"Sozialistische Helden". Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR.

"Sozialistische Helden". Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR.

Organisatoren
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Polnisches Institut Leipzig; Bundeszentrale für politische Bildung Bonn
Ort
Krakau
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.09.2001 - 16.09.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Monika Juliane Gibas, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Initiatoren der Konferenz, Rainer Gries (Leipzig) und Silke Satjukow (Jena), erklärten im Vorfeld zur Art und zum Ziel der Tagung, man wolle sich dem kulturellen Phänomen der Heldenkonstruktion und dessen intendierter wie realisierter Funktion in den Gesellschaften sowjetischen Typs vergleichend und aus interdisziplinärer Perspektive nähern. Es könne dabei nicht um die Darlegung von gesicherten Ergebnissen langjähriger Forschungen gehen, sondern vielmehr um eine erste Verständigung mit Workshopcharakter. Dabei sollten folgende Fragen eine zentrale Rolle spielen: Kann von einer Spezifik sozialistischer Heldenkonstruktionen gesprochen werden oder steht der „sozialistische Held“ ganz in der Traditionslinie der Heldenkonstruktionen früherer Epochen? Vermochten sich die einzelnen Gesellschaften des ”sozialistischen Weltsystems” bei der Übernahme des sowjetischen Kulturmusters „sozialistischer Held“ ein gewisse Eigenständigkeit zu bewahren und wenn ja, worin bestand diese? Wieviel nationale Erzähltradition floss in die Gestaltung der Helden in der DDR, in Ungarn, der Tschechoslowakei und in Polen ein? Wie verhielten sich die sozialistischen Helden beispielsweise in Polen, wo die "Konkurrenz" mit christlichen Heiligen bis zum Ende des Sozialismus fortdauerte?

Mit den drei einleitenden Vorträgen des ersten Konferenztages zu den großen Linien der Konstruktionsmuster von „Heldentum“ in der mittelalterlichen, der bürgerlichen und der sozialistischen Gesellschaft wurden erste verallgemeinernde Überlegungen zur Diskussion gestellt, mit denen eine Ausgangsbasis für die Erörterung des spezifischen Falls „sozialistischer Held“ gewonnen werden sollte. Enno Bünz (Leipzig) befasste sich mit dem mittelalterlichen Helden. Er konnte zeigen, dass das Bild des Helden, das die mittelalterliche Dichtung zeichnete, kein statisches war. Es unterlag vielmehr einem Wandlungsprozess hinsichtlich des Anforderungsprofils an den Heldenstatus. War für die frühmittelalterliche Dichtung noch allein die außergewöhnliche Tat wichtig, Charakter und Moral des Helden dagegen zweitrangig, so kreierte die höfische Literatur des Hochmittelalters ein Heldenideal, welches auch Intellektualität und Moral hat: der Held wird zum „Gottesstreiter“. Charakteristisch für den mittelalterlichen Helden war aber stets, dass er ein „alter Held“ war, also eine legendäre Gestalt, kein Zeitgenosse. In Liedern verbreitet, sollten die zumeist jahrhundertealten Mythen bzw. die in ihnen beschriebenen Taten der „Großen Alten“ das Handeln des Einzelnen und der Gemeinschaft in der Gegenwart beeinflussen. Held zu sein vermochten dabei nur wenige, ausgezeichnete Persönlichkeiten. Frank Möller (Frankfurt am Main) umriss daran anschliessend Grundzüge des bürgerlichen Helden, wobei ihm die „Revolutionshelden“ Friedrich Hecker und Heinrich von Gagern als Exempel dienten. War der Held um 1800 noch vornehmlich ein Kriegsheld, differenzierte sich das Heldenbild im Laufe des „bürgerlichen Zeitalters“ aus. Immer öfter galten auch Männer, deren außergewöhnliche Fähigkeiten im Bereich der Wissenschaft, der Kunst sowie der Wirtschaft lagen, als Helden. Freilich verschwand diese „moderne“ Sicht in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erneut im Schatten des propagierten Kriegerhelden. Für diesen Heldentypus wurde die Todesbereitschaft wieder konstituierendes Element. Im Anschluss daran unterbreitete Silke Satjukow (Jena) Thesen zum Wesen des Helden allgemein und des sozialistischen Helden im besonderen. Ihrer Grundannahme gemäß konstruieren Menschen ihre Helden, damit diese an ihrer Stelle besondere Taten vollbringen. Mittels Identifizierung mit dem Helden kann sich so jedes gewöhnliche Mitglied der Gemeinschaft als Teil des Außergewöhnlichen fühlen. Als das Neue beim sozialistischen Helden identifizierte sie folgende Elemente: Erstens: Im Sozialismus, so propagierten es die Ideologen, wuerde jeder Mensch in naher Zukunft ein Held sein. Das Heldische, das in jedem Einzelnen schlummerte, würde von der neuen Gesellschaft „befreit“ werden. Zweitens: Diesem ganz „normalen“ Helden verlangte man – anders als beim traditionellen Helden – in der Regel keine Todesbereitschaft mehr ab. Drittens: Da der sozialistische Held seine „Tat“ auf diese Weise körperlich überlebte, musste die Gesellschaft weiterhin mit ihm umgehen. Er existierte sowohl als Held wie auch als Mensch, was immer dann ein Problem darstellte, wenn beide Sphären deutlich divergierten. Ausgehend von diesen allgemeinen Überlegungen schlug Satjukow ein Kommunikationsmodell vor, mit dessen Hilfe die jeweiligen Heldenkonstruktionen analysiert sowie auf verallgemeinerbare Elemente hin befragt werden können. Dem kulturgeschichtlichen Ansatz der Tagung gemäß umfasste dieses Modell sowohl die jeweiligen propagandistischen Botschaften der Heldenkonstrukteure als auch die vielfältigen Bedeutungszuweisungen durch die Rezipienten.

