Musicisti europei a Napoli. L’attrazione della città (1650-1759)

Musicisti europei a Napoli. L’attrazione della città (1650-1759)

Organisatoren
MUSICI-Projekt (ANR/DFG); Goethe-Institut Neapel
Ort
Neapel
Land
Italy
Vom - Bis
28.05.2010 -
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Von
Jens Späth, Deutsches Historisches Institut Rom

Am 28. Mai 2010 fand im Goethe-Institut (GI) in Neapel eine Tagung zum Thema „Musicisti europei a Napoli“ statt. Kein anderer Ort scheint geeigneter zu sein als Neapel, um eine solche Veranstaltung zur Musikgeschichte des Barock abzuhalten, betonte bereits JOHANNA WAND (GI) als Gastgeberin mit Blick auf die Rolle der Stadt in jener Zeit als „storica capitale della musica“. Mélanie Traversier (Paris) und Britta Kägler (Rom) begrüßten im Anschluss als Veranstalterinnen. Traversier griff hierbei die zentrale Rolle der Stadt mit dem treffenden Zitat „La scena si finge in Napoli“ (in etwa: Die Szene spielt in Neapel) auf. Sie verwies darauf, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung entsprechend der europäischen Dimension des Themas aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien kämen.

In der Einführung erläuterte BRITTA KÄGLER zunächst den Zusammenhang der Veranstaltung mit dem MUSICI-Projekt „Europäische Musiker in Venedig, Rom und Neapel (1650-1750). Musik, nationale Identität und kultureller Austausch“, das am Deutschen Historischen Institut (DHI) in Rom und an der École Française de Rome (EFR) angesiedelt ist und von Gesa zur Nieden sowie Anne-Madeleine Goulet koordiniert wird. Seit seinem Beginn im Januar 2010 strebt das Projekt eine vertiefende Gesamtschau der Migration europäischer Musiker in die drei hauptsächlichen italienischen Musikzentren nach der Verbreitung der italienischen Oper in Europa an. Mit „Musicisti europei a Napoli“ fand die erste von vier interdisziplinär angelegten Tagungen des Gesamtprojekts statt, an dem Historiker, Musikwissenschaftler und Philologen beteiligt sind. Nach einem Studientag zum französischen Musikwissenschaftler Jean Lionnet, der im Juni stattgefunden hatte, werden im Mittelpunkt der folgenden beiden Veranstaltungen nun noch Venedig und Rom stehen. Kägler hob hervor, die Tagung zu europäischen Musikern in Neapel zwischen 1650 und 1759 folge dementsprechend auch einigen leitenden Fragestellungen des Gesamtprojekts: Auf welche Art und Weise vollzog sich der Kulturtransfer zwischen den beteiligten Personen und geographischen Räumen? Wie gingen die spanischen, italienischen, französischen, deutschen und osteuropäischen Musiker mit der Frage der nationalen Identität um? Inwiefern nahmen sie Italien als Nation war? Besaßen sie ein Staatskonzept und falls ja, welches? Welche Rolle spielte dabei Neapel? Immerhin war es die größte italienische Stadt der Zeit und eine europäische Kapitale der Musik. Exakt diesem Prozess nachzuspüren, in dem Neapel seine Anziehungskraft in der Welt der Musik entfaltete und zu einem Mythos wurde, stand im Verlauf der Tagung auch stets im Zentrum der Vorträge, die sich mit der Geschichte der Zeichen und Symbole, der Migration und natürlich besonders der Musikgeschichte befassten.

