Politologen und Germanisten aus Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden. In bewährter Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte stand die Tagung unter der Leitung von Nicole Priesching (Münster) und Andreas Henkelmann (Bochum). Thema der Generaldebatte war in diesem Jahr die These einer „Feminisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert“.

Den Auftakt am Freitag machte MICHAELA MAURER aus Trier, die ihr Dissertationsthema "Massenarmut und die katholische Predigt von Armut und Nächstenliebe im frühen 19. Jahrhundert" vorstellte. Im Mittelpunkt ihres Vortrags stand der katholische Armutsdiskurs in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert, untersucht an spätaufklärerischen und ultramontanen Predigttexten. Neben der Darstellung der in den Predigten verwendeten Semantik von Armut und Armen und der dadurch bedingten Inklusions- und Exklusionsvorgänge erörterte sie die Argumentationsmuster der Prediger. Armut wird in den Predigten als eine im göttlichen Heilsplan vorgesehene und bleibende gesellschaftliche Realität beschrieben. Das Problem der Massenarmut und die sozioökonomischen Umstände des Pauperismus werden in den untersuchten Quellen nicht thematisiert. Insgesamt lässt sich in den Predigttexten ein Armutsdiskurs mit liturgisch-paränetischem Charakter feststellen. Während die Armen ermahnt werden, ihre Armut in Vertrauen auf Gott geduldig zu ertragen, werden die Reichen zur Gottes- und Nächstenliebe in Gestalt der Wohltätigkeit aufgefordert.

Ebenfalls im frühen 19. Jahrhundert angesiedelt war auch das Referat von CHRISTIAN HANDSCHUH (Köln). Er präsentierte die Ergebnisse seines Forschungsvorhabens zum Thema „Von dem Glücke, ein Christ zu seyn.“ Frömmigkeit und soziale Praxis der Katholischen Aufklärung in Rottweil. Auf der Grundlage einer spezifisch württembergischen Quellengattung, der Bücherlisten der Dekanatsbibliotheken, rekonstruierte er zentrale Linien aufgeklärt-katholischer Frömmigkeit und eruierte Verhaltensweisen, die nach Vorstellungen der katholischen Theologen der Zeit das religiöse Alltagsleben bestimmen sollten. Am Beispiel der Kleinstadt Rottweil zeigten sich die Grenzen dieses Vorgehens: Zwar gelang einerseits zwischen 1803 und 1848 die Implementierung dieser neuen Form von Frömmigkeit durch ein enges Zusammengehen mit bürgerlichen Normen, andererseits kam es immer wieder dann zu Abwehrreaktionen der Kleinstadtgesellschaft, wenn diese ihre lokale Identität bedroht sah.

Im frühen 19. Jahrhundert startend aber perspektivisch auf eine longue durée ausgerichtet ist das Dissertationsprojekt von JOHANNA KONRAD-BREY (Würzburg) „Integration und Mentalitäten. Katholische Lebenswelten in den Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel der Gemeinde Kleinostheim“. Ziel der Arbeit ist es, die Geschichte der Pfarrgemeinde St. Laurentius in Kleinostheim am Main nahe Aschaffenburg (Bistum Würzburg) vom beginnenden 19. Jahrhundert bis in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verfolgen. Das Referat stellte die wichtigsten Einschnitte im Gemeindeleben vor. Außerdem wurden die methodischen und theoretischen Bezugspunkte des Projektes, etwa das Milieukonzept, diskutiert.

MICHAEL HABERSACK (Frankfurt) berichtete von seinem fast abgeschlossenen Dissertationsprojekt, einer politischen Biographie des Biophysikers und Zentrumsabgeordneten Friedrich Dessauer. Dabei stellte er die frühen Verbindungen Dessauers mit der katholischen Publizistik (v.a. Hochland) heraus und konnte zeigen, dass Dessauer, getrieben von der doppelten Selbst-Identifikation als Techniker und als Katholik, bereits mit 19 Jahren neben seinen Ambitionen in der Krebs-Bekämpfung ein starkes, zunächst unpolitisches Bestreben nach öffentlicher Wirksamkeit im katholischen Raum hatte, das zusammen mit dem Erleben der Kriegsniederlage die Wurzel für sein Engagement in der Zentrumspartei und in der politischen katholischen Tagespresse wurde. Die von Dessauer betriebene Sanierung der Frankfurter Volkszeitung und deren Ausbau zur reichsweit gelesenen RMV (Rhein-Mainischen Volkszeitung) trugen zugleich gesellschaftspolitisch stark idealistische Züge mit einer gewissen Nähe zur Sozialdemokratie. Dessauers Biographie ist vor diesem Hintergrund auch ein Beitrag zur Formierung und Eigenart des Linkskatholizismus in der Weimarer Republik.

