Wider den Zeitgeist. Internationales Symposion anlässlich des 100. Geburtstages von Hans-Joachim Schoeps (1909-1980). 50. Jahrestagung der Gesellschaft für Geistesgeschichte

Wider den Zeitgeist. Internationales Symposion anlässlich des 100. Geburtstages von Hans-Joachim Schoeps (1909-1980). 50. Jahrestagung der Gesellschaft für Geistesgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Geistesgeschichte, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.10.2008 - 01.11.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Helen Thein, Lehrstuhl für Kulturgeschichte, Humboldt Universität zu Berlin

Aus Anlass des 60. Geburtstages der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte und des 50. Jubiläums der Gesellschaft für Geistesgeschichte wurde in Potsdam ein internationales Symposium ausgerichtet, dass sich dem Manne widmete, der beide Institutionen gegründet hat und der im kommenden Januar 100 Jahre alt geworden wäre: Hans-Joachim Schoeps (1909-1980). Der Religionswissenschaftler und Preußenforscher kehrte 1946 aus dem schwedischen Exil zurück, in das er als Jude flüchten musste. 1947 habilitiert, lehrte er in Erlangen, ab 1950 als ordentlicher Professor für Religions- und Geistesgeschichte. Als dezidiert konservativer Denker nahm Schoeps aktiv an Debatten der jungen Bundesrepublik teil und suchte nach politischen Handlungsmöglichkeiten, etwa mittels der von ihm 1969 ins Leben gerufenen Konservativen Sammlung1, die sich Ende 1970 jedoch wieder auflöste. Erfolgreicher war er in seinem Bemühen, die Preußenforschung an den Universitäten zu etablieren. Die Konferenz konzentrierte sich auf sein Verhältnis zu Preußen, Konservatismus und Judentum, seine religionswissenschaftlichen Arbeiten und seine Affinität zu Jugendbewegung und Männerbund und die darausfolgende Ablehnung seiner Person durch die ‚68er‘.

In seinem Eröffnungsvortrag skizzierte MICHAEL SALEWSKI (Eckernförde) den Zeitgeist als solchen und die Zeitgeistforschung als wissenschaftliches Fach. Ausgehend von der These, dass sich Zeit nicht wissenschaftlich definieren lasse und insofern kaum mehr als ein metaphorischer Behelfsbegriff sei, stellte Salewski die Notwendigkeit von Geschichtsschreibung in Frage, um sie zugleich für die Selbstverortung des Menschen wieder zu konstatieren. Der Geist nun, „die Theodizee Gottes“, habe sich in unseren postreligiösen Zeiten zu Geistern pluralisiert. In assoziationsreicher Rhetorik, die einer präzisen Definition seiner begrifflichen Voraussetzungen im Wege stand, stellte Salewski den Zeitgeist mal als modisches, kaum elitäres Bewusstsein, mal als über den Individuen schwebendes eigentlich Bewusstsein dar, das weder durch die Gesellschaft noch soziale Gruppen determiniert sei. Von Hegel herkommend, habe der Weltgeist als dialektische Denkfigur sich zum Zeitgeist säkularisiert, um sich der Geschichtswissenschaft als Methode anzudienen. Kein bloßes Prinzip, sondern als einzig entscheidende Methode will Salewski die Zeitgeistforschung verstanden wissen, die er dann wiederum so indifferent wie einen „Nebelschweif“ beschrieb. Geschichtsschreibung sei bis 1945 allenfalls „gepflegtes intellektuelles Geplauder“ im Stile Friedrich Meineckes gewesen. Nach dem Mai 1945 habe sich dies radikal verändert. Zeitgeistforschung galt als anachronistisch, weil der Zeitgeist nun mehr die Geschichtswissenschaft unter das Diktat der Gesellschaftsgeschichte stellte.

Tatsächlich verdankt sich die Diskreditierung der Zeitgeistforschung nach 1945 ihrer elitären Ausrichtung, der sich die Nationalsozialisten leicht bedienen konnten. Das Ziel, den wahren Geist einer Zeit zu erkennen, einen Geist, der sich verkörpert in einzelnen Protagonisten und gesellschaftlichen Strömungen, die von den oberflächlichen, geist-losen zu scheiden seien, ist ideologisch. Für Hans-Joachim Schoeps war Zeitgeist tatsächlich eine zentrale Vokabel seines Denkens. Er sah sich vor allem als Ideenhistoriker und Geisteswissenschaftler im wörtlichen Sinn, dem Geist von Epochen auf der Spur.2 Nach achtjährigem Exil hoffte er, an dem Aufbau einer Gesellschaftsordnung teilzuhaben, die in seinem Sinn dem wahren Geist nicht nur der Zeit, sondern Deutschlands entsprechen sollte.

