Die heutigen Partnerstädte Nürnberg und Prag verbindet seit dem Mittelalter eine sehr wechselvolle Geschichte. Phasen enger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Kooperation zwischen den beiden Metropolen wechselten mit Zeitabschnitten, in denen ungeachtet der bestehenden relativen geografischen Nähe nur wenige Kontakte bestanden. Die von den Stadtarchiven Nürnberg und Prag, der Humboldt-Universität Berlin (Lehrstuhl für Geschichte Ostmitteleuropas) sowie der Karls-Universität Prag (Institut der internationalen Studien) am 07. und 08.10.2008 in der tschechischen Hauptstadt durchgeführte Tagung „Verlorene Nähe – Prag und Nürnberg im Wandel der Jahrhunderte“ beleuchtete das sehr diskontinuierliche Verhältnis der beiden Städte vom 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Die Konferenz baute auf einem sehr unterschiedlichen Forschungsstand auf. Während für die Zeit des Spätmittelalters, besonders für die Epoche Kaiser Karls IV., sowie auch für das 16. und frühe 17. Jahrhundert zahlreiche Publikationen über die Kontakte zwischen Nürnberg und Prag vorliegen, hat die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg bisher deutlich weniger wissenschaftliche Beachtung gefunden. Die Erforschung der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts war zwischen 1945 und 1989 auch durch die politischen Rahmenbedingungen gehemmt.
Die Tagung, die insgesamt über dreißig Referate und (kürzere) Diskussionsbeiträge umfasste, deckte ein breites Themenspektrum ab. Schwerpunkte lagen in drei historischen Feldern: in der Wirtschaftsgeschichte, in der Kulturgeschichte sowie in der Kunstgeschichte. Die Beziehungen zwischen Nürnberg und Prag wurden auf der Konferenz in einem weiteren geografischen Umfeld verankert: So thematisierten einzelne Referate nicht nur die Kontakte zwischen den beiden Metropolen, sondern auch die Beziehungen der fränkischen Reichsstadt zu den urbanen Zentren, die in den nördlichen und westlichen Landesteilen Böhmens gelegen sind, sowie zur Stadt Krakau. Der zeitliche Schwerpunkt der Tagung lag in den knapp drei Jahrhunderten zwischen etwa 1350 und 1618. Doch widmeten sich auch sieben Referate der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Insgesamt gelang es den Organisatoren, sowohl Referenten zu gewinnen, die neue Ergebnisse in bereits etablierten Forschungsfeldern präsentierten, als auch Themen mit Vorträgen abzudecken, die bisher nicht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gestanden hatten. Die insgesamt drei Sektionen der Konferenz wurden jeweils durch längere Einführungsreferate eingeleitet. Diese Überblicksvorträge strukturierten das Tagungsprogramm und dienten in den Fachdiskussionen vielfach als Anknüpfungspunkte.
Der Tagungsablauf orientierte sich im Wesentlichen an der Chronologie. Die erste, von LENKA BOBKOVÁ (Prag) und MICHAEL DIEFENBACHER (Nürnberg) eingeleitete Sektion war Problemen der spätmittelalterlichen Geschichte gewidmet. Bobková betonte in ihrem Vortrag, dass Nürnberg im Herrschaftssystem Kaiser Karls IV. eine hohe Bedeutung erlangt habe. Die fränkische Metropole sei neben Prag quasi zu einer „zweiten Reichsresidenz“ avanciert. Davon habe Nürnberg auf verschiedene Weise profitiert; unter anderem dadurch, dass Karl IV. den hohenzollernschen Burggrafen oder einzelnen Bürgern kaiserliche Privilegien gewährte. Diefenbacher skizzierte in seinem Referat die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nürnberg und Prag (bzw. Böhmen) im Spätmittelalter. Während die Kontakte vor allem in der Regierungszeit Karls IV. sehr eng gewesen seien, hätten die politischen Umbrüche