Mit der Internationalen Konferenz Aufklärung und Esoterik – Wege in die Moderne1 zog die am IZEA beheimatete DFG-Forschergruppe 529: Die Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik Bilanz ihrer sechsjährigen Arbeit und stellte zugleich zur Diskussion, inwieweit das vielschichtige Verhältnis von Aufklärung und Esoterik im 18. Jahrhundert als konstitutiv für die Moderne begriffen werden kann. Der Einfluss bzw. sogar das Fortwirken der Aufklärung in der Moderne wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt; zugleich ist die – in der Regel als kontrastiv zur aufgeklärten Vernunft gedachte – Präsenz esoterischer Strömungen unübersehbar. Nach dem Anteil der wechselseitigen Beeinflussung von Aufklärung und Esoterik im 18. Jahrhundert an der Attraktivität und dem Potential, das Aufklärung und Esoterik für die Moderne gleichermaßen besitzen, wurde hingegen kaum je systematisch gefragt.
Angesichts der weitgespannten Fragestellung nahm die Bestimmung des Gegenstandes bzw. der Leitbegriffe eine wichtige Position im Rahmen des insgesamt 39 Vorträge umfassenden Programms ein, wobei der Begriff „Esoterik“ erwartungsgemäß weit stärker erklärungsbedürftig erschien als „Aufklärung“ oder „Moderne“. Schon im Einführungsvortrag wurde deutlich, dass Aufklärung und Esoterik in der Mitte des 18. Jahrhunderts keinesfalls zwangsläufig als Gegensätze gedacht wurden. Daran änderte auch das – entgegen dem üblichen Kenntnisstand bereits für das späte 18. Jahrhundert nachweisbare – Auftauchen des Substantivs „Esoterik“ zunächst wenig; vielmehr machten die weiteren Transformationen des semantischen Feldes im 18. und 19. Jahrhundert deutlich, dass auch für die Moderne zwischen einem historischen und einem forschungsleitenden Begriff von Esoterik unterschieden werden muss.
Im Hinblick auf die Aufklärung galt die Aufmerksamkeit besonders den Abgrenzungsstrategien gegenüber esoterischen Traditionsbeständen, die im 18. Jahrhundert etwa die „okkulten Wissenschaften“, aber auch die Kabbala betrafen, wobei es aber neben Ausgrenzung auch zu Rationalisierung, Historisierung und sogar Re-Esoterisierung dieser Strömungen kam. Das vielfältige Verhältnis von Esoterik und Aufklärung wurde in den Sektionsvorträgen vielfach wieder aufgenommen und zum Teil am Beispiel von Zentralfiguren der Aufklärungsphilosophie sowie den Themenbereichen Religionsgeschichte, Rezeption, Ästhetik, Wissenschaftsgeschichte und gesellschaftliche Praktiken bis ins 20. Jahrhundert hinein sichtbar gemacht.
Die Frage nach der Definition der Esoterikforschung und ihres Gegenstandes blieb während der Tagung stets präsent und führte besonders in der abschließenden Plenarsitzung zu lebhaften Diskussionen. Dabei stand insbesondere die Frage im Vordergrund, ob sich Esoterik eher als diskursiver Zusammenhang konstituiere oder in einer langfristigen Perspektive inhaltlich, etwa durch die Affinität zum Neuplatonismus, bestimmt werden könne.