Dieser Geist sei preußisch, konservativ und monarchistisch. Was für Schoeps keineswegs im Widerspruch zur parlamentarischen Demokratie stand, wie FRANK-LOTHAR KROLL (Chemnitz) nachzuweisen versuchte. Kroll zeichnete die biographischen Voraussetzungen für Schoeps’ Selbstverortung als jüdischer Preuße nach, um anschließend das wissenschaftliche Profil seiner Schriften zu Preußen und deren Erkenntnisinteresse sowie ihre politische Dimension und die Folgen zu skizzieren. In Berlin aufgewachsen, habe Schoeps die deutsch-jüdische Symbiose erlebt und späterhin auch vehement verteidigt. Erst im Exil setzte er sich wissenschaftlich mit Preußen auseinander, wobei im Mittelpunkt Friedrich Wilhelm IV.3 stand. In seinem erfolgreichsten Buch „Preußen – Geschichte eines Staates“4 werde deutlich, dass seine Sympathie eher der Gerlachschen Prinzipienpolitik als der Expansionspolitik Bismarcks galt. Schoeps sei von „Männern fasziniert, die rechts gedacht und links gehandelt haben“. Ein konservativer preußischer Sozialismus, der allerdings vom Marxismus verdrängt und alsbald nicht mehr existent gewesen sei, sei sein Ideal gewesen. In der jungen Bundesrepublik, die sich, so Kroll, bewusst antipreußisch gab, habe Schoeps institutionell die Erinnerung an Preußen ideengeschichtlich am Leben zu erhalten versucht. Doch auch ganz konkret strebte Schoeps die Reinstallierung einer monarchistischen Staatsform nach dem Vorbild nordeuropäischer Staaten an.

Als eine Voraussetzung für das konservative Denken von Schoeps machte HANS-CHRISTOF KRAUS (Passau) dessen Religiosität aus, wobei Schoeps von gleichberechtigten Bundesschlüssen Gottes mit den Menschen ausging, die Grenzen zwischen Judentum und Christentum wollte er aufheben. Als gemeinsamen Feind, auch für das gesellschaftliche Leben, habe er die allgemeine Gottlosigkeit der Gegenwart angesehen. Ebenso habe sich Schoeps gegen jede Art apokalyptischen Messianismus gewandt, ob nun in historischer Gestalt der sabbatianischen Bewegung oder in zeitgenössischen Denkstrukturen, wie sie sich etwa bei Benjamin finden ließen. Daneben bildete die Jugendbewegung, zu der Schoeps aktiv gehörte und die er als kulturschöpferische Tat verstand, einen wichtigen Hintergrund seines Politikverständnisses. Dabei weise Schoeps’ konservatives Denken starke kulturkritische Elemente auf, sei geprägt von einem entschiedenen Antitotalitarismus und darin einem klaren Bekenntnis zum Staat. Die Reetablierung der preußischen Monarchie sah Schoeps als Schutz der Demokratie vor der „latenten Führersehnsucht der Deutschen“.5 Vor diesem Hintergrund plädierte Schoeps für eine Reform des parlamentarischen Wahlrechts und stellte das indirekte Persönlichkeitswahlrecht zur Diskussion sowie das Zweikammersystem im Parlament. Einer nivellierenden Massengesellschaft wollte Schoeps Elitebildung entgegensetzen, die Politik sollte entideologisiert und repersonalisiert werden.

Die wenigsten seiner Zeitgenossen mochten einen Unterschied zwischen dem von Schoeps imaginierten Kaiserprinzip und dem hitlerischen Führerprinzip sehen. Die einen aus Zustimmung, die anderen – wie die außerparlamentarische Opposition um 1968 – aus grundlegender Ablehnung. Ein homo politicus blieb Schoeps zeit seines Lebens, auch wenn er sich zunehmend „wider den Zeitgeist“ verbittert isoliert sah, allenfalls von rechtskonservativen Denkern wie Armin Mohler und Kurt Ziesel geachtet.