und Unsicherheiten der Hussitenkriege einen deutlichen Rückgang des wirtschaftlichen Austauschs zur Folge gehabt. Auf die Vorträge Bobkovás und Diefenbachers folgten sieben Referate über kunst-, kirchen-, wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Themen. JIŘÍ FAJT (Berlin-Leipzig) und DANIELA UHER (Nürnberg) stellten die starken Einflüsse des Prager Hofs Karls IV. auf die urbanistischen und künstlerischen Entwicklungen in Nürnberg im 14. Jahrhundert heraus. Fajt betonte in diesem Kontext, dass im Rahmen des überregionalen Transfers von künstlerischen Techniken und Ausdrucksformen aus Böhmen in die fränkische Reichsstadt insbesondere Sebald Weinschröter eine große Bedeutung zugekommen sei. Er hob auch die wichtige Rolle hervor, welche Nürnberg bei der Verbreitung der böhmischen Kunst im Reich gespielt habe. Uher illustrierte den böhmischen Einfluss auf die Nürnberger Kunst am Beispiel des „Marienaltars um 1400“, von dem heute fünf Tafeln im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt werden. JAN HRDINA (Prag) thematisierte anschließend die kirchlichen Beziehungen zwischen Prag und Nürnberg sowie die zahlreichen Pilgerfahrten böhmischer Gläubiger in die fränkische Reichsstadt besonders in der Zeit um 1500. Die beiden folgenden wirtschaftshistorischen Referate von ROMAN ZAORAL (Prag) und MILOSLAV POLÍVKA (Prag) konkretisierten den Einführungsvortrag Diefenbachers. Zaoral benannte unter anderem wesentliche Gründe für die Verdrängung der Regensburger durch die Nürnberger Kaufleute im spätmittelalterlichen Böhmenhandel. Den Franken seien vor allem die Bedeutungszunahme der Metallimporte und ihre sich ausbildende Stärke im Kreditgeschäft zugute gekommen. WOLFGANG WÜST (Erlangen) analysierte die spätmittelalterliche Kommunikation zwischen Nürnberg und Prag. Er konstatierte für das ausgehende Mittelalter eine „kleine Kommunikationsrevolution“. Häufiger Briefverkehr, grenzüberschreitende Kooperation und vor allem regelmäßige Botendienste ließen einen „Aufbruch zu neuer Funktionalität“ erkennen, von dem sowohl die fränkische als auch die böhmische Metropole profitiert hätten. Schließlich beschäftigte sich PETR KREUZ (Prag) mit den Prozessen von Nürnberger Bürgern vor dem Prager Stadtgericht. Diese Gerichtsverfahren hätten vor allem zivilrechtliche Streitigkeiten (Schuldangelegenheiten) zum Gegenstand gehabt.
Die abschließende Diskussion der Sektion konzentrierte sich auf wirtschaftshistorische Fragen. Mehrere Redner hoben hervor, dass der Nürnberger Handel mit Böhmen in erster Linie ein Transithandel in andere ostmitteleuropäische Länder (unter anderem Ungarn) gewesen sei. Die Route über Prag habe einen von mehreren alternativen Wegen nach Osten dargestellt; ihre Attraktivität sei von verschiedenen, nicht zuletzt politischen Konstellationen abhängig gewesen.
Die zweite Sektion war schwerpunktmäßig den Beziehungen zwischen Nürnberg und Prag im 16. und frühen 17. Jahrhundert gewidmet. Einführend skizzierte WINFRIED EBERHARD (Leipzig) die Entwicklung des Nürnberger Handels mit Böhmen im 16. Jahrhundert. Dabei stellte er insbesondere die langfristig große Bedeutung des Imports von Metallen nach Franken heraus. Eberhard wies auch auf die zunehmende soziale Abschließung der Nürnberger Eliten hin. Während eine erfolgreiche kaufmännische Tätigkeit in der fränkischen Reichsstadt im 15. Jahrhundert noch die Grundlage für einen Aufstieg in die politische Führungsschicht bilden konnte, sei dies im 16. Jahrhundert nicht mehr der Fall gewesen. Umgekehrt hätten die Nürnberger Patrizier nach 1500 einen innovativen Kapitaleinsatz mehr und mehr gescheut.
