Kunst im Kontext von Kirchweihliturgie und Patronatsfesten

Kunst im Kontext von Kirchweihliturgie und Patronatsfesten

Organisatoren
Stefanie Seeberg / Susanne Wittekind, Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.09.2009 - 05.09.2009
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Von
Stefanie Seeberg / Susanne Wittekind, Universität zu Köln

Die Kölner Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, das Zusammenspiel von Kunstwerken, Texten und Handlungen innerhalb der Liturgie zu untersuchen. Ein gemeinsamer Ausgangspunkt für die Vorträge und Diskussionen der Tagung waren die Gestaltung der Kirchweihliturgie und des jährlichen Kirchweihfestes (dedicatio ecclesiae), sowie die Patronatsfeste, die besondere Hochfeste im Jahresfestzyklus darstellten. Diskutiert wurden die Verwendung, Wahrnehmung und Sprachfähigkeit der künstlerisch gestalteten Objekte und Räume im Moment des liturgischen Vollzugs. Reflektiert wurde auch ihre Rolle als Medium theologischer Inhalte und Heilsvergegenwärtigung, als Speicher oder Anstoß der Erinnerung an den liturgischen Akt, in dem zugleich Bedeutungen unsichtbar in Orte und Objekte eingeschrieben werden.

Den Einstieg in die Tagung bildeten Beiträge zur Liturgie in Frauenklöstern. SUSAN MARTI (Dortmund/Bern) stellte Gradualhandschriften des 14. Jahrhunderts aus dem Soester Dominikanerinnenkloster Paradies vor. In den Handschriften, die für den Eigengebrauch im Kloster angefertigt wurden, finden sich im Fleuronnée-Schmuck fast unsichtbar mikrographische Inschriften mit Anrufungen und Gebeten, aber auch Bildnisse, Namen und Initialen der Nonnen. Platziert sind diese vor allem zu Festen und Sequenzen des im Kloster besonders verehrten Johannes Ev., zu Festen der Klosterpatronin Maria und zum Kirchweihfest. Zudem durchziehen historisierte Initialen mit Spruchbändern die Handschrift. Sie eröffnen durch ihre Bildmotive und Texte teils theologische Deutungsebenen zu den Gradualgesängen der Feste, teils verweisen sie auf andere Bilder und Texte. Dadurch entsteht ein dichtes Bild-Text-Geflecht, das sich über den Haupttext des Graduales legt. Marti vertrat die These, dass hier eine eigene, für die Spiritualität des Konvents charakteristische Form der Aneignung und theologischen Reflexion der Liturgie aufscheint. In ihr kommt dem produktiven Prozess künstlerischer Buchgestaltung als religiöser Arbeit, dem unhörbaren und fast unsichtbaren Gebet und Bild der Nonnen eine besondere Rolle zu. Diskutiert wurden im Anschluss daran die Auffassung der Handschrift als eigenem sakralen Raum sowie die Frage nach den Adressat/inn/en dieser Bilder und Inschriften.

Während von der mittelalterlichen Ausstattung des Paradiesklosters allein die Gradualhandschriften überliefert sind, lässt sich für das Prämonstratenserinnenkloster Altenberg/Lahn ein großer Teil der verstreuten Kirchenausstattung aus der Blütezeit des Klosters rekonstruieren. STEFANIE SEEBERG (Köln) beleuchtete die für diese Zeit zwischen etwa 1250 bis 1340 überlieferten liturgischen Objekte, Handschriften und Textilien, das Schreinretabel des Hochaltares sowie die Reliquien unter dem Aspekt ihres Einsatzes zum Kirchweihfest und dem am Vortag gefeierten Patronatsfest der hl. Elisabeth von Thüringen. Gertrud die Tochter der Heiligen hatte während ihrer Amtszeit als Magistra das Kloster als Zentrum der Elisabethverehrung ausgebaut. Die Präsenz der Heiligen wurde durch Gertrud selbst als Tochter der Heiligen und zahlreiche sehr persönliche Sekundärreliquien sowie Bilder vermittelt. Nach ihrem Tod wurde Gertrud ihrerseits als wichtigstes Bindeglied zu ihrer heiligen Mutter durch stellvertretende Objekte wie Grabmal, Reliquien und Bilder präsent gehalten. Ein für Altenberg charakteristisches Medium der Vergegenwärtigung waren großformatige Leinenstickereien, die unter Gertrud und in der darauffolgenden Schwesterngeneration angefertigt wurden. Vergleichbar den Buchillustrationen im Vortrag von Susan Marti sind auch diese Stickereien einerseits im Kontext ihrer Entstehung als Werke religiöser Arbeit, als auch in ihrer Eigenart als Träger von Bildern, Texten, Namen und Initialen der sie anfertigenden Frauen zu sehen. Auch für diese Stickereien, die alle für den Hochchor der Kirche und nicht für die Nonnenempore oder andere Orte der Klausur angefertigt wurden, stellt sich die Frage nach den Adressaten ihrer Bilder und Inschriften.