Konferenzübersicht:
Begrüßung durch den Geschäftsführenden Direktor des IZEA, Daniel Fulda
Grußwort im Namen der Martin-Luther-Universität: Gunnar Berg
Eröffnungsvortrag: Monika Neugebauer-Wölk
PLENARVORTRÄGE
Moderation: Daniel Fulda
Wouter J. Hanegraaff: The Notion of Occult Sciences in the Wake of the Enlightenment
Andreas B. Kilcher: Die Rationalität der Kabbala
SEKTION 1
Moderation: Helmut Zander
Andreas Önnerfors: Esoteric Performance, Enlightened Philosophy: The Case of Freemasonry
Tatiana Artemyeva: Robert Fludd and the Hermetic Tradition in Russia in the Enlightenment
Ute Frietsch: Kant und die Gold- und Rosenkreuzer: Der Konflikt und seine wissenschaftspolitischen Konsequenzen
Theodor Harmsen: Hermetic-Rosicrucian Images in the Enlightenment and their Reception by the Modern Esoteric Movements, 1720-1920: „Die Geheimen Figuren der Rosenkreuzer“
SEKTION 2
Moderation: Werner Nell
Klaus Vondung: Apokalyptisch-esoterische Grundierungen des Strebens nach einer Universalwissenschaft
Martin Hense: Erkenntniskritische Esoterik bei Locke, Bonnet und Lichtenberg
Kocku von Stuckrad: Vitalistische Naturkonzepte in der deutschen Romantik: Philosophie, Naturwissenschaft und Literatur als offene Systeme
Frank Eisermann / Frank Hatje: Kosmologisch-metaphysische Vorstellungen im hansestädtischen Bürgertum des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts
SEKTION 3
Moderation: Linda Simonis
Kristine Hannak: Esoterik, Ironie und Ästhetik bei Karl Philipp Moritz
Manfred Beetz: Esoterik und Magie in Goethes „Faust I“
Martin A. Völker: Literarischer Paracelsismus bei Woldemar Nürnberger (1817–1869)
Christian Sinn: Aufklärung und Esoterik in Prosa und neuen Formen der Öffentlichkeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert
SEKTION 4
Moderation: Monika Neugebauer-Wölk
Markus Meumann: Das gelehrte Halle im Streit um die „Wuerckung des Teufels“
Katrin Moeller: Aufgeklärter Hexenglaube
Meret Fehlmann: Die Argumentation mit dem Matriarchat im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und moderner Esoterik
PLENARVORTRÄGE
Moderation: Martin Mulsow
Esteban Law: Zum Traditionsbegriff bei Fabre d’Olivet
Walter Sparn: „... daß wir Bürger der Ewigkeit sind.“ Bolzanos Unsterblichkeitslehre als Rezeption der Monadologie von G.W. Leibniz
SEKTION 5
Moderation: Andreas B. Kilcher
Annette Graczyk: Lavaters Neubegründung der Physiognomik zwischen Aufklärung, christlicher Religion und Esoterik
Hanns -Peter Neumann: Moderne Monaden. Monadologische Physiognomien in der Soziologie und Kriminalistik des französischen Soziologen Gabriel Tarde (1843-1904)
Renko Geffarth: Äther, Urlicht, Relativität. Weltformel und „wahre Erkenntnis“ um 1900
Robert Matthias Erdbeer: Der letzte Kosmos. Welteis und die Genealogie der Esoterischen Moderne
SEKTION 6
Moderation: Wouter J. Hanegraaff
Martin Mulsow: Aufgeklärter Pythagoreismus: Weißmüllers philosophisches System (1736-1747)
Gregory Johnson: Kant, Swedenborg, and Rousseau: The Synthesis of Enlightenment and Esotericism in „Dreams of a Spirit-Seer“
Matthias Perkams: Schelling und die Neuplatoniker
Glenn A. Magee: „The Speculative is the Mystical”: Hegel’s Marriage of Reason and Unreason in the Age of Enlightenment
SEKTION 7
Moderation: Manfred Beetz
Wolf Dieter Ernst: „Worttonsprechen“: Aufklärung und Esoterik in der Theaterreform um 1900
Serhiy Hleybman: Existential Dialogue of Martin Buber: Mysticism Meets Enlightenment, Modernity Encounters Mysticism
Linda Simonis: An der Grenze des Erkennens: Die Wiederkehr aufklärerischer Esoterikprojekte in der Gegenwartsliteratur – am Beispiel von Alain Nadaud und Peter Handke
SEKTION 8
Moderation: Kocku von Stuckrad
Friedemann Stengel: Lebensgeister – Nervensaft
Jürgen Kaufmann: Magnetische Konfessionen: Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Mesmerismus zwischen romantischer Naturphilosophie und theosophischem Spiritismus
Karl Baier: Der Einfluss des Mesmerismus auf Meditationsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts
ABENDVORTRAG
Jürgen Stolzenberg: Esoterik in der Moderne: Alexander N. Skrjabin
PLENARVORTRÄGE
Moderation: Monika Neugebauer-Wölk
Helmut Zander: Kontextuelle Esoterik: Konstruktion und Transformation esoterischer Gegenstände am Beispiel der „Selbsterlösung“
Diethard Sawicki: Esoterik im 18. Jahrhundert und danach: Resultate, Desiderate, Potentiale ihrer historischen Erforschung
Raphael Rosenberg: Übersinnliche Wahrnehmung oder künstlerische Sensibilität? Die Rezeption wirkungsästhetischer Theorien in der Esoterik um 1900
Werner Nell: Esoterik und die „Dialektik der Aufklärung“: Zum Stellenwert und zur Strahlkraft esoterischen Wissens bei Theodor W. Adorno und in der Kritischen Theorie
Schlussdiskussion
Anmerkung:
1 Ein weiterer, ausführlicher Tagungsbericht ist auf der Homepage der Forschergruppe verfügbar unter: <http://www.izea.uni-halle.de/cms/fileadmin/documents/forschergruppe/aktivitaeten/tagungsbericht_aufklaerung_und_esoterik.pdf> (06.07.2010).