In den Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften hat in den letzten Jahren der „Netzwerk“-Begriff eine vordere heuristische Position eingenommen. Gleichzeitig erlebten die Geisteswissenschaften unter dem Signum des „spatial turn“ eine Wiederentdeckung des „Raumes“, der nun längst nicht mehr geopolitisch, sondern vielmehr „relational“ nach sozialen, ökonomischen, politischen und anderen Anordnungen verstanden und analysiert wird. Der oben genannte Workshop im Internationalen Begegnungszentrum in Kiel zielte vom 28. bis 29. Oktober 2010 darauf ab, diese beiden aktuellen Forschungsstränge miteinander zu verbinden, um die Frage nach der „Raumbildung durch Netzwerke“ methodisch zu prüfen und am Beispiel des Ostseeraumes zwischen Römischer Kaiserzeit und Spätmittelalter zu operationalisieren. Dabei sind – neben vergleichenden Ortsstudien – vor allem die verschieden gelagerten Verbindungen zwischen Orten in ihrer Raumbildungswirkung betrachtet worden. Veranstalter waren Sunhild Kleingärtner (Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Kiel), Gabriel Zeilinger (Historisches Seminar, Universität Kiel) in Kooperation mit der Graduiertenschule „Human Development in Landscapes“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
SUNHILD KLEINGÄRTNER und GABRIEL ZEILINGER (beide Kiel) hoben in ihrem einleitenden Vortrag die Herausforderung der Tagung hervor, die unter anderem darin bestünde, dass sie durch die Zusammenschau der beiden Nachbarfächer, Ur- und Frühgeschichte sowie Geschichtswissenschaften, bestritten würde. Um der Frage nach Raumbildung durch Netzwerke auf den Grund zu gehen, böten die unterschiedlichen Quellen und damit auch eigenen Methoden der beiden Fächer nicht nur eine Herausforderung, sondern zugleich auch eine Möglichkeit, sich der Fragestellung aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Kleingärtner betonte dabei explizit, dass Raum sowohl physisch als auch sozial verstanden werden solle. Netzwerke als raumschaffendes, bzw. verbindendes Element von Räumen können sowohl sozial als auch ökonomisch oder politisch geprägt sein, wobei verschiedene Räume und Netzwerke dynamisch seien und sich gegenseitig überlagerten, sowohl horizontal als auch vertikal. Zeilinger stellte heraus, dass der Raum eine Kategorie sei, „ohne die menschliches Handeln nicht denkbar, dokumentierbar oder deutbar ist.“ Doch zeigten die jahrhundertelange Monarchisierung bzw. Etatisierung des Begriffs und insbesondere die Verbrechen, die im 20. Jahrhundert auch im Namen von ‚Geopolitik‘ und ‚Lebensraum‘ ausgeführt wurden, wie problembeladen dieser sei. Bereits seit den 1980er- und 1990er-Jahren würde „Raum“ in der historischen Wissenschaft als Themenfeld unter neuen Vorzeichen wieder entdeckt, sei aber in der Geschichte als fachgliederndes Merkmal immer latent vorhanden gewesen, wie die Unterteilungen in regionalgeschichtliche Komplexe bewiese. Dabei sei aber das eigentliche Novum, Raum nicht mehr nur auf geographische Größen zu stützen, sondern ernst zu nehmen, dass schon für die Zeitgenossen „politische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Identitäten und Alteritäten“ raumbildend gewesen seien. So lasse sich der Raumbegriff auch auf Quellenüberlieferungen anwenden, indem man anerkenne, dass diese auch ihre je eigenen Räume bilden. Damit eng verbunden sei die Frage nach dem sozialen und ökonomischen „Wo und Wie“, die sich vor allem mit Mitteln der Netzwerkforschung beleuchten lasse. Insbesondere in der Untersuchung historischer, vormoderner Städtelandschaften fänden Netzwerkanalysen Anwendung in der neueren Forschung zur Funktionskategorisierung bzw. als Hilfskonstrukt für nachweisbare