Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugend

Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugend

Organisatoren
Arbeitskreis für Militärgeschichte e. V.
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
09.09.2010 - 11.09.2010
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Von
Flavio Eichmann, Historisches Institut, Universität Bern

Armeen kennen scheinbar seit Jahrhunderten einen Code typisch militärischer Tugenden, der auch grössere soziale und politische Brüche überdauerte. Zentrale Bezugspunkte dieser Tugenden sind Ehre und Pflichterfüllung. Gemeinhin wird die Ehre der Vormoderne zugerechnet, während es sich bei der Pflichterfüllung um ein Phänomen der Moderne zu handeln scheint. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass sich die beiden Phänomene weder inhaltlich voneinander trennen noch zeitlich exakt zuordnen, geschweige denn definieren lassen. Die diesjährige Tagung des Arbeitskreises für Militärgeschichte e. V. (http://www.akmilitaergeschichte.de) nahm sich deshalb der Aufgabe an, inhaltliche Eckpunkte und Aspekte der beiden Phänomene in diachroner Perspektive zusammenzutragen, vergleichend zu diskutieren und gegeneinander zu gewichten. In diesem Sinne sollten sowohl Verschiebungen und Neuausrichtungen als auch Kontinuitäten der beiden Phänomene herausgearbeitet werden und der Frage nachgegangen werden, wie sich die Beziehung zwischen ihnen bis heute entwickelt hat.

Eine theoretische Einleitung zur Tagung präsentierten ULRIKE LUDWIG (Dresden) und JOHN ZIMMERMANN (Potsdam). Ulrike Ludwig thematisierte zunächst das Phänomen der Ehre, wobei sie grundsätzlich auf die integrierenden (Simmel) sowie die differenzierenden bzw. machtgenerierenden (Weber) Funktionen von Ehre hinwies. Eine analytische Trennung der beiden Funktionen sei aber kaum möglich, was Ludwig am Beispiel der gruppenbezogenen Ehrkonzepte von Offizierkorps zeigte. Diese dienten zum einen dem inneren Zusammenhalt und überlagerten zuweilen ethische, ökonomische und konfessionelle Differenzen. Zum anderen wirkten dieselben Ehrkonzepte nach außen differenzierend, weil sie dazu beitrügen, die Mitglieder der Offizierkorps gegenüber dem einfachen Soldaten aber auch gegenüber der Zivilbevölkerung abzugrenzen. Des Weiteren stellte Ludwig fest, dass der Erhalt des Offizierkorps von der Integrität seiner Mitglieder abhänge. Dies führe im Falle eines Angriffs auf die Ehre eines Offiziers entweder dazu, dass die Gruppe den Angriff in corpore zurückweise oder, um die Ehre des Offizierskorps zu retten, das fehlbare Mitglied aus seinen Reihen ausschliesse. Damit verbunden seien immer auch Prozesse der sozialen Normierung und Selbststeuerung, die etwa an der Herausbildung des Duellzwangs innerhalb des preussischen Offizierkorps beobachtet werden könnten. Schliesslich wies Ludwig darauf hin, dass der alltägliche Kampf um Ehre als Beweis dafür diene, dass Ehre auch die Funktion eines symbolischen Kapitals innehatte. John Zimmermann referierte anschließend über den Bedeutungswandel der Pflichterfüllung in der deutschen Geschichte seit Friedrich II. Geprägt durch die Aufklärung sei pflichtgetreues Verhalten gemeinhin als vorbildstiftend interpretiert worden. Spätestens mit der Niederschlagung der Revolutionen von 1848 habe sich aber ein Konzept der Pflichterfüllung durchgesetzt, bei dem die Selbstaufopferung des Individuums zugunsten der Ehre, des Königs bzw. des Kaisers, des Vaterlands und schliesslich der „Volksgemeinschaft“ immer mehr im Zentrum gestanden habe. Pflichterfüllung sei dabei ein streng hierarchisches Konstrukt gewesen, das sich auf beinahe alle Bereiche der deutschen Gesellschaft ausgedehnt habe: Schüler hätten Pflichten gegenüber Lehrern, Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern und alle Untertanen gegenüber der Obrigkeit gehabt. Verantwortung habe nur getragen, wer Anweisungen geben durfte. Die Verantwortung des Individuums habe faktisch einzig und allein darin bestanden, seine Pflicht zu erfüllen. Erst die Niederlage im Zweiten Weltkrieg und die anschliessende Besatzung hätten zur Kollabierung dieses Wertesystems geführt. Diese theoretische Einleitung machte bereits deutlich, dass die Tagung sehr auf deutsche Konzepte von Ehre und Pflichterfüllung fokussiert war. Im Hinblick auf die weiteren Referate hätte man sich eine etwas breitere Perspektive gewünscht.

