Kalkulierte Gelehrsamkeit. Zur Ökonomisierung der Universitäten im 18. Jahrhundert

Kalkulierte Gelehrsamkeit. Zur Ökonomisierung der Universitäten im 18. Jahrhundert

Organisatoren
Elizabeth Harding / Jens Bruning, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2013 - 14.06.2013
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Von
Elizabeth Harding / Jens Bruning, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel

Vom 12. bis 14. Juni 2013 fand an der Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel) eine Tagung zur Geschichte der Ökonomisierung der Universitäten des 18. Jahrhunderts statt. Ziel der von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Tagung war es, die ökonomischen Denk- und Handlungsweisen, die in der Zeit zwischen der Gründung Halles (1694) und der Etablierung der Berliner Universität (1810) sämtliche Bereiche des akademischen Lebens durchdrangen, zu untersuchen und in vergleichender Perspektive die Folgen dieses Prozesses für die Universitätslandschaften zu diskutieren. Den Fokus auf die Praktiken der Ökonomisierung richtend sollte so die Universitätsgeschichte für neuere Herangehensweisen geöffnet werden.

In ihrem Eingangsbeitrag umrissen die Veranstalter ELIZABETH HARDING (Wolfenbüttel) und JENS BRUNING (Wolfenbüttel) zunächst das Tagungskonzept und erläuterten, wie jenseits klassischer strukturgeschichtlicher Herangehensweisen die Ökonomisierung als ein kultureller Prozess mit eigenen Funktionen und Handlungslogiken gedeutet werden könne. Dabei verwiesen sie auf die Geschichte des Wettbewerbs und das Hochschulranking im Zeichen des Geldes und der Zahl, die akademischen Wirtschaftspraktiken der Universitätsangehörigen zwischen Vormoderne und Moderne sowie auf die Frage nach der medialen Vermittlung des Ökonomischen. In drei Sektionen, die sich mit den Praktiken der Institutionen, den Handlungsweisen der Universitätsangehörigen sowie den Diskursen und Medien beschäftigten, wurde ein vielschichtiges Bild der Ökonomisierung gezeichnet.

Die erste Sektion zu den Praktiken der Institutionen eröffnete ULRICH RASCHE (Wien) mit einem Überblick zur Finanzierung der frühneuzeitlichen Universitäten. Um die komplexen Zusammenhänge zu verdeutlichen, entwickelte Rasche ein Übersichtsmodell, in dem der Finanzierungsbedarf der Hochschulen (Lehrtätigkeit, Infrastruktur, Verwaltung) und die Finanzierungsmittel (Eigenbesitz, staatliche Zuwendungen, Honorare und Gebühren) in vielfältigen Variationen mit- und untereinander verknüpfbar waren und Abhängigkeiten hergestellt werden konnten. Auch Phänomene wie der Niedergang der katholischen Universitäten im 18. Jahrhundert oder die ökonomischen Probleme bei der Durchsetzung von Reformen ließen sich damit prägnant veranschaulichen. Am Beispiel der Universität Greifswald unternahm DIRK ALVERMANN (Greifswald) einen „Versuch über Ökonomisierung“, wobei er anhand verschiedener Parameter (Vermögensverwaltung, Examens- und Promotionsrecht, Studienordnung- und Disziplinaraufsicht) die Funktionen von Kontrolle, Markt und Reputation untersuchte und zum Schluss kam, dass entgegen älterer Meinungen die kooperative akademische Selbstverwaltung durchaus in der Lage gewesen sei, für wirtschaftlichen Erfolg zu sorgen.