Ein erster Themenblock der Sektion umfasste Referate zu den Nürnberger und Prager Führungsschichten. HELENA PEŘINOVÁ (Prag) knüpfte mit einem Vortrag über die Formierung der politischen Eliten in der fränkischen und in der böhmischen Metropole an das Eingangsstatement Eberhards an. Die Referentin konstatierte eine divergierende Entwicklung in beiden Städten. Während sich das Nürnberger Patriziat seit dem frühen 16. Jahrhundert stark abgeschottet habe und aus diesem Grund in der fränkischen Reichsstadt politische und wirtschaftliche Eliten vor allem im 17. und 18. Jahrhundert nicht mehr identisch gewesen seien, habe in Prag ein durchlässigeres soziales Gefüge bestanden. In der Hauptstadt Böhmens sei es gelungen, wirtschaftliche Aufsteiger in die politischen Führungsschichten zu integrieren. Ein von ANDREAS OTTO WEBER (Erlangen) präsentiertes Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Bayerische und Fränkische Landesgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg widmet sich der Untersuchung von regionalen Eliten in überregionalen Netzwerken in Franken, Böhmen und Österreich. Im Rahmen dieses Projekts soll nach Angaben des Referenten „an zahlreichen Beispielen sowohl von Adelsfamilien als auch von ‚Gelehrtendynastien’ untersucht werden, wie sich Reich und Region in der Epoche vom 16. bis 19. Jahrhundert gegenseitig beeinflussten und welche Rahmenbedingungen und Netzwerke dabei bestanden.“
Mehrere Vorträge der Sektion waren Problemen der Wirtschaftsgeschichte gewidmet. PETER WOLF (Augsburg) sprach über den Zinnerzbergbau in Böhmen. Dieser habe vor allem zu Beginn des 16. Jahrhunderts erhebliche Bedeutung erlangt und sei maßgeblich durch Nürnberger Investoren ermöglicht worden. Kapitalgeber aus der fränkischen Reichsstadt seien insbesondere in Schlaggenwald engagiert gewesen. EDUARD MAUR (Prag) referierte über die – zum Teil unsicheren – Handelsstraßen zwischen Prag und Nürnberg in der Frühen Neuzeit. Walter BAUERNFEIND (Nürnberg) legte dar, wie die Nürnberger Wirtschaftsinteressen im zeitlichen Umfeld der Krönung Ferdinands I. zum König von Böhmen im Jahr 1527 erfolgreich vertreten worden sind. Den Nürnberger Repräsentanten sei es aufgrund der Interessenlage Ferdinands, aber auch aufgrund ihrer geschickten Verhandlungsführung gelungen, die bestehende Monopolstellung der eigenen Stadt im böhmischen Kupferhandel zu erhalten. Schließlich referierte BOHUMÍR ROEDL (Laun) über die Nürnberger Kreditoren der Saazer und Launer Kaufleute im 16. Jahrhundert.
Ein weiteres Themengebiet der zweiten Sektion bildete die Kunstgeschichte. MARTINA ŠÁROVCOVÁ (Prag) und BARTLOMIEJ BARTELMUS (Breslau) sprachen über die Rezeption der grafischen Blätter und der Malerei Albrecht Dürers in Böhmen. Thema des Vortrags von BOGUSLAW KRASNOWOLSKI (Krakau) waren die Florentiner und Nürnberger Einflüsse auf die Krakauer Kunst in den Jahrzehnten um 1500. Die künstlerische Strahlkraft Nürnbergs nach Polen – symbolisiert vor allem durch den Aufenthalt Veit Stoß’ in Krakau – manifestierte sich nach den Ausführungen Krasnowolskis vor allem auf den Gebieten der Malerei und des Kunsthandwerks. Der Referent betonte jedoch, dass auch die Nürnberger Künstler von den bestehenden Kontakten nach Ostmitteleuropa profitiert hätten. So zeigten sich etwa im Grabmal des Heiligen Sebaldus in der gleichnamigen Nürnberger Kirche Krakauer Einflüsse.
