Geschichte in populären Medien und Genres

Geschichte in populären Medien und Genres

Organisatoren
DFG-Forschergruppe „Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart“
Ort
Freiburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.04.2008 - 18.04.2008
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Von
Mark Rüdiger, DFG-Forschergruppe 875 „Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Geschichte hat Konjunktur. Dies hat sich in den letzten Jahren nicht nur an den zahlreichen Dokumentationen, Dokudramen und historischen Spielfilmen im deutschen Fernsehen gezeigt. Auch historische Romane und Sachbücher, ebenso wie historische Computerspiele, Reenactments oder Geschichtsinszenierungen in Themenparks haben eine starke Ausweitung erfahren. Die im Oktober 2007 neu konstituierte DFG-Forschergruppe „Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart“ untersucht diesen gegenwärtigen „Geschichtsboom“, indem sie in interdisziplinärer Perspektive populäre Präsentationen und Aneignungen von Geschichte analysiert. Ihre Auftakttagung in Freiburg widmete sie dem Thema „Geschichte in populären Medien und Genres“ (16.-18. April 2008).

Beleuchtet werden sollten vor allem folgende Fragen: Wie wird Geschichte in populären Medien und Genres dargestellt? Wie bzw. warum wird ein Produkt populär? Welchen Produktionsbedingungen unterliegen diese Produkte? Welchen Darstellungskonventionen folgen sie? Wie ist das Verhältnis zwischen populärer Geschichtsvermittlung und den Fachwissenschaften? Vor welchen methodischen Herausforderungen steht eine transdisziplinäre Forschung für die Analyse populärer Produkte?

Die Tagungsbeiträge ließen sich entlang der verschiedenen Medien vier Blöcken zuordnen: Print, Film und Fernsehen, inszenierte und verlebendigte Geschichte, digitale Medien.

NICOLA EISELE (Freiburg) beschäftigte sich mit dem Mittelalter im Jugendbuch (am Beispiel von Artus-Legende und „Der kleine Hobbit“). Ihr Vortrag verfolgte die Frage, warum populäre Mythen mit mittelalterlichen Elementen insbesondere Kinder und Jugendliche begeistern und welche Potentiale diese in geschichtsdidaktischer Perspektive haben. Ausgehend von entwicklungspsychologischen Theorien betonte sie die multiplen Identifikationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die Mythenerzählungen wie die Artus-Legende oder mit mittelalterlichen Versatzstücken versehene Fantasyerzählungen wie „Der Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien böten. Sie stellte die These auf, dass diese durch Bewältigungsszenarien in Krisensituationen und durch die aufgezeigten Visionen einer besseren Gesellschaft an die individuellen Bedürfnisse von Jugendlichen anknüpfen. Die „jugendliche Faszination für das Mittelalter“ führe dabei vor allem unbewusst zu historischem Wissenserwerb und einer weiteren Beschäftigung mit bzw. einem erwachsenden Interesse an Geschichte. Eine konstruktivistische Hermeneutik könne sich diesen Umstand zu Nutze machen, um Geschichte gezielt zu vermitteln.

MARTIN NISSEN (Berlin) stellte ein Konzept zur Analyse des Verhältnisses von Fachwissenschaft und populärem Sachbuch vor. Ausgehend von der schwierigen Definierbarkeit und Abgrenzung des Begriffs „Sachbuch“, plädierte er für eine Unterscheidung nach dem Kriterium der Publikumsausrichtung von Autor und Verlag sowie für eine Analyse der Veröffentlichungspraxis. Typische Merkmale des Sachbuchmarktes nach 1945 seien die wichtiger gewordene Rolle der Verlage, die Leserorientierung, der unterhaltende Charakter des Inhalts, fiktive Darstellungselemente und Illustrationen. Das Verhältnis von universitärer Geschichtswissenschaft und Sachbuchautoren oszilliere zwischen einer festen Verankerung in der Fachwissenschaft und der vollständigen Loslösung. Martin Nissen betonte, dass Wissenschaftspopularisierung, verstanden als Popularisierung geschichtswissenschaftlicher Wissensbestände in den historischen Sachbüchern, eher der Sonderfall sei. Vielmehr werde Wissen im Sachbuchbereich genuin neu produziert, das heißt der Popularisierungsbegriff sei hier eher irreführend. Dies machte er am Beispiel des erfolgreichen Sachbuchautors Werner Maser deutlich, der gerade durch den Aufbau eines eigenen Privatarchivs ein durch übertriebene Detailgenauigkeit charakterisiertes Wissen zu Themen der Zeitgeschichte, insbesondere des Nationalsozialismus, generierte.