FREDERIC GROß (Tübingen) stellte in seinem Beitrag die Situation im Herzogtum Württemberg am Ende des 18. Jahrhunderts dar und ging exemplarisch auf unterschiedliche universitäre Finanzierungskonzepte im Hochschulwesen und ihre Funktionsweisen ein: Zu diesem Zeitpunkt hatte die alte Landesuniversität in Tübingen Konkurrenz erhalten durch die neu gegründete Hohe Karlsschule in Stuttgart (1782 mit Universitätsprivilegien ausgestattet). Während aber die Tübinger Hochschule über eine formale finanzielle Unabhängigkeit verfügte, sei die Karlsschule von verschiedenen Finanzierungstöpfen ihres Gründers und Förderers Karl Eugen abhängig gewesen, mit der Folge, dass sie nahezu unmittelbar nach dessen Tod aufgelöst wurde. Mit einer vergleichbaren Konkurrenzsituation beschäftigte sich der Vortrag von SASCHA WEBER (Mainz) zu den kurmainzischen Hochschulreformen und arbeitete die Unterschiede zwischen der Universität in Erfurt und der Mainzer Hochschule heraus. Deutlich wurde dabei die Rolle Göttingens für die Entwicklung. Denn zentrales Vorbild für die Mainzer Reformen der 1760er- und 1770er-Jahren sei diese „Reformuniversität“ gewesen, an der die handelnden Personen der Kurmainzer Administration fast ohne Ausnahme studiert hatten. Obgleich die ambitionierten Pläne keineswegs vollständig umgesetzt werden konnten, habe die Mainzer Universität bis zu ihrer Aufhebung im Jahr 1793 (nicht zuletzt durch einen neu gegründeten Universitätsfonds) eine große Vorbildfunktion für alle katholischen Hochschulen des Alten Reichs gehabt.

Den Abschluss der ersten Sektion bildete der Beitrag von STEFFEN HÖLSCHER (Göttingen), der das Göttinger Modell der Universitätsfinanzierung zum Thema hatte und nach dessen Besonderheiten fragte. Neben dem im zeitgenössischen Vergleich durchaus beachtlichen Etat sei vor allem bedeutsam gewesen, dass die Räte in Hannover direkten Zugriff auf die Klosterkasse hatten und so ohne Rücksprache mit den landesherrlichen Zentralbehörden in London bis zu 15.000 Reichstaler jährlich zusätzlich in die Universitätsneugründung fließen lassen konnten. Göttingen verfügte nach 1771 somit über finanzielle Spielräume, mit denen keine andere Universität des Alten Reichs habe konkurrieren können.

Die zweite Sektion zu den Praktiken der Universitätsangehörigen wurde mit einem Beitrag von KIRSTEN VAN ELTEN (Wolfenbüttel) zum Berufungswesen und unterschiedlichen Ökonomien an der Universität Helmstedt eröffnet. Als zu diskutierende Thesen formulierte die Referentin, dass der Erfolg einer Berufung vor allem vom Netzwerk abhängig gewesen, in dem sich der Bewerber befand, wobei allerdings im 18. Jahrhundert insbesondere informelle Praktiken sowie die „Eigenvermarktung“ ausschlaggebend gewesen seien. Am Beispiel des Heidelberger Professors für Experimentalphysik und Astronomie Christian Mayer (1719-1783) sprach ALEXANDER MOUTCHNIK (München) über die Förderung der Naturwissenschaften im Jahrhundert der Aufklärung insbesondere durch ein ausgeprägtes Mäzenatentum. Der Jesuit Mayer habe so zunächst auf das Netzwerk des Ordens bei der Finanzierung seiner Projekte gesetzt, nach der Auflösung der Jesuiten im Jahr 1773 den Finanzierungsrahmen dann jedoch um die Bezugspunkte Hof und Akademie(n) stark erweitert.

Im Beitrag von SWANTJE PIOTROWSKI (Kiel) ging es um die Geschichte des Verhältnisses der Landesherrschaft und der Universität am Beispiel Kiel. Hier habe fehlendes Interesse der Universitätsträger samt der daraus resultierenden mangelhaften finanziellen Ausstattung zu einem konstanten Niedergang des akademischen Rufs geführt. Dieses Wissen um den die Stellung der Universität habe auch einen Rückgang von Immatrikulationszahlen bedingt. Ebenfalls am Beispiel Kiels untersuchte DOMINIK HÜNNIGER (Göttingen) die Rhetoriken der Beteiligten und beschrieb anhand von Suppliken die Neueinstellung von Lehrpersonal als einen komplexen Aushandlungsprozess zwischen den Interessen der Landesherrschaft, der Studentenschaft und dem Lehrkörper. Dieser sei vor allem auch vom Umstand bestimmt worden, dass die unterschiedlichen Dozenten über die Gehaltshöhen ihrer Kollegen Bescheid wussten. Eine akzeptanzorientierte Politik habe daher den (weitgehend bekannten) ökonomischen Ist-Zustand berücksichtigen müssen.

