„Träger, Ziele und Mittel politischer Bünde im Mittelalter“ standen im Mittelpunkt einer Tagung, die das SNF-Projekt „Bündnis, Stadt und Staat 1250-1550“ am 9. und 10. September in Fribourg ausrichtete. Der Fokus lag dabei auf den politisch handelnden Personen und gesellschaftlichen Gruppen, die Bündnisse verantworteten und gestalteten, wie REGULA SCHMID KEELING (Fribourg) in ihrer Einführung betonte. Über eine „handlungsorientierte Sozialgeschichte politischer Bünde im Mittelalter“ solle ein neuer Zugriff auf die Organisationsform „Bund“ gewonnen werden, der die bislang stark verfassungsgeschichtlich ausgerichtete Perspektive der Forschung erweitere. Bündnisse, so die Prämisse, schufen neue Rollen für ihre Träger unterschiedlichster sozialer, rechtlicher und funktionaler Stellung, sowohl innerhalb der Bünde als auch in dem gesellschaftlichen Kontext, dem sie entstammten. Diese soziale Dynamik anhand konkreter Fallbeispiele zu erfassen und im vergleichenden Ansatz für die Bündnisforschung fruchtbar zu machen war das Hauptanliegen der Tagung. Dem komparatistischen Anspruch der Veranstalter entsprechend reichten die analysierten Bündnisse vom südlichen Alpengebiet bis in den norddeutschen Raum, vom 12. bis ins 16. Jahrhundert und umfassten Städtebünde oder reine Adelsbündnisse ebenso wie gemischte Bündnisse und Organisationsformen wie die Hanse.
PAOLO OSTINELLI (Zürich/Bellinzona) wandte sich mit seinem Vortrag zu Städtebünden im südalpinen Raum nicht nur den südlichsten, sondern auch den frühesten auf der Tagung vorgestellten Bündnissen zu. Als juristische „Innovation“ in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts im Zuge einer lokalistischen Umlandspolitik der Städte entstanden, hätten sich die Bündnisse in den folgenden Jahren zunehmend formalisiert, bis hin zur Kulmination im „Superbund“ des ersten Lombardenbundes, der mehrere kleine Bündnisse zusammenführte und institutionell festigte. An der Wende zum 13. Jahrhundert erfuhren die Bündnisse schließlich eine Bedeutungsverschiebung, die sich auch an ihren Trägern ausmachen lasse. Stellten im 12. Jahrhundert noch die neuen bündnisinternen Ämter, die Schiedsrichter und später die rectores des Lombardenbundes den wichtigsten personellen Faktor des Zusammenhaltes von Städtenetzen dar, übernahmen diese Funktion im 13. Jahrhundert die aus anderen Kommunen gewählten Podestà. Die Bedeutung von Bündnissen als Ordnungsfaktor des territorialen Raumes schwand somit zugunsten anderer Netzwerke.
JEAN-DANIEL MOREROD (Neuchâtel) legte seinen Fokus auf die mögliche Funktion von Bündnissen am Beispiel der Militärbünde zwischen Jura und Aare im Kontext des Konflikts zwischen Savoyen und Habsburg zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Die von ihm analysierten ligues erwiesen sich als deutlich schwächer als ihre Gegner. Die extreme Aggressivität, die diese Bündnisse rhetorisch und juristisch demonstrierten, diene somit vor allem der Abschreckung. In Anlehnung an die im Kalten Krieg entwickelte deterrence theory sei das rhetorische Waffengeklapper und die formal in den Bündnisverträgen festgehaltene Unvermeidlichkeit des Krieges auch für einzelne Teilhaber der Bündnisse (etwa durch Verbot von Separatfrieden) eher als Versuch zu verstehen, einen militärischen Konfliktaustrag zu verhindern.
Der schwierigen Frage nach einer Terminologie der Bündnisse ging HEINRICH SPEICH (Fribourg) in seinem Vortrag zu Schweizer „Burgrechten“ nach. Der seit dem 11. Jahrhundert bekannte Begriff der „burgensia“ oder des „Burgrechts“, durch seine Vielzahl an Bedeutungsvarianten bisher keiner eindeutigen Definition unterzogen, wurde in der späteren Eidgenossenschaft zur Bezeichnung politischer Bündnisse auch in Kombination mit den jeweiligen Stadtrechten verwandt. Auch frühere und anders benannte Bündnisse ließen sich jedoch in diese Typologie einordnen, wie am Beispiel der Bündnisse zwischen Fribourg und Bern vom 13. bis ins 15. Jahrhundert ersichtlich werde. Dieses Bündniskonglomerat, so das Ergebnis, zeige somit exemplarisch die Problematik des Terminus, aber auch die Chance einer Begrifflichkeit für eine äußerst flexible Bündnisform auf.