Funktionen und deren Vernetzung. Im Gegensatz zu anderen Wissenschaften, so Sunhild Kleingärtner, werde der Netzwerkbegriff in der Archäologie methodisch nicht einheitlich verwendet. Hinzu käme die Begriffsvielfalt, da die im archäologischen Sprachgebrauch verwendeten Termini unterschiedlichen Disziplinen entlehnt seien, wie beispielsweise der Mathematik oder den Kulturwissenschaften. Kleingärtner verwies abschließend auf drei limitierende Faktoren, die es bei archäologischen Netzwerkanalysen zu berücksichtigen gelte: Erstens seien Netzwerke nicht durch sich selbst erfassbar, sondern nur durch ihre Ausgangs- und Endpunkte. Die Prozesse zwischen diesen beiden Punkten können nicht direkt erfasst, sondern müssen indirekt erschlossen werden. Zweitens stehe Nachweisbarkeit verschiedener Netzwerkebenen in Abhängigkeit zu der Art des Fundmaterials. Fernbeziehungen seien leichter als Nahbeziehungen zu fassenUnd drittens erwschwere die hohe Varianz innerhalb des Materials unterschiedlicher Plätze den Vergleich. Zudem könne dies erhaltungs-, verteilungs- und/oder funktionsbedingte Ursachen haben. Die Problematik dermaterial- oder prozessbedingtheit der Unterschiedeerschwere zusätzlich die quantitative Erfassung von Netzwerken.
In den historischen Wissenschaften gab es besonders in den Jahren 2009 und 2010 mehrere Netzwerktagungen. Beziehungs- und Systemwechsel seien bereits früher in der Geschichtswissenschaft untersucht worden, ohne dass diese als Netzwerke bezeichnet wurden. So seien bereits in den 1970er-Jahren persönliche Beziehungen im Mittelalter analysiert worden, vor allem unter Gesichtspunkten der ökonomischen Vernetzung innerhalb der Hanse. Zur allgemeinen Betrachtung von Netzwerken warf Zeilinger fünf Thesen in den Raum. Erstens: Nicht alles, was in der Forschung „Netzwerk“ genannt wird, sei auch eines; nicht alles, was in der Forschung nicht „Netzwerk“ genannt wird, sei keines. Zweitens: Netzwerke können zwar eine bemerkenswerte Stabilität aufweisen, sind aber auch einer steten Dynamik unterworfen, die wiederum mit den Mitteln der Graphik nur unzureichend darstellbar ist. Drittens: Es sei immer wieder zu fragen, was die Kanten und Knoten eines Netzwerkes eigentlich darstellen, was bzw. wer dahintersteht. Viertens: Für das Funktionieren von Netzwerken ist Vertrauen, dieses so schwer bestimmbare Phänomen, unerlässlich. Wie Vertrauen durch Lebensformen, Normen und Praktiken bewiesen bzw. unterstützt wird, ist für die Netzwerkforschung elementar. Fünftens: Man müsse sich immer und immer wieder vergegenwärtigen, dass Netzwerke – ausgewiesen in zeitgenössischer Terminologie und sozialer Praxis – durchaus nachweisbar, aber als Begriff und Phänomen eben Hilfskonstrukte der Geschichtsvorstellung sind.
Nach ALEXANDRA PESCH (Schleswig) sei mit dem Aufkommen des Tierstils I während des 5. Jahrhunderts im nord- bis mitteleuropäischen Raum das Bildprogramm der germanischen Kunst nahezu kanonisiert worden. Diese Tradition erstrecke sich über den Tierstil II bis in die Vendel- und Wikingerzeit. Einen Zeitraum, in dem es zur Herausbildung erster eigenständiger staatlicher Strukturen im Ostseeraum kam. Pesch ging während ihres Vortrages zudem der Frage nach, ob diese künstlerische Vereinheitlichung mit politischen Netzwerken in Verbindung stehen könnte. Vor allem durch Betrachtung der Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit in Beziehung zu den nordeuropäischen Zentralorten, die in engem Austausch in der Auswahl und Gestaltung der Brakteaten gestanden hätten, kam die Referentin zu dem Schluss, dieser Austausch müsse durch enge Verknüpfungen der politischen Eliten und deren Austausch getragen worden sein.