An die kunsthistorischen Vorträge schlossen Referate über buch-, musik-, religions- und bildungsgeschichtliche Themen an. PETR VOIT (Prag) stellte die zentrale Bedeutung Nürnbergs für die Herausbildung einer böhmischen und mährischen Buchkultur im 16. Jahrhundert heraus. Die Rolle der fränkischen Metropole sei dabei maßgeblich durch die zögerliche Entwicklung des Buchdrucks in den Ländern der Wenzelskrone bedingt gewesen. Voit wies darauf hin, dass auch Bücher von Jan Hus in Nürnberg gedruckt worden seien. JIŘÍ PEŠEK (Prag) knüpfte an diese Ausführungen an. Er stellte in seinem Referat drei Ebenen der kulturellen Vermittlung zwischen der fränkischen Metropole und Böhmen auf dem Gebiet des Buchdrucks heraus. Erstens seien in Nürnberg Bohemica produziert worden, zweitens hätten Nürnberger Verleger deutsch- und lateinischsprachige Bücher nach Osten exportiert und drittens hätten zahlreiche böhmische Buchdrucker ihre Ausbildung in der fränkischen Reichsstadt erhalten. OLGA FEJTOVÁ (Prag) ergänzte die Forschungsergebnisse Voits und Pešeks durch eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung. Sie stellte fest, dass in Nürnberg produzierte Bücher in Prager Privatbibliotheken Eingang gefunden hätten, während umgekehrt das Interesse der Nürnberger Führungsschichten an Buchprodukten aus Böhmen eher gering gewesen sei. MICHAELA FREEMANOVÁ (Prag) widmete sich in einem musikhistorischen Diskussionsbeitrag der Verbreitung Nürnberger Musikinstrumente in böhmischen Sammlungen. Sie ging dabei insbesondere auf die reichsstädtischen Holz- und Blechinstrumentenexporte ein. HELMUT BAIER (Nürnberg) und VILÉM ZÁBRANSKÝ (Aussig) referierten über migrationsgeschichtliche Themen. Baier wies darauf hin, dass die religiösen Verwerfungen in Böhmen während des Dreißigjährigen Krieges auch zu einer Einwanderung protestantischer Familien nach Nürnberg geführt hätten. Zábranský untersuchte den Zuzug von Nürnbergern nach Prag in den Jahrzehnten um 1600. Er stellte fest, dass sich im Untersuchungszeitraum etwa zwanzig fränkische Familien in der böhmischen Metropole angesiedelt hätten. Die Motivation dieser Familien für die Migration nach Osten ist nach den Ausführungen Zábranskýs nicht mehr ermittelbar. WOLFGANG MÄHRLE (Stuttgart) analysierte den Besuch der Nürnberger Hochschule in Altdorf durch Studenten aus Böhmen. Er legte dar, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der insgesamt knapp 350 böhmischen Hochschulbesucher in der Zeit vor dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges in die Nürnberger Landstadt gekommen sei. Neben Adligen hätten insbesondere zahlreiche Angehörige der im Königreich Böhmen beheimateten deutschen Bevölkerungsgruppe an der reichsstädtisch-nürnbergischen Hochschule studiert. MARTIN HOLÝ (Prag) widmete sich in einem Diskussionsbeitrag den Absolventen der Prager utraquistischen Universität, die als Präzeptoren böhmische Adlige nach Altdorf begleiteten. Er betonte, dass die von ihm untersuchten Privatlehrer Gelderwerb und eigenes Studium zumeist verbunden hätten.
Die abschließende Diskussion der zweiten Sektion konzentrierte sich auf die Frage der historischen Zäsuren in den frühneuzeitlichen Beziehungen zwischen den Städten Nürnberg und Prag. Dabei wurde in mehreren Wortmeldungen die Bedeutung der Schlacht am Weißen Berg und des nachfolgenden habsburgischen Regiments in Böhmen für eine relativ abrupte Abschwächung der Kontakte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausgestrichen. Die Verbindungen zwischen Nürnberg und Prag in der Zeit zwischen 1620 und dem Ende des Ancien Régime sind allerdings noch weitgehend unerforscht, so dass hier abschließende Aussagen noch nicht möglich sind. Gewisse Entwicklungen, zum Beispiel bildungsgeschichtliche Tendenzen, lassen die von radikalen Umbrüchen gekennzeichnete Zeit des Dreißigjährigen Krieges als eine Übergangsperiode im Verhältnis der beiden Städte erscheinen.
Im Mittelpunkt der dritten Sektion standen ausgewählte Probleme der Geschichte Nürnbergs und Prags im 19. und 20. Jahrhundert. JIŘÍ PEŠEK (Prag) und GÜNTER SCHÖDL (Berlin) führten in die Thematik ein. Das Verhältnis der beiden Metropolen beschrieb Schödl als eine „widersprüchliche, konfliktträchtige Kombination von Symbiose und Distanz“. Im Kontext von Nationalbewegung und Industrialisierung hätte Prag oft als Vorbild für Nürnberg fungiert, so etwa bei stadtplanerischen Vorhaben oder bei der Gründung des Germanischen Nationalmuseums. Während Prag nach 1918 zur Hauptstadt der ČSR aufgestiegen sei, habe Nürnberg nach dem Ende des Alten Reichs kein herausgehobenes politisches Zentrum mehr dargestellt. Die Zeit des Nationalsozialismus begründete nach der Konstituierung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ Schödl zufolge eine „deformierte Nähe“ zwischen der tschechischen Metropole und der fränkischen Stadt der Reichsparteitage. Nach 1945 seien Nürnberg und Prag durch den eisernen Vorhang stärker getrennt gewesen als jemals zuvor.