In der anschliessenden Diskussion interessierte u.a. die Frage, ob denn das Konzept sozialistischer Ideologen, jeden Menschen zum Heldsein in dem von ihnen intendierten Sinne zu ermutigen, nicht tendenziell zur Beliebigkeit des Helden und damit zu dessen Nivellierung führte. Eine interessante Diskussion entwickelte sich zur Frage, wie propagandistische Botschaften und bedeutungszuweisender Eigensinn seitens der Rezipienten in den unterschiedlichen Gesellschaften je gewichtet waren.

Der zweite und der dritte Tag standen im Zeichen einzelner Heldenerzählungen. An ausgewählten Beispielen konnten Konstruktionsmuster des „sozialistischen Helden“ in der Sowjetunion, der DDR, der Volksrepublik Polen, der CSSR und der Volksrepublik Ungarn aufgezeigt und auf ihre gemeinsamen Wesensmerkmale befragt werden. Die verschiedenen Sektionen wurden zunächst durch Bemerkungen zum jeweiligen nationalen Kontext eingeführt. So führte Rosalinde Sartorti (Berlin) aus, dass der „Held“ in der Sowjetunion bereits seit den 1930er-Jahren institutionalisiert wurde. Man verlieh den Titel sowohl einzelnen herausragenden Persönlichkeiten als auch ganzen Kollektiven. Daniela Rathe (Berlin) sprach in diesem Zusammenhang über Kriegerhelden der Sowjetunion, vor allem über die Partisanin Zoja Kosmodemjanskaja, deren Konstruktion, wie sie zeigen konnte, durchaus mit der von Jeanne d´Arc vergleichbar ist. Mit Juri Gagarin (Gerhard Kowalski, München) wurde dann ein Heldentypus eröffnet, der mit Valentina Tereschkowa (Monika Gibas, Jena), Miroslav Hermaszewski (Marcin Zaremba, Warschau) und Sigmund Jähn (Ronald Hirte, Jena) unterschiedliche nationale Entsprechungen fand. Nicht nur bei Gagarin wurde dabei die Schwierigkeit der Staats- und Parteioberen deutlich, neben der kommunizierten Heldenerzählung auch mit dem eigensinnig agierenden Menschen umzugehen. Der „Held, der aus dem Ruder lief“ blieb, wie sich anhand weiterer exemplarischer Studien herausstellte, kein Einzelfall. Die DDR-Sektion leitete Rainer Gries (Leipzig) mit der Feststellung ein, dass auf der dortigen, von der Besatzungsmacht leergeräumten „Heldenbühne“ besonders viele dieser „neuen Menschen“ auftraten. Eine solch dichte Besatzung sei, so Gries, nicht zuletzt deshalb unverzichtbar gewesen, weil es die Führungsriege des Landes selbst nie vermocht habe, charismatische Führungspersönlichkeiten hervorzubringen, welche für die Bevölkerung in einer glaubwürdigen Weise Sinn stiften konnten. Exemplarisch wurden dann einzelne Heldentypen vorgestellt. Neben Widerstandskämpfern wie Ernst Thälmann (Annette Leo, Berlin) bevölkerten auch „Helden der Arbeit“ wie Adolf Hennecke (Silke Satjukow, Jena) und „Helden des Sports“ wie der Radsportler „Täve“ Schur (Norbert Roßbach, Jena) das Helden-Pantheon der DDR. Deutlich wurde, dass die „sozialistischen Helden“ der DDR in den 1940er- und den 1950er-Jahren, also in der Zeit der Um- und Aufbruchs, ihre Hochzeit hatten und durchaus auch „angenommene Helden“ waren. In späteren Jahren führte die Voraussage der Parteiideologen, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft gesetzmäßig zum Helden werde, auch zu dessen Inflationierung, u.a. mittels der Auszeichnung „Aktivist“. In der Diskussion wurde die Frage erörtert, ob sich die Bevölkerung dieser de facto Entwertung entgegen gesetzt habe, indem sie an wenigen außergewöhnlichen Persönlichkeiten der Anfangszeit – etwa „Täve“ Schur -festhielt, die ganz „gewöhnlichen“ Helden indes ablehnte.