Der geschickten Erweiterung von niederadeligen Handlungsspielräumen auf der Ebene des „interdynastischen Adels“ ging HEINZ KRIEG (Freiburg im Breisgau) anhand der Bündnispolitik der Markgrafen von Baden mit dem Ortenauer Adel nach. Die höhergestellten Markgrafen hätten dabei in einem Moment der gemeinsamen Krise (1474) nur als „Geburtshelfer“ eines Bündnisses fungiert, ohne im Folgenden eine besonders dominante Rolle im neu geschaffenen Bündnissystem einnehmen zu können. Der ursprünglich als Schutzbündnis gegen die Pfalz geschlossene Bund führte nicht zu der von Markgraf Karl I. erhofften Erweiterung der Einflusssphäre Badens, sondern zu einer erstarkten Selbständigkeit des Ortenauer Niederadels, die letztendlich ein Gegengewicht zu den expansiven Territorialisierungsbestrebungen der Markgrafen darstellte.
HARM VON SEGGERN (Kiel) untersuchte die Informations-, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen der Hanse anhand der Verhaftung mehrerer Hansekaufleute durch den englischen König Eduard IV. im Jahre 1468. An den Laufzeiten der Briefe, den Ergebnissen der Hansetage und dem diplomatischen Agieren der Städte mit Kaiser und Reichsfürsten, den Königen von Dänemark und Polen und dem Hochmeister des Deutschen Ordens lasse sich ein funktionierendes Kommunikationsnetzwerk, jedoch ein schwacher gemeinsamer politischer Wille festmachen. Die Hanse erweise sich hier weniger als Interessensverband denn als ein Kommunikations- und Koordinationsverbund mit dem Ziel der Privilegienwahrung. Hinsichtlich der Frage nach den Trägern dieses Kommunikationsverbundes müsse vor allem die personelle und politische Verflechtung zwischen den institutionell agierenden Amtsträgern der Hansestädte und den betroffenen Hansekaufleuten präsent bleiben.
Ausgehend von der späteren Rezeption des mythenumwobenen Bundesbriefs von 1291 zwischen Uri, Schwyz und Unterwalden fragte KLARA HÜBNER (Fribourg) nach der Materialität von städtischen Bündnisurkunden. Im Zentrum stand dabei die Frage nach der repräsentativen Funktion der Urkunden und somit der Öffentlichkeit von Bündnissen. Auch wenn eine Gesamtbewertung durch die Quellenlage schwer fällt, sprächen zumindest die spätmittelalterlichen feierlich ausgestalteten Beispiele für eine Repräsentationsfunktion und somit auch für eine breitere Rezeption des durch die Urkunde materiell fassbaren Bündnisaktes.
STEFANIE RÜTHER (Münster/Westfalen) ging in ihrem Vortrag zum Schwäbischen Städtebund (1376-1389) der Frage nach, wer in einem Bündnis nach dessen Abschluss agierte. Aufgrund der militärischen Ausrichtung des Bundes und des hohen Integrationsfaktors von Kriegszügen für die Bundgemeinschaft müsse in erster Linie eine militärische Trägerschaft angenommen werden. Eine strikte Trennung zwischen politischen und militärischen Akteuren, aber auch zwischen Entscheidungsträgern und Kämpfenden lasse sich bei genauerem Hinsehen jedoch kaum aufrechterhalten. Die Kriegshandlungen seien von den Kriegshauptleuten, die oft zugleich auch Ratsleute und Bürgermeister waren, ebenso wie von privaten Kriegsunternehmern, Söldnern und den Kämpfenden selbst bestimmt. Dies müsse bei einem methodischen Zugang über den Begriff der „Trägerschaft“ berücksichtigt werden.
Im Mittelpunkt des Werkstattberichts von PETER NIEDERHÄUSER (Winterthur) standen ebenfalls Träger städtischer Bündnispolitik, diesmal jedoch im Rahmen nicht freier „Kleinstädte“. Inwiefern eine eigenständige Bündnispolitik trotz politischer Abhängigkeit möglich war, zeigte das Beispiel der zwischen Zürich und den Habsburgern lavierenden Kleinstadt Winterthur und ihrer innerstädtischen Interessensgruppen im Spätmittelalter. Der Untersuchungsrahmen der Kleinstadt ermöglichte dabei eine Identifizierung der Träger der Winterthurer Bünde als einzelne Ratsherren, die häufig aus personellen Beweggründen (Dienstverträge oder materielle Vorteile beispielsweise) Bündnisse mit Zürich oder Anschluss an die Habsburger suchten und somit die „Außenpolitik“ Winterthurs prägten.
MARTIN KINTZINGER (Münster/Westfalen) ging schließlich der Frage nach, welche Bedeutung das Scheitern mittelalterlicher Bündnispolitik und generell mittelalterlicher Diplomatie einnahm bzw. wie man diplomatisches Scheitern überhaupt zu definieren habe. In einem Bogen über Montaigne, Émile Durkheim und Niklas Luhmann wurde das Scheitern von Bündniszielen in den Kontext der Normveränderungen verortet wie an Verhandlungsbeispielen aus der Umbruchszeit des Hundertjährigen Krieges deutlich zu sehen sei. Die Praxis der Geiselstellung, der Schlachtentod Johanns des Blinden im Vergleich zum Agieren seines Sohnes Karl IV., die Sicherheitsmaßnahmen bei Fürstentreffen nach dem Mord an Johann von Burgund und die Verhandlungspraxis der europäischen Großen zeigten auf, wie im Rahmen solcher Normveränderungen politisches „Ehrgefühl“ durch politischen Pragmatismus verdrängt worden sei und folglich ein „intendiertes Scheitern“ von Verhandlungen und Vereinbarungen ermöglicht wurde.