Das komplexe Verhältnis zwischen den beiden Städten im 19. und 20. Jahrhundert, das Pešek und Schödl einleitend skizziert hatten, wurde durch mehrere Referate konkretisiert, die speziellen Themen aus unterschiedlichen historischen Feldern gewidmet waren. UNDINE WAGNER (Chemnitz) sprach über die Nationalisierung der Prager Musikvereine während des 19. Jahrhunderts. HARALD LÖNNECKER (Koblenz) referierte über den Akademischen Verein Noris bzw. Nuerembergia Prag. Diese Organisation, deren Name die symbolische Funktion Nürnbergs als deutscher Stadt par excellence aufgriff, habe sich seit ihrer Gründung in den Jahren 1890/1891 als Motor des deutschen Nationalismus in der tschechischen Metropole begriffen. Seine Mitglieder, deren Einstellungen sich zunehmend radikalisiert hätten, seien in der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg in zahlreiche Konflikte mit tschechischen Studenten verwickelt gewesen. ALFONS ADAM (Brüssel) schilderte in seinem Vortrag über den Architekten und Kommunalpolitiker Adolf Foehr (1880-1943) die praktischen Schwierigkeiten, mit denen ein Repräsentant der deutschen Minderheit in Prag in der Zwischenkriegszeit konfrontiert war. Zwei Referate unterschiedlicher Thematik waren der Zeit nach 1945 gewidmet: HELENA ARENBERGEROVÁ (Prag) referierte über das bei Nürnberg nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichtete Valka-Lager, das zahlreiche Flüchtlinge aus Tschechien aufgenommen hatte. Die Einrichtung habe nicht zuletzt unter erheblichen Akzeptanzproblemen der deutschen Bevölkerung gelitten. CHRISTOF NEIDIGER (Nürnberg) schließlich thematisierte die Zeit des „Prager Frühlings“ im Jahr 1968. Er berichtete in diesem Zusammenhang über zahlreiche Kontakte zwischen den Städten Nürnberg und Prag während der tschechoslowakischen Reformperiode, die jedoch nach dem Eingreifen der Sowjetunion und der nachfolgenden politischen Wende in der ČSSR zumeist abrupt abgebrochen seien.
VÁCLAV LEDVINKA (Prag) konnte in seinem abschließenden, kurzen Rückblick auf die Konferenz zu Recht ein positives Fazit ziehen. Die Referate und Diskussionsbeiträge der Veranstaltung haben zahlreiche neue Ergebnisse erbracht. Freilich stellte die Prager Tagung auch, wie Ledvinka formulierte, einen „Spiegel des gegenwärtigen Wissens“ dar. Ihr Ertrag lag nicht zuletzt darin, dass Defizite der Forschung, die etwa in der Zeit des 17. und des 18. Jahrhundert liegen, bewusst gemacht worden sind.
Die Referate der sehr gut organisierten Tagung werden in einem vom Stadtarchiv Nürnberg herausgegebenen Band in deutscher sowie in einer Publikation des Stadtarchivs Prag in tschechischer Sprache veröffentlicht werden. In der Zukunft soll die Zusammenarbeit zwischen den Archiven der Städte Nürnberg und Prag fortgeführt und intensiviert werden. Das Stadtarchiv Nürnberg plant darüber hinaus, in den kommenden Jahren systematisch Forschungsvorhaben über die Beziehungen der fränkischen Reichsstadt nach Ostmittel- und Osteuropa (Polen, Ungarn, Slowenien) zu fördern. In diesem Kontext sollen ähnliche Tagungen wie in Prag organisiert werden.
Konferenzübersicht:
Moderation: Lenka Bobková
Václav Ledvinka – Michael Diefenbacher: Begrüßung
Lenka Bobková – Michael Diefenbacher: Sektion I - Einleitungsreferat
Jiří Fajt: Prag und Nürnberg in der Zeit Karls IV. – zwei Kunstmetropolen im Europa der Luxemburger
Daniela Uher: "Bavaria trans silvam Boemicalem". Der "Weiche Stil" als gesamteuropäisches Phänomen am Beispiel des Marienaltars um 1400 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
Jan Hrdina: Anmerkungen zu den kirchlichen Beziehungen zwischen Prag und Nürnberg/ Diskussionsbeitrag
Michael Diefenbacher
Roman Zaoral: Rivalitäten zwischen Nürnberg und Regensburg um den Prager Markt in der vorhussitischen Zeit
Miloslav Polívka: Prag und Nürnberg in der Hussitenzeit
Wolfgang Wüst: Nürnberg und Prag im Kommunikationsfeld spätmittelalterlicher Städtelandschaften. Gab es eine Post vor der Post?