ANDRES DOBAT (Århus) stellte anhand der Siedlungsstrukturen und Fundmaterialzusammensetzung Haithabus und der bislang bekannten, zeitgleich bestehenden Siedlungen im Schleiraum das Zentralplatzmodell dem Netzwerkgedanken zur Interpretation frühstädtischer Zentren entgegen. Einleitend hob er hervor, dass die frühen Städte Skandinaviens keineswegs, wie häufig dargestellt, denselben Entstehungshintergrund hätten. Er verwies auf die im 9. Jahrhundert zu beobachtende Nähe Haithabus zum sächsischen, fränkischen und friesischen Raum sowie die fehlende Einbindung des Handelsplatzes in die Verteidigungsanlagen des Danewerks. Erst im 10. Jahrhundert, mit der Ausbildung einer ausgreifenden Zentralmacht in Dänemark durch die Jellinge-Dynastie, haben auch Haithabu und sein Umland eine stärkere Annäherung erfahren, unter anderem durch die nun erfolgte Einbindung Haithabus in das Danewerk. Dies konnte auch anhand der Tierknochenanteile dargelegt werden. Zusammenfassend zog der Referent den Schluss, dass das Zentralplatzmodell nicht zwingend auf frühstädtische Siedlungen anwendbar sein müsse, denn es gehe zwingend davon aus, dass das Umlandzur Versorgung des Hauptortes gedient habe.
Einen eher philosophischen Ansatz verfolgte THOMAS MEIER (Heidelberg) in seinem Abendvortrag „Räume als Netze des Fremden“. Für seine Überlegungen stand der soziale Raumbegriff Pate, der sich durch Netzwerkanalysen am besten beschreiben lasse. Allerdings wählte Meier für seine Überlegungen eine andere Raumperspektive: Netzwerkanalysen stellten stets das gesamte Beziehungsgeflecht eines Netzwerkes aus der „Vogelperspektive“ dar. Die einzelnen Akteure überblickten hingegen nur Ausschnitte dieser Verflechtungen aus der „Froschperspektive“, die durch ihre, dem jeweiligen Zeitpunkt entsprechende, sinnliche Wahrnehmung geprägt sei. Zur Begrenzung dieses individuellen Raumeindrucks stellte Meier mehrere Begriffe gegenüber, wie das „Hier“ dem „Dort“, das „Nah“ dem „Fern“, das „Anwesend“ dem „Abwesend“ und als zeitliche Komponente das „Jetzt“ dem „Nicht-Jetzt“. Eine Erweiterung dieses aktuell fassbaren Raums sei dagegen nur durch Erinnerung möglich. Hierbei sei das „autobiographische Erinnern“ ebenso eine Strategie zur Vergegenwärtigung von Räumen außerhalb der persönlichen Wahrnehmung, wie die Fremderinnerung durch Erzählungen oder Objekte, die das eigene Raumbild von Orten erweitern könnten, welche das Individuum selbst nicht erfahren habe und somit auch nicht erinnern könne. Insbesondere Fremdgüter spielten hierbei für die Archäologie eine entscheidende Rolle, da diese als einzige „Erinnerungsquelle“ im Fundmaterial zu Verfügung stünden. Limitierender Faktor hierfür sei allerdings vor allem, ob ein fremder Gegenstand überhaupt als solcher wahrgenommen werde. Als Beispiel führte Meier die im Ostseeraum des Frühmittelalters zirkulierenden islamischen Münzen an, die zwar fremden Ursprungs seien, aber derart massiert aufträten, dass sie möglicherweise im Alltag nicht mehr als fremd wahrgenommen wurden.