Am Samstag Nachmittag berichtete GREGOR PLOCH (Wien) über seine abgeschlossene Dissertation „Das Bekenntnis als Brücke der Verständigung? Die katholischen Vertriebenenorganisationen der Schlesier und der polnische Episkopat 1945-1989“. Im Referat wurde der kirchenpolitische und gesellschaftliche Hintergrund in Schlesien genauer beleuchtet. Dazu zählen die kirchliche und gesellschaftliche Integrationsproblematik der polnischen Neusiedler aus Zentral- und Ostpolen in Schlesien, das ethnisch-nationale Bewusstsein der alteingesessenen Oberschlesier („Autochthone“) und die Spannung zwischen den beiden Gruppen, das Verhältnis der polnischen Bischöfe zur Schlesienproblematik und die Frage nach der deutschen Minderheit in Polen. Vor dem Hintergrund der Lage der Kirche im kommunistischen Polen wurde dann die Frage gestellt, ob die Bemühungen um die Diözesanneuordnung in den Oder-Neiße-Gebieten auch einen politischen Hintergrund hatten. Es wurde dann gezeigt, wie beide Seiten versuchten, den Heiligen Stuhl von ihrer Position zu überzeugen. Außerdem ging das Referat auf die Geschichte der Aussiedler aus Polen (fälschlicherweise „Spätaussiedler“ genannt) ein, die zwischen 1950 und 1992 in die Bundesrepublik einreisten (ca. 1,4 Mio.). Dabei wurde der Frage nachgegangen, welchen Einfluss sie auf die westdeutsche Gesellschaft und ihre alte Heimat ausgeübt haben, welche Integrationsprobleme soziologischer und pastoraler Natur sie begleitet und welche Rolle sie bei den deutsch-polnischen Beziehungen gespielt haben.

BENJAMIN STÄDTER (Gießen) stellte anschließend sein Promotionsprojekt „Visuelle Repräsentation von Kirche und Religion in der Bundesrepublik Deutschland“ vor, das im Rahmen der Bochumer DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne“ entsteht. Im Anschluss an neuere kulturhistorische Forderungen nach einer Visual History untersucht das Projekt, welche Visualisierungen von Kirche und Religion in den Jahrzehnten zwischen 1945 und etwa 1980 in der massenmedialen Öffentlichkeit dominierten. Dabei gilt es zu analysieren, inwieweit Veränderungen öffentlicher Vorstellungen von Religion und Kirche in den massenmedial popularisierten Bildern offenbar werden und welche Aspekte des Wandels von Religion in der modernen Gesellschaft man so an der Produktion und Etablierung neuer visueller Formen und Narrative ablesen kann.

Das letzte Referat des Tages nahm thematisch schon Bezug auf die Generaldebatte am Sonntag zur Feminisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert. ANGELA BERLIS (Utrecht / Tilburg) berichtete von ihrem aktuellen Forschungsprojekt zu Männlichkeitsdiskursen im deutschen und niederländischen Altkatholizismus zwischen 1870 und 1970. Im Referat erläuterte sie ihr Thema am Beispiel eines Ehrenprozesses, den der erste altkatholische Bischof in Deutschland Josef Hubert Reinkens (1821-1896) im Jahr 1874 gegen einen Redakteur der Deutschen Reichszeitung (DRZ) führte. Die Zeitung hatte Reinkens wie einen Dandy dargestellt und suggeriert, der Altkatholizismus wäre mehr von Frauen getragen. Obwohl Reinkens den Prozess gewann, war sein guter Ruf nachhaltig beschädigt worden. Berlis beschrieb anhand dieses Prozesses und seinen Nachwirkungen einen Männlichkeitsdiskurs, in welchem Vertreter des Altkatholizismus und des Protestantismus den Vorwurf einer „Feminisierung“ als Kampfmittel zur Abqualifizierung des konfessionellen Gegners einsetzten.

Abends wurde die schon nachmittags thematisierte Visualisierung der Religion an einem praktischen Beispiel erneut aufgegriffen, indem ein österreichischer Dokumentarfilm über drei stigmatisierte Frauen (Maria von Mörl, Domenica Lazzeri und Agnes Steiner) aus Südtirol in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert gezeigt wurde. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Wirkung bestimmter filmischer Stilmittel (Schauspieler, Musik, Auswahl der Orte) auf die Zuschauer und deren Vereinbarkeit mit einer historisch redlichen Aufarbeitung.