Das erste Panel zur Konzeption von Ehre und Pflicht eröffnete anschliessend STEFAN REBENICH (Bern) mit seinem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen 480 v. Chr. Das Beispiel der 300 – oder besser der 1400 – habe laut Rebenich in fast allen Epochen als Mittel gedient, spezifische Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung zu vermitteln, wobei das historische Material aufgrund der dürftigen Quellenlage beinahe beliebige Interpretationen zugelassen habe. KAI FILIPIAK (Leipzig) führte anhand einer idealtypischen Analyse chinesischer Militärquellen aus der Zeit der Streitenden Reiche (451-221 v. Chr.) aus, dass zu dieser Zeit kein allgemein verbindlicher Moralkodex für militärische Führungskräfte existiert habe. Eine begriffsgeschichtliche Annäherung an die Kodizes Ehre und Pflichterfüllung in den Schriften frühneuzeitlicher Militärtheoretiker, Reglements und Lexika unternahm LUDOLF PELIZAEUS (Graz). Dabei kam er zum Schluss, dass Bedeutung und Sinn der Kodizes Ehre und Pflichterfüllung je nach historischem Hintergrund gewechselt hätten und an die eigenen Bedürfnisse angepasst worden seien. Das Panel wurde von EKATERINA EMELIANTSEVA (Bangor/Zürich) abgeschlossen, die am Beispiel der Ehrengerichte für sowjetische U-Bootfahrer zur Zeit des Kalten Krieges zwei zunehmend konkurrierende diskursive Konzepte von Ehre identifizierte – ein offizielles des Staates bzw. der Partei sowie ein inoffizielles, das sich an männerbündischen Idealen orientiert habe. Mit Blick auf die Wehrmacht in den Jahren 1944/45 entwickelte sich anschliessend eine angeregte Diskussion über die Konkurrenz zwischen Männerbünden und der Politisierung der Streitkräfte als strukturbildendes Element zerfallender Armeen im 19. und 20. Jahrhundert. Im Zusammenhang mit Bernd Wegners These der „Choreographie des Untergangs“1 stand sodann die Frage im Zentrum, ob auch beim „inszenierten“ Untergang des Dritten Reichs Vorbilder der Antike und des Mittelalters (Rolandslied) Pate standen. Wie Rebenich mehrmals betonte, ließen sich solche Vorbilder aufgrund ihrer Deutungsoffenheit je nach Zusammenhang in der erforderlichen Form interpretieren – deswegen wurde ihnen eine wichtige Rolle für das Verständnis von Ehre und Pflichterfüllung attestiert. Gerade im 19. und 20. Jahrhundert ist ihre diesbezügliche Popularität aber auch mit der Zugehörigkeit zum damaligen (bürgerlichen) Bildungskanon zu erklären.