SØREN SINDBÆK (York) ging der Frage nach, ob Netzwerkanalysen eine Daseinsberechtigung in der Archäologie haben und wenn ja, in welcher Form. Als Potential für derartige Analysen führte Sindbæk an, dass sich Kommunikationswege über Räume erstreckten und dabei zugleich einem steten Wandel unterworfen seien. Entsprechend enthielte das reichhaltige Fundmaterial zwei Aspekte, die durch Netzwerkanalysen bewältigt werden könnten. Zum einen sei es die Menge des Materials selbst, welche einer formalen Analyse bedürfe. Zum anderen seien die Auffindungsorte des Materials per se bekannt und oftmals auch deren Herkunftsgebiete, die entsprechend die Frage nach den Kommunikationswegen aufwürfen, über die das Material an seinen Auffindungsort gelangte. Doch genau hierin läge das Problem: Die Kette zwischen Ausgangs- und Endpunkt eines Kommunikationsweges ist unbekannt. Sindbæk spricht in diesem Zusammenhang von einer „Black Box“, die verschleiere, welche Prozesse zwischen Ausgangs- und Endpunkt einer Kommunikationsroute lägen. Im schlimmsten Fall sei sogar nur das Ergebnis fassbar, und Ausgangspunkte wie Prozesse blieben vollständig im Dunkeln. Am Beispiel eigener Netzwerkanalysen zu Keramikgruppen und Specksteingefäßen der Wikingerzeit in Nordeuropa verdeutlichte der Referent dieses Problem. Insbesondere bei der Verbreitung der Specksteingefäße konnte er deutlich machen, dass die Verbreitung durch verschiedene Faktoren bedingt sein könne, die in einer Netzwerkanalyse nicht fassbar seien. In seinem Fazit betonte Sindbæk, dass eine Netzwerkanalyse das „Black-Box“-Problem nicht lösen, aber dafür durch die Ordnung des Fundmaterials bislang unerkannte Regelhaftigkeiten aufzeigen könne.
Nach HENDRIK MÄKELER (Uppsala) böten Münzen, als eine der größten Materialgruppen des Frühmittelalters, die Möglichkeit, auf einer breiten Materialgrundlage Aussagen über Austausch und Kontakte Nordeuropas während der Wikingerzeit zu machen. Der Referent betrachtete dabei das Material unter drei klassisch numismatischen Aspekten, wie der Münzbildbetrachtung, der Stempelkritik und der Auswertung von Münzmeisternennungen auf den Geprägen. Anhand dieser Methoden konnte Mäkeler nachweisen, dass gewisse Münztypen zu bestimmten Zeiten nicht nur wegen ökonomischer Bevorzugung kopiert wurden, sondern dass dahinter auch ein enger Austausch der jeweils münzprägenden Gebiete untereinander bestand. Denn durch stempelkritische Untersuchungen und die Auswertung der Münzmeisternamen sei nachzuweisen, dass Münzstempel und Münzmeister beispielsweise zu Zeiten Knuts des Großen zwischen Dänemark, Südschweden und England zirkulierten. Somit also auch eine politische Vernetzung der einzelnen Regionen im Fundmaterial sichtbar gemacht werden könne.
ULRICH MÜLLER (Kiel) vollzog den zeitlichen Sprung in das Hochmittelalter und somit in historische Zeiten des Ostseeraums. Am Beispiel der (Hanse-)Städte Lübeck, Kolberg, Stettin, Stralsund und Greifswald verdeutlichte Müller, dass Seestädte während des Hochmittelalters nicht einfach „auf der grünen Wiese“ entstanden, sondern das Ergebnis komplexer Mechanismen zwischen lokalen und regionalen Interessensträgern gewesen seien, die im Ostseeraum zueinander in Kontakt standen.
KARSTEN IGEL (Münster) beleuchtete am Beispiel Greifswalds, unter Berücksichtigung politischer wie merkantiler Eigenheiten, die Frühphase(n) einer Hansestadt und wie sie sowohl durch das Netzwerk der Hanse als auch durch regionale herrschaftliche Faktoren beeinflusst wurde(n).