DOMINIQUE BOUREL (Paris) konstatierte den schlechten Ruf, den Schoeps nicht nur in Israel, sondern auch im europäischen Judentum gehabt habe, um ihn dann neben Zeitgenossen wie Alexander Altmann und Joachim Prinz zu verorten. Der 1906 geborene, am Rabbinerseminar in Breslau ausgebildete Altmann, dessen Buch „Was ist jüdische Theologie?“ (1933) als Markstein inner- und außerjüdischer Theologie angesehen werden müsse, kritisierte an Schoeps mit Blick auf dessen 1932 erschienene Dissertation „Jüdischer Glaube in dieser Zeit“6 dessen an Barth geschulte dialektische Auffassung von Theologie. Von Prinz, dem 1902 geborenen damals jüngsten zionistischen Rabbiner in Berlin, der sich mit dem Buch „Wir Juden“ ebenfalls 1933 positionierte, grenzte sich Schoeps explizit ab und veröffentlichte 1934 seine programmatische Schrift „Wir deutschen Juden“. Mit Prinz breche Nietzsche in das moderne Judentum ein, Zionismus war für Schoeps mit Nihilismus gleichzusetzen, beides sei weit entfernt vom Judentum. Gegen das Deutsch-Nationale im Denken von Schoeps wendete sich wiederum ausdrücklich der nach Israel emigrierte Ernst Simon. Das antiorthodoxe Judentum von Schoeps sei ihm zu viel Dialektik. Ebenso lehnte der nicht-orthodoxe Gershom Scholem Schoeps' Grundthesen zu einer Theologie des Judentums ab. Schoeps hat Israel nie besucht. „Erst wenn der Messias gekommen ist, reise ich“, begründete er seinem Sohn gegenüber seine Nicht-Anerkennung des israelischen Staates.

Als Religionswissenschaftler suchte Schoeps den wahren religiösen Geist bei den Häretikern des frühen Christentums und – wie EKKEHARD STEGEMANN (Basel) darlegte – bei den sogenannten Judenchristen. Eine Bezeichnung, die es objektsprachlich in den Quellen gar nicht gäbe, die vielmehr im englischen Deismus als ethischer Begriff für die „wahren Christen“ fungiere und im 18. Jahrhundert erst eingedeutscht und als christliche Häresie verstanden wurde. Schoeps habe diese Geschichte gegen den Strich gebürstet. Die Judenchristen hätten sich nach seiner Auffassung gerade nicht als wahre Christen empfunden, sondern das Judentum reformieren wollen und Paulus als falschen Apostel angesehen. Auch wenn diese frühe Reformbewegung untergegangen sei, stelle sie für Schoeps eine bedenkenswerte Alternative dar, grenzte sie sich doch von beiden Religionen ab, indem sie sie synthetisieren wollte. In diesem Sinne interpretierte Schoeps auch Paulus als einen Ketzer, den er in die jüdische Religionsgeschichte zurückholen wollte.7 Er galt ihm als jüdischer Denker des postmessianischen Zeitalters.

In diesen Forschungsansätzen stand Schoeps Jacob Taubes überraschend nahe. Darauf wies RICHARD FABER (Berlin) hin. Wo Taubes jedoch als anarchistischer Marxist die Religionsgeschichte analysierte, betrachtete Schoeps sie als konservativer Monarchist. Den einen interessierte der ideologische Gehalt ketzerischen Denkens, den anderen die historische Dimension ihrer Existenz – politische Theologen seien beide gewesen. Wie Schoeps war Taubes davon überzeugt, dass eine metaphysische Frage nicht im luftleeren Raum verhandelt würde. Vielmehr bestünde eine geheime Verabredung zwischen Philosophie und Politik. Als Antipoden seien beide mit Blick auf ihr jeweiliges Verständnis von Theokratie zu lesen. Während Taubes in seiner Kritik am theologischen Element innerhalb der politischen Theorie gegen jede Vorstellung eines Gottes, der mit der Macht koaliert, polemisierte, habe Schoeps nur mit einem solchen Gott paktieren wollen. Für Taubes schlösse eine unmittelbare Gottesherrschaft jede Form der Herrschaft von Menschen über Menschen aus, für Schoeps hingegen sei Gottes Weltordnung mit einem obrigkeitsgeleiteten Staat identisch. Für den „modernen Marcioniten“, wie sich Taubes selbst betitelte, war der Weltschöpfer mit dem Erlösergott keineswegs identisch. Für Schoeps hingegen war der historische Marcion primär dafür verantwortlich, dass die Einheit und Monarchie Gottes in Frage gestellt wurde. Für beide war die Frage nach der Aktualität von Marcion weit mehr als religionswissenschaftliches Geplänkel, sie barg tagespolitischen Sprengstoff, wie sich nicht zuletzt in den entgegengesetzten Haltungen zu den ‚68ern‘ zeigen sollte.