Das zweite Panel war dem Verhältnis von Ehre und Stand gewidmet. CARMEN WINKEL (Potsdam) referierte zum Spannungsverhältnis von adligen Ehrvorstellungen und dem vom König formulierten Anspruch auf Pflichterfüllung im preussischen Offizierskorps des 18. Jahrhunderts. Anhand der damals gängigen, aber gleichwohl verbotenen Praxis des Duells zeigte Winkel, dass der königliche Anspruch auf Pflichterfüllung oftmals zugunsten adliger Ehrkonzepte in den Hintergrund getreten sei. Über eine ähnliche Konstellation sprach GUNDULA GAHLEN (Potsdam) in ihrem Referat zum bayrischen Offizierskorps zur Zeit des Deutschen Bundes. Das Festhalten an der gesetzeswidrigen Praxis des Duells interpretierte Gahlen als Abwehrreaktion eines heterogenen und durch anspruchslosen Friedensdienst und Sparzwang verunsicherten Offizierskorps, das die Satisfaktionsfähigkeit als Mittel zur Abgrenzung gegen außen und zur Herstellung einer korporativen Gleichheit untereinander angesehen habe. Dabei habe das preussische Offizierskorps hinsichtlich seiner Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung geradezu als Negativbeispiel gedient. Diesen anti-preußischen Reflex nahm anschliessend auch RUDOLF JAUN (Zürich) auf. Er widmete sich in seinem Beitrag der Kollision der Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung bei traditionell geprägten Vertretern des Offizierskorps der schweizerischen Milizarmee vor 1914 mit denjenigen Idealen, welche die „prussianisierte“ Fraktion des Offizierkorps unter Führung von Ulrich Wille vertreten habe.

Das dritte Panel zu Ehr- und Pflichtkonzepten im Spannungsfeld zwischen Geschlecht und Kultur eröffnete ANNETT BÜTTNER (Düsseldorf) mit einem Beitrag zur Kriegsverwundetenfürsorge nach den deutschen Reichseinigungskriegen. Militärische Ehr- und Pflichterfüllungsideale innerhalb der Gruppen der freiwilligen Pflegerinnen seien laut Büttner Voraussetzung für deren Zulassung zur Kriegsverwundetenfürsorge gewesen. TANJA BÜHRER (Bern) widmete sich in ihrem Beitrag dem Aufeinandertreffen von Ehr- und Pflichtvorstellungen der deutschen Schutztruppenoffiziere in Deutsch-Ostafrika mit denjenigen der Askari, welche das Gros der deutschen Schutztruppen in Ostafrika stellten. Einen Blick über Europa hinaus gewährte auch CHRISTIAN KOLLER (Bangor/Zürich), der anhand von Feldpostbriefen indischer Soldaten von der Westfront im Ersten Weltkrieg zeigte, dass traditionelle indische Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung in der Regel problemlos mit ihren britischen Pendants kompatibel gewesen seien. Nur vereinzelt seien diese Konzepte miteinander in Konflikt geraten; nämlich dann, wenn aufgrund der langen Abwesenheit und der damit verbundenen Auflockerung der geschlechtersegregierenden Rollenmuster die Familienehre (izzat) beschädigt worden sei. Der Umgang der europäischen Militärs mit diesen außereuropäischen Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung prägte die anschliessende Diskussion. Die Briten wie auch die deutschen Schutztruppenoffiziere hätten zwar die „Andersartigkeit“ festgestellt, sich aber gehütet, diese außereuropäischen Konzepte von Ehre und Pflichterfüllung nach europäischen Vorstellungen umzuformen. Indem Akte der Selbstjustiz unter den Askari bestraft wurden, hätten die Schutztruppenoffiziere zwar versucht, die Disziplin aufrecht zu erhalten, doch sei es ihnen kaum möglich gewesen, den Askaris europäische Konzepte von Ehre und Pflichterfüllung aufzuzwingen. Vielmehr habe sich innerhalb des Offizierskorps der Schutztruppe ein eigenes Konzept von Ehre und Pflichterfüllung etabliert, was vor allem auf die spezifische Situation dieser Offiziere zurückzuführen sei. Auch die Briten hätten sich vor größeren Eingriffen gehütet und seien gar soweit gegangen, dass britische und indische Soldaten in der Regel in separaten Camps untergebracht wurden.