DANIEL ZWICK (Kiel) stellte unter anderem die Nachsegelung einer im See-Itinerar des liber census Daniae beschriebenen Routen vor und machte den Versuch, archäologisch bekannte Schiffswracks und skandinavische Gemarkungsnamen mit Änderungen der Schiffsbautradition und damit begleiteten Anpassungen der Routen in Verbindung zu bringen.
MIKE BURKHARDT (Kassel) wählte einen eher kritischen Ansatz für seinen Vortrag, den er mit der Hinterfragung des Hanseraums als einheitlichen Kulturraum einleitete. Unabhängig von einer fraglichen kulturellen Identität wies er darauf hin, dass die verbindenden Glieder der Hanse im Ostseeraum die „Beziehungsgeflechte“ bzw. „-felder“ gewesen seien, und betonte, dass diese Vokabeln die Zusammenhänge besser beschreiben würden als der Netzwerkbegriff. So stufte er diese Felder in drei Kategorien ein: wirtschaftlich, sozial und kulturell. Die ersten beiden seien in den Handelsgeschäften der Hanse sehr stark miteinander verknüpft gewesen, und der kulturelle Aspekt war durchaus auch Mittel zur Erreichung sozialer und wirtschaftlicher Ziele. Das Wesen dieser Geflechte sei vor allem ihre Veränderlichkeit. Sichtbar werde dies darin, dass ein persönlicher „Zuwachs“ im sozialen oder wirtschaftlichen Feld immer zu einem Anwachsen des jeweils anderen führte, ebenso wie Einbrüche entsprechende Konsequenzen gehabt hätten. Zugang zu den sozialen sowie wirtschaftlichen Feldern habe dagegen häufig nur Mitgliedern des dazu passenden kulturellen Feldes offen gestanden. Durch die Anordnung der einzelnen Netzwerkmitglieder im Raum bedürfte es neben der „Software“ des Beziehungsgeflechts selbst auch der „Hardware“ der Transportmittel. Zugleich sei die „Software“ im Spätmittelalter allerdings am Ende des 15. Jahrhunderts einem Wandel unterworfen gewesen. Die Besetzung der einzelnen Knotenpunkte im Netzwerk mit Blutsverwandten sei durch Personen abgelöst worden, die miteinander vor allem in sozialen Institutionen, wie Gilden oder Bruderschaften, verbunden waren. Diese Entwicklung sei nur vor dem Hintergrund des Normativs der engen Verflechtung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Ebenen möglich. Denn ein Zuwiderhandeln gegen die Gepflogenheiten des Beziehungsgeflechts hätte zugleich den Ausschluss aus diesem bedeutet und somit nicht nur zu einem Prestige-, sondern auch vollständigen Finanzverlust des Individuums geführt.
ANJA MEESENBURG (Kiel/Rom) gelang es, anhand der reichen Überlieferungslage die Bedeutung und Nutzung von persönlichen Beziehungen Lübecker und Lüneburger Patrizierfamilien für die Besetzung hochrangiger Pfründen nachzuweisen und damit Netzwerkbeziehungen nicht nur aufzuzeigen, sondern auch zu qualifizieren.
CARSTEN JAHNKE (København) betrachtete vor allem die Verknüpfung von religiösen Bruderschaften, Kaufleutegesellschaften und anderen sozialen Netzwerken durch Testamentsvollstreckungen oder Patenschaften. Am Beispiel des Lübecker Bürgers Hans Castorp des Älteren wies Jahnke die enge Verflechtung von Mitgliedschaften bzw. verschiedenen „Ehrenämtern“ in unterschiedlichen Gruppierungen mit einem sozialen sowie wirtschaftlichen Aufstieg nach. So sei wirtschaftlicher Erfolg die Eintrittskarte in verschiedene soziale Gruppierungen und Laienbruderschaften gewesen. Zugleich seien die daraus resultierenden persönlichen Kontakte Motor für weiter wachsenden wirtschaftlichen wie auch politischen Einfluss gewesen. So gelang es Jahnke, neben dem eigentlichen Zweck der jeweiligen Vereinigungen, auch deren Bedeutung für die politische und wirtschaftliche Vernetzung der Eliten im Hanseraum hervorzuheben.