KEES RIBBENS (Rotterdam) beschäftigte sich mit der Repräsentation des Zweiten Weltkriegs in europäischen Comics. Er verdeutlichte, dass Comics als Teil der Populärkultur eine interessante Quelle für die Widerspiegelung von Zeitmentalitäten sein können und nicht nur ein jugendliches Publikum ansprechen. Anhand französischer, niederländischer und deutscher Comics zum Zweiten Weltkrieg konnte er zeigen, dass es in der Darstellung sowohl nationsübergreifende Gemeinsamkeiten wie nationale Charakteristika gab. So spielten in allen Comics in der unmittelbaren Nachkriegszeit heroische Narrations- und Deutungsmuster eine wichtige Rolle. Die nationalen Unterschiede konnte er insbesondere anhand niederländischer Beispiele illustrieren, die nach 1945 eine starke Fokussierung auf die Widerstandsbewegungen legten und die niederländische Bevölkerung in einer Opferrolle präsentierten, die klar von den deutschen Besatzern und niederländischen Kollaborateuren getrennt wurde.

Ziel der Tagung war es auch, in Kontakt mit der „Praxis“ populärer Geschichtspräsentationen zu kommen. In einer Diskussion mit PETER PRANGE (Tübingen), dem Bestsellerautor historischer Romane, zeigte sich, dass diese in eine andere Richtung ging als viele andere Beiträge, die vor allem die institutionelle Verankerung und Kontextabhängigkeit der Produkte betonten. Prange erklärte – recht provokant – die Selbstständigkeit des Autors. Sein Anliegen sei vor allem das Erzählen „großer Geschichten“. Er verstehe sich in erster Linie als Schriftsteller, nicht als Autor von Geschichtsbüchern, wobei in der weiteren Diskussion aber deutlich wurde, dass Prange intensive und detaillierte Recherchen zum historischen Kontext seiner Romane durchführt und sich dabei auch Rat bei Fachwissenschaftlern holt.

Ein weiterer Themenblock der Tagung beschäftigte sich mit Geschichte in Film und Fernsehen. Das Fernsehen nimmt gegenwärtig als Medium der Vermittlung von Geschichte einen überproportional wichtigen Stellenwert ein, wie immer wieder Umfragen zum Thema zeigen. Dabei hat die Forschung das Fernsehen in seiner Funktion der „Grundversorgung mit Geschichtsbildern“ (MATTHIAS STEINLE) erst in den letzten Jahren verstärkt zum Thema gemacht. Die meisten Impulse gehen von den Film-, Fernseh- und Medienwissenschaften aus, vereinzelt aber auch von der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsdidaktik. Methodisch wird dabei versucht, die speziellen ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten des audiovisuellen Mediums zu beachten, was die Beiträge im Folgenden auch widerspiegelten.