Das vierte Panel thematisierte Ehrkonflikte und Devianzen im Militär. OLIVER LANDOLT (Schwyz) referierte in seinem Beitrag zur Bedeutung von Feigheit, Ehre und Disziplin in den Armeen der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft. Unehrenhaftes Verhalten im Krieg habe nicht nur zu einer zunehmenden Kodifizierung des Kriegsrechts geführt, sondern auch zu zahlreichen Verleumdungen und damit der Ehrverletzung ganzer Familien und Städte. BRIAN FELTMANN (Köln) vertrat im nächsten Beitrag die These, die Auffassung von Ehre und Pflichterfüllung deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg sei eng mit dem Ideal des „Heldentodes“ verbunden gewesen. Als Folge davon hätten sich während des Krieges viele Soldaten bis zuletzt geweigert zu kapitulieren. Das Panel schloss LARS HELLWINKEL (Stade) mit einem Referat zur französischen Marine im Zweiten Weltkrieg ab. Hellwinkel sprach von einem Spannungsverhältnis zwischen Ehre und Pflichterfüllung, in welchem sich sich die Angehörigen der französischen Marine zur Zeit der deutschen Besatzung 1940-1944 befunden hätten. Nach 1945 hätten die französischen Offiziere sich zur Legitimation ihres Handelns auf die Pflichterfüllung berufen – in der anschliessenden Diskussion wurden hier Parallelen zu den ehemaligen Wehrmachtsoffizieren festgestellt. Insbesondere Feltmanns Referat gab daraufhin Anlass zu teils heftigen Diskussionen, da der Topos des Heldentodes von einigen TagungsteilnehmerInnen als Teil eines (bürgerlichen) Elitendiskurses beurteilt wurde, der wenig mit dem Frontalltag zu tun gehabt habe. Die Wirkmächtigkeit dieses Topos wurde deshalb im Hinblick auf das Problem der zurückgebliebenen Familien der Soldaten sowie auf die Behandlung alliierter Kriegsgefangener infrage gestellt.

Das nächste Panel hatte die Symbolisierung und Materialisierung von Ehre zum Thema. Am Beispiel des U-Boot-Ehrenmals in Laboe referierte KATHARINA HOFFMANN (Oldenbourg) zur Kontinuität des Ehrkonzepts in der deutschen Gedenkkultur. Wenn auch deutliche Unterschiede bei der geschichtspolitischen Einordnung der Gedenkfeiern und dem sakralisierten Gedenken ausgemacht werden könnten, identifizierte Hoffmann gleichwohl Kontinuitäten bei der Tradierung technisch versierter Männlichkeit und bei der Aktualisierung der Mythen um das U-Boot, wobei Ehre, Kameradschaft und Pflichterfüllung bis heute zentrale Bezugspunkte seien. RALPH WINKLE (Tübingen) sprach im anschliessenden Referat über den Bedeutungswandel des Ordens des Eisernen Kreuzes während der Zeit des Nationalsozialismus. NICOLE KRAMER (Potsdam) stellte in ihrem Referat die These auf, dass die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung unter anderem dazu gedient habe, den vornehmlich weiblichen Hinterbliebenen soldatische Tugenden einzuimpfen. Dass in diesem Fall Ehre vor allem Geld bedeutet habe, zeigte Kramer anhand der vielen Rechtsstreitigkeiten unter Hinterbliebenen, die versucht hätten, auf Kosten anderer in den Genuss der Kriegsopferversorgung zu kommen. LORETANA DE LIBERO (Potsdam) zog im letzten Referat des Panels einen Vergleich zwischen dem Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin und älteren Soldatendenkmälern in Deutschland sowie dem Armed Forces Memorial bei Alrewas (GB). Die nationalsozialistische Praxis der Ordensverleihung stand anschliessend im Zentrum der Diskussion, wobei zunächst die Frage nach deren Status als Sonderfall erörtert wurde. In der Folge stand dann das Spannungsverhältnis zwischen der persönlichen Ehre durch die Ordensverleihung und der dadurch immanenten Selbstidentifikation mit dem NS-Regime nach 1945 zur Debatte.

