HT 2012: Regesta Imperii: Traditionelles Wissen und neue Herausforderungen

HT 2012: Regesta Imperii: Traditionelles Wissen und neue Herausforderungen

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2012 - 28.09.2012
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Von
Veronika Unger, Regesta Imperii, Erlangen

Beim Historikertag 2012 an ihrem „Heimatort“ waren die Regesta Imperii, eines der ältesten Grundlagenforschungsprojekte zur mittelalterlichen Geschichte, mit einer eigenen Sektion vertreten. Vor einer ansehnlichen Zuhörerschaft machte KLAUS HERBERS (Erlangen), der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e.V., deutlich, dass die Regesta Imperii auch für die Zukunft gut aufgestellt sind. Er verwies dabei unter anderem auf den mit Evaluation und Verlängerungsantrag in diesem Jahr verbundenen Prozess einer gewissen Neuausrichtung des an der Mainzer Akademie der Wissenschaften beheimateten Projekts. Dieses hat eine lange Tradition aufzuweisen, wurde es doch bereits 1829 von Johann Friedrich Böhmer ins Leben gerufen. Ziel Böhmers war es, die verloren geglaubten Reichsregister zu rekonstruieren. Zwar halten auch die modernen Regesta Imperii an einigen grundlegenden Prinzipien Böhmers fest, doch bieten die Regestenbände – mehr als 80 wurden in den Jahrzehnten seit Gründung der Deutschen Regesten-Kommission publiziert – heute weit mehr als Zusammenfassungen oder Rekonstruktionen von Urkunden. Als Forschungsinstrument dienen sie der Aufarbeitung sämtlicher mit einem Herrscher oder Papst verbundenen Quellen, stellen ein gesichertes chronologisches Gerüst zur Verfügung und bündeln zudem wichtige Forschungsliteratur. Auf drei Schwerpunkte verwies Klaus Herbers, welche für die Regesta Imperii als zentral angesehen werden, um auch die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Erstens sei dies die Digitalisierung, ein Feld, auf dem die Regesta Imperii unter den Traditionsunternehmen eine Vorreiterrolle innehaben. Erklären könne man dies möglicherweise mit der relativen Gleichförmigkeit von Regesten, wodurch die digitale Darstellung im Datenbankformat begünstigt wurde. Der Vortragende nannte die Regestendatenbank (RI-Online) und den RI-Opac als Flaggschiffe des Internetauftritts der Regesta Imperii.1 Ein zweiter Zukunftsaspekt sei die Europäisierung, die von einigen Teilprojekten der Regesta Imperii seit längerem umgesetzt werde. Als Beispiele wurden die Papstregesten und die Regesten der Karolingerzeit genannt, da dort die Böhmer’sche Begrenzung auf das Reich (daher Regesta „Imperii“) durch europaweite Kommunikationspartner und Herrschaftsgebiete außerhalb des Kernreiches aufgehoben sei. Drittens gehe es den Regesta Imperii um eine allgemeine Öffnung der Perspektive, die sowohl inhaltlich gesehen wird (etwa durch das Eingehen auf Fragestellungen der vergleichenden Kulturgeschichte oder anderer historischer Teildisziplinen), als auch arbeitstechnisch und methodisch. Denn die Regesten der Zukunft sollen in gemeinsamen Datenbanken erarbeitet werden, so dass jeder stets auf die Fortschritte eines anderen zurückgreifen könne und Synergieeffekte bei komplexen Ereignissen – der Vortragende nannte Canossa als Beispiel – zu erwarten sind. Zudem wurde die alte Gliederung nach Dynastien (Karolingerregesten, Regesten der Ottonen, Salierregesten usw.) kürzlich durch eine Neuordnung in drei Module – Frühmittelalter, Hochmittelalter, Spätmittelalter – flexibilisiert. Dass dadurch auch eine höhere Arbeitseffektivität erreicht werden könne, zeige sich an einem Italienprojekt innerhalb des Spätmittelaltermoduls, in dem eine gemeinsame Aufarbeitung der italienischen Archive und Bibliotheken für alle spätmittelalterlichen Herrscher mit verstärkten Kooperationen vor Ort verbunden werden sollen.

Entsprechend der neuen Projektgliederung folgten auf die Einleitung drei Vorträge von Mitarbeitern der Regesta Imperii, die jeweils für eines der drei Module sprachen.