Als weiteren Ausdruck eines Wettbewerbs und als unternehmerischen Akt wurden die Privatvorlesungen im Beitrag von BORIS KLEIN (Lyon) zur Geschichte der Universität Helmstedt gedeutet. Nach Klein habe der akademische Lehrkörper seine Vorlesungen als Produkt angeboten und folglich, um auf dem Markt bestehen zu können, neue Themen entwickelt und den Lehrplan erweitert. Aus diesem Befund leitete Klein Überlegungen zum universitären System der Colleges ab, das in dieser Hinsicht reformunwilliger gewesen sei. Dieser Erwerbsstreit im akademischen Milieu war auch Thema im Referat von JÜRGEN SCHLUMBOHM (Göttingen), der die Reformuniversität Göttingen erneut ins Zentrum des Interesses rückte. Er deutete die intern geführten Auseinandersetzungen des Lehrkörpers im 18. Jahrhundert als einen zunehmend ‚entgrenzten‘ Wettbewerb um materielle und immaterielle Ressourcen. Zugleich zeigte er die Schranken dieses ‚vormodernen‘ Markts auf und arbeitete die als legitim betrachteten Prozessen der Monopolbildung heraus.

Die dritte Sektion zu den Diskursen und Medien leitete MARIAN FÜSSEL (Göttingen) ein mit einer Analyse jener Metaphern, die zur (Fremd-)Beschreibung der Universität verwendet wurden. Die vor dem 18. Jahrhundert dominierenden Bilder (etwa Baum-, Hof-, Klosteranalogien) seien nun vor allem von der Vorstellung der Hochschule als Fabrik abgelöst worden. Unter diesen Vorzeichen betrachtet, geriet die Frage in den Blick, wie die Universität als Betrieb zu führen und was deren (wirtschaftliche) Geheimnisse seien.

SANDRA SALOMO (Jena) nahm sich mit dem Schuldenwesen eines Diskurses an, der an sämtlichen Universitäten des 18. Jahrhunderts eine Vielzahl von Verordnungen hervorgebracht hat. Sie spürte die Interessen und ausgetauschten Argumente auf, die zu einer Verschärfung des Kreditwesens geführt hätten. Dabei wurde deutlich, dass die Obrigkeiten auf größere Transparenz der Geldgeschäfte als Regulierungsverfahren setzten. Handlungsspielräume blieben aber bestehen. Die Frage nach dem rechtmäßigen Wirtschaften stand ebenfalls im Mittelpunkt des Vortrags von JOHAN LANGE (Heidelberg), der die Ratgeberliteratur als Normenkatalog für Studenten untersuchte. Der Referent deutete diese Hochschulschriften, fiktionale und hodegetische Literatur sowie Universitätsbeschreibungen als Versuch einer Verhaltensdisziplinierung; die darin zunehmende Ökonomisierung des Lebens- und Studienverhaltens sei demnach im Zusammenhang mit der Entwicklung eines „bürgerlichen“ Lebensstils zu sehen.

In den lebhaften Diskussionen wurden vor allem methodische Probleme mit dem Konzept der Ökonomisierung sowie mit der Geschichte des Wirtschaftens an der Wende zur Moderne angesprochen. Einerseits wurde dabei gefordert, die Geschichte der Hochschule des 18. Jahrhunderts nicht losgelöst von früheren Jahrhunderten zu betrachten, was allerdings zugleich auch nicht heißen dürfe, kritiklos klassische Meisternarrative von der zunehmenden Rationalisierung und Modernisierung fortzuschreiben. Andererseits unterstrichen die Teilnehmer, dass dieses Jahrhundert für die Universitäten vielfältige Neuerungen gebracht habe und zwar zum einen mit Blick auf die zunehmend ‚entgrenzten‘ Wirtschafts- und Marktbeziehungen und zum anderen hinsichtlich der Praktiken des Kalkulierens, Vermessens und Vergleichens. Weiter zu fragen sei daher vor allem auch nach dem Wissen um diese ökonomischen Praktiken.