Der moralische Zusammenbruch der Wehrmachts-Elite 1945 wurde im letzten Panel behandelt. Mit Blick auf die Kapitulation der Wehrmacht in Italien am 2. Mai 1945 zeigte KERSTIN VON LINGEN (Heidelberg), wie die Offiziere der Wehrmacht die Begriffe Ehre und Pflichterfüllung nach dem Krieg in der Korrespondenz im Kreis der Kameraden zur nachträglichen Legitimation des eigenen Handelns herangezogen hätten. DANIEL MARC SEGESSER (Bern) referierte im Anschluss daran über die Funktion von Ehre und Pflichterfüllung für die in den Nürnberger Prozessen angeklagte Generalität der Wehrmacht. PETER M. QUADFLIEG (Aachen) zeigte am Beispiel Gerhard Graf von Schwerins die Gratwanderung ehemaliger Wehrmachtsgeneräle, welche eine Karriere in der jungen Bunderepunlik anstrebten. Diese hätten sich zwar zur Legitimation ihres Handelns auf die Pflichterfüllung berufen, gleichzeitig aber auch die Ehrenhaftigkeit ihrer bisherigen Karriere hervorgestrichen. Abschliessend referierte RUDOLF SCHLAFFER (Potsdam) zur personellen Kontinuität zwischen Wehrmacht und früher Bundeswehr. Die zuständige Personalkommission der Bundeswehr habe diese Kontinuität durch die Auffassung, die Wehrmacht sei durch eine verbrecherische Führung in ihrer Ehre verletzt worden, legitimiert. Der einzelne Soldat habe sich aber nichts zuschulden kommen lassen, weshalb die Personalkommission bei der Übernahme des ehemaligen Wehrmachtspersonals kaum Bedenken gehegt habe. Diese Kontinuitäten zwischen Wehrmacht und Bundeswehr waren das Hauptthema der folgenden Diskussion. Dabei fanden vor allem die Karrieren ehemaliger Mitglieder der Widerstandsbewegung des 20. Juli Beachtung, da diese in den Augen der ehemaligen Wehrmachtseliten ihre „Pflicht“ ja nicht erfüllt hätten. Deshalb hätten viele von ihnen in der Bundeswehr keine Stelle gefunden und stattdessen ihre Karriere bei der NATO fortgesetzt. Die „Reinwaschungsstrategien“ ehemaliger Wehrmachtsoffiziere seien des Weiteren bereits in der zeitgenössischen Presse thematisiert worden. Alaric Searle wies in diesem Zusammenhang auf die subtile Berichterstattung in einigen deutschen Medien zu diesem Thema hin. Schliesslich wurde von Stig Förster die These vertreten, dass die Frage nach der Konzeption von Ehre und Pflichterfüllung bei der Wehrmachtselite auf die falsche Spur führe, denn der am 1. September 1939 von Hitler entfachte Weltkrieg habe von vornherein gegen jegliche Prinzipien von Ehre und Pflichterfüllung verstossen.