OLIVER AUGE (Kiel) fasste mit treffenden eigenen Gedanken die Beiträge und Diskussionen der beiden Veranstaltungstage zusammen. In seinem Abschlussstatement kam er zu dem Schluss, dass Netzwerkanalysen eine große interpretatorische Hilfe seien, die durch einen physischen Raumbezug vielleicht eine verbesserte Anpassung an die historische Realität darstellten, wobei er das „Vielleicht“ betonte. Insbesondere die Archäologie habe mit den Netzwerkanalysen ein Kontroll- und Ordnungsinstrument der großen „naturwissenschaftlich überfrachteten“ Materialgrundlage gewonnen. Dennoch warnte Auge, unter Verweis auf die von Søren M. Sindbæk angesprochene „Black-Box“-Problematik, ausdrücklich vor zu hohen Erwartungen an die Ergebnisse derartiger Untersuchungen. Zusätzlich lobte er die hier gezeigte Zusammenarbeit von Archäologie und Geschichtswissenschaft und mahnte zu einer auch zukünftig engen Kooperation beider Fächer.
Konferenzübersicht:
Begrüßung und Einführung in die Thematik
Sunhild Kleingärtner und Gabriel Zeilinger (Kiel): „Zur Bedeutung von Netzwerkbegriffen und Raumkategorien aus archäologischer und historischer Perspektive“
Sektion 1: Kaiser- und wikingerzeitliche Siedlungszentren in ihren überregionalen Kontakten
Alexander Pesch (Schleswig), „Tierstilkunst als Netzwerkphänomen“
Andres S. Dobat (Århus): „Die Verbindung von überregionalen und lokalen Netzwerken am Beispiel Hedebys und seines Hinterlandes“
Abendvortrag
Thomas Meier (Heidelberg): „Räume als Netze des Fremden“
Sektion 2: Wikingerzeitliche und hochmittelalterliche Handelssysteme
Søren M. Sindbæk (York): „Broken Links and Black Boxes: Modelling Communication Networks from Material Affiliations in the Viking World“
Hendrik Mäkeler (Uppsala): „Die Vernetzung der wikingerzeitlichen Münzprägung im europäischen Raum und deren Bedeutung für die Definition von Herrschaftsräumen“
Sektion 3: Stadträume – Städtelandschaften? Die hochmittelalterliche Urbanisierung des südlichen Ostseeraums
Ulrich Müller (Kiel): „Zwischen Masterplan und local level strategies. Die hochmittelalterliche Urbanisierung der südlichen Ostseeküste aus archäologischer Perspektive“
Karsten Igel (Münster): „Stadtwerdung und Stadtplanung im südlichen Ostseeraum. Überlegungen zu Vorbildern, Strukturen und Kommunikation“
Sektion 4: Maritim-merkantile Netzwerke im Hoch- und Spätmittelalter
Daniel Zwick (Kiel/Odense/Roskilde): „Lineare nautische Netzwerke. Der Quellenwert hoch- und spätmittelalterlicher Segelanweisungen für die Erschließung des Ostseeraumes“
Mike Burkhardt (Kassel): „Kaufleutenetzwerke und Handelskultur. Interpersonelle Netzwerke und die Ausbildung eines kaufmännischen Kulturraums im spätmittelalterlichen Ostseeraum“
Sektion 5: Soziale und religiöse Netzwerke in spätmittelalterlichen Hansestädten
Anja Meesenburg (Kiel/Rom): „Zwischen Trave und Tiber. Zur Rolle von Netzwerken bei der Besetzung des Lübecker Domkapitels im 15. Jahrhundert“
Carsten Jahnke (København): „Zu Ehren Gottes und zum Wohle der Kasse. Religiöse und soziale Netzwerke in den spätmittelalterlichen Hansestädten und deren Funktionen“
Abschließendes Statement und Schlussdiskussion
Oliver Auge (Kiel): „Raumbildung durch Netzwerke – eine Forschungsperspektive?“