Die erste Sektion zu Orten der Musikproduktion und -rezeption in Neapel eröffnete GIOVANNI MUTO (Neapel) mit einem Vortrag über Musik und adlige Identität im Neapel des 17. Jahrhunderts, der eine hervorragende sozialgeschichtliche Einführung in die Gesamtthematik des Workshops bot. Zu Beginn verwies er auf die Schwierigkeiten der Kommunikation innerhalb der verschiedenen Disziplinen, die oft alle eine eigene Sprache sprächen. Umso wichtiger sei es, im Rahmen einer solchen Tagung eine gemeinsame Sprache zu finden. Er skizzierte kurz die historische Forschung der 1960er- und 1970er-Jahre, die sich auf Modernisierungsprozesse (Max Weber, Federico Chabod) und Themen wie „lo stato moderno“ und Adelsgruppen konzentrierte. Die neuere Forschung hingegen rücke Begriffe wie Familie, Netzwerke und Hof in den Mittelpunkt und bewege sich in den Bahnen einer Sozial- und Kulturgeschichte des Adels. Am Beispiel des Adelsstatuts von Castiglione zeigte er, dass Musik für Adlige eine unabdingbare Notwendigkeit darstellte, die sie im höfischen Kreis – nicht in aller Öffentlichkeit – zu pflegen, verstehen und praktizieren hatten. Neapel und der Mezzogiorno insgesamt öffneten sich dabei im 17. Jahrhundert zusehends europäischen Einflüssen und schlossen zu den Zentren italienischer Zivilisation wie Venedig, Genua und Parma auf. In den Adelspalazzi und besonders bei königlichem Besuch diente die Musik zur Rekreation, indem Adlige instrumental und vokal musizierten.

Sehr anschaulich schilderten im Folgenden DINKO FABRIS (Bari) und ANTONIO FLORIO (Neapel) exemplarisch die Karriere eines Kirchenmusikers im spanischen Neapel. Sie hielten zu Beginn fest, dass Kirchenmusiker, die in den Quellen häufig nur als „artista“ auftauchen, in Neapel mit seinen über 500 Kirchen und mehr als 1.000 angestellten Musikern auf breite Nachfrage trafen. Mit der Entwicklung professioneller Ausbildungsstrukturen begann auch die Blütezeit der neapolitanischen „opera sacra“. Francesco Provenzale etwa avancierte zum mächtigsten Mann der Musik in der Stadt, indem er Musikschulen gründete und Talente auf lange Zeit an sich band. An mehreren Beispielen wie dem Provenzale-Schüler Gaetano Veneziano („Ave Maria Stella“), Alessandro Scarlatti und Cristofero Caresana zeigten sie, wie Neapel in der Sakralmusik gegen Ende des 17. Jahrhunderts Weltruhm erlangte. Interessant schienen, über das Wirkungsfeld der Stadt an sich hinausgehend, auch die Beziehungen zwischen Venedig und Neapel zu sein. Denn außer der Tatsache, dass sich durchaus viele Venezianer in Neapel aufhielten, stellt dieser Aspekt noch ein Desiderat der Forschung dar.

INGA MAI GROOTE (München) leitete mit ihren Überlegungen zur Musik in den neapolitanischen Akademien im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert die zweite Sektion zu städtischer Musik und Kultur ein. Sie präsentierte zunächst die verschiedenen Formen von Musik in den Akademien, die sie als Schule und Ort geselligen Beisammenseins mit kulturellen Zwecken definierte. In einer Typologie fasste sie 15 Akademien der Jahre 1642-1725 in Neapel zusammen. Im Unterschied zu Rom etwa könne man in Neapel eine unregelmäßigere musikalische Aktivität konstatieren. Anschließend stellte sie einige der Akademien wie das Collegio Gesuiti, die Accademia degli Oziosi und die Accademia Medinaceli näher vor. Einhergehend mit der Analyse ausgewählter Musiktexte konnte sie – mit lokalen Unterschieden – die Kenntnis methodischer Reflexion und das Widerspiegeln ausländischer Einflüsse beobachten.