HANS-JOACHIM HILLERBRAND (Raleigh/Durham) erinnerte daran, dass sich Hans-Joachim Schoeps als Religions- und Geisteshistoriker verstand und als solcher beide Fachrichtungen zu vereinen suchte. Begonnen hat Schoeps jedoch als jüdischer Religionsphilosoph, sein erstes Buch stelle den Versuch eines 23-Jährigen dar, Grundlinien einer systematischen Theologie des modernen Judentums zu skizzieren8, der allerdings Scholem vorwarf, dass ihr Verfasser „weniger vom historischen Judentum als vom modernen Protestantismus wüsste“. In einer zweiten Arbeitsphase, die Hillerbrand im Exil verortete, wandte sich Schoeps der Spätantike zu, was sich in einer Reihe von Veröffentlichungen niederschlug, die ihm nach seiner Rückkehr eine baldige Habilitation ermöglichten. In eine dritte Phase, die mit den 1950er Jahren begann, fällt das zunehmende Interesse von Schoeps an der Geistesgeschichte und der preußischen Geschichte. Als Religionswissenschaftler war Schoeps ein akademischer Außenseiter. Nicht nur war sein religionswissenschaftlicher Lehrstuhl, wie in Deutschland bis heute üblich, nicht an eine theologische Fakultät angegliedert, Schoeps verstieß auch, so Hillerbrand, gegen die unausgesprochene Vereinbarung, nach der sich Religionswissenschaftler mit außerchristlichen Religionen zu beschäftigen haben. Das von Schoeps durch seine Publikationen angebotene fachliche Gespräch beantworteten die deutschen Theologen und Kirchenhistoriker denn auch weitestgehend mit Schweigen.

In der letzten Sektion befasste sich MARITA KEILSON-LAURITZ (Amsterdam) mit Hans Blüher, dessen mit Schoeps geführtes schriftliches Gespräch noch 1933 veröffentlicht und wenige Wochen später wieder vom Markt genommen wurde.9 Beide waren über die Diskussion zum Judentum hinaus auch noch über ein anderes Thema miteinander verbunden. Die Thematisierung der Homosexualität war der Hintergrund für die Faszination des jungen Schoeps für den 20 Jahre älteren Blüher. Die Blühersche Männerbund-Theorie, wonach der Wandervogel als erotisches Phänomen zu verstehen sei, war für Schoeps zugleich Ermutigung zur Offenheit und Munition im Kampf gegen die Verfolger. Das habe zur Folge gehabt, dass sich Schoeps auf die Seite derjenigen stellte, die statt von Erotik, Freundesliebe, Inversion usw. ausdrücklich von Homosexualität sprachen. Um 1962 veröffentlichte er mehrere Aufsätze, die unverhohlen Selbstpositionierungen gleichkamen.10 In skandalisierender Weise habe daraufhin 1963 Armin Mohler im „Merkur” auf Schoeps Homosexualität aufmerksam zu machen versucht. Zu bedenken bleibe die Frage, so Keilson-Lauritz, wieviel der Religionshistoriker Schoeps’ mit dem jugendbewegten, erotisierbaren Schoeps gemein hat – mehr wohl als auf den ersten Blick anzunehmen sei.