Abschließend ist festzustellen, dass die Tagung ein zwar in vielerlei Hinsicht anschlussfähiges, doch bislang kaum beachtetes Thema aufgegriffen und verschiedene Zugänge für eine Beschäftigung mit der Ökonomisierung der Universitäten als kulturellem Prozess erprobt hat. Diese Tagung kann so hoffentlich dazu beitragen, jenseits der üblichen Narrative zu den ‚Reformuniversitäten‘ und akademischen Verlierern ein neues Instrumentarium für die Beschäftigung mit der Hochschule zu entwickeln.

Konferenzübersicht

Elizabeth Harding / Jens Bruning (Wolfenbüttel), Kalkulierte Gelehrsamkeit. Zur Ökonomisierung der Universitäten im 18. Jahrhundert – Eine Einführung

Sektion I: Praktiken I: Die Institutionen

Ulrich Rasche (Wien), Finanzierung und Ökonomisierung der frühneuzeitlichen Universitäten: Grundmuster und Wirkungszusammenhänge

Dirk Alvermann (Greifswald), Versuch über Ökonomisierung im Spiegel von Norm und Observanz am Beispiel Greifswalds

Frederic Groß (Tübingen), Zwei (un)gleiche Schwestern in einem Land – die Universität Tübingen und die Hohe Karlsschule in Stuttgart im Spannungsfeld von Finanzierungsnöten und württembergischem Ständekonflikt

Sascha Weber (Mainz), Hochschulreformen in Kurmainz. Zur Ökonomisierung der Universitäten zu Mainz und Erfurt im 18. Jahrhundert

Steffen Hölscher (Göttingen), „von der sufficientz des fundi“ – Das Göttinger Modell der Universitätsfinanzierung und -administration im 18. Jahrhundert

Sektion II: Praktiken II: Die Universitätsangehörigen

Kirsten van Elten (Wolfenbüttel), Der ökonomische Gelehrte? Universitäre Karrieremuster: Das Berufungswesen der Universität Helmstedt im 18. Jahrhundert

Alexander Moutchnik (München), Finanzierung der Naturwissenschaften an den Universitäten im 18. Jahrhundert. Ökonomische Aspekte der Tätigkeit des Heidelberger Professors für Experimentalphysik und Astronomie Christian Mayer SJ (1719-1783)

Swantje Piotrowski (Kiel), Universität und Landesherrschaft. Zur Struktur des Lehrkörpers der Christiana Albertina 1665-1765

Dominik Hünniger (Göttingen), „Eine seinen Ruf und seine Verdienste entehrende Vernachlässigung“. Die rhetorischen Praktiken bei Gehaltsverhandlungen an der Universität Kiel (ca. 1770-1810)

Boris Klein (Lyon), Zur Bedeutung der Privatvorlesungen an den deutschen lutherischen Universitäten der Frühneuzeit – die Universität zwischen öffentlicher Einrichtung und Zusammenschluss von privaten Unternehmern

Jürgen Schlumbohm (Göttingen), Markt und Monopol: Konkurrenz innerhalb der Universität, Konkurrenz zwischen Universitäten (Göttingen im 18. Jahrhundert)

Sektion III: Diskurse und Medien

Marian Füssel (Göttingen), Bergwerke, Fabriken, Handelshäuser. Die Universitäten im Ökonomisierungsdiskurs des 18. Jahrhunderts

Sandra Salomo (Jena), „[...] alles will Geld, Geld, Geld.“ Studentische Schulden in der Universitätsstadt Jena im 18. Jahrhundert

Johan Lange (Heidelberg), Notwendige Ausgaben? Studentische Lebenshaltungskosten in der Ratgeberliteratur des späten 18. Jahrhunderts


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