Für das Frühmittelaltermodul fokussierte JOHANNES BERNWIESER (Marburg) die bereits in der Einführung angesprochene europäische Perspektive der Regesten der Karolingerzeit. Er verwies zunächst auf den guten Ruf der Regesta Imperii, der sich unter anderem in zahlreichen Rezensionen aus den letzten Jahren spiegele, nannte dann aber die Kritik, die den Regesta Imperii beinahe ebenso oft entgegengebracht werde: Sie arbeiteten zu herrscherzentriert, positivistisch, seien ein Kind des 19. Jahrhunderts und passten so gar nicht zur modernen Mediävistik. Bernwieser machte es sich nun zur Aufgabe, diese Vorwürfe für die Karolingerzeit zu entkräften. Regesten seien keine Geschichtsdarstellungen im eigentlichen Sinne, sondern Ressourcen für die Arbeit des Historikers. Sie böten Quelleninterpretation, Aufarbeitung von Forschungsliteratur sowie Forschungskontroversen und könnten flexibel auf die Erfordernisse der Geschichtswissenschaft reagieren. Den Vorwurf der Herrscherzentriertheit konnte Bernwieser mit Verweis auf die im Druck befindlichen Regesten Herbert Zielinskis zum Burgunderreich relativieren. Zumal zweit- und drittrangige Personen als Kommunikationspartner der Herrscher durchaus in den Regesten vorkommen. Die Regesten der Karolingerzeit zeichneten sich aber insbesondere dadurch aus, dass sie nicht nationalhistorisch orientiert seien. Entsprechend der Ausdehnung des Karolingerreichs sind bereits Bände des westfränkischen Königs Karls des Kahlen, der Könige und Kaiser des italischen Regnum sowie der Päpste des 9. Jahrhunderts erschienen. Bernwieser forderte angesichts der kommunikativen Kontakte und personalen Verbindungen der karolingerzeitlichen Herrscher und Päpste nun dazu auf, noch einen Schritt weiter zu gehen. Die Regesta Imperii sollten es aus eigenen Ressourcen und vor allem mittels Kooperationen mit Wissenschaftlern vor Ort angehen, auch die Nachbarreiche des Karolingerreichs in ihr Projekt miteinzubeziehen. Der Referent verwies beispielhaft auf die angelsächsischen Herrscher, für die es zudem ausreichend Vorarbeiten gebe, um das Projekt realistisch und zeitnah bewältigen zu können. Die Regestenarbeit könne hier als Movens für die bisher nur unzureichend geschehene Aufarbeitung der Austauschprozesse zwischen Karolingerreich und Angelsachsen dienen. Dass Regestenarbeit in Kooperation mit europäischen Universitäten und Wissenschaftlern und auf der Basis von eingeworbenen Drittmitteln funktionieren kann, belegte Bernwieser an der von ihm selbst und Irmgard Fees (München) angestoßenen Kooperation mit der Universität Limoges für die Erarbeitung der Regesten des karolingischen Teilreichs Aquitanien.

Die Diskussion der beiden Beiträge brachte vor allem viele Anregungen und Wünsche; die Aspekte Digitalisierung und Europäisierung stießen beim Publikum auf große Resonanz. So wurden Verknüpfungen mit anderen (Regesten-)Datenbanken angeregt, Kooperationen zur Erarbeitung der Regesten der byzantischen Kaiser oder der ungarischen Könige gefordert.

Als Repräsentant des Hochmittelaltermoduls der Regesta Imperii fragte anschließend DIRK JÄCKEL (Bochum) in seinem Vortrag nach der Reichweite des „Imperium“ sowie nach dem Vorhandensein einer Imperium-Idee, also eines imperialen Anspruchs, in der Salierzeit. Die Urkunden, insbesondere die Arengen, seien, so Jäckel, zur Untersuchung eines möglichen Weltherrschaftsanspruchs der Salier bisher wenig herangezogen worden. Er habe im Laufe seiner Arbeit nur eine einzige Urkunde finden können, in der ein Imperium-Gedanke aufscheine. Die in Mantua aufgesetzte Urkunde Heinrichs IV. für Padua sei allerdings von einem juristisch geschulten Notar geschrieben, so dass wir es hier also lediglich mit einer Rezeption des römischen Rechts zu tun hätten. Jäckel konnte auch weitere Beispiele von Urkunden Heinrichs IV. relativieren, in deren Arengen Heinrichs IV. einen imperialen Anspruch sehen könnte. Den Verweis auf die allumfassende Herrschaft des Endkaisers in einem Brief Heinrichs IV. führte Jäckel, den Forschungen von Hannes Möhring folgend, auf byzantinischen Einfluss zurück. Einen salierzeitlichen Imperialismus könne man, schloss Jäckel, zumindest anhand der Urkunden nicht feststellen, diese ideelle Ressource scheint wenigstens dort ungenutzt geblieben zu sein.