Formen der Vergegenwärtigung und Memoria im Kontext der Liturgie waren auch eine zentrale Fragestellung im Vortrag von CHRISTIANE ELSTER (Köln/Rom). Sie untersucht im Rahmen ihrer Dissertation die Paramenten-Schenkungen von Papst Bonifaz VIII. an die Kathedrale von Anagni. Ein zeitgenössisches Inventar der Kathedrale bezeichnet die geschenkten Textilien mit Angabe der Technik, vermerkt teils ihre Verwendung an besonderen Festtagen. Durch den Vergleich mit päpstlichen Paramenten-Schenkungen an andere Kathedralen zeigte Elster auf, dass diese als Ersatz für päpstliche Besuche vorort geschenkt wurden, oft anlässlich von Patronats- und Kirchweihfesten. Über den schriftlich dokumentierten Schenkungsakt hinaus hielten die Gewänder durch ihr Programm und ihre besondere Qualität im liturgischen Gebrauch den päpstlichen Förderer lange über seine Amtszeit hinaus präsent.

Einer anderen Schenkung für den liturgischen Gebrauch an einer Kathedrale widmete sich PATRIZIA CARMASSI (Wolfenbüttel): Der Halberstädter Scholaster Johannes Semeka, zuvor Rechtslehrer in Bologna, schenkte seinem Dom ein Missale, in dem der Dompatron Stephanus durch Aufnahme einer Spezialmesse vor dem Kirchweihformular besonders hervorgehoben ist. Als zur Handschrift zugehörig konnte Carmassi ein heute in Frankfurt befindliches Einzelblatt mit einem weiteren Kirchweihformular erweisen. Dessen Initial mit der Darstellung von Jakobs Traum und Salbung des Steines nimmt auf Lesungen und Gesänge zur dedicatio ecclesiae Bezug, thematisiert aber zugleich das Zusammenfallen von irdischer und himmlischer Liturgie. Anhand weiterer Szenen des Missales und des Siegelbilds Semekas zeigte Carmassi, im Ausgriff auf theologische und kirchenrechtliche Kommentartexte der Zeit, den hohen intellektuellen Anspruch ihres Konzeptors bzw. Stifters auf.

Über Bilder liturgischer Handschriften als Medium der Liturgiereflexion sprach auch BEATRICE KITZINGER (Harvard/Köln), die im Rahmen ihrer Dissertation eine Gruppe bretonischer Evangeliare des 10. Jahrhunderts untersucht. In diesen Handschriften finden sich Darstellungen der Kreuzigung Christi zwischen den beiden Schächern. Indem der Gekreuzigte an einem liturgischen Kreuz (mit Gemmenschmuck) hängt, wird die historische Passionserzählung der Evangelien mit der liturgischen Gegenwart Christi am Altar zusammengeführt. Dies bildliche Ineinssetzen von Kreuz, Evangeliar, Eucharistie und Altar stützte Kitzinger im Ausgriff auf die Kreuzesauslegung Amalars von Metz. Andere Miniaturen dieser Handschriftengruppe, wie die des Verrats Christi im Bradfer-Lawrence-Evangeliar, aber auch ikonographische Besonderheiten der Majestas- und Evangelistenbilder, lassen noch Fragen offen.

Der Segnung liturgischen Geräts und liturgischer Textilien im Kontext der Kirchweihe waren zwei Vorträge gewidmet. SUSANNE WITTEKIND (Köln) trug Beobachtungen zu Veränderungen der bischöflichen Benedictionen des ornatus ecclesiae vor. In der Erweiterung der ursprünglich auf Kelch und Patene beschränkten Benediktionen um Segnungsformeln für Reliquiare und Altarkreuze sieht Wittekind ein Echo auf diese neu etablierten Objekte des Kirchenschmucks im 9. Jahrhundert. Die zunehmende Bedeutung der Benedictionen im 10. Jahrhundert ist ablesbar an Prachtbenediktonalen, aber auch an der starken Erweiterung der Benediktionsformeln im Pontificale romano-germanicum (PRG) um Formeln für Tabulae und Tragaltäre, metallene Kreuze, Hostienbehälter, Rauchfässer und verschiedene liturgische Gewänder. Die Benedictiones lassen eine zunehmende Befrachtung liturgischen Geräts mit theologischen Bedeutungsgehalten erkennen, die, so die These, seit Mitte des 11. Jahrhunderts zunehmend in die künstlerische Gestaltung und Bebilderung dieser Objekte verlagert wird.