Welch große politische und soziale Rolle die Musik in Neapel im späten 17. Jahrhundert erlangte, veranschaulichte JOSÉ MARÍA RODRÍGUEZ DOMÍNGUEZ (Madrid) auf der Basis neu ausgewerteter Dokumente im historischen Archiv des Banco di Napoli. Er untersuchte die Spielzeit 1696/97 am Teatro di San Bartolomeo, die sich als Saison voller Neuerungen mit mehreren Erstinszenierungen (Scarlatti, Didone delirante; Scarlatti, Commodo Antonino; Bononcini, Il trionfo di Camilla; Scarlatti, L’Emiro) präsentierte. Als wichtigste Person hinter den Kulissen wirkte der Herzog von Medinaceli, der spanische Vizekönig in Neapel. Er begab sich persönlich auf Talentsuche, kontrollierte alle Verträge, betrachtete die Oper in Neapel als Macht- und Propagandainstrument und ließ sich als neuen Aeneas darstellen. Besonders ausländische Sänger und Musiker, die mit der neapolitanischen Szenerie nicht vertraut waren, zeigten sich äußerst dankbar für Medinacelis unternehmerisches Wirken, der bereits in Genua, Rom, Venedig und Turin wertvolle musikorganisatorische Erfahrungen gesammelt hatte.

MARGRET SCHARRER (Halle) wechselte die Perspektive und blickte in ihrem Vortrag durch die Augen der internationalen Besucher auf die Sakralmusik in Neapel. Sie wertete die überlieferten Reiseberichte junger Adliger besonders aus dem Hause Wittelsbach (Kurfürst Karl Albrecht von Bayern, später Kaiser Karl VII. sowie die Prinzen Clemens August und Philipp Moritz) bezüglich potentieller Informationen über die neapolitanische Sakralmusik aus. Im Gefolge jener Adliger reisten häufig bekannte und weniger bekannte deutsche Musiker teils als „Stipendiaten ihres Mäzens“ nach Italien, um den dortigen Stil zu lernen oder italienische Musiker für deutsche Höfe zu rekrutieren. Auf die Kritik arrivierterer Musiker wie Johann Friedrich von Uffenbach, die neapolitanische Aristokratie engagiere sich allzu sehr für sakrale Musik und Heiligenverehrung und vergesse dabei das Erbe der Antike samt der Kunstgeschichte, nahm sie ebenfalls Bezug.

Mögliche künftige Archivrecherchen über ausländische Musiker in Neapel stellte GIULIA ANNA ROMANA VENEZIANO (Rom) zu Beginn der dritten Sektion vor, die sich mit Themen der Reputation des musikalischen Zentrums und der kulturellen Polarisierung beschäftigte. Eine systematisch erhobene Datenbank stehe noch aus, sei aber das Ziel des MUSICI-Projekts. Hierzu präsentierte sie erste Funde aus zahlreichen, teils unerforschten Archivbeständen wie den Archiven der alten neapolitanischen Konservatorien. Auch Recherchen nach potentiellen Musikern auf dem Cimitero delle fontanelle hätten bereits einige Treffer ergeben. In der zweiten Hälfte ihres Vortrags ließ sie einige bekanntere Musiker, darunter Hasse, Händel, Terradella, García und Stuck mit musikalischen Auszügen sprechen. Abschließend wies sie darauf hin, dass die älteren dieser Musiker meist kein Mitglied (figlioli) der Konservatorien, sondern eher Privatschüler der dortigen Maestri waren.

DANIEL BRANDENBURG (Wien/Bayreuth) setzte mit seinen Ausführungen über das Musiktheater in Neapel um die Mitte des 18. Jahrhunderts den Schlusspunkt der Vorträge. Er begann mit der Feststellung, dass Neapel um 1750 – anders als noch hundert Jahre zuvor – schon immer Teil der „Grand Tour“ und die Hauptstadt der Musik gewesen zu sein schien. Er näherte sich dem Thema des Kulturtransfers anhand einer Analyse der zeitgenössischen Reiseliteratur aus der Feder von „Kulturtouristen“: Adligen, Politikern und Fürsten. Hierbei schilderte er zunächst, wie Neapel Venedig als Musikhauptstadt abzulösen begann. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch die neapelkritischen Stimmen überwogen, brachte die Einweihung des Teatro di San Carlo im Jahr 1737 die Wende. Von nun an lobten alle Beobachter teils überschwänglich den kulturellen Reichtum der Stadt, die Ausbildung der Kastraten und die „schönste Musik in Europa“. Im zweiten Teil seines Referats ließ Brandenburg ausgewählte deutschsprachige Musiker wie Holzbauer, Quantz, Gluck, Händel und Hasse zu Wort kommen, die in der Regel dank eines Mäzens nach Neapel reisen konnten.