In der Zusammenfassung von HANS-JOACHIM SCHMIDT (Fribourg) wie auch in der nachfolgenden Abschlussdiskussion schien einer der maßgeblichen Aspekte auf, der die Tagungsteilnehmer beschäftigte: die Vielgestaltigkeit der Bündnisse wie auch ihrer Träger. Die auf der Tagung vorgestellten Beispiele umfassten unterschiedlichste Vereinbarungen, die von kurzfristigen Abmachungen bis hin zu stabilen Systembildungen reichten und die gesamte Bandbreite geographischer, ständischer und politischer Vielfalt widerspiegelten. Hans-Joachim Schmidt fasste die hierbei aufgeworfenen Ergebnisse und Fragen unter den Oberbegriffen „Typologie“, „Ziele und Inhalte“, „Vorbilder und Vorläufer“, „Formen“, „Institutionen“ und schließlich „Träger und Akteure“ nochmals zusammen. Dabei wurde vor allem deutlich, dass Bünde und Bündnisse in ihrer Diversität und häufig auch gegensätzlichen Funktion und Zielsetzung und nicht zuletzt durch ihre Träger die gesamte mittelalterliche Lebenswelt durchzogen, was zu der Frage veranlasste, wo die methodische Trennung zwischen Bündnissen und anderen Formen der institutionalisierten oder informellen Vereinigung (etwa adelige Freundschaft, Handelskompagnien, Bruderschaften, Konnubium) zu ziehen sei und wie man diese mit der schwierigen Unterscheidung von „öffentlich“ und „privat“ in der Mediävistik vereinbaren könne. Die Definition eines Ideal- oder gar Realtypus des mittelalterlichen politischen Bündnisses, so der Konsens in der Diskussion, sei aber weder möglich noch intendiert; das Hauptanliegen der Tagung sei das Aufbrechen der statischen historiographischen Situation und das Aufwerfen neuer Forschungsperspektiven gewesen, was durch den sozialgeschichtlichen und hierin vor allem handlungsorientierten Zugang und die breite geographische wie auch soziale Streuung der vorgestellten Bündnisse und ihrer Träger durchweg gelungen sei.
Trotz der vielen offen gebliebenen und neu aufgeworfenen Fragen machte die Tagung in ihrer Gesamtheit deutlich, dass eine Bündelung entsprechender Forschungsperspektiven und methodischer Ansätze einen wichtigen Schritt zu einer als solcher nicht etablierten Bündnisforschung darstellen kann, die über die Beschäftigung mit einzelnen Bündnissen oder Bündnisräumen hinausgeht.
Konferenzübersicht:
Teilhaber der Bünde
Moderation: Bernhard Andenmatten (Lausanne)
Regula Schmid Keeling (Fribourg): Prolegomena zu einer Sozialgeschichte politischer Bündnisse im Mittelalter
Paolo Ostinelli (Zürich/Bellinzona): Bündnisse im südalpinen Raum
Jean-Daniel Morerod/Grégoire Oguey (Neuchâtel): Préparatifs de guerre ou gesticulation? Les ligues militaires entre Jura et Aare au début du XIVè siècle
Heinrich Speich (Fribourg): Burgrechte als Wille und Vorstellung. Akteure und Publikum einer flexiblen Bündnisform
Ausführende der Bünde
Moderation: Claudius Sieber-Lehmann (Basel)
Heinz Krieg (Freiburg im Breisgau): Zwischen fürstlichem Anspruch und sozialer Wirklichkeit: Die Markgrafen von Baden als Bündnispartner
Harm von Seggern (Kiel): Ereignis und Beschluss. Die Verhaftung der Hansekaufleute durch den englischen König im Jahr 1468 und die Reaktion der Hansestädte
Klara Hübner (Fribourg): Der Stoff aus dem die Bünde sind. Materialität spätmittelalterlicher Bündnisurkunden in Gebrauch und Projektion
Vermittler der Bünde
Moderation: Martina Stercken (Zürich)
Stefanie Rüther (Münster/Westfalen): Ratsherren auf Kriegszug? Die Stellung der Hauptleute des Schwäbischen Städtebundes (1376-1390) zwischen Kompetenz und Kontrolle
Peter Niederhäuser (Winterthur): Ratsherren und Bündnispolitik in kleinstädtischem Umfeld. Das Beispiel Winterthur
Martin Kintzinger (Münster/Westfalen): Strategien des Scheiterns. Alternative Erfolge in der Diplomatie des europäischen Spätmittelalters
Hans-Joachim Schmidt (Fribourg): Zusammenfassung und Schlussdiskussion