In ihrem Vortrag aus dem Spätmittelaltermodul der Regesta Imperii zeigte DORIS BULACH (München) am Beispiel der Überlieferung im Nordosten des Reichs, inwiefern die Regesta Imperii stark mitgewirkt haben an einer Neubeurteilung der Herrschaftszeit Ludwigs des Bayern. Bulach verwies zuerst auf die Arbeitsweise der Regesta Imperii für Ludwig den Bayern und die nachfolgenden Herrscher: Diese Regesten werden aufgrund der Materialfülle aufgearbeitet nach den Archivlandschaften (gegliedert nach heutigen Bundesländern und Regierungsbezirken) und erscheinen in sogenannten Provenienzheften. So werden die Ergebnisse der Archivarbeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft schnell zugänglich gemacht, eine chronologische Zusammenstellung, wie man sie bei Regesten gewohnt ist, erfolgt in einem zweiten Schritt. Die Annahme der bisherigen Forschung, Ludwig der Bayer habe sich für den Nordosten des Reiches wenig interessiert, schließlich sei er persönlich nicht über Thüringen hinausgekommen, kann Doris Bulach aufgrund ihrer Arbeit in den Archiven der ostdeutschen Bundesländer bereits jetzt relativieren. Vielmehr attestiert sie Ludwig eine gute Kennerschaft der politischen Situation im Nordosten des Reiches. Dynastische Verbindungen der Wittelsbacher kann sie zu nahezu zu allen bedeutenden Geschlechtern dieses Raumes nachweisen, ja sogar eine planvolle Heiratspolitik des Kaisers. Die Archive bewahren Zeugnisse zahlreicher Bündnisse und Privilegierungen des Kaisers, sei es in Bezug auf Schlesien, Sachsen, Pommern oder Polen. Dabei habe Ludwig stets das Interesse des Reiches vor Augen gestanden, nicht nur seine Hausmacht, welcher er im Einzelfall sogar geschadet habe. Vor allem im Umgang mit dem Deutschen Orden habe Ludwig der Bayer großes politisches Geschick bewiesen. Kurz schien hier auch einmal das Feld durch, das sonst immer im Zentrum einer Betrachtung Ludwigs des Bayern steht: sein Verhältnis zum Papsttum. Durch die Belehnung des Deutschen Ordens mit Litauen reklamierte Ludwig den Orden als zum Reich gehörig, also der kaiserlichen – nicht der päpstlichen – Oberhoheit untertan, und nicht zuletzt durch diesen Akt wurde der Einfluss des Kaisers auf den Nordosten des Reiches gesichert. Abschließend stellte Bulach das kritische Votum Peter Moraws in Frage, Ludwig der Bayer habe letztmalig im politischen Stil hochmittelalterlicher Kaiser agiert, weil der Wittelsbacher keineswegs überwiegend reaktiv tätig geworden und seine dynastische Politik wenn nicht vordergründig „modern“, so doch alles in allem erfolgreich gewesen sei.

Diese Widerlegung wurde in der anschließenden Aussprache bezweifelt, ansonsten hob die rege Diskussion der beiden Beiträge vor allem auf unterschiedliche Aspekte der Erforschung von Urkunden ab. Es wurde gefragt, ob Urkunden und vor allem deren Arengen tatsächlich die richtigen Quellen sind, um nach einem Weltherrschaftsanspruch zu suchen. Verwiesen werden konnte auf die Möglichkeit der Einbindung von Urkundenabbildungen in die neueren Regestendatenbanken, welche neue Forschungsmöglichkeiten bereitstellten. Eine herrscherliche Erschließung von Regionen unterhalb der Ebene der Fürsten sei, was Ludwig den Bayern betrifft, anhand von Urkunden nur schwer nachzuweisen, so die Referentin Bulach auf Nachfrage, da es etwa keine Urkunden für Klöster oder Städte gebe.

Die Sektion machte insgesamt deutlich, dass das Fortbestehen und Fortschreiten der zumal konzeptionell weiterentwickelten „Regesta Imperii“ auf das rege Interesse der Forschung stoße. Vor allem die seit gut einem Jahrzehnt betriebene Digitalisierung im open access-Modus sowie die forcierte Europäisierung wurden auch in dieser Sektion außerordentlich positiv konnotiert. Die in der Diskussion teils skeptisch beurteilte Idee einer Ausweitung der Regesta Imperii über das „Imperium“ hinaus erschien manchen Teilnehmern geradezu wünschenswert unter der Voraussetzung entsprechender Kooperationen mit in- und ausländischen Partnern, welche schließlich ebenso wie die entsprechenden Arbeitsfelder – etwa Regesten der byzantinischen Kaiser – exemplarisch benannt wurden.

Sektionsübersicht:

Klaus Herbers (Erlangen): Einführung. Historische Wissensressourcen in Vergangenheit und Zukunft

Johannes Bernwieser (Marburg): Die Karolinger und Europa. Überlegungen zur Erforschung von Personennetzwerken und Kommunikationsstrukturen sowie zur europaweiten Erschließung von Quellen im Rahmen der Regesta Imperii

Dirk Jäckel (Bochum): Wie weit reicht das Imperium? Überlegungen zu päpstlichen und kaiserlichen Ordnungsvorstellungen in der Salierzeit

Doris Bulach (München): Kaiser Ludwig der Bayer und der Osten des Reiches. Methodik und Strukturen der Erschließung regionaler Herrscherüberlieferung

Anmerkung:
1 RI-Opac: <http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/> und RI-Online:
<http://regesten.regesta-imperii.de/>.


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