Anschließend sprach in einem polemischen, von idiosynkratischen Affekten nicht freien Vortrag JOACHIM H. KNOLL (Hamburg), wie Salewski und Hillerbrand Schüler von Hans-Joachim Schoeps, von den Zumutungen, die die gesellschaftlichen Umbrüche und Debatten für den Lehrer bedeuteten. Knoll beklagte, dass 1968 in den Medien fast ausnahmslos positiv erinnert werde, damalige Protagonisten die Ereignisse retrospektiv idealisierten und immer wieder „das alte Märchen“ aufwärmten, 1968 habe das Land demokratisiert. In Übereinstimmung mit Götz Aly betonte Knoll hingegen „heimliche Kontinuitäten zwischen NS-Zeit, radikalem Habitus und Studentenrevolte“. Ähnlich hatte schon Hans-Joachim Schoeps argumentiert.11 Zu Recht verwies Knoll auf die ungenaue Datierung von „68“ und die beliebige Ausweitung dessen, was heute darunter subsumiert wird, auf alle Lebensbereiche. Gegen die Auffassung, erst durch studentische Proteste seien an den Universitäten Reformbewegungen in Gang gekommen, insistierte Knoll, dass bereits in den 1950er-Jahren Reformen verwirklicht wurden und dass diese Initiativen von der Bildungspolitik der Länder ausgingen, also nicht von Studierenden, sondern von der Administratoren des Staates. Als Manko konstatierte Knoll weiterhin, dass die Geschichte der Professoren der 1960er-Jahre bislang kaum geschrieben sei. Sie würde den studentischen Terror und die Mitschuld der Publizistik offenbaren. Im Fall von Schoeps sprach Knoll von studentischer Vernichtungsstrategie. Im Gegensatz zur Einlinigkeit des Denkens und dem ethischen Rigorismus der Linken sieht er bei Schoeps Gradlinigkeit. Mit Verweis auf die späten autobiographischen Texte betonte Knoll den unbedingten Ton, das pathetische Bekenntnis und den aggressiven Widerspruch. Dass er damit seinem Lehrer einen habituellen Gestus gutschreibt, den er seinen Kontrahenten vorwirft, thematisierte Knoll nicht.

In seinem Abschlussvortrag nahm JULIUS H. SCHOEPS (Potsdam) den nicht nur von den 68ern, sondern jüngst auch von Wolf Biermann erhobenen Vorwurf auf, Hans-Joachim Schoeps sei ein „Heil-Hitler-Jude“ gewesen.12 Ähnlich wie Leo Baeck habe Schoeps geglaubt, mit den neuen Machthabern eine Art Bleiberecht für Juden aushandeln zu können. Es war der verzweifelte Versuch, auf etwas zu beharren, was von den Nazis in Abrede gestellt wurde: das Deutschtum des deutschen Judentums. Schoeps blieb bei seinem trotzigen Bekenntnis: „Auch wenn uns unser Vaterland verstößt, bleiben wir bereit für Deutschland.“ Bereits 1935 hat er die Nazis als „braune Bolschewisten“ und eine Besatzungsmacht auf deutschem Boden bezeichnet. Er befand „Hitler ist nicht Deutschland“ und sah das wahre Preußen im konservativen Widerstand verkörpert. Die Nazis wiederum betrachteten ihn als Abgesandten der „jüdischen Weltverschwörung“ und ließen ihn 1938/39 von der Gestapo verhören.

In seiner unter Pseudonym im Exil verfassten Schrift „Was soll aus Hitler werden?“ (1944) lehnte Schoeps eine Kollektivschuld der Deutschen an den Verbrechen der Nazis ab. Auch nach seiner Rückkehr hielt er die meisten Deutschen nicht für Täter, sondern für Verführte. Vor den alten NS-Seilschaften an den hiesigen Universitäten verschloss er die Augen. Schoeps blieb ein unzeitgemäßer Preuße, ein Naziverehrer sei er aber trotz seiner deutschnationalen Einstellung nie gewesen, auch wenn er am Ende seines Lebens beinah ausschließlich Applaus von rechtkonservativer Seite erhielt. Von falschen Freunden, wie sein Sohn heute sagt.