Einleitend in die Sektion polnischer Heldenerzählungen versuchte Cezary Król (Warschau) erste systematisierende Zwischenergebnisse zu formulieren. So verwies er auf scheinbar in allen sozialistischen Gesellschaften angewandte „Techniken“ der Heldenkonstruktion. Diese spielten, wie sich herausstellte, auch bei der Etablierung des „Helden in Uniform“, General Swierczewski, (Jerzy Kochanowski, Warschau) wie auch bei der Statuierung des Boleslaw Bierut – Kults (Isabella Main, Budapest) eine wichtige Rolle, wobei hier spezifische Verflechtungen mit kirchlichen Instanzen zum Tragen kamen. Vor allem aber gewannen sie an Bedeutung, wenn es darum ging, diese Persönlichkeiten und besonders ihre außergewöhnlichen Taten im Film (Piotr Zwierzchowski, Warschau) sowie im Kunstwerk (Thorsten Smidt, Berlin) zu versinnbildlichen. Mit Hilfe massenmedialer Inszenierungen, so Andrze Wajda, der Regisseur des Films „Der Mann aus Marmor“, gewannen sie schnell ein breites Publikum. Anders als in der DDR schien es vor allem im sozialistischen Polen und im sozialistischen Ungarn allerdings möglich gewesen zu sein, neben „sozialistischen“ Helden wie Jan Palach (Christiane Brenner, München) und Julius Fucik (Stefan Zwicker, Brünn) auch liebgewordene nationale Helden zu verehren. Das geschah freilich unter den Vorzeichen der neuen Machthaber, die den Verweis auf die Traditionen zur eigenen Legitimierung nutzten (Boldiszár Voeroes, Budapest).

Diese Tagung über Personen, deren Mythen und deren historische Realität unzählige Menschen in ihrem „sozialistischen“ Alltag begleitet haben, war eine erste Bestandsaufnahme zum Thema parteistaatlich lancierter Heldenerzählungen in Gesellschaften des sogenannten Realsozialismus. Die engagierte, oft kontroverse Diskussion zu den einzelnen Fallstudien und zum Vorschlag eines allgemeinen Konmmunikationsmodells zum Thema „sozialistischer Held“ zeigte, dass trotz unterschiedlicher Zugänge zum Thema, die die angereisten Wissenschaftler vorstellten, ein lebhaftes gemeinsames Interesse nicht nur an der Weiterverfolgung der Fragestellung sondern auch an gemeinsamer Diskussion zum Thema und an der Bündelung der Ergebnisse in einer Publikation besteht. Der Christoph Links Verlag Berlin wird sie im Herbst 2002 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.