Die Ergebnisse der Tagung wurden in der abschliessenden Diskussion zusammengetragen. Ehre und Pflichterfüllung seien zwar elementare Funktionen in militärischen Institutionen, würden sich aber weder inhaltlich noch begrifflich genauer fassen lassen. Möglicherweise sei deshalb eine Annäherung an die beiden Phänomene mittels Negativkriterien sinnvoller. Gleichwohl ließen sich einige abstrakte Aussagen zum Verhältnis und zur Bedeutung von Ehre und Pflichterfüllung formulieren. Während es sich bei der Ehre um die persönliche Bereitschaft handle, sein Leben aufs Spiel zu setzen, liege bei der Pflichterfüllung ein äußerer Zwang vor. Beide seien vor 1945 grundsätzlich nicht verhandelbar, und insbesondere die Ehre brauche auch nicht definiert zu werden. Jeder scheine zu wissen, was Ehre bedeute. So eigneten sich die Codes Ehre und Pflichterfüllung hervorragend zur Legitimierung des eigenen Handelns und im Falle der Pflichterfüllung sogar zum Ablehnen jeglicher persönlicher Verantwortung. In zeitlicher Perspektive wurde festgestellt, dass Ehre als handlungsleitendes Motiv um ca. 1800 durch die Pflichterfüllung abgelöst worden sei. Dies dürfte wohl nicht zuletzt durch das Aufkommen der Wehrpflicht bedingt sein. Die zunehmende Kodifizierung des Kriegsrechts wurde ebenso als Grund diskutiert. Den Phänomenen Ehre und Pflichterfüllung liege zudem eine Erwartungshaltung zugrunde: Die Pflichterfüllung werde vom Soldaten erwartet, dieser erwarte wiederum die Anerkennung seines ehrenhaften Verhaltens. Diese Anerkennung könne sich in verschiedenen Formen materialisieren. Orden und Denkmäler gäben darüber Auskunft, wo und wie diese Ehre erworben wurde. Dabei spiele im Übrigen oftmals christliche Symbolik eine tragende Rolle – man denke nur an das Victoria Cross oder das Eiserne Kreuz.

Aus theoretischer Sicht soll hier auf das interessante Phänomen der Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Ehre hingewiesen werden. Ehrenhafte Taten von Individuen vermögen die Ehre ganzer Einheiten oder Gemeinden zu steigern, während umgekehrt die Unehrenhaftigkeit von Einheiten oder Gemeinden die Ehre des Individuums beschädigen können. Grundsätzlich bleibt zu untersuchen, wie sich die Phänomene Ehre und Pflichterfüllung in globalhistorischer Perspektive entwickelt haben. Nicht nur müssten Konzepte von Ehre und Pflichterfüllung vermehrt in anderen europäischen Armeen untersucht werden, sondern auch in den Armeen außerhalb Europas. Die wenigen Beiträge, die sich mit außereuropäischen Vorstellungen von Ehre und Pflichterfüllung beschäftigten, haben nämlich bereits deutlich gemacht, dass außerhalb Europas teilweise ganz andere Konzepte von Ehre und Pflichterfüllung feststellbar sind.

Tagungsübersicht:

Begrüssung durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises Militärgeschichte
Stig Förster (Universität Bern)

Grusswort des Dekans der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Bern Heinzpeter Znoj (Universität Bern)

Einführungsvortrag
Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugenden
Ulrike Ludwig (Technische Universität Dresden) / John Zimmermann (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)

Konzepte von Ehre und Pflicht
Leitung: Alaric Searle (University of Salford)

»Wanderer, kommst Du nach Sparta.« Die Schlacht an den Thermopylen und die Ehre des Soldaten
Stefan Rebenich (Universität Bern)

Idealtypische Tugenden militärischer Führungskräfte zur Zeit der »Streitenden Reiche« (475–221 v.u.Z.) in China
Kai Filipiak (Universität Leipzig)

Die Entwicklung der Begriffe »Ehre« und »Pflichterfüllung« in den Werken der frühneuzeitlichen Militärtheoretiker 1559–1794
Ludolf Pelizaeus (Universität Graz)

Ehrenmänner – Männer ohne Emotionen: Ehrkodex und Emotionen auf den sowjetischen Atom-U-Booten in den 1960er bis 1980er Jahren
Ekaterina Emeliantseva (Bangor University / Universität Zürich)