Einen Überblick über die Entwicklung der historischen Dokumentation im Fernsehen gab EDGAR LERSCH (Stuttgart). Er vertrat dabei die These, dass die ästhetische Grundstrukturierung der Wort-Bild-Konstruktion seit ihrem Beginn Ende der 1950er-Jahre gleich geblieben sei. Damit seien aber auch die Nachteile der „eingefahrenen Konventionen“ bestehen geblieben, die nicht mehr hinterfragt würden. Diese würden als „Quellenkompendium“1 ohne Auswertung und Interpretation der Bilder und Zeitzeugen den Stil der historischen Dokumentation prägen. Obwohl Elemente aus dem Historischen Spielfilm und Dokumentarspielbereich schon seit Beginn der 1970er-Jahre immer wieder in die ästhetische Gestaltung eingeflossen seien, habe dies nicht zu einem grundsätzlichen Nachdenken über eine neue Form der Geschichtspräsentation geführt. In der Diskussion wurde die Frage gestellt, warum Zeitzeugenelemente sich im Vergleich zu Frankreich erst so spät in deutschen Dokumentationen durchgesetzt hätten. Als mögliche Antwort darauf wurde die Skepsis gegenüber der Bevölkerung in den 1950er-Jahren von Seiten der Journalisten und Redakteure benannt. Die Erfahrung des Nationalsozialismus habe ihnen gezeigt, wie verführbar und manipulierbar die „Normalbürger“ seien.

Die Funktionsveränderung von Zeitzeugenaussagen in Fernsehdokumentationen zeichnete JUDITH KEILBACH (Utrecht) nach. Sie unterschied chronologisch zwei Formen der Verwendung: Zur Zeit ihrer Etablierung in den 1960er-Jahren orientierte sich die Funktion von Zeitzeugenaussagen an einem juristischen Diskurs: Das objektive, emotionslose Berichten erzeugte Authentizität, die oftmals durch die gesellschaftliche Autorität der Zeitzeugen, wie Offizieren oder Pfarrern, unterstützt wurde. Einen allmählichen Bruch mit dieser Tradition sieht Keilbach mit Claude Lanzmanns Film „Shoah“ (Frankreich 1985) vollzogen. Echtheit werde seither über eine „Authentizität der Gefühle“ hergestellt, deren stärkste Ausprägung der „emotionale Kontrollverlust“ vor der Kamera darstelle. Die Erfahrungsdimension habe größere Bedeutung gewonnen, Geschichte werde als Erlebniswelt präsentiert, wie jüngere Reenactment-Shows im Fernsehen zeigten. Judith Keilbach verwies darauf, dass der Erfahrungsbegriff noch unscharf sei und durch zukünftige Forschungen differenziert werden müsse.

MATTHIAS STEINLE (Marburg) leistete in seinem Beitrag eine Bestandsaufnahme der in den letzten Jahren produzierten Dokudramen. Thematisch umfassten die analysierten Filme drei Bereiche: Zweiter Weltkrieg, BRD und DDR. Dabei entstünden Metanarrative, die filmübergreifend als Epochencharakterisierung bezeichnet werden könnten. So werde die DDR-Geschichte als Krisengeschichte, die BRD-Geschichte dagegen als Aufstiegsgeschichte einer solidarischen Erfolgsgesellschaft erzählt. Anhand mehrerer Beispiele zeigte Steinle die ästhetischen Gestaltungsmittel in der Verwendung symbolischer Zeichen und detailgenauer Nachinszenierungen von historischem Bildmaterial auf. In der Diskussion wurde die These formuliert, dass Dokudramen eine besondere Bedeutung bei der Definition und Etablierung von Erinnerungsorten zukomme.

Aus der „Praxis“ berichtete THOMAS FISCHER (Baden-Baden), Leiter der Redaktion Bildung und Zeitgeschichte des SWR. Er entwickelte aus seiner Arbeit heraus Kriterien, nach denen populäre zeitgeschichtliche Dokumentationen im Fernsehen gestaltet werden sollten, nachdem das „Erklärfernsehen“ der 1960er-Jahre durch das „Erzählfernsehen“ abgelöst worden ist. Die zeitgeschichtliche Dokumentation war in der Anfangszeit geprägt durch den geschriebenen Text, der dann durch Bilder illustriert wurde. Dies schuf eine enge Anbindung an wissenschaftliche Darstellungsformen. Dagegen stehe „Geschichte erzählen und erleben“ heute im Populärmedium Fernsehen im Mittelpunkt. Der Anspruch auf historische Authentizität müsse heute mit formalen Gestaltungsmitteln und der Erzählstrategie erzeugt werden. Zeitzeugen könnten dabei eine „Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen“. Der Autor behalte dabei aber immer die Deutungshoheit über die vermittelten Inhalte. Fischer beschrieb die Arbeit der Geschichtsredaktion als historische Arbeitsweise und betonte die Zusammenarbeit mit der Fachwissenschaft als wichtiges Element seiner Arbeit.