An das Eingangszitat aus Mozarts „Così fan tutte“ anknüpfend, bemerkte MÉLANIE TRAVERSIER zu Beginn ihres Schlusswortes, ein Erfolg in Neapel sei besser gewesen als hundert Erfolge in Deutschland. Zu Recht hätten mehrere Referate auf die erste Migrationswelle der in Neapel ausgebildeten Musiker in den 1720er-Jahren und auf den Ruhm des Teatro San Carlo gegen Mitte des Jahrhunderts hingewiesen. Über das Wirken ausländischer Musiker in Neapel wisse man immer noch viel zu wenig. Besonders Giulia Venezianos Projekt gebe jedoch Anlass zur Hoffnung. Allerdings müsse man auch das Gesamtprojekt nochmals mit Blick auf Methodik und Quellen kritisch reflektieren. Ein mehrfach angesprochener Punkt war das große Potential, das ein Vergleich zwischen Venedig und Neapel in sich trage. Die Notation „Hauptstadt der Musik“ gelte es im Transfer von Venedig nach Neapel näher zu untersuchen. Neapels Stärken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lagen besonders im Bereich der Konservatorien und der Sakralmusik, was den Triumph Venedigs rund einhundert Jahre zuvor etwas relativiere. Einen wesentlichen Faktor für den musikalischen Aufstieg Neapels bildete ferner die direkte Intervention des spanischen Vizekönigs in das Musikgeschäft. Musiktheater habe dabei nur eine mögliche Form der Musik repräsentiert, die den neapolitanischen Adel interessierte, die aber zugleich neben Tanz und weiteren Elementen zu einer neuen Identität beigetragen habe. Womit ein letzter Aspekt thematisiert wurde: die Verbindungen zwischen Musik und Politik. Letztere habe immer wieder auf verschiedene Art und Weise interveniert und möglicherweise mit dazu beigetragen, dass Neapel keinen allzu großen Bedarf an ausländischen Musikern aufwies. Am Ende dieses ersten von vier interdisziplinär angelegten Studientagen stand die Erkenntnis, dass Fortschritte in der musikhistorischen Forschung zur Zeit des Barock vor allem dann erkennbar werden, wenn man sich nicht nur auf die berühmten Namen konzentriere. In diesem Sinne solle man die Recherchen zu entsprechenden Archivarbeiten intensivieren. Man darf also auf die folgenden Studientage in Rom (November 2010) und Venedig (Mai 2011) sowie den Fortgang des MUSICI-Projektes gespannt sein.

Konferenzübersicht:

Johanna Wand (Neapel), Britta Kägler (Rom), Mélanie Traversier (Paris): Begrüßung

Britta Kägler (Rom): Einführung

1. Sektion: Luoghi di produzione e ricezione musicali a Napoli
Moderation: Mélanie Traversier (Paris)

Giovanni Muto (Neapel): Musica e identità nobiliare a Napoli nel Seicento

Dinko Fabris (Bari)/Antonio Florio (Neapel): La carriera del musicista da chiesa nella Napoli spagnola

2. Sektion: Musica e cultura urbana
Moderation: Florian Bassani (Rom)

Inga Mai Groote (München): La musica nelle accademie napoletane del tardo Seicento

José María Domínguez Rodríguez (Madrid): La stagione 1696-1697 nel Teatro di San Bartolomeo a Napoli

Margret Scharrer (Halle): La musique sacrée à Naples vue par les voyageurs

3. Sektion: Reputazione del centro musicale e polarizzazione culturale
Moderation: Britta Kägler (Rom)

Giulia Anna Romana Veneziano (Rom): Fonti per la ricerca d’archivio sui musicisti stranieri a Napoli: un possibile itinerario

Daniel Brandenburg (Wien/Bayreuth): Partenope trionfante: musicisti e teatro in musica a metà Settecento

Mélanie Traversier (Paris): Schlusswort


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