Am Sonntag Vormittag eröffnete RELINDE MEIWES (Berlin) mit ihrem Vortrag das Thema der Generaldebatte „Feminisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert“. Sie wies auf die Stärken der These hin, die nachweislich eine Reihe von Forschungsarbeiten inspiriert hat. Es könne auch nicht darum gehen, die These aufzublähen, um sie dann für erledigt zu erklären. Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick ging Meiwes näher auf die Feminisierung des kirchlichen Personals am Beispiel des sogenannten „Frauenkongregationsfrühlings“ ein sowie auf das politische Engagement von Frauen, für dessen Erforschung noch konfessionelle Studien fehlten.

BERNHARD SCHNEIDER (Trier) plädierte im Anschluss daran trotz der Stärke der These als forschungsleitendes Instrument für eine stärkere Ausdifferenzierung nach a) Konfessionen, b) Ländern bzw. Regionen, c) Stadt-Land und d) sozialen Schichten. Sie sei in ihrer Reichweite nach Identitätsgraden einzuschränken. Ergebnisse einzelner Fallstudien seien nicht einfach generalisierbar. Ein Ausblick auf die Frühe Neuzeit stellt vor die Frage, ob es sich bei der „Feminisierung der Religion“ auf den Feldern Personal, Frömmigkeit und Organisation tatsächlich um ein Phänomen des 19. Jahrhunderts handelt, oder ob dieser Prozess auch schon vorher feststellbar wäre. Eine gewisse Grundspannung ergibt sich aus der Doppelschichtigkeit der These selbst, die zum einen die Präsenz von Frauen im kirchlichen Raum und zum anderen eine eigenständige Interpretation des Glaubens durch Frauen meine. Die Frage, was bestimmte Kulte „feminin“ mache, sei keineswegs zufriedenstellend geklärt.

Auch der Trierer Historiker OLAF BLASCHKE wies Unstimmigkeiten bei der „Feminisierung der Religion” nach. Vor allem dürfe „die Religiosität der Männer nicht unter den Teppich der Feminisierungsthese gekehrt” werden. Männer drückten ihre Frömmigkeit häufig anders aus, im kämpferischen Engagement als Publizist, Politiker oder Wähler. So bot der wachsende Konfessionalismus eine Kompensation für die Feminisierung der Religion. Gegen sie wurden sogar regelrechte Remaskulinisierungskampagnen geführt, besonders erfolgreich ab 1910 in der katholischen Männerapostolatsbewegung, in der bald Hunderttausende „mannhaft” für Christus und seine Kirche eintraten, oder in der protestantischen Bewegung Deutscher Christen.

Die rege Diskussion im Abschluss schärfte das Problembewusstsein im Umgang mit dieser Forschungsthese und suchte gleichzeitig nach konstruktiven Bewältigungsstrategien. So spräche der Differenzierungsvorschlag Schneiders für eine Kombination der These mit dem Cleavage-Modell. Bei der Frage nach Kontinuitäten oder einem spezifischem Phänomen des 19. Jahrhunderts wurde der Vorschlag erörtert, verschiedene Phasen der Feminisierung zu unterscheiden. Bei den zeitgenössischen Diskursen über Frauen und Männer wäre darauf zu achten, keine Geschlechterstereotypen des 19. Jahrhunderts unkritisch zu übernehmen und das semantische Feld der jeweiligen Diskursgemeinschaft näher zu bestimmen. Insgesamt wurde auf viele Forschungslücken hingewiesen. Ein Plädoyer für die Geschlechtergeschichte in der Katholizismusforschung war allgemeiner Konsens.

Die nächste Jahrestagung des SAK findet vom 14. – 16. November 2008 in der Katholischen Akademie in Schwerte statt.

Konferenzübersicht:

Michaela Maurer, Massenarmut und die katholische Predigt von Armut und Nächstenliebe
Christian Handschuh, „Von dem Glücke, ein Christ zu seyn.“ Frömmigkeit und soziale Praxis der Katholischen Aufklärung in Rottweil
Johanna Konrad-Brey, Integration und Mentalitäten. Katholische Lebenswelten in den Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel der Gemeinde Kleinostheim
Michael Habersack, Friedrich Dessauer. Eine politische Biographie
Benjamin Städter, Visuelle Repräsentation von Kirche und Religion (1945-1980)
Gregor Ploch, Katholische deutsche Vertriebenenorganisationen und der polnische Episkopat im Ringen um die Diözesanstrukturen in den Oder-Neiße-Gebieten vor dem Hintergrund der Nationalitätenproblematik in Schlesien
Angela Berlis, Priester und (Ehe-)Mann: Männlichkeitsdiskurse im deutschen und niederländischen Altkatholizismus zwischen 1870 und 1970

Generaldebatte „Feminisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhunderts“ mit Statements von Relinde Meiwes, Bernhard Schneider und Olaf Blaschke

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