THOMAS LENTES (Münster) sieht im PRG gegenüber den karolingischen Kirchweihordines eine Verschiebung von der Weihe des Raumes zur Weihe der einzelnen liturgischen Geräte, durch die das liturgische Ritual eine stärkere Sakralisierung erhält. Die Benediktionsformeln sind dabei von der Semantik der Reinigung geprägt und stehen den Exorzismusformeln nahe. Im Pontifikale des Durandus von Mende schließlich wird die Benediktion des ornatus ecclesiae von der Kirchweihe abgelöst und vor die Segnung verschiedener Klosterräume sowie der Gaben (munera) gestellt. Neu kommt hier die Segnung von Bildern bzw. Statuen (imagines) Mariens und der Heiligen hinzu; sie findet sogar bildlichen Niederschlag in illustrierten Handschriften von Durandus´ Pontifikale. Lentes gab zu überlegen, ob sie nicht schon in karolingischer Zeit als Altarzier verwendet und in zeitgenössischen Ordines deshalb unerwähnt bleiben, weil sie nicht bei der Feier der Eucharistie benutzt wurden und daher nicht eigens durch Segnung gereinigt zu werden brauchten.

Einen besonderen, erst im späten Mittelalter entwickelten Typ des Kirchenschmucks und seine liturgische Einbindung stellte VERA HENKELMANN (Schleswig) mit den Marienleuchtern vor. Diese wurden oft von Bruderschaften an Pfarrkirchen geschenkt. Teils waren mit der Aufnahme in die Bruderschaft Wachsstiftungen für die Illumination des Leuchters an Festtagen wie Kirchweih verbunden. Für einzelne Marienleuchter konnte Henkelmann eine Platzierung in der Nähe von Rosenkranzaltären und eine Verbindung mit Ablässen für das Gebet vor der Madonna im Strahlenkranz nachweisen. Mit Verweis auf die aufwendigen Hebe- und Senkvorrichtungen für viele dieser Marienhängeleuchter sowie Gardinenvorrichtungen wie in Kalkar stellte sie die These zur Diskussion, dass Marienleuchter im theatrum sacrum zum Beispiel an Mariä Himmelfahrt Verwendung finden konnten.

In drei Vorträgen stand die liturgische Nutzung sakraler Räume im Vordergrund. KLAUS-GEREON BEUCKERS (Kiel) sprach über Aufstellungsorte ephemerer Ostergräber in Kirchen des Früh- und Hochmittelalters in Gestalt von Zeltarchitekturen, die in zahlreichen Schriftquellen genannt werden. Für das Essener Stift lässt sich aufgrund des Liber Ordinarius des 14. Jahrhunderts und der guten Überlieferung von Kirchenbau und -schatz die Osterliturgie genauer fassen. Beuckers stellte die These auf, dass der Essener Westbau bereits früh zentraler Ort der Osterliturgie war, an dem das ephemere Ostergrab in Form eines großen Zeltes aufgebaut wurde. In der Osterprozession wurden Evangeliar, Nagelreliquiar und (Theophanu)Kreuz des 11. Jahrhunderts verwendet, deren Fassung ihre Zusammengehörigkeit sichtbar macht. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden neue Reliquien-Ostensorien für die Kanoniker angefertigt und Änderungen der Osterliturgie im Liber Ordinarius fixiert. Auch bei weiteren Beispielen vermutet Beuckers eine liturgische Oster-Nutzung von Westbauten, so in der Stiftskirche Gandersheim aufgrund einer Nische und Löchern, die möglicherweise der Befestigung einer Zeltverspannung für das Ostergrab dienten.

CLEMENS KOSCH (Dalheim) stellte zunächst die Darstellbarkeit und Vermittlung der historischen liturgischen Nutzung von Kirchenräumen in Grund- und Aufrissen zur Diskussion. Im Vortrag problematisierte er die Rolle von Kapellen in Klöstern, deren liturgische Nutzung weitgehend ungeklärt ist, so die Bedeutung der Vorgängerkirchbauten in der Klosteranlage von Cluny III oder der ersten Kapelle Bernhards in Clairvaux. Hieran entzündete sich eine Diskussion um Gründeroratorien als besondere Orte der lokalen Gründer- bzw. Heiligenverehrung. Abschließend wurden das Verhältnis von Kapitelsaal und -Kapelle sowie die Rolle von Abtskapellen in Westbauten anhand einschlägiger Beispiele vorgestellt und diskutiert.