Schon 1958 gab Kurt Sontheimer zu bedenken, dass sich Schoeps davor schützen müsse, „als national-konservativer Jude mit preußischem Herzen zu einem Kuriosum der Zeitgeschichte zu werden.“13 Diese frühe zeitgenössische Warnung – und Wahrnehmung – fand auf der Potsdamer Tagung leider zu wenig Widerhall. Stattdessen zeigte sich, nicht zuletzt in den Diskussionen, ein Hang zu einer hagiographischen Lesart von Schoeps’ Wirken. Allzu sehr wurde der Selbstwahrnehmung von Schoeps als steter Außenseiter gefolgt, ohne zu hinterfragen, ob er nicht doch eher aus dem Zentrum der bundesrepublikanischen Befindlichkeiten der Nachkriegszeit sprach. Aus heutiger Sicht klingen Aussagen etwa über die Nichtschuld der deutschen Bevölkerung aufgrund ideologischer Verführung nach konsensfähigen Aussagen der 1950er-Jahre, seine frontalen Polemiken und selbstdarstellerischen Positionierungen in den 1960er-Jahren irritieren vor allem ob ihrer Dialogfeindlichkeit und Selbstgerechtigkeit. Da seit 1990 im Olms-Verlag die Schriften von Hans-Joachim Schoeps neu aufgelegt wurden, ist für eine Auseinandersetzung mit seinen Thesen und Einstellung die materielle Grundlage gegeben. Was nach wie vor fehlt, ist eine kritische Beschäftigung mit den Wirkungen seines Denkens. Die Tagung hat es leider verpasst, dem Phänomen nachzugehen, dass einige seiner Schüler zu Vordenkern der Neuen Rechten in der Bundesrepublik wurden. Diese Art der Rezeption aufzudecken, ihre Ursachen und Argumentationslinien nachzuzeichnen, wäre mit Blick auf den Erhalt von Demokratie unbedingt notwendig.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag

Michael Salewski: Zeit, Zeitgeist und Zeitgeistforschung

Sektion: Preußen, Konservativismus und Judentum

Frank-Lothar Kroll: Hans-Joachim Schoeps und Preußen

Hans-Christof Kraus: Hans-Joachim Schoeps als konservativer Denker

Dominique Bourel: Im Streit um Israel: Hans Joachim Schoeps und seine Widersacher Ernst Simon, Gershom Scholem und Walter Benjamin

Sektion: Religion und Religionsgeschichte

Ekkehard Stegemann: Hans-Joachim Schoeps und die Bibelwissenschaft/frühe Kirchengeschichte

Hans-Joachim Hillerbrand: Die Vergessenen der Kirchengeschichte: Hans Joachim Schoeps und die Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit

Richard Faber: Die Antipoden Hans-Joachim Schoeps und Jacob Taubes

Sektion: Jugendbewegung und Männerbund

Marita Keilson-Lauritz: Hans-Joachim Schoeps, Hans Blüher und der Männerbund

Joachim H. Knoll: Hans-Joachim Schoeps und die 68er Bewegung

Schlussvortrag

Julius H. Schoeps: „Hitler ist nicht Deutschland“. Der Nationalsozialismus, das Exil in Schweden und die Rückkehr von Hans-Joachim Schoeps in die ehemalige Heimat

Anmerkungen:
1 Hans-Joachim Schoeps, Der Versuch einer Konservativen Sammlung oder die fehlende politische Chance, in: Ders., Ja – Nein – Und Trotzdem, Mainz 1974, S. 159-200.
2 Ders., Was ist und was will Geistesgeschichte?, Göttingen 1959.
3 Ders., Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter König Wilhelm IV., Stuttgart 1952.
4 Ders., Preußen – Geschichte eines Staates, Berlin 1966.
5 Ders., Rückblicke, 2. Aufl. Berlin 1963, S. 169.
6 Ders., Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums, Berlin 1932.
7 Ders., Paulus. Die Theologie des Apostels im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte, Tübingen 1959.
8 Wie Anm. 6.
9 Hans-Joachim Schoeps/Hans Blüher, Streit um Israel. Ein jüdisch-christliches Gespräch, Hamburg 1933.
10 Vgl. Hans-Joachim Schoeps, Soll Homosexualität strafbar bleiben?, in: Der Monat (1962) H. 171, S. 19-27, sowie sein Vorwort zur Neuausgabe von Blühers: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, Stuttgart 1962.
11 Ders., Die Gleichschaltung oder der Zeitgeist übergibt sich, in: Ders.: Ja – Nein, S. 213-251, bes. 238-251.
12 Wolf Biermann, Sprechen wir Tacheles, in: Rheinischer Merkur, 13.3.2008.
13 Kurt Sontheimer, Erneuerung – auf alt, in: Frankfurter Hefte (1958) H. 8, S. 590.