Ehre und Stand
Leitung: Ulrike Ludwig (Technische Universität Dresden)

Adliges Ehrverständnis im Spannungsfeld von königlichem Pflichtanspruch und militärischer Funktionalität im preussischen Offizierskorps im 18. Jahrhundert
Carmen Winkel (Universität Potsdam)

Ehrvorstellungen im bayerischen Offizierskorps zur Zeit des Deutschen Bundes
Gundula Gahlen (Universität Potsdam)

Pflicht und Freiheit im Volksheer der Schweiz
Rudolf Jaun (Militärakademie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich)

Die Tugenden der Anderen: Ehr- und Pflichtkonzepte im Spannungsfeld von Geschlecht und Kultur
Leitung: Marina Cattaruzza (Universität Bern)

»Mannschaften der Barmherzigkeit«: Konfessionelle Schwestern in der Kriegsverwundetenfürsorge im 19. Jhdt.
Annett Büttner (Fliedner-Kulturstiftung Düsseldorf Kaiserswerth)

Ehre und Pflichterfüllung im transkulturellen Kontext: Die Schutztruppe und ihre Gegner in Deutsch-Ostafrika
Tanja Bührer (Universität Bern)

Ehre und Pflichterfüllung in der indischen Armee des Ersten Weltkriegs
Christian Koller (Bangor University / Universität Zürich)

Ehrkonflikte und Devianzen im Militär
Leitung: Markus Pöhlmann (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)

»Fahnenflüchtige Eidgenossen«? Zur Bedeutung von Feigheit, Ehre und militärischer Disziplin in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft
Oliver Landolt (Staatsarchiv Schwyz)

Death Before Dishonor: The Heldentod Ideal and the Dishonor of Surrender on the Western Front, 1914-1918
Brian Feltman (Ohio State University)

»L’honneur de servir«? – Die französische Marine im Zweiten Weltkrieg zwischen Verrat und Pflichtgefühl
Lars Hellwinkel (Stade)

Symbolisierung und Materialisierung von Ehre
Leitung: John Zimmermann (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)

Kontinuitäten des Ehrkonzepts in der deutschen Gedenkkultur
Katharina Hoffmann (Universität Oldenburg)

Gratifikation und soldatische Moral – zur Funktion und Bedeutung militärischer Orden und Ehrenzeichen in der deutschen Wehrmacht 1939 bis 1945
Ralph Winkle (Universität Tübingen)

Die Ehre der Toten und die Pflicht der Lebenden: Männertod und weibliche Hinterbliebene im Zweiten Weltkrieg
Nicole Kramer (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)

Neue alte Konzepte? Das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin
Loretana de Libero (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)

1945 als moralischer Zusammenbruch der militärischen Elite: Die Wehrmacht
Leitung: Christian Gerlach (Universität Bern)

Kontingenzbewältigung nach der Niederlage 1945: Die Suche der Wehrmachtelite nach einer Definition ehrenhafter Pflichterfüllung
Kerstin von Lingen (Universität Heidelberg)

Pflichterfüllung im Untergang – Karrierechance in der Nachkriegszeit? Pflichterfüllung und Karrieremuster deutscher Generale nach dem Zweiten Weltkrieg
Peter M. Quadflieg (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen)

Grenzen militärischer Ehre und Pflichterfüllung: Die Rechtfertigungsmuster der Wehrmachtführung in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen
Daniel Marc Segesser (Universität Bern)

Nach der Wehrmacht: Ritterlichkeit, Ehre und Pflicht – Tugenden für die Bundeswehr?
Rudolf Schlaffer (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)

Zusammenfassung der Tagung – Schlussdiskussion

Anmerkung:
1 Bernd Wegner, Hitler, der Zweite Weltkrieg und die Choreographie des Untergangs, in: Geschichte und Gesellschaft 26, 2000, S. 493-518.


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