LEONIE SILBERER (Heidelberg) berichtete von ihrem gerade begonnenen Dissertationsprojekt, einer Untersuchung zur liturgischen und profanen Nutzung von Anlagen der Franziskanerklöstern in der Saxonia. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf Beispiele des 13. Jahrhunderts mit einigen ergänzenden Beispielen aus dem 14. und frühen 15. Jahrhundert. In ihrem Vortrag stellte Frau Silberer Beispiele für Klosteranlagen mit zwei Kreuzgängen vor – so die Franziskanerklöster in Lübeck, Stralsund und Thorn. Als mögliche Erklärung für diese charakteristische Besonderheit wurde die Lage der Klöster innerhalb der Städte, in denen Franziskanerklöster als Gerichts- und Begräbnisorte für Laien zugänglich waren, genannt und diskutiert.

Das relativ enge Rahmenthema der Kirchweih- und Patronatsfeste erwies sich für das Tagungsgespräch insofern als fruchtbar, als sich zwischen den verschiedenen Beiträgen vielfach Verbindungen ziehen ließen. Deutlich wurde im Verlauf der Tagung immer wieder, dass die Auseinandersetzung mit schriftlichem Quellenmaterial, mit liturgischen Texten, Libri Ordiniarii, Kustoreibüchern, Inventaren und Rechnungsbüchern wesentliche Erkenntnisse für den praktischen Gebrauch der Kunstwerke bringt, darüber hinaus aber auch Aufschlüsse über ihre zeitgenössische Deutung und deren historischen Wandel. In der Schlussdiskussion wurden aus den Tagungsbeiträgen einige neue Ansätze für die Erschließung von Kunstwerken im liturgischen Kontext gezogen: so die bildgenerierende Rolle der Liturgie; die Erfassung illuminierter liturgischer Handschriften als eigener Raum religiöser Erfahrung und Reflexion der Liturgie; die Rolle von liturgisch eingebundenen Orten, Textilien und Geräten als Erinnerungsträger; die Frage nach den Adressaten der Bilder am Altar. Als Desiderat wurde die Einbeziehung von liturgischer Dichtung und Gesangskunst angemahnt. Deutlich wurde von den Beteiligten der Wunsch nach einer Fortsetzung des kunstgeschichtlichen wie interdisziplinären Austauschs über Fragen im Spannungsfeld von Kunst und Liturgie artikuliert. Die beiden Veranstalterinnen wollen dieses Gespräch auf einer weiteren Arbeitstagung im kommenden Sommer fortsetzen, für die Verbesserung der Kommunikation und Information jedoch umgehend am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln eine Plattform zum Themenkomplex Kunst und Liturgie einrichten.

Konferenzübersicht:

Stefanie Seeberg / Susanne Wittekind: Begrüßung

Susan Marti (Dortmund/Bern): Buchschmuck zu Ehren der Patrone: Dominikanische Graduale aus Kloster Paradies

Stefanie Seeberg (Köln): Gedächtnis und unsichtbare Präsenz – Die Rolle liturgischer Objekte in der Kirchweihliturgie des Prämonstratenserinnenklosters Altenberg/Lahn

Thomas Lentes (Münster): Ex devotione benedicere. Zur Stellung der Bilder in der Kirchweih-Liturgie des Mittelalters

Clemens Kosch (Dalheim): Kult- und Liturgieorte in hochmittelalterlichen Stifts- und Klosteranlagen

Leonie Silberer (Heidelberg): Mittelalterliche Klosteranlagen der Franziskaner. Untersuchung ihrer Architektur und Nutzung

Christiane Elster (Köln/Rom): Unum pluviale ad aurum portandum per dominum episcopum in festis beati Magni - Überlegungen zu Funktion, Verwendung und Rezeption liturgischer Textilien aus päpstlichen Schenkungen des 13. Jahrhunderts

Klaus Gereon Beuckers (Kiel): Bemerkungen zum ephemeren Ostergrab und seiner Bedeutung im Spannungsfeld von Kunst und Liturgie

Beatrice Kitzinger (Harvard/Köln): Fragen zum liturgischen Gebrauch von Kreuzigungsbildern in bretonischen Evangelienbüchern des 10. Jahrhunderts: das Bradfer-Lawrence Evangeliar

Susanne Wittekind (Köln): Überlegungen zur Benediktion des ornatus ecclesiae im Rahmen der Kirchweihe

Patricia Carmassi (Wolfenbüttel): Stiftung, Kunst und Feier. Das Halberstädter Missale Inv.-Nr. 474 (13. Jahrhundert)

Vera Henkelmann (Schleswig): Marienleuchter im Kontext von Gebet und Liturgie

Abschlussdiskussion


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