Seit dem 15. Jahrhundert bestehen deutsche Schulen im Ausland. Bis heute sind sie zentraler Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik, die mehr als 200 Millionen Euro jährlich für diesen Bereich bereitstellt. In der geschichtswissenschaftlichen Forschung ist der Bereich dieser deutschen Bildungseinrichtungen jedoch bislang kaum erforscht. Diesem Desiderat nahm sich nun eine Tagung am Lehr- und Forschungsbereich der Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der Rheinisch-Westfälische Technischen Hochschule Aachen an. Diskutiert wurde zum einen die Geschichte des deutschen Auslandsschulwesens wie auch die Bedeutung des Faches Geschichte für den aktuellen Schulalltag an deutschen Schulen im Ausland.
CHRISTIAN KUCHLER (Aachen) eröffnete die Tagung mit einem Überblicksvortrag und verankerte das Thema in der Forschungsdiskussion. Dabei zeigte er umfangreiche Desiderate auf, wenn er etwa darlegen konnte, dass die Geschichte der Auslandsschulen nach 1945 bislang kaum untersucht ist. Jenseits von lokalen Jubiläumsschriften zu „Geburtstagen“ von einzelnen Bildungseinrichtungen liegen bislang keine Analysen vor. Als mögliche Annäherungen an das Thema skizzierte Kuchler drei Ansätze: erstens eine administrative Ebene, die staatliche Intentionen und Vorgaben sowie institutionsgeschichtliche Zugänge umfasst. Zweitens einen personalen Zugang über Beteiligte (Schülerschaft, Lehrkörper, etc.) mittels privater oder schulischer Archive sowie drittens, einen visuellen Zugang. Dieser soll sich insbesondere auf Visualia des schulischen Lebens stützen. Schließlich produzierten die Bildungsstätten zahlreiche Jahresberichte, Chroniken und Festschriften, in welchen sie sich gegenüber der fremden Umwelt als „deutsch“ positionierten. Sie sind also wesentliche Quellen für das auswärtige Kulturwesen Deutschlands.
Einen zweiten Beitrag steuerte GLENN PENNY (Iowa) bei, er beschäftigte sich mit den Deutschen Schulen in Lateinamerika am Beispiel Chiles zwischen 1880 und 1930. Eingangs umriss Penny seinen Untersuchungsgegenstand, in dem er „deutsche Räume“ in Chile identifizierte, in denen sich eine spezifische Hybrid-Identität herausbildete, die sowohl von der Kultur des Heimat- als auch des Einreiselandes geprägt wird. Zudem ist dieser Raum geprägt durch eine gewisse Fluidität, die sich durch ein Beziehungsmuster von persönlichen und institutionellen Verbindungen, durch Ortsungebundenheit und äußeren Rahmenbedingungen manifestiert. Dabei wirkt die deutsche Auslandsschule als zentrale Institution in diesen Raum und in den Prozess der Identitätsbildung durch Schulgesetzgebung oder auch durch die Ausbildung der Lehrkräfte hinein.
Daneben war der wirtschaftliche Faktor einer deutschen Auslandsschule nicht zu unterschätzen. Durch die deutsche Klientel an den Schulen selbst, sowie durch das mittelbare Umfeld diente die Schule als Multiplikator für deutsche Produkte, sodass der internationale Markt für selbige sensibilisiert und erschlossen werden konnte. Durch die enge Verbindung der Auslandsschulen untereinander, den Einfluss der finanziellen Förderer und Unternehmen sowie durch den politischen Einfluss des Heimatlandes blieb die deutsche Auslandsschule auf vielen Ebenen eng an das Heimatland gebunden.
Daran knüpfte GERD VESPER (Rom) an, der über die Geschichte der Deutschen Schule in Rom und der Entwicklung des Deutschen Auslandschulwesens in Italien referierte. Ausgehend von den im 18. Jahrhundert vorhandenen deutschen Schulen im Norden Italiens, die wesentlich durch die österreichische Schulreform beeinflusst wurden und sich vorwiegend in kirchlicher Trägerschaft befanden, wird ein Einschnitt durch die italienische Nationalstaatsgründung deutlich, die verschiedentlich Impulse zur Gründung neuer deutscher Schulen gab. Neben dem neuen politischen System machte Vesper sowohl die Wanderungsbewegungen in Europa als auch den einsetzenden Tourismus als wesentlichen Motor für die frühen Schulgründungen aus. Entscheidende Einschnitte für das deutsche Auslandsschulwesen in Italien konnte der Referent für die Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges nachzeichnen.
Im zweiten Veranstaltungsteil richtete sich der Blick auf aktuelle Entwicklungen und die Rolle des Faches Geschichte an deutschen Auslandsschulen im 21. Jahrhundert.
JOACHIM CORNELISSEN (Lyon) zeigte am Beispiel des Geschichtsunterrichts in Frankreich grundlegende Unterschiede auf. So werden in Frankreich stets drei Wochenstunden Geschichte als Zulassungsvoraussetzung für die Universität im Lehrplan verankert, wobei das Ausbildungsziel des schulischen Geschichtsunterrichts zunächst im Anforderungsbereich I liegt, also auf die Reproduktion von Inhalten ausgerichtet ist, und weniger als in Deutschland auf eine Kompetenzentwicklung abzielt. Darüber hinaus wusste Cornelissen über die notwendigen Prämissen eines Geschichtslehrers an deutschen Auslandsschulen zu berichten. Vor allem der bikulturelle Faktor sei bedeutsam, da sich die Unterrichtsinhalte nicht nur aus dem Fach selbst heraus generieren, sondern auch aus den Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler, die entsprechend berücksichtigt werden müssen. Folglich ergeben sich für den Fachunterricht andere zu berücksichtigende Faktoren, da der Geschichtslehrer zugleich zum Sprachlehrer avanciert.
Zum Abschluss des Workshops wies FRANZ DWERTMANN (Bonn) als Vertreter der Sektion Auslandslehrer innerhalb der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf die aktuelle Situation hin. Er strich die gesteigerte Bedeutung des deutschen Sprachdiploms als Zweig des deutschen Auslandsschulwesens heraus. Mit Hilfe dieses Sprachdiplom werden weltweit etwa 10.000 Schülerinnen und Schüler erreicht, was die Arbeit der klassischen deutschen Auslandsschulen grundlegend ergänzt. Die Situation für die Lehrkörper im Rahmen des Sprachdiploms bildet aufgrund der Anstellung an einer staatlichen Schule eine rechtliche Besonderheit. Zudem müssen sich Lehrkräfte im kulturellen, sozialen und beruflichen Umfeld den Eigenheiten anpassen.
Mit einer abschließenden Diskussion zu den aktuellen Entwicklungen, vor allem hinsichtlich der rechtlichen Situation deutscher Lehrkräfte gegenüber internationalen Gesetzen, endete der Workshop zur Geschichte des deutschen Auslandsschulwesens. Er soll Grundlage für weitergehende Forschungen an der RWTH Aachen sein.
Konferenzübersicht:
Christian Kuchler (Aachen), Das deutsche Auslandsschulwesen als Gegenstand historischer Forschung.
Glenn Penny (Iowa), Deutsche Schulen in Lateinamerika 1880-1930.
Gerd Vesper (Rom), Deutsche Schulen in Italien.
Joachim Cornelissen (Lyon), Das Fach Geschichte im aktuellen Unterricht an deutschen Auslandsschulen.
Franz Dwertmann (Bonn), Deutsche Lehrkräfte im Ausland in Vergangenheit und Gegenwart.