Ein dritter Teil der Vorträge kann unter dem Schlagwort „Inszenierte und lebendige Geschichte“ zusammengeführt werden. Dem Thema der Anschaulichkeit des Geschichtstheaters widmete sich WOLFGANG HOCHBRUCK (Freiburg) in seinem Vortrag. Unter den Begriff fasste er Formen von Reenactment und Museumstheater, die sich in ihrer Intention als Hobby oder institutionalisierte Vermittlung unterschieden. Anschaulichkeit charakterisierte er als „Zurückdrängung der Textebene, Bebilderung, Animation und Theatralität“. Er unterschied zwei Formen der Anschaulichkeit: eine dem Bildungsanspruch genügende museumspädagogische Form, die den konstruktiven Charakter von Geschichtsdarstellungen selbstreflexiv offen legt und eine Form, in der Konsum und Unterhaltung Selbstzweck sind, so daß ein „Illusionstheater“ entsteht, das die Gefahr in sich birgt, ein „so ist es gewesen“ vor die Selbstreflexivität zu stellen. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die aufgezeigte scharfe Dichotomie sich in der Praxis womöglich nicht halten lässt.

Die Möglichkeiten und Bedingungen der Geschichtsvermittlung im Museum zeigte ERWIN KEEFER (Stuttgart) auf, Leiter der Archäologischen Sammlung im Landesmuseum Stuttgart. Er beschrieb am konkreten Beispiel die veränderten Bedingungen der Museumsarbeit. Neben den Leitzielen der Bewahrung und Präsentation landesgeschichtlicher Themen spielen marktwirtschaftliche Überlegungen eine zunehmende und große Rolle unter dem Stichwort der „Effizienzrendite“. Die Ausstellungen und Projekte orientieren sich dabei vor allem an der Publikumsrelevanz. Dies zeigte er am Beispiel der experimentellen Archäologie und der Präsentation eines Einbaums. So wurde im Projekt „Erlebe die Steinzeit. Komm mit in die Welt vor 5000 Jahren“ versucht, Wissenschaftlichkeit mit Unterhaltung und Erlebnispädagogik zu verknüpfen. Keefer führte allerdings aus, dass die wissenschaftliche Durchführung von experimenteller Archäologie und Archäotechnik einen finanziellen Aufwand voraussetzt, der solche Projekte leicht zu einem wirtschaftlichen Misserfolg werden lässt. Er machte deutlich, dass eine geringere finanzielle Ausstattung die wissenschaftliche Korrektheit der Projekte erheblich gefährdet, so dass das Museum hier in einer Zwickmühle steckt.

Welche Potentiale historische Stadtrundgänge haben können, machte BIRGIT HEIDTKE (Freiburg) deutlich. Die Historikerin führt seit 15 Jahren Stadtrundgänge zur Frauengeschichte im Rahmen des Netzwerkes „Miss Marples Schwestern“ durch. Sie verdeutlichte die Herkunft der historischen Stadtrundgänge aus den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre. Motiviert durch die Suche nach der „eigenen“, bislang in herkömmlichen Geschichtsdarstellungen vernachlässigten Geschichte, gaben diese aus dem außeruniversitären Bereich kommenden Recherchen zur Lokalgeschichte auch Impulse für die akademische Forschung. Zur Präsentationsform bei Stadtrundgängen bemerkte sie – für viele überraschend –, dass für die Geschichtsvermittlung symbolische Orte oftmals besser geeignet seien als die authentischen Orte.