Petr Kreuz: Prozesse von Nürnberger und Prager Bürgern vor dem Stadtgericht der Prager Altstadt in der Jagiellonenzeit
Diskussion
Moderation: Winfried Eberhard
Winfried Eberhard - Vaclav Ledvinka: Sektion II - Einleitungsreferat
Helena Perinová: Reichtum und Macht in den frühneuzeitlichen Städten: Nürnberg und Prag 1550 – 1650
Andreas Otto Weber: Regionale Eliten in überregionalen Netzwerken vom 16. bis 19. Jahrhundert in Franken, Böhmen und Österreich. Ein Forschungsprojekt zum Verhalten von Adel und Bildungsbürgertum zwischen Reichsinstitutionen, kaiserlichen Residenzen und Zentralorten sowie regionaler und lokaler Einbindung
Peter Wolf: Nürnberg – Amberg – Schlaggenwald – Prag. Nürnberger Kapital und der Zinnerzbergbau in Böhmen
Eduard Maur: Einige Aspekte der Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und den böhmischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert
Walter Bauernfeind: Die Vertretung der Nürnberger wirtschaftlichen Interessen bei der Krönung Ferdinands I. zum König von Böhmen 1527 in Prag
Bohumír Roedl - Nürnberger Kreditoren der Saazer und Launer Kaufleute im 16. Jahrhundert/ Diskussionsbeitrag
Diskussion
Moderation: Václav Ledvinka
Martina Šárovcová: Der Illuminist Pavel Melnický. Die Rezeption der graphischen Blätter Albrecht Dürers in der spätgotischen Buchmalerei
Bartlomiej Bartelmus: Zur Rezeption der Werke Albrecht Dürers und anderer berühmter Nürnberger in den böhmischen Malerzentren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Boguslaw Krasnowolski: Krakauer Kunst an der Schwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Zwischen Florenz und Nürnberg
Diskussion
Moderation: Václav Ledvinka
Petr Voit: Die Schlüsselrolle Nürnbergs bei der Herausbildung einer böhmischen und mährischen Buchkultur im 16. Jh.
Jiří Pešek: Buchdruck und Buchhandel zwischen Prag und Nürnberg in der Frühen Neuzeit
Olga Fejtová: Nürnberger Drucke in Prager bürgerlichen Privatbibliotheken und die Wahrnehmung der böhmischen Buchproduktion in Nürnberg im 17. Jh./ Diskussionsbeitrag
Michaela Freemanová: Aus Nürnberg in das Land der fünfblättrigen Rose. Nürnberger Musikinstrumente in den böhmischen Sammlungen/ Diskussionsbeitrag
Diskussion
Moderation: Winfried Eberhard
Helmut Baier: Religionsemigration aus Prag nach Nürnberg nach der Schlacht am Weißen Berg
Vilém Zabranský: Prager Neubürger in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts - Einwanderer aus Nürnberg/ Diskussionsbeitrag
Wolfgang Mährle: Studenten aus Prag an der Nürnberger Hochschule in Altdorf
Martin Holý, Zwischen Prag und Altdorf. Absolventen der Prager utraquistischen Universität als Präzeptoren des böhmischen Adels in Altdorf/ Diskussionsbeitrag
Diskussion
Moderation: Jiří Pešek
Jiří Pešek – Günter Schödl: Sektion III und IV - Einleitungsreferat
Undine Wagner: - Prager Musikvereine im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die tschechische und deutsche Nationalbewegung
Harald Lönnecker: „Das Reich und nur das Reich!“ Der Akademische Verein Noris bzw. Nuerembergia Prag (ca. 1890-1925)
Diskussion
Moderation: Günter Schödl
Alfons Adam: Ein Nürnberger im Prager Stadtrat. Adolf Foehr (1880-1943) - Architekt und Kommunalpolitiker in der Ersten Republik
Helena Arenbergerová: Ungewollter Nachbar. Nürnberg und das Valka-Lager
Christof Neidiger: „.., dass wir uns hier immer wieder freundschaftlich begegnen können“ Prag 1968 - Die Tschechoslowakei aus Nürnberger Sicht
Diskussion
Schlussdiskussion
Václav Ledvinka: Schlusswort