Ein vierter Teil der Vorträge untersuchte Geschichtspräsentationen in den digitalen Medien. ERIK MEYER (Gießen) beschäftigte sich mit kommemorativer Kommunikation in digitalen, interaktiven Medien, insbesondere am Beispiel des Internets. Digitalisierung beinhalte ein interaktives Potential, das bei der Analyse einen wichtigen Stellenwert einnehmen müsse. Dies gelte nicht nur für das Internet, sondern beziehe sich darüber hinaus auf die Verwendung von digitalisierten Gestaltungselementen, zum Beispiel durch digitale Bildmanipulation in Fernsehdokumentationen oder individuelle Rechercheangebote in Gedenkstätten. Er koppelte den Populäritätsbegriff dabei an die Besucherhäufigkeit der Websites sowie an kommerzielle Präsentationslogiken. Dies verdeutlichte er anhand zweier Beispiele: an der Verbindung von individuellen Recherchemöglichkeiten und redaktionell betreuten Informationen, wie sie die Seite Shoa.de bietet sowie an der nutzergenerierten Gestaltung der Inhalte von Wikipedia.de.

ANGELA SCHWARZ (Siegen) beschäftigte sich mit der Darstellung von Geschichte in Computerspielen. Sie wies darauf hin, dass hier eine große Forschungslücke besteht. Dabei werden Computerspiele längst nicht mehr hauptsächlich von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen konsumiert, was in den letzten Jahrzehnten zu einer stetigen Ausweitung des Marktes führte. Schwarz kategorisierte Computerspiele mit historischen Inhalten nach Spieltypen und Epochen. Auffälligstes Ergebnis war dabei die Konzentration auf das Genre der Strategiespiele und die epochale Fokussierung auf das 20. Jahrhundert. Mit der Analyse verschiedener Ebenen, auf denen Geschichte im Spiel thematisiert wurde, präsentierte Schwarz ein qualitatives Analyseraster. Geschichte werde in Computerspielen vor allem über das eigene Nacherleben im Spielhandeln, das auch eine Gestaltung der Geschichte ermöglicht, popularisiert. Hierdurch werde ein Zugang zu einer historischen Lebenswelt geschaffen und Geschichte, die vorher als langweilig erschien, attraktiv. Dies biete ein hohes Potential für die Geschichtsvermittlung; daher sei eine Erforschung der Präsentationstechniken unbedingt erforderlich. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Analyse eines multimedialen Mediums nur durch interdisziplinäre Methoden zu realisieren sei und zum Beispiel die Game-Studies der Medienwissenschaften und der Begriff der Immersion (Eintauchen in eine virtuelle Realität) hierfür interessante Ansätze böten.

Die dreitätige Tagung zeigte, wie unterschiedlich die Zugänge zu populären Geschichtsmedien und deren Produkten sind und aus welchen Perspektiven und Erkenntnisinteressen heraus das Thema angegangen werden kann. Die unterschiedlichen Medien erfordern dabei unterschiedliche Analysemethoden, die die jeweils individuelle Funktionslogik der Medien berücksichtigen. Grob unterschieden werden können dabei textuelle Medien, visuelle, audiovisuelle, digitale und performative Medien, die aber nochmals genrespezifisch zu differenzieren sind. Gleichzeitig wurde deutlich, dass neuere Produkte wie etwa historische Computerspiele oder auch historische Fernsehsendungen intermedial sind und sowohl textuelle und audiovisuelle wie digital-interaktive Medien integrieren.

Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen durchzogen ähnliche Beschreibungskategorien die Vorträge. So betonten viele der Referenten und Referentinnen das Phänomen der Erfahrung bzw. des Erlebens von Geschichte zur Charakterisierung neuerer Darstellungsformen. Durch Reenactments, Zeitzeugendarstellungen in neueren Fernsehdokumentationen und Dokudramen sowie Computerspiele wird versucht, für die Rezipienten Anknüpfungspunkte an die eigene Lebenswelt herzustellen. Dieser Versuch der Vergegenwärtigung von Geschichte scheint einer Vielzahl populärer Produkte immanent zu sein.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die Feststellung, dass populäre Produkte in ihrem Produktionskontext verstanden werden müssen. Gerade die Beiträge aus der Praxis machten dies deutlich. Aber auch um definieren zu können, was populäre Geschichtsdarstellung ausmacht, ist der Produktionshintergrund hilfreich, wie die Beiträge von Erik Meyer und Martin Nissen verdeutlichten. Ungeklärt blieb dabei allerdings die Frage, ob der Popularitätsbegriff rein quantitativ über Verbreitungszahlen oder qualitativ über ästhetische Darstellungskonventionen definiert werden sollte.

Einhellig stellten die Tagungsteilnehmer das Fehlen von Rezeptionsstudien als schmerzliches Forschungsdesiderat fest. Nur empirisch gesicherte Erkenntnisse zum Konsumverhalten und zur Rezeption von populären Geschichtsmedien können dabei helfen, ihre Wirkung zu bestimmen. So können wichtige Fragen bisher nicht beantwortet werden: Wieviel Geschichtswissen bleibt bei den Rezipienten tatsächlich hängen? Was genau lernen die Rezipienten dabei? Wie müssen die Darstellungen verbessert werden, um Geschichte angemessen zu vermitteln – und was wird jeweils unter „angemessen“ verstanden?

Ein Verdienst der Tagung war es, dass Medien thematisiert wurden, die in der Forschung bisher geringe Beachtung fanden, wie zum Beispiel Geschichtstheater, Dokudramen, Computerspiele oder Stadtrundgänge. Dabei wurde deutlich, wie wenig das Forschungsfeld populäre Geschichtskultur bisher bearbeitet ist, obwohl es eine große Rolle für die Prägung von Geschichtsbildern in der Gesellschaft spielt. Zu Recht wurde daher vielfach betont, wie wichtig es auch gerade für die eigene wissenschaftliche Selbstreflexion ist, geschichtskulturelle Prägungen, die gerade durch populäre Darstellungsformen angeeignet werden, zu analysieren.

Kurzübersicht:

Erik Meyer (Gießen): Erinnerungskultur 2.0? Kommemorative Kommunikation in digitalen, interaktiven Medien

Wolfgang Hochbruck (Freiburg): Belebte Geschichte: Delimitationen der Anschaulichkeit

Erwin Keefer (Stuttgart): Paddeln für die Archäologie – Mit dem Einbaum ab in die Steinzeit

Birgit Heidtke (Freiburg): Geschichte zu Fuß: Historische Stadtführungen

Edgar Lersch (Stuttgart): Zur Entwicklung der Gattungsästhetik von Geschichtsdokumentationen im deutschen Fernsehen seit 1954

Judith Keilbach (Utrecht): Geschichte als Erfahrung. Zeitzeugen und Reenactment in Film und Fernsehen

Matthias Steinle (Marburg): Geschichte im Film – Zum Umgang mit den Zeichen der Vergangenheit im Dokudrama der Gegenwart

Thomas Fischer (Baden-Baden) – Reflexionen aus der Praxis

Peter Prange (Autor/Tübingen) im Gespräch mit Barbara Korte und Sylvia Paletschek

Nicola Eisele (Freiburg): Kleiner Hobbit und Großer Artus. Mittelalterliche Strukturmodelle als populärer Schlüssel zur Sinn- und Wahrheitssuche im Jugendalter?

Martin Nissen (Berlin): Werner Maser: Geschichtsschreibung und Detektivarbeit

Kees Ribbens (Rotterdam): The representation of World War II in (European) comics and ist implications for popular historical culture

Angela Schwarz (Siegen): ‘Wollen Sie wirklich nicht weiter versuchen, diese Welt zu dominieren?’ Geschichte in Computerspielen

Anmerkung:
1 So die Kategorisierung von Frank Bösch, Das 'Dritte Reich' ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der historischen Dokumentation, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50 (1